Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Wie wir sagten, atmete am Hofe alles Freude, Genuß und jene Pracht und Verfeinerung, wie sie nur die Neigungen eines zärtlich gestimmten, galanten Fürsten hervorrufen können. Die Schönheiten wollten bezaubern und die Männer strebten nur zu gefallen, jeder brachte endlich seine Talente zur Geltung, wie es eben ging. Einige zeichneten sich durch Grazie im Tanz aus, andere durch Aufwand in der Erscheinung, andere durch Geist, die meisten durch Verliebtheit, nur sehr wenige durch Treue.

Es gab am Hofe einen durch sein Gitarrespiel berühmten Italiener, Francesco. Er besaß wirklich musikalisches Genie und hat darum auch allein aus der Gitarre etwas machen können; sein Spiel war so zart und anmutig, daß er diesem undankbaren Instrument Wohlklang entlockte. Es muß dabei bemerkt werden, daß nach seiner Technik zu spielen außerordentlich schwer war. Des Königs Geschmack an diesen Kompositionen hatte das Instrument so in Aufnahme gebracht, daß alle Welt, gut oder schlecht, darauf spielte und auf dem Toilettentisch der Dame war so sicher eine Gitarre zu finden wie Schminke und Schönpflästerchen.

Der Herzog von York spielte ganz gut und der Graf von Arran fast wie Francesco selbst. Dieser Virtuose hatte eine Sarabande komponiert, die alle Welt entzückte und zugleich in Verzweiflung stürzte; denn sämtliche Gitarristen des Hofes übten sie und Gott weiß, was das für ein heilloses Geklimper war.

Der Herzog gab vor, er könne sie nicht recht spielen und bat Lord Arran, sie ihm vorzutragen. Lady Chesterfield hatte in ganz England die beste Gitarre. Zu ihr also, in die Wohnung der Schwester, führte Graf Arran Seine Hoheit, weil er dort vorspielen wollte. Die Lady wohnte im Schlosse bei ihrem Vater, dem Herzog von Ormond, und die Zaubergitarre bei der Dame. Ich kann nicht sagen, ob die Sache abgekartet war; aber soviel ist gewiß, sie fanden die Lady und die Gitarre zu Hause. Auch trafen sie dort Mylord Chesterfield, der über den unerwarteten Besuch so erschrocken war, daß er sich erst besinnen mußte, ehe er aufstand, den Fürsten mit gehöriger Achtung zu empfangen.

Sogleich stieg ihm die Eifersucht wie ein böser Dunst zu Kopfe. Tausend argwöhnische Gedanken, schwärzer als Tinte, erfüllten seine Phantasie. Sie keimten dort und wuchsen mit Macht; denn während der Bruder Gitarre spielte, spielte die Schwester mit den Augen, als wäre gar kein Feind im Felde. Mehr als zwanzigmal wurde die Sarabande wiederholt. Der Herzog versicherte, man könne sie nicht ausdrucksvoller vortragen, Lady Chesterfield bekrittelte die Komposition, aber ihr Gemahl, der wohl merkte, daß das Stückchen ihm gespielt wurde, fand es unausstehlich.

Obgleich er nun Tod und Hölle empfand, weil er sich Zwang antun mußte, während man sich vor ihm gar nicht genierte, beschloß er dennoch abzuwarten, wie diese Visite enden werde. Das stand aber nicht in seiner Macht. Er erhielt, als der Königin Kammerherr, die Nachricht, Ihre Majestät wolle ihn sprechen. Erst dachte er, sich krank zu melden, dann quälte ihn der Einfall, die Königin könne wohl gar mit im Komplott sein, weil sie ihn so ungelegen rufen lasse. Kurz, er mußte mit Argwohn jeder Art und der Unentschlossenheit eines Eifersüchtigen in tausend Ängsten dennoch fort.

