Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Tags darauf reiste er, von einem Trompeter begleitet, nach dem Ort der Zusammenkunft ab und fand an dem ihm von Lussan bezeichneten Punkte den Prinzen. Kaum war er abgestiegen, so rief dieser, ihn umarmend: »Ist es möglich, der Chevalier Grammont. Und im feindlichen Lager?« – »Dort finde ich Sie vielmehr, gnädiger Herr«, sprach dieser, »und appelliere an Eure Hoheit, ob es meine oder Eure Schuld ist, wenn wir nicht mehr auf derselben Seite kämpfen.« – »Ich gebe zu,« sagte Condé, »wenn die anderen mich wie Lumpen und Undankbare verlassen haben, hast du mich aufgegeben, wie ich selbst die königliche Partei aufgab, als ein ehrlicher Mann, der recht zu haben glaubt. Doch vergessen wir alles, was uns aufregen könnte und sage mir, weshalb du, den ich zu Peronne am Hofe glaubte, hieher gekommen bist.« – »Wollen Sie es wissen?« antwortete er, »ich komme wirklich, um Ihnen das Leben zu retten; ich kenne Sie, Sie müssen bei einer Schlacht mitten unter dem Feind sein. Nun dürfte Ihnen bloß das Pferd unterm Leib getötet, Sie selbst dürften nur mit den Waffen in der Hand ergriffen werden, dann würde der Kardinal mit Ihnen ebenso kurzen Prozeß machen, wie einst Richelieu mit ihrem Oheim Montmorency. Ich halte Ihnen also ein Pferd für diesen Fall bereit, damit man Ihnen nicht den Kopf abschlägt.« – »Es wäre nicht das erstemal,« sprach der Prinz lachend, »daß du mir einen solchen Dienst erweisest, wenn auch damals die Gefahr nicht so groß war wie jetzt, wenn man mich gefangen nähme.«

Von diesem Thema kamen sie auf minder ernste Dinge. Der Prinz befragte ihn über den Hof, die Damen, das Spiel und Liebesangelegenheiten. Unmerklich auf die gegenwärtige Lage zurückgehend, forschte Grammont nach dem Befinden von Offizieren seiner Bekanntschaft auf der Seite des Prinzen. Condé meinte, es hänge nur von ihm ab, bis an die Front vorzureiten; dort könne er nicht bloß die Herren sehen, sondern auch die ganze Disposition des Lagers und alle Laufgräben. Der Chevalier nahm es an, der Prinz zeigte ihm alles, und wie er ihn bis zum Ort ihrer Zusammenkunft zurückgeführt hatte, fragte er: »Nun, Chevalier, wann gedenkst du mich wiederzusehen?« – »Sie haben mich so offen behandelt,« sprach Grammont, »daß ich es Ihnen nicht verschweigen will. Halten Sie sich eine Stunde nach Tagesanbruch bereit; denn Sie können darauf rechnen, daß wir Sie morgen in aller Früh angreifen werden. Gewiß würde ich Ihnen das nicht sagen, wenn man mir's anvertraut hätte; aber verlassen Sie sich jedenfalls auf mein Wort.« – »Du bleibst dir doch immer treu«, sprach der Prinz, ihn nochmals umarmend. Mit Einbruch der Nacht erreichte Grammont das Lager des Marschalls Turenne. Dort bereitete sich alles zum Angriff auf die Front vor und die Sache war selbst unter den Truppen kein Geheimnis mehr.

»Herr Chevalier,« sprach bei seinem Eintreten Turenne, man war wohl drüben sehr froh, Sie zu sehen und der Prinz hat Sie gewiß mit Artigkeiten und Fragen überhäuft?« – »Er hat sich auf das freundlichste benommen«, sagte Grammont, »und um mir zu beweisen, daß er mich für keinen Spion hält, führte er mich bis an die Laufgräben und Schwarmlinien, wo ich dann gesehen habe, mit welchen Mitteln er Sie empfangen wird.« – »Was denkt er über meinen Angriff?« – »Er ist überzeugt, daß Sie ihn heute nacht oder ganz früh morgens angreifen werden; denn ihr großen Feldherren kennt einer des anderen Manöver, daß es fast ein Wunder ist.«

Der Marschall Turenne nahm dieses Kompliment eines Kenners, der nicht gewohnt war, dergleichen einem jeden zu sagen, gut auf. Er teilte ihm den Angriffsplan mit, indem er bemerkte, es sei ihm sehr lieb, einen Mann an der Seite zu haben, der so manche Schlacht mitgemacht. Da er aber meinte, der Chevalier habe die letzte Nacht gar nicht geruht und werde in dieser nicht viel Zeit dazu finden, übergab er ihn dem Marquis d'Humières, der ihn speiste und beherbergte.

