Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Zwei Tage später kam der Vorfall mit verschiedenen Ausschmückungen in die Öffentlichkeit. Die Gouvernante galt als Gewährsmann und erzählte überall, wie Miß Temples Unschuld gerettet wurde und wie ihre Nichte Sara die Ehre des Fräuleins nur dadurch bewahrt habe, daß Lord Rochesters gute Ratschläge ihr seit langer Zeit jeden Verkehr mit einer so gefährlichen Person untersagt hätten.

Miß Temple fand in der Folge bestätigt, daß die verhaßten Spottgedichte nur auf die Price gedichtet waren. Jedermann versicherte es ihr mit neuem Abscheu gegen die Hobart wegen dieses Betruges. Ein so gänzlicher Bruch nach äußerster Vertrautheit ließ aber viele Leute glauben, die Sache sei doch nicht so ganz aus der Luft gegriffen.

Sie genügte, um die Hobart bei Hofe in Ungnade zu stürzen und in der Stadt verrufen zu machen. Die Herzogin behielt sie aber unbekümmert in Gnaden; sie behandelte die Geschichte von A bis Z als Hirngespinst oder Verleumdung, schalt die Temple wegen ihrer Leichtgläubigkeit am unrichtigen Ort, jagte die Gouvernante nebst Nichte um der Lügen willen fort, mit denen sie das Märchen aufputzten, und beging, um die Ehre der Hobart wiederherzustellen, manches Unrecht. Allein sie erreichte ihren Zweck nicht. Wie wir in der Folge sehen werden, hatte die Fürstin guten Grund, sie nicht ganz fallen zu lassen.

Miß Temple klagte sich unaufhörlich wegen ihrer Ungerechtigkeit gegen Lord Rochester an, den sie, auf Killegrews Worte hin, für den redlichsten Mann Englands hielt; sie suchte nur eine Gelegenheit, sich in seiner Meinung wieder zu heben und ihn für die ihm gezeigte Härte zu entschädigen. Diese günstige Stimmung hätte sie in Händen eines Mannes, wie er einer war, vielleicht weiter führen können, als sie selbst beabsichtigte; aber es gefiel dem Himmel nicht, ihm diese Frucht zu gönnen.

Solange er bei Hofe lebte, war der Lord jährlich wenigstens einmal verwiesen worden; denn kaum hatte er ein Witzwort auf seiner Zunge oder Federspitze, so warf er es schon in die Welt, ohne an die Folgen zu denken. Die Minister, die Favoritinnen, häufig der Monarch selbst waren seine Zielscheibe. Hätte er es nicht mit dem nachsichtigsten Fürsten, den es je gegeben, zu tun gehabt, so wäre dessen erste Ungnade auch seine letzte gewesen.

Gerade zur Zeit, wo die Temple seine Verzeihung für die ihnen beiden durch der Hobart Intrigen bereiteten Leiden suchte, wurde ihm der Hof zum dritten Male verboten. Ohne die Temple zu sehen, reiste er ab, führte die gestürzte Gouvernante auf sein Landhaus und tat sein mögliches, um bei der Nichte etwas theatralisches Talent zu entwickeln. Da er aber merkte, daß er für dieses Studium nicht so günstigen Boden fand als für seine andern Unterweisungen, so behielt er sie mit ihrer Frau Tante nur einige Monate bei sich und bewirkte dann im folgenden Winter ihre Aufnahme in die königliche Schauspieltruppe. Das Publikum wurde ihm dadurch für die reizendste, aber talentloseste Künstlerin im ganzen Lande zu Dank verpflichtet.

Während diese Dinge bei Hofe vorgingen, kam Talbot aus Irland zurück. Er fand Miß Hamilton nicht; sie war auf dem Lande bei einer Verwandten, von der in der Folge die Rede sein wird. Ungeachtet seiner Entfernung und des dem Chevalier Grammont geleisteten Versprechens war noch ein Rest von Leidenschaft in seinem Herzen. Um sich davon zu befreien, suchte er sich anderwärts anzuschließen, fand aber unter den neuen Hofdamen der Königin nichts, was seiner Aufmerksamkeit wert war. Dafür hielt es Miß Boynton für gut, ihm die ihrige zu schenken. Ihrer schmächtigen, zarten Gestalt gab ein hübscher Teint und große starre Augen von der Ferne einen Glanz, der sich bei näherer Betrachtung verlor. Sie spielte die Schmachtende, sprach matt und schleppend und hatte tagsüber zwei bis drei Ohnmachten. Das erstemal, als Talbot die Augen auf sie warf, hatte sie einen ihrer Anfälle und man gab ihm zu verstehen, es wäre um seinetwillen. Er glaubte es, eilte zu ihrem Beistand und nahm seit jener Zeit gegen sie eine etwas zärtliche Miene an, mehr, um ihr das Leben zu retten, als aus wahrer Neigung. Er wurde gut aufgenommen; denn sie war auf den ersten Blick wirklich von ihm gefesselt worden. Er war ein sehr großer, dem Ansehen nach kraftvoller Mann. Sie ließ nichtsdestoweniger merken, sie wolle auf jede Gefahr hin ihre schwache Konstitution aufs Spiel setzen, um seine Frau zu werden; vielleicht wäre sie schon damals, wie es ihr später wirklich gelang, zum Ziel gekommen, wenn nicht die Reize der schönen Jennings dazwischengetreten wären.

Ich weiß nicht, wie es kam, daß Talbot diese noch nicht gesehen hatte, da man ihm doch so viel von ihr erzählt hatte. Ihr Benehmen, ihr Geist, ihre Lebendigkeit wurden ihm gleich gerühmt und er glaubte der öffentlichen Meinung. Ihm schien mit unbefangenster Heiterkeit gepaarte Tugend in diesem Alter und inmitten eines Liebe atmenden Hofes etwas Außerordentliches. Aber was immer man ihm von ihrem persönlichen Zauber gesagt hatte, er fand, daß es weit hinter der Wahrheit zurückblieb.

Dauerte es nun nicht lange, bis er Liebe empfand, so zögerte er noch weniger, es ihr zu sagen. Darin lag keineswegs etwas Unwahrscheinliches und Miß Jennings konnte ohne allzu große Eitelkeit daran glauben. Talbot war eine glänzende Erscheinung; bei männlicher Schönheit lag viel Adel, um nicht zu sagen, Imponierendes in seinem Wesen. Die Gunst des Herzogs zeichnete ihn hoch aus und hob alles andre noch mehr hervor; in ihren Augen bildeten jedoch die vierzigtausend Livres Einkommen, abgesehen von den Schenkungen seines Gebieters, sein Hauptverdienst. All diese Eigenschaften entsprachen ihren Grundsätzen hinsichtlich der Wahl eines Bewerbers. Wenn er also ihre Gegenliebe auch nicht vollständig ausgesprochen sah, hatte er wenigstens die Ehre, von ihr besser aufgenommen zu werden als seine Vorgänger.

Niemand ließ sich einfallen, sein Glück zu durchkreuzen, und da Miß Jennings bemerkte, die Herzogin billige Talbots Absichten, so glaubte sie, alles, was sie ihm zuliebe tun könne, sei, ihm ohne allzu große Abneigung die Hand zu reichen; es sprach also mehr ihre Vernunft als ihr Herz zu seinen Gunsten.

Über eine Bevorzugung, die kein andrer genossen, entzückt, prüfte Talbot nicht erst, welchem Motiv er sein Glück verdanke, sondern strebte nur danach, es endlich festzuhalten. Man hätte schwören können, er sei seinem Ziel nahe, aber die Liebe wäre nicht, was sie ist, wenn sie sich nicht darin gefiele, höchstes Glück aufzuschieben oder in Nichts zu stürzen.

Gegen Wesen, Unterhaltung und Tugend der Miß Jennings hatte Talbot nichts einzuwenden; doch war er nur wenig von einer ihrer neuen Bekanntschaften erbaut, und befand sich, da er ihr darüber ein paar kleine Winke erteilte, in der Folge bei dieser Sache nicht wohl.

Das, wie erwähnt, weggejagte Ehrenfräulein, Miß Price, hatte sich nach ihrem Austritt bei der Herzogin unter den Schutz der Lady Castlemaine begeben. Sie war von sehr unterhaltendem Wesen, ging auf alle Arten von Launen ein und besaß eine gewisse Munterkeit, die überall gefiel. Sie hatte die Bekanntschaft Miß Jennings vor Talbots Ankunft gemacht. Mit sämtlichen Hofintrigen vertraut, erzählte sie sie ihr auf natürlichste Weise und schilderte ihre eigenen Erlebnisse ebenso naiv wie fremde. Die Jennings fand daran viel Gefallen; denn wenn sie auch selbst die Liebe nur auf ernstem Wege kennenlernen wollte, war es ihr doch nicht unangenehm, durch andrer Mund zu erfahren, wie es auf anderen Wegen zugehe. Sie wurde darum ihrer Unterhaltung nimmer müde und freute sich stets, sie zu sehen.

Ihre außerordentliche Vorliebe für dieses Mädchen gab Talbot die Idee, der Ruf seiner Geliebten könne durch den vertrauten Umgang mit der Price nur leiden; er erlaubte sich also, mehr im Ton eines Vormundes als Liebhabers, ihr über die schlechte Wahl ihrer Gesellschaft ernste Vorstellungen zu machen.

