Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Während noch die Stadt einem schrecklichen Unheil entgegensah, das als Sühne für diese Schreckenstat eines Eifersüchtigen angesehen werden konnte, war Hamilton nach der Abreise der Lady Chesterfield keineswegs so zufrieden, als er erwartete. Er hatte bei seiner Tat nur der ersten Entrüstung freien Lauf gelassen. Seine Rache war befriedigt, nicht aber seine Liebe, und da er nach der Entfernung des trotz seiner Erbitterung so heiß geliebten Wesens Zeit genug gehabt hatte, Betrachtungen anzustellen, an die man bei einer noch frischen Wunde nicht zu denken pflegt, sprach er zu sich: Weshalb habe ich mich so beeilt, ein Wesen ins Unglück zu stürzen, das, wenn auch schuldig, dennoch allein mir das Leben versüßen kann? Verwünschte Eifersucht! Du bist gegen die Verfolger noch grausamer als gegen ihre Opfer! Was hilft es mir, daß ich die Chesterfield den Hoffnungen und Wünschen eines glücklicheren Rivalen entrissen habe, wenn es mir nicht gelang, ohne daß ich zugleich meinem Herzen seine teuerste Freude rauben mußte?

Eine Menge anderer ebenso gewichtiger, aber sehr wenig zeitgemäßer Gedanken zeigten ihm deutlich: in einer Lage, wie der seinigen, wäre es immer noch besser, mit einem andern zu teilen, als gar nichts zu haben. So plagte er sich denn eben mit vergeblicher Reue und nutzlosen Vorwürfen, als er von der Hand der Dame einige Zeilen erhielt, die seine Gewissensbisse so vermehrten, daß er sich als den größten Frevler unter der Sonne ansehen mußte. Der Brief lautete:

»Sie werden über diese Zeilen ebenso verwundert sein, wie ich über die erbarmungslose Miene erstaunt war, mit der Sie meiner Abreise zusahen. Ich will gern voraussetzen, daß Sie sich in Ihrem Innern Gründe zusammengestellt hatten, die ein so unbegreifliches Benehmen rechtfertigen sollten. Denken Sie noch immer so grausam, dann wird es Ihnen Freude machen, wenn Sