Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Hamilton.

Zu jener Zeit gingen die Dinge in Frankreich nicht wie heute. Ludwig XIII. herrschte noch und der Kardinal Richelieu regierte das Reich. Große Männer befehligten kleine Heere und diese kleinen Heere vollbrachten gewaltige Taten. Das Schicksal der Herren bei Hof hing von der Gunst des allmächtigen Ministers ab, und ihre Stellungen waren nur insoweit fest, als man ihm ergeben war. Umfassende Pläne legten inmitten der anderen europäischen Staaten den Grundstein zu jener gefürchteten Größe Frankreichs, in der man es heute sieht. Das Polizeiwesen war etwas vernachlässigt, bei Tage waren die großen Heerstraßen, bei Nacht die Gassen unsicher; anderwärts wurde aber noch viel ungestrafter gestohlen und geraubt. Die Jugend wählte bei ihrem Eintritt in die Welt die Laufbahn, die ihr gerade zusagte. Wer da wollte, wurde Chevalier, wer da konnte, Abbé. Durch die Tracht unterschieden sich Ritter und Abbé nicht voneinander und ich glaube, der Chevalier Grammont war während der Belagerung von Trino beides zugleich. Es war sein erster Feldzug und er brachte zu ihm nichts als jene glücklichen Gaben mit, die für den, der sie besitzt, Freunde und Einführungsbriefe überflüssig machen.

Bei seiner Ankunft war die Belagerung bereits im Gange. Das ersparte ihm einige Tollkühnheiten; denn ein Freiwilliger darf so lange nicht ruhig schlafen, bis er die erste Feuertaufe erhalten hat. Er machte also bloß Bekanntschaft mit Generälen, da ihm ja in der Festung sonst nichts zu rekognoszieren übrig blieb. Prinz Thomas von Carignan befehligte die Armee, und weil der Titel »Generalleutnant« noch nicht gebräuchlich war, so dienten Duplessis-Praslin und der berühmte Vicomte von Turenne unter ihm als Feldmarschälle.

Damals hatte man vor Festungen noch Respekt, weil man noch nicht die Mittel hatte, sie durch furchtbaren Bombenhagel und Hunderte von Feuerschlünden in Asche zu legen. Vor der Zeit, da solch gewaltige Geschosse wüteten, die den Gouverneur in die Kellergewölbe jagen und die Garnison zu Staub zerfetzen, bezeugten nur häufige, heftig zurückgeschlagene Ausfälle und kräftige, tapfer empfangene Angriffe die Kunst der Belagerer und den Mut der Belagerten. Drum zogen solche Unternehmungen sich ziemlich lange hin und die jungen Leute hatten Gelegenheit, etwas zu lernen.

Während der Belagerung von Trino gab es auf beiden Seiten herrliche Waffentaten. Man ertrug Strapazen und erduldete ruhig Verluste; seit Ankunft des Chevaliers Grammont kannte man auch in der Armee keine Langeweile mehr.

In den Laufgräben gab's keine Erschöpfung, bei den Generälen keinen gezwungenen Ernst, bei den Truppen keine schlechte Laune mehr. Überall fand und verbreitete der Ankömmling Stoff zur Heiterkeit.

Wie überall gab es unter den Offizieren des Heeres neben Männern von wirklichem Verdienst auch Leute, die gerne Verdienst gehabt hätten. Diese Herren ahmten, ohne ihn zu erreichen, den Chevalier Grammont in seinen glänzenden Eigenschaften nach; die anderen bewunderten seine Begabung und suchten seine Freundschaft.

Zu ihnen gehörte Matta. Voller Freimut und Ehrlichkeit, machte dieser schon durch sein Äußeres einen sehr angenehmen Eindruck, mehr aber noch durch seinen eigenartigen Esprit. Einfach und natürlich, besaß er doch sehr feine Urteilskraft und reges Zartgefühl. Es dauerte nicht lange, so hatte der Chevalier Grammont diese Züge entdeckt; bald war die Bekanntschaft gemacht und ebenso rasch auch Freundschaft geschlossen. Matta verlangte durchaus, der Chevalier solle bei ihm wohnen, aber der nahm das nur unter der Bedingung halbierter Auslagen an. Da beide freigebig waren und den Aufwand liebten, gaben sie zusammen gut arrangierte, sehr gewählte Mahlzeiten. Anfangs trug ihnen das Spiel viel ein, aber der Chevalier gab auf hundert Arten das zurück, was er nur auf eine Art eingenommen hatte.

Der Reihe nach eingeladen, bewunderten die Generäle diesen Aufwand und machten ihren Offizieren einen Vorwurf daraus, daß man bei ihnen nicht so gut bedient sei. Der Chevalier besaß die Gabe, die einfachsten Dinge zur Geltung zu bringen; sein Geist beherrschte die Mode derart, daß man sich selbst herabsetzte, wenn man nicht seinem Geschmack folgte. Sowohl die Bestellungen wie das Honneurmachen bei der Tafel überließ Matta dem Chevalier. Der allgemeine Beifall, den er fand, entzückte ihn und er bildete sich ein, man könne gar nicht schöner leben als sie; auch sei nichts leichter, als diese Existenz fortzusetzen. Doch bald sollte er erfahren, daß kein Glück von langer Dauer ist.