Er war in ganz wunderlicher Stimmung, als er bei der Königin eintrat. Wie mit dem Unglück bei dem vom Schicksal Verfolgten, so geht's mit den Besorgnissen bei dem Eifersüchtigen: sie kommen selten allein und hören nie zu quälen auf. Er erfuhr, man habe ihn für eine Audienz bestellt, die die Königin sechs oder sieben moskowitischen Gesandten zu erteilen hätte. Kaum fing er nun an, die Moskowiten zu verwünschen, als sein Schwager Graf Arran erschien und alle den fremden Gesandten zugedachten Flüche auf sich zog. Nun zweifelte er nicht länger, daß der Graf im Einverständnis mit den beiden sei, da er sie unter vier Augen gelassen; er wünschte ihm im stillen den verdienten Lohn für diese Willigkeit. Es wurde ihm schwer, mit seiner Ansicht über ein solches Betragen nicht sofort herauszuplatzen, er glaubte keines weiteren Beweises für die Untreue seines Weibes zu bedürfen; doch ehe noch der Tag endete, fand er Grund zur Überzeugung, daß man seine Entfernung und die seines bereitwilligen Schwagers sehr gut benützt habe.

Die Nacht brachte er still zu; da er seinen Argwohn und Kummer irgend jemandem mitteilen oder umkommen mußte, so brütete er bloß und ging im Zimmer bis zur Stunde der Ausfahrten spazieren. Er ging an den Hof, suchte jemanden und bildete sich ein, man errate den Grund seiner Verstimmung. Er wich jedermann aus, bis er endlich Hamilton traf, der ihm wie gerufen kam. Mit der Einladung, zusammen eine Fahrt in den Park zu machen, nahm er ihn in den Wagen und beide kamen in tiefstem Schweigen auf der Promenade an.

Da Hamilton ihn ganz bleich und versonnen fand, glaubte er, der Lord habe erst jetzt entdeckt, was alle Welt schon seit langer Zeit wisse. Nach kurzer, unbedeutender Einleitung fragte Chesterfield, wie seine Sachen bei Lady Castlemaine ständen. Hamilton merkte wohl, diese Frage gehöre nicht zur Sache, aber er wollte ihm doch freundlich danken, und wie er seine Antwort überdachte, sprach Chesterfield: »Ihre Frau Kusine ist sehr kokett und es läge nur an mir, zu glauben, sie sei nicht allzu sittsam.« Hamilton fand das ein bißchen stark, wollte ihm widersprechen, aber der Lord unterbrach ihn: »Mein Gott, Sie sehen ihr Benehmen so gut wie der ganze Hof. Die Ehemänner sind freilich stets die letzten, mit denen man davon spricht, aber nicht immer die letzten, die es merken. Da Sie mir andere Mitteilungen machten, bin ich nicht befremdet darüber, daß Sie gerade diese übergangen haben; doch ich schmeichle mir, Ihre Achtung zu besitzen und es würde mich kränken, wenn Sie glauben sollten, ich würde dies ruhig mit ansehen. Man treibt die Dinge so weit, daß ein Entschluß endlich gefaßt werden muß. Gott bewahre mich davor, den Eifersüchtigen zu spielen; die Rolle ist abgeschmackt, aber ich will auch nicht durch meine alberne Geduld das Gespräch der ganzen Stadt werden. Entscheiden Sie also nach dem, was ich Ihnen sagen werde, ob ich gleichgültig zusehen oder Maßregeln treffen soll, um mich gegen die Gefahr zu schützen.

