Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Mit der schönen Jahreszeit kehrten deren Vergnügungen zurück. Als die Damen eines Tages ausgeritten waren, stieg Miß Temple bei der Rückkehr von dem galanten Spazierritt bei Miß Hobart ab, um sich durch Erfrischungen von der Anstrengung zu erholen. Doch ehe sie sich ans Naschen machte, bat sie um Erlaubnis, ihre Wäsche wechseln zu dürfen, das heißt sich in ihrer Gegenwart zu entkleiden. Man war weit entfernt davon, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. »Ich wollte es Ihnen eben anbieten«, sagte Miß Hobart. »Sie sind in dieser Tracht zwar reizend wie ein Engel, aber es geht nichts über frische Wäsche und Bequemlichkeit. Sie glauben nicht,« setzte sie, sie umarmend hinzu, »welchen Gefallen Sie mir tun, liebe Temple, wenn Sie sich hier ganz wie zu Hause benehmen; mich entzückt dieser Sinn für Reinlichkeit ganz besonders. Sie sind in dieser Hinsicht, wie in manch anderer, sehr verschieden von der kleinen Närrin, der Jennings. Haben Sie nicht bemerkt, wie alle Gecken am Hof sie wegen ihres Teints, der nicht einmal ganz natürlich ist, und wegen so mancher Tollheiten, die allerdings bei ihr Natur zu sein schienen, die man aber für geistreich ausgibt, bewundern? Ich habe mit ihr nicht genug verkehrt, um an ihr Geist entdecken zu können; wenn es aber mit dem nicht besser steht als mit ihren Füßen, heißt er nicht viel. Man hat mir hübsche Dinge von ihrer Unreinlichkeit erzählt. Keine Katze soll das Wasser so fürchten wie sie. Denken Sie, sie wäscht sich nie aus Reinlichkeitstrieb, sondern spült nur gerade ab, was man zu sehen bekommt, Brust, Gesicht und Hände!«

Das benagte der Temple noch besser als Konfekt und, um keine Zeit zu verlieren, entkleidete die Hobart sie vor Ankunft des Kammermädchens. Anfangs machte das Fräulein einige Umstände, weil sie einer Dame von ihrer Stellung bei Hofe diese Arbeit nicht zumuten wollte; allein sie wehrte sich umsonst; die Hobart zeigte ihr, daß dieser kleine Dienst ihr Vergnügen mache. Als die Näscherei vorüber und Miß Temple entkleidet war, sprach die Wirtin: »Gehen wir ins Badezimmer; wir können dort plaudern, ohne durch einen langweiligen Besuch gestört zu werden.« Sie willigte ein und beide setzten sich auf ein Ruhebett. »Sie sind noch zu jung, liebe Temple,« sprach die Hobart, »als daß Sie den schändlichen Charakter der Männer überhaupt kennen sollten, und noch zu kurze Zeit hier, um Leute zu beurteilen. Ich will Ihnen ein Bild von den Herren entwerfen, so gut ich kann, ohne jemandem zu nahe zu treten; denn ich hasse alle böse Nachrede. Zunächst müssen Sie voraussetzen, daß bei keinem Mann am Hofe Redlichkeit, gesunder Sinn, Urteil, Verstand oder Offenheit zu finden sind, das heißt, wenn jemand zufällig eins von diesen Dingen besitzt, so hat er sicher die anderen nicht. Aufwand in Tracht und Equipage, Spielwut, Eigendünkel und Geringschätzung anderer herrschen bei allen vor.

Eigennutz oder Genußsucht sind Triebfedern all ihrer Handlungen. Die Habsüchtigen würden Gott den Herrn, wie Judas den Heiland, noch dazu um ein Geringeres verkaufen. Hätte ich Zeit, so könnte ich Ihnen hübsche Beispiele anführen. Die Anhänger der Sinnesfreuden oder angeblichen Wüstlinge – denn sie sind keineswegs alle so gefährlich, wie sie scheinen möchten – halten weder Versprechungen noch Eide, sie kennen weder Treu noch Glauben und achten weder Himmel noch Erde, um zum Ziel zu kommen. Die Ehrenfräulein sind in ihren Augen nur zu ihrer Zerstreuung bei Hof angestellt, und je mehr eine wert ist, desto mehr ist sie ihren Frechheiten ausgesetzt, wenn sie sie anhört, und ihren Verleumdungen, wenn sie sie nicht beachtet.