Miß Jennings konnte, wenn es ihr einfiel, bis zum Übermaß stolz sein; die Unterhaltung der Price behagte ihr besser als Talbots Gespräche und sie nahm sich die Freiheit, ihm zu erklären, er mische sich ungerufen in ihre Angelegenheiten; wäre er aber nur aus Irland gekommen, um ihr gute Lehren über ihr Betragen zu geben, so möge er nur wieder dahin zurückkehren.

Bei dem Verhältnis, in dem sie bereits standen, schien ihm diese Ausfälligkeit unpassend und er verließ sie in kürzerer Zeit, als einem leidenschaftlich Liebenden zusteht. Eine Zeitlang spielte er den Stolzen, richtete aber damit nichts aus. Er wurde der Rolle müde, als er sah, sie helfe ihm nichts. Nun zeigte er sich als gedemütigter Anbeter; das nützte ihm aber ebensowenig. Weder seine Reue noch Unterwürfigkeit bewogen sie zur Umkehr und die kleine Rebellin schmollte noch, als Jermyn an den Hof zurückkam.

Seit länger als Jahresfrist triumphierte er über Lady Castlemaines Herz und doppelt so lange war der König dieser unaufhörlichen Triumphe müde. Sein Onkel hatte das zuerst bemerkt und ihn veranlaßt, den Hof auf einige Zeit zu verlassen, damit er ihm nicht verboten würde; denn wenn der Fürst für die Castlemaine nur noch gewisse Rücksichten hegte, durfte er doch nicht ruhig mit ansehen, daß eine von ihm öffentlich ausgezeichnete, aus seiner Schatulle hoch besoldete Mätresse an den Wagen des lächerlichsten Siegers gefesselt werde. Hierüber hatte sich der König mit der schönen Frau mehrmals gestritten, aber stets ohne Erfolg. Beim letzten Streit machte er ihr den Vorschlag, sie solle ihre Gunst lieber dem Seiltänzer Jakob Hall für etwas Solides zuwenden, als ihr Geld an Jermyn für nichts und wieder nichts verschleudern; es würde ihr immer noch mehr Ehre machen, für die Gebieterin des einen, als für die demütige Magd des andern zu gelten. Das war der Castlemaine zu viel. Wie ein Blitz flammte ihr heftiges Temperament auf. Ihm stünde es hübsch an, rief sie, einer Frau, die solche Vorwürfe am wenigsten verdiene, so etwas zu sagen; er suche mit ihr beständig Streit, seitdem sein niedriger Geschmack ans Licht getreten sei; er brauche Gänschen, wie die Stewart, die Wells und jene kleine Brettervagabundin, die er neuerdings dazugesellt habe. Diese Stürme waren immer von Tränen der Wut begleitet. Endlich spielte sie wieder die Rolle der Medea, drohte ihm, seine Kinder zu Ragout zu zerhacken und sein Schloß in Flammen zu setzen. Was ließ sich gegen eine entfesselte Furie tun, die bei aller Schönheit in ihrer Leidenschaft nicht so sehr der Medea wie ihren Drachen glich!

Der gute Fürst liebte die Ruhe, und da er sich in solchen Streit selten einlassen konnte, ohne daß es ihm etwas kostete, so mußte er für die letzte Aussöhnung bedeutende Opfer bringen. Als sie nun nicht einig werden konnten und beide Teile sich beklagten, wurde der Chevalier Grammont von beiden Seiten zum Vermittler ernannt. Es wurden ihm Beschwerden und Forderungen vorgelegt und seltsamerweise gelang es ihm, beide Teile zu befriedigen. Die Artikel des angenommenen Vertrages lauteten:

Lady Castlemaine gibt Jermyn auf; zum Beweis ihrer Ungnade willigt sie ein, daß man ihn auf das Land verbanne; sie erlaubt sich ferner keine Anspielungen mehr auf die Wells noch auch irgend eine Kritik über die Stewart, ohne daß der König gehalten wäre, sein Benehmen gegen die Lady zu ändern; für diese Einräumungen gäbe er ihr sogleich den Titel einer Herzogin nebst allen damit verbundenen Ehren, Privilegien und einer Gehaltserhöhung, um ihre Würde zu stützen.

Kaum war dieser Vertrag abgeschlossen, als die Kritiker, an denen es bei Staatsakten niemals fehlt, meinten, der Unterhändler habe den letzten Artikel nicht ganz uneigennützig formuliert, weil er täglich bei Lady Castlemaine spiele und nur selten verliere.


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