Am folgenden Tag fand die Schlacht an der Front von Arras statt, in der der Sieger Turenne seinem Ruhm neuen Glanz gab und Condé, wenngleich besiegt, nichts von seinen früheren Lorbeeren einbüßte.

Von diesem berühmten Tage gibt es so viele Berichte, daß es überflüssig wäre, hier von ihm zu sprechen. Da dem Chevalier Grammont als Freiwilligen erlaubt war, überallhin zu gehen, hat er besseren Bericht darüber erstattet, als irgend jemand anderer. Die königliche Armee zog großen Vorteil aus seiner Geistesgegenwart, mit der er Befehle, als kämen sie vom Feldherrn, stets zur rechten Zeit überbrachte. In solchen Dingen sonst sehr empfindlich, dankte ihm Turenne öffentlich, als die Schlacht vorüber war, in Gegenwart aller Offiziere und beauftragte ihn, die erste Siegesnachricht dem Hof zu überbringen.

Zu solchen Aufträgen bedarf es gewöhnlich nur wohlbestellter Stationen, einer tüchtigen Lunge und guter Relais; aber unser Held hatte ganz andere Schwierigkeiten zu überwinden. Zunächst stellten sich überall verteilte feindliche Trupps seinem Lauf in den Weg, dann auch diensteifrige Höflinge, die sich bei solchen Gelegenheiten überall auf die Lauer legen, um einem armen Kurier seine Botschaft wegzuschnappen. Seine Gewandtheit schützte ihn indes vor den einen und den anderen.

Zur Begleitung bis nach Bapaume, der Hälfte des Weges, hatte er acht bis zehn Reiter unter dem Kommando eines ihm bekannten Offiziers genommen, weil er überzeugt war, die Gefahr stecke zwischen dem Lager und der ersten Poststation. Nach der ersten Meile fand er das bestätigt, wandte sich also zu dem ihm zunächst reitenden Offizier und sagte: »Wenn Sie nicht sehr gut zu Pferd sind, rate ich Ihnen, ins Lager zurückzureiten; denn ich werde bald verhängten Zügels weiter galoppieren.« – »Ich hoffe, Ihnen Assistenz leisten zu können,« erwiderte der Offizier, »so rasch Sie auch reiten mögen, bis ich Sie in Sicherheit sehe.« – »Ich bezweifle das,« entgegnete Grammont, »denn hier kommen einige Herren, die Sie zu erwarten scheinen.« – »Aber sehen Sie denn nicht,« sprach der Offizier, »daß das unsere Leute sind, die ihre Pferde füttern wollen?« – »Nein, ich sehe nur zu gut, daß es Kroaten von der feindlichen Armee sind.« Und indem er ihm zeigte, wie sie aufstiegen, befahl er den Reitern, die ihm folgten, sie sollten sich zerstreuen, um jene irrezuführen, und sprengte dann in größter Eile auf Bapaume zu.

Er ritt ein sehr rasches Vollblut; da er sich aber auf einen holprigen, überdies kotigen Weg begeben hatte, bekam er die Herren aufs Genick. Diese dachten gleich, es müsse ein Offizier von Bedeutung sein, ließen sich also nicht durch die anderen Reiter ablenken, sondern folgten ihm unverwandt. Der Bestberittene des Trupps war ihm schon nahegerückt, denn die englischen Pferde, die auf ebenem Boden wie der Wind hinfliegen, sind auf schlechten Wegen nicht zu brauchen. Der Kroate hielt den Karabiner in die Höhe und schrie ihm von fern »halt!« zu. Als Grammont merkte, daß man ihm trotz allen Anstrengungen, die er auf ungünstigem Boden machen könnte, einholen würde, verließ er plötzlich die Richtung nach Bapaume, um eine Straße zur Rechten einzuschlagen, die davon wegführte. Dort hielt er still, als wollte er die Vorschläge des Kroaten anhören, ließ sein Pferd ein wenig verschnaufen, während der andere dachte, er wolle sich ergeben. Der Reiter spornte sein Pferd aufs äußerste, um die lebende Beute noch vor Ankunft seiner Kameraden zu fassen.