Ehrliche Absichten darf man hier nicht suchen. Wenn nicht etwa Geld oder Laune im Spiele sind, ist jede Hoffnung auf Verheiratung vergeblich; Sittsamkeit und Schönheit genügen nicht. Lady Falmouth ist das einzige Beispiel einer ohne Mitgift gut verheirateten Hofdame. Fragen Sie aber den armen, schwachköpfigen Ehemann, aus welchem Grund er sie genommen, so bin ich fest überzeugt, weiß er wohl keinen, wenn es nicht etwa um ihrer langen roten Ohren oder um ihres Plattfußes willen geschah. Die blonde Yarborough ist, alles in allem genommen, sosehr sie auf ihre Partie stolz tut, doch nur die Gattin eines Bauerntölpels; kaum eine Woche nach der Hochzeit mußte sie wegen elender fünf- bis sechstausend Livres Grundeinkommen der Stadt für immer den Rücken kehren und am äußersten Ende von Cornwall wohnen! Ach, die arme Blague! Ich sah sie vor einem Jahr abreisen; ihr Wagen wurde von vier so mageren Kleppern gezogen, daß ich glaube, sie hat noch nicht die Hälfte des Weges nach ihrem kleinen Landbesitz zurückgelegt. Doch was tut's? Alle Mädchen haben die Marotte, sich verheiraten zu wollen, und wenn sie etwas Schönheit besitzen, so denken sie, sie brauchten sich nur bei Hof zu zeigen, um einen Mann zu finden. Aber wäre dem auch so, so ist dennoch die Ehe für eine zartfühlende Person die schnödeste Sache der Welt.

Glauben Sie mir, liebe Temple, die Annehmlichkeiten der Ehe sind im Verhältnis zu ihren Übeln so unbedeutend, daß ich nicht begreife, wie man sich zu ihr entschließen kann. Meiden Sie also ein so trauriges Los, statt es zu wünschen. Die Eifersucht, die bisher in diesem gesegneten Lande unbekannt war, wird nun auch bei uns Sitte. Beispiele sind Ihnen bekannt. Mit welchen Lockungen man Sie auch blenden will, machen Sie nie aus Ihrem Sklaven einen Tyrannen. Im Besitz Ihrer eigenen Freiheit werden Sie stets über andere gebieten. Ich will Ihnen einen ziemlich frischen Beweis von der Hinterlist der Männer gegen unser Geschlecht wie auch von der Straflosigkeit geben, mit der sie gegen unsere Unschuld wüten dürfen.