Eine kostspielige Tafel, geringe Sparsamkeit, betrügerische Diener, Unglück im Spiel, alles das zusammen störte den Haushalt. Die Tafelfreuden schrumpften allmählich von selbst ein, als plötzlich der an Auskunftsmitteln reiche, geniale Chevalier sein Ansehen durch einen Kunstgriff aufrecht zu erhalten wußte, den wir hier mitteilen wollen.

Sie hatten miteinander über ihre Finanzlage noch gar nicht gesprochen, obgleich der Verwalter jeden einzeln davon in Kenntnis setzte, wenn er um Geld für die laufenden Ausgaben oder mit dem Kassenbericht kam. Eines Tages, als der Chevalier früher als gewöhnlich nach Hause kam, fand er Matta ruhig auf einem Lehnstuhl eingeschlafen und da er seinen Schlummer nicht stören wollte, fing er an, über seinen Plan nachzudenken. Plötzlich wachte Matta auf und begann nach einigem Staunen über die Versonnenheit seines Freundes – weil ein Schweigen von mehr als einer Minute zwischen ihnen etwas Unerhörtes war – laut aufzulachen. Je mehr der Chevalier ihn ansah, desto heftiger wurde Mattas Gelächter. »Das heiße ich lustig erwachen,« sprach Grammont, »worüber lachst du, am Ende gar über die unsichtbaren Engel?« – »Chevalier, ich lache über einen eben gehabten Traum,« entgegnete Matta, »der so natürlich und drollig war, daß du mitlachen sollst. Mir träumte, wir hätten unseren Haushofmeister, den Oberkoch und unseren Inspektor mit dem Vorsatz entlassen, während der übrigen Belagerungszeit bei den anderen Offizieren zu speisen, wie diese bisher bei uns. Das war mein Traum, aber worüber grübelst du, Chevalier?«

»Armer Junge,« erwiderte Grammont achselzuckend, »du bist außer Fassung, verstimmt und verwirrt wegen einiger unangenehmer Worte, die der Haushofmeister dir wahrscheinlich, wie mir, gesagt hat. Was? Nach der Rolle, die wir bis jetzt in den Augen der Großen und Ausländer im Heer gespielt haben, sollen wir die Partie aufgeben wie Narren, einpacken wie Schwindler, bloß weil unsere Finanzen ein wenig erschöpft sind? Du hast gar keine Courage. Wo ist die Ehre Frankreichs?« – »Und wo Geld?« fragte Matta, »meine Leute sind des Teufels, weil nicht zehn Taler im Hause sind, und ich glaube, auch die deinigen haben nicht mehr; denn seit länger als acht Tagen sehe ich dich nicht mehr die Börse ziehen und dein Geld zählen, ein Vergnügen, das dich in Zeiten des Glücks oft beschäftigte.«

»Ich gebe das alles zu,« erwiderte Grammont, »aber ich will dir zeigen, daß du dich in diesem Falle so verkehrt benimmst, wie ein begossenes Huhn. Was tätest du, wenn du dich in einem Zustand befändest, wie ich ihn vier Tage vor meiner Abreise hieher erlebte? Ich muß dir die Geschichte erzählen.«

»Das klingt sehr nach Roman, nur mit dem Unterschied, daß eigentlich dein Stallmeister mir diese Geschichte erzählen müßte«, sagte Matta. – »Das wäre freilich die Regel,« erwiderte der Chevalier; »aber ich kann ja von meinen ersten Heldentaten selbst Bericht erstatten, ohne meiner Bescheidenheit allzu nahezutreten; mein Stallmeister hat übrigens für den heroischen Vortrag eine zu burleske Ausdrucksweise.«

»So wisse denn, bei meiner Ankunft in Lyon...« – »Fängt man so an?« fragte Matta. »Beginne, bitte, deine Erzählung früher; bei einem Leben, wie dem deinen, verdienen die geringsten Umstände Erwähnung, besonders aber die Art, wie du dem Kardinal deinen ersten Besuch machtest; ich habe oft darüber gelacht. Übrigens erlasse ich dir alle Aussprüche aus der Kindheit, deinen Stammbaum, Namen und Eigenschaften deiner Vorfahren; denn davon weißt du ohnehin kein Wort.«

»Welch schlechter Witz. Du meinst, jeder wäre so unwissend wie du selbst, und du bildest dir ein, ich kenne weder meinen Urahn Menodor noch meine Ahnin, die schöne Corisande. Am Ende weiß ich etwa auch nicht, daß es nur von meinem Vater abhing, ob er Sohn Heinrichs IV. hätte sein wollen. Der König wünschte ihn durchaus als Kind anzuerkennen; aber dieser Eigensinn wollte absolut nichts davon wissen. Denke nur, was ohne den bastardierenden Wappen-Querbalken aus den Grammonts geworden wäre. Sie hätten den Vorrang vor den Kindern Cäsars von Vendôme, der ein Sohn Heinrichs IV. mit der schönen Gabriele d'Estrées war. Du magst lachen; aber das ist so wahr wie das Evangelium. Doch kommen wir zur Sache.


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