Da zeigte ein Augenblick Nachdenken dem Chevalier, welche Schmach es wäre, wenn er nach tapfer und siegreich durchfochtenem Kampf von Schuften, die nicht einmal in der Schlacht gewesen, gefangen würde, wenn er, mit seiner wichtigen Botschaft, statt im Triumph von einer großen Königin empfangen und umarmt zu werden, nun von geschlagenen Feinden als Gefangener gebunden weggeschleppt werden sollte.

Während dieser kurzen Betrachtung war der ausdauernde Kroate bis auf Schußweite nahe gekommen und präsentierte seinen Karabiner, indem er ihm Pardon anbot. Aber das Anerbieten und die Art, wie es gemacht wurde, mißfielen dem Chevalier und er machte mit der Hand bloß ein kleines Zeichen, um anzudeuten, man brauche ihn nicht aufs Korn zu nehmen. Wie er nun sein Pferd wieder bei Atem fühlte, senkte er die Hand, schoß wie der Blitz davon, und ließ seinen Kroaten so erstaunt zurück, daß es ihm nicht einmal einfiel, dem Chevalier einen Schuß nachzusenden.

Kaum in Bapaume angelangt, nahm er frische Pferde. Der Platzkommandant erwies ihm alle mögliche Aufmerksamkeit und versicherte ihm, es sei noch niemand durchgekommen; Grammont könne sich darauf verlassen, daß er alle nach ihm Kommenden, mit Ausnahme der Kuriere Turennes, festhalten würde.

So hatten sich denn nur noch gegen die in der Umgegend von Peronne lauernden Aufpasser zu hüten, die, wenn sie ihn auch nur von weitem erblickten, seine Nachricht, ohne ihren Inhalt zu kennen, gewiß sofort dem Hof überbringen würden. Es war ihm bekannt, daß die Marschälle du Plessis, Villeroi und Gabouri vor seiner Abreise sich dem Kardinal gegenüber zur Überbringung der ersten Nachricht erbötig gemacht hatten. Um diesen Hinterhalt zu umgehen, nahm er in Bapaume zwei tüchtige Reiter auf, gab eine Stunde von der Stadt einem jeden zwei Louisdor, um sich ihrer Treue zu versichern und befahl ihnen vorauszusprengen. Sie sollten sich ganz erschrocken stellen und auf alle Fragen antworten, alles sei verloren, Grammont sei in Bapaume geblieben, weil er mit dem Überbringen einer schlechten Nachricht sich nicht allzu sehr übereilen wolle, sie selbst aber seien von den seit der Niederlage überall zerstreuten Kroaten verfolgt worden.

Alles ging nach seinem Plan. Die Reiter wurden von Gabouri aufgefangen, der in seinem Eifer beiden Marschällen vorausgeeilt war; wie man die Leute aber auch ausfragte, sie spielten ihre Rolle so gut, daß in Peronne schon allgemeine Bestürzung herrschte und die Höflinge sich schon dumpfe Gerüchte von einer Niederlage ins Ohr flüsterten, als der Chevalier Grammont eintraf.

Den Wert einer guten Nachricht erhöht nichts so sehr, als eine vorausgegangene falsche Hiobspost. War nun auch seine Botschaft von diesem Heiligenschein umgeben, so empfing sie doch nur das königliche Paar mit jenem Entzücken, das sie verdiente.

Die Königin hielt ihm auf gnädigste Art Wort. Sie umarmte ihn vor dem ganzen Hofe. Der König schien ebenso ergriffen; der Kardinal jedoch, sei es, um den Wert einer Nachricht herabzusetzen, die eine anständige Belohnung erforderte, sei es, um seine durch den Sieg wiedererlangte Anmaßung zu zeigen, stellte sich anfangs, als höre er Grammont gar nicht recht an. Als er aber vernahm, die Front sei gesprengt, die spanische Armee geschlagen und Arras entsetzt, fragte er: »Ist der Prinz gefangen?« – »Nein«, sagte Grammont. »Also tot?« fragte der Kardinal weiter. »Ebensowenig«, erwiderte der Chevalier. »Schöne Nachricht!« rief Mazarin mit einem Blick der Verachtung und ging mit den Majestäten ins Kabinett der Königin. Das war ein Glück für den Chevalier Grammont; denn er hätte sich nicht gescheut, ihm eine scharfe Antwort zu geben; so sehr hatten ihn die schneidenden Fragen mit ihrer Schlußbemerkung empört.