Der Earl von Oxford verliebte sich in eine Schauspielerin aus der Truppe des Herzogs; sie war schön, liebenswürdig und spielte meisterhaft. Die Rolle der Roxane in einem neuen Stück hatte ihren Ruf gegründet und dieser Name war ihr geblieben. Tugendhaft, keusch oder, wenn Sie wollen, eigensinnig, wies dieses Mädchen alle Geschenke und Anerbietungen des Earl zurück. Er nahm zu Verfolgungen, selbst zu Zaubermitteln seine Zuflucht; alles umsonst. Er wollte weder essen noch trinken. Das nützte ihm nicht viel, aber seine Leidenschaft wuchs so bedenklich, daß er weder mehr spielte noch rauchte. In dieser äußersten Klemme nahm seine Liebe ihre Zuflucht zum Traualtar. Wie Sie wissen, ist der Earl von Oxford, erster Pair des Reiches, eine schöne Erscheinung; er ist Ritter des Hosenbandordens und dieser Schmuck hebt noch sein von Natur edles Aussehen, mit einem Wort, wenn man ihn sieht, sollte man meinen, es sei wirklich etwas an ihm, wenn man ihn aber hört, merkt man gleich, daß nichts dahintersteckt. Der leidenschaftliche Anbeter ließ ihr ein von seiner Hand authentisch vollzogenes Eheversprechen anbieten; sie wollte auf diesen Köder nicht anbeißen, doch glaubte sie keine Gefahr zu laufen, als er tags darauf, von einem Geistlichen und einem Zeugen begleitet, bei ihr eintrat. Eine ihrer Kolleginnen unterzeichnete als ihre Zeugin den Kontrakt. Auf diese Weise wurde die Ehe geschlossen und vollzogen. Nun glauben Sie vielleicht, die neue Gräfin hätte sich nur noch bei Hofe vorzustellen gebraucht, hätte dort ihren Rang einnehmen und das Wappen der Oxford führen dürfen? Weit gefehlt; als davon die Rede war, fand sich, daß sie gar nicht verheiratet war, das heißt man entdeckte, daß der angebliche Geistliche nur ein Trompeter des Lords und der Zeuge sein Paukenschläger gewesen. Nach der Zeremonie ließen Geistlicher und Zeuge sich nicht wieder sehen und dem anderen weiblichen Zeugen hielt man entgegen, die Sultanin Roxane habe sich zur Übung nur in einer Komödienrolle trauen lassen. Umsonst rief das arme Geschöpf die in ihrer Person verletzten Gesetze und die entweihte Religion an, umsonst warf sie sich dem König zu Füßen, um Gerechtigkeit zu erflehen, sie konnte vom Glück sagen, daß sie mit einer Pension von tausend Krontalern als Witwengehalt und dem Namen Roxane, statt des Namens Oxford, wieder aufstand. Sie werden nun sagen, das war nur eine Komödiantin, nicht alle Männer wären gleichgeartet, und man könnte sie wenigstens anhören, wenn sie einem Wesen Ihres Wertes mit Recht huldigen, aber trauen Sie ihnen nicht, wenn Sie auch in Beziehung auf sich selbst recht haben; denn ich weiß sehr wohl, daß nicht alle von der neuen Bezauberung durch die Jennings angesteckt sind. Der schöne Sidney verfolgt Sie mit Blicken, Lord Rochester liebt Ihre Unterhaltung und selbst der strenge Sir Charles Littleton läßt seinen natürlichen Ernst zugunsten Ihrer Anmut auftauen.

Was den ersten anlangt, so gestehe ich: sein Äußeres muß die Zuneigung eines Mädchens Ihres Alters gewinnen; wäre die Gestalt aber, wie dies nicht der Fall ist, noch von etwas anderem unterstützt und dächte er auch so ernst an Sie, wie er es Ihnen einreden möchte und Sie es ohne Zweifel verdienen, so würde ich Ihnen dennoch nicht raten, auf ihn zu bauen, und zwar aus Gründen, die ich Ihnen jetzt nicht mitteilen darf.

Sir Charles Littleton geht freilich aufrichtig zu Werk, weil er sich des Zustandes, in den Sie ihn versetzt haben, schämt, und ich glaube wirklich, daß wenn er dies Schreckbild jenes Ungeheuers, das man gewöhnlich Hahnreischaft nennt, aus seinem Kopfe bannen könnte, der gute Mann Sie in der Tat zur Frau begehren würde. Sie könnten dann in seiner kleinen Grafschaft eine Rolle spielen, die Wirtschaft führen und ihm seine Servietten in Ordnung halten. Welche Ehre, einen Cato zum Mann zu haben, dessen Reden nur mit Glossen gespickte strenge Kritiken sind.