»Gestern erwies Seine Hoheit mir die Ehre, meine Frau zu besuchen.« Bei diesem Eingang erbebte Hamilton im Innersten. »Ja,« fuhr der andere fort, »der Herzog war so gnädig und Graf Arran hatte die Güte, ihn zu uns zu führen. Wundert Sie das nicht, daß ein Mann, seiner Geburt, sich zu einer solchen Rolle hergibt? Was für eine Behandlung kann er von dem erwarten, der ihn zu so schmachvollen Diensten verwendet? Aber wir kennen ihn lange als eines der traurigsten Individuen mit seiner Gitarre und anderen Zierbengeleien.«

Nach dieser leichten Andeutung über das Verdienst seines Schwagers teilte ihm Chesterfield seine Beobachtungen während des Besuches mit und fragte ihn, was er von seinem Vetter Arran denke, daß er beide so bequem allein gelassen? »Sie sind erstaunt,« fuhr er fort, »nun hören Sie, ob ich recht habe, zu bezweifeln, daß das Ende der schönen Visite in vollkommener Unschuld abgegangen ist. Lady Chesterfield ist charmant, das muß man zugeben, aber zu einem Wunder von Schönheit, für das sie sich hält, fehlt ihr viel. Sie wissen, daß sie häßliche Füße hat, aber nicht, daß ihre Beine noch häßlicher sind.« – »Bitte sehr«, sagte Hamilton leise. – Der Lord setzte seine Zergliederung fort: »Ihr Bein ist kurz und dick, und um diesen Fehler, so gut es geht, zu verbergen, trägt sie fast stets grünseidene Strümpfe.«

Hamilton konnte nicht begreifen, wo zum Teufel das alles hinauswolle, aber Chesterfield, der ihn erriet, sprach weiter: »Einen Augenblick Geduld; gestern war ich bei Miß Stewart, nach der Audienz dieser verwünschten Moskowiten. Der König war gerade eingetreten; als hätte der Herzog geschworen, mich diesen Tag überall zu verfolgen, traf auch er eine Minute später ein. Die Unterhaltung drehte sich um das seltsame Äußere der fremden Gesandten. Ich weiß nicht, wie der tolle Crofts dazukam, zu sagen, die Moskowiten hätten lauter schöne Frauen und alle Weiber hätten schöne Beine; genug, der König behauptete, es gäbe nichts Schöneres, als das Bein der Miß Stewart. Um den Ausspruch zu betätigen, zeigte sie es bis über das Knie. Man wollte sich niederwerfen, um sein Ebenmaß anzubeten; denn es gibt wirklich nichts Schöneres. Aber der Herzog allein fing an, es zu bekritteln; er meinte, es wäre etwas zu dünn, und behauptete, nichts sei so reizend, als ein etwas kürzeres und stärkeres Bein und schloß endlich: kein Bein ohne grünseidene Strümpfe könne Gnade vor seinen Augen finden. Nach meiner Ansicht hieß das sagen: er habe ein solches kürzlich gesehen und sein Kopf sei noch ganz voll davon.«

Hamilton wußte nicht, was er während eines Berichts, der ihm ähnliche Gedanken eingab, für ein Gesicht machen sollte. Er zuckte nur die Achseln und sagte mit schwacher Stimme: Der Schein trüge oft; Lady Chesterfield habe die Schwäche aller Schönen, die da meinen, die Zahl der Anbeter entscheide ihren Wert, und wenn die Lady auch unklugerweise, um seine Hoheit nicht zurückzustoßen, sich zu freundlich benommen habe, seien weitere Schritte, den Herzog zu fesseln, von ihr nicht zu befürchten. Umsonst gab er jedoch Tröstungen, an die er selbst nicht glaubte; Chesterfield fühlte es durch, aber er wußte ihm für seinen Anteil Dank zu zollen.

Hamilton eilte nach Hause, um der Kusine die bittersten Dinge zu schreiben. Die Form dieses Briefes war von seinen früheren Episteln sehr verschieden. Vorwürfe, Beleidigungen, Liebesklagen, Drohungen, kurz der ganze Vorrat eines gekränkten Liebhabers bildeten den Inhalt. Aus Furcht vor einem Zufall begab er sich zu ihr, um das Billett selbst zuzustellen.