Der Hof war voll von Spionen Seiner Eminenz. Als nun wie gewöhnlich eine Masse Höflinge und Neugieriger den Chevalier umgab, war es ihm ganz willkommen, den Sklaven des Kardinals wenigstens zum Teil zu kosten zu geben, was ihm auf dem Herzen lag und er dem Minister beinahe selbst gesagt hätte. Er nahm eine spöttische Miene an und sagte: »Meine Herren, es ist doch nichts so schön, als im Dienst von Königen und hohen Herren von Eifer beseelt zu sein. Sie sahen, wie Se. Majestät mir huldreich zunickte, Sie waren Zeugen, wie die Königin mir Wort hielt; der Kardinal aber hat meine Nachricht aufgenommen, als gewänne er dabei nicht mehr, als beim Tode seines (vermögenslosen) Vaters Peter Mazarin.«

Über dieses Wort wären selbst die Freunde des Chevaliers in Ohnmacht geraten und selbst durch weniger treffende Bosheiten sind schon festere Stellungen untergraben worden; denn er tat die Äußerung in Gegenwart von Zeugen, die nur darauf warteten, sie mit ihrer ganzen Schärfe dem Kardinal zu hinterbringen, um sich bei dem allmächtigen Minister mit ihrer Wachsamkeit ein Blatt einzulegen. Grammont war darauf gefaßt, aber welch böse Folgen er davon auch haben konnte, er hätte sich die Freude über diese Anspielung nicht nehmen lassen. Die Denunzianten taten würdig ihre Pflicht. Aber die Sache ging ganz anders aus, als sie gedacht hatten. Als der Chevalier am andern Tage bei den Majestäten zur Tafel war, erschien auch der Kardinal, und als sich alles aus Respekt vor ihm zurückzog, näherte er sich Grammont und sagte: ``Chevalier, die überbrachte Nachricht ist gut, Ihre Majestäten sind mit ihr zufrieden und um Ihnen zu zeigen, daß ich dabei weit mehr zu gewinnen glaube, als durch den Tod Peter Mazarins, werden Sie bei mir speisen und die Königin wird Ihnen außer dem erhaltenen Lohn noch die Mittel geben, mit mir eine Partie zu spielen.«

Der Chevalier Grammont hatte es also gewagt, einen mächtigen Minister zu verletzen und trotzdem war das die ganze Rüge, die dieser unter allen Großen am wenigsten rachsüchtige Staatsmann ihm erteilte. Es war bei einem Mann vom Alter des Chevaliers in der Tat nichts Geringes, daß er die Minister nur so weit achtete, als sie es verdienten. Er tat sich dem ganzen Hofe gegenüber darauf etwas zugute, daß er sich, wo alles so unterwürfig war, allein eine Art von Freiheit bewahrte. Vielleicht aber zog eben diese Nachsicht seitens des Kardinals ihm bei anderen nicht so gelungenen Wagnissen Unannehmlichkeiten zu.

Der Hof kehrte indessen zurück. Der Kardinal fühlte, er könne jetzt den König nicht länger unter Vormundschaft halten; dazu war er von Sorgen und Krankheit geplagt und von Reichtümern übersättigt, mit denen er kaum etwas anzufangen wußte. Dann war er auch vom öffentlichen Haß ziemlich stark belastet und dachte deshalb nur daran, wie er am besten für das Wohl Frankreichs ein Ministerium niederlegen könne, von dem dies Land so grausam hergenommen worden war. Während er also zu dem sehnsüchtig herbeigewünschten Frieden festen Grund legte, fingen Freude und Überfluß am Hof zu herrschen an.

In der Liebe und im Spiel waren die Erfolge des Chevaliers Grammont lange recht schwankend gewesen. Von den Hofmännern geschätzt, von den Damen, denen er nicht huldigte, gesucht, von denen, die er anbetete, ängstlich gemieden, im ganzen vom Glück mehr begünstigt ab von der Liebe, aber bei dem einen für die andere Ersatz suchend, stets heiter, stets lebhaft, blieb er im ernsten Verkehr dennoch immer ein Edelmann.

Schade, daß wir seine Geschichte hier durch eine Pause von einigen Jahren unterbrechen müssen, wie wir dies schon zu Anfang der Memoiren getan. In einem Leben, dessen geringste Vorfälle unterhaltend und eigentümlich sind, ist jede Lücke zu bedauern. Hat er diesen Abschnitt der Aufzeichnung nicht für würdig erachtet oder von ihm nur eine dunkle Erinnerung bewahrt, genug, wir müssen zu feststehenden Daten übergehen, um den Grund seiner Abreise nach England zu erfahren.


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