Lord Rochester ist unwidersprochen der geistreichste, aber gewissenloseste Mann in England. Er ist bloß unserem Geschlecht gefährlich, aber in so hohem Grade, daß, wenn ein weibliches Wesen ihn nur dreimal anhört, ihr Ruf verloren ist. Ihm kann keine Frau entgehen, denn in seinen Schriften, auf dem Papier besitzt er sie gewiß, wenn auch nicht in Wirklichkeit; in unserem Zeitalter bleibt sich das aber in den Augen der Welt ganz gleich. Man muß zugeben, daß es nichts so Verführerisches gibt wie die feine Art, mit der er sich der Frauen bemächtigt. Er geht auf Ihren Geschmack ein, scheint all Ihre Gefühle zu teilen und, während er kein Wort von dem glaubt, was er sagt, macht er Sie alles glauben, was er sagt. Ich will wetten, daß Sie ihn nach seinen Reden für den ehrlichsten, offensten Mann auf Erden halten. Eigentlich begreife ich nicht recht, was er mit seiner Aufmerksamkeit für Sie bezweckt. Zwar gebührt Ihnen die Huldigung der ganzen Welt, aber wenn es ihm nun auch gelungen wäre, Ihr Köpfchen zu verwirren, wüßte er mit dem reizendsten Wesen am Hofe nicht einmal etwas anzufangen. Das haben seine Ausschweifungen mit allen Stadtdirnen längst besorgt. Sie sollen sehen, liebe Temple, was seine abscheuliche Bosheit zur Vernichtung und Verzweiflung unseres Geschlechtes vermag. Der Frevler wendet seine Aufmerksamkeit und Sorgfalt nur deshalb Miß Temple zu, um den Verleumdungen, durch die er sie hinterrücks zerfetzt, mehr Wahrscheinlichkeit zu geben. Sie staunen und zweifeln vielleicht an der Wahrheit meiner Worte, aber Sie sollen nicht meinen Worten allein glauben. »Hier«, sagte sie, einige Blätter aus der Tasche ziehend, »sehen Sie die Verse, die er zu Ihrem Preise schrieb, während er durch Schmeichelreden und geheuchelte Achtung Ihren zu leicht vertrauenden Sinn betörte.«

Damit zeigte die verschmitzte Hobart der Temple ein halbes Dutzend schändlicher Couplets, die Lord Rochester gegen die früheren Ehrenfräulein verfaßt hatte. Hierin griff er durch beißende Wendungen und grausamste Zergliederung ihrer Person besonders die Price an. Miß Hobart hatte nur den Namen Temple an die Stelle des Namens Price gesetzt, was sich mit Tonfall und Versmaß ganz gut vertrug.

Das genügte. Kaum hatte die leichtgläubige Temple eine Satire gehört, als sie nicht daran zweifelte, sie sei auf sie gemünzt. Im Ausbruch der ersten Wut, nur darauf bedacht, die Lügen des Poeten sogleich zu widerlegen, rief sie: »Liebe Hobart, das ist ja nicht zum aushalten. Ich schmeichle mir nicht, so schön zu sein wie manche andere, aber von den Fehlern, die jener Schurke anführt, ist wohl niemand so frei wie ich. Wir sind allein und ich hätte beinahe Lust, Sie davon zu überzeugen.«

Die gefällige Hobart war es wohl zufrieden; wie sehr sie aber auch über alles, was die Angriffe Rochesters lobend widerlegte, in Entzücken geriet, so wollte die Temple doch vor Wut und Entrüstung vergehen, daß der erste Mann, dem sie Gehör geliehen, sie nicht allein getäuscht, sondern auch noch so grausam verleumdet habe. Da sie nun keine Worte fand, ihre Empörung und ihr heftiges Rachegefühl auszudrücken, fing sie wie toll zu weinen an.

Miß Hobart tröstete sie so zärtlich wie möglich; sie ermahnte sie, sich die Nichtswürdigkeit eines Mannes, dessen elender Charakter zu bekannt sei, als daß man seinen Erfindungen Glauben schenken könne, nicht so zu Herzen zu nehmen. Doch riet sie ihr, nie wieder mit ihm zu sprechen; das sei das einzige Mittel, seine Pläne zuschanden zu machen; stumme Verachtung sei in solchen Lagen weit wirksamer als jede Erklärung; habe er sich aber einmal bei ihr Gehör verschafft, dann würde er sich rechtfertigen, sie aber wäre verloren.

Mit diesen Ratschlägen hatte die Hobart nicht ganz unrecht. Sie wußte zu gut, daß jede Aufklärung sie selbst bloßstellen würde und daß für sie keine Gnade zu hoffen sei, wenn Lord Rochester berechtigten Anlaß hätte, sein früheres Lob über sie zu erneuern. Aber die Vorsicht war vergeblich. Die ganze Unterhaltung war von A bis Z von der Nichte der Gouvernante mit angehört worden. Dieses Mädchen hatte das treuste Gedächtnis der Welt, und da sie noch heute Lord Rochester sehen sollte, wiederholte sie sich das Gespräch drei- oder viermal, um nicht ein Wort davon zu verlieren, wenn sie die Ehre haben würde, ihrem Geliebten Bericht zu erstatten. Im nächsten Absatz werden wir sehen, wie die Sache ablief.


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