Nie war sie ihm so schön, wie in diesem Augenblicke erschienen und ihre Augen hatten ihm noch nie so viel Innigkeit gezeigt. Sein Herz wurde davon bewegt; doch wollte er die hübschen, im Brief enthaltenen Dinge nicht umsonst geschrieben haben. Indem sie das Billett nahm, drückte sie ihm die Hand. Dieser Zug entwaffnete ihn vollends. Er hätte alles in der Welt dafür gegeben, den Brief wieder zu haben. Es schien ihm plötzlich, als sei von dem, was er darin gesagt, nicht ein Wort wahr. Ihr Gemahl wurde ihm zum Gespensterseher und Betrüger, zu etwas ganz anderem, als was er ihm im Augenblick zuvor geschienen; aber die Gewissensbisse kamen ein wenig spät. Sein Billett war einmal abgegeben und die Lady hatte so viel Sehnsucht und Ungeduld, es allein zu lesen, gezeigt, daß jeder Umstand dazu beitrug, sie zu rechtfertigen und ihn zu vernichten. Sie befreite sich, so gut es ging, von einem lästigen Besuch, um in ihr Kabinett zu treten; Er jedoch kam sich so schuldig vor, daß er ihr Herauskommen nicht abwarten zu dürfen glaubte; er brach also mit der Gesellschaft auf. Tags darauf wagte er sich um keinen Preis wegen einer Antwort zu ihr.

Er traf sie jedoch bei Hof; seit Beginn seiner Neigung zu ihr war es das erste Mal, daß nicht er sie suchte. Er hielt sich im Hintergrunde, wagte nicht, die Augen aufzuschlagen und schien in lächerlicher oder bedauernswerter Verlegenheit, als sie sich näherte. »Sind Sie nicht für einen Mann von Verstand in der abgeschmacktesten Lage der Welt?« sagte sie. »Sie wünschen, Sie hätten mir nicht geschrieben. Sie möchten eine Antwort, wagen nicht, auf eine zu hoffen und doch ersehnen und fürchten Sie sie. Ich habe Ihnen aber dennoch ein paar Zeilen geschrieben.« – Sie hatte nur Zeit, ihm diese wenigen Worte zu sagen; es geschah mit einer Miene und einem Blick, die ihm die Huldgöttin mit all ihrer Anmut vor die Seele zauberte. Als die Königin zu spielen begann, war er ihr zur Seite. Sie setzte sich zur Partie. Er quälte sich mit der Frage, wann oder wo diese Antwort ihm zugehen würde, als sie ihn bat, ihren Fächer und ihre Handschuhe irgendwo hinzulegen. Er empfing beides mit dem erwarteten Schreiben. In den ihm zugeflüsterten Worten hatte er keine Strenge, nichts Feindliches gefunden; deshalb beeilte er sich, das Billett zu öffnen. Es lautete:

»Ihre Ausfälle sind so komisch, daß ich Ihnen eine Gnade erweise, wenn ich sie einer übermäßigen Leidenschaft zuschreibe, die Ihnen den Kopf verdreht. Man muß in der Tat sehr zur Eifersucht hinneigen, wenn man sie bei dem von Ihnen bezeichneten Herrn empfinden kann. Mein Gott, ist das ein Anbeter, der einen Mann Ihres Geistes beunruhigen, und ein Wesen, das mich fesseln könnte! Schämen Sie sich nicht, von dem Wahnsinn eines Eifersüchtigen angesteckt zu sein, der aus Italien nichts anderes als diese Krankheit mitgebracht hat? Der Gegenstand seiner Narrheit, die Fabel von den grünen Strümpfen hat Sie so jämmerlich täuschen können! Warum hat er bei seinen Mitteilungen nicht damit geprahlt, daß er meine arme Gitarre zertrümmert hat? Diese Heldentat würde Sie vielleicht mehr überzeugt haben als alles andere. Kehren Sie zu sich zurück und wenn Sie mich liebhaben, preisen Sie es als glücklichen Umstand, daß diese irrige Eifersucht die Aufmerksamkeit der Leute von den Gefühlen ablenkt, die ich für den liebenswürdigsten und gefährlichsten Mann am ganzen Hofe hege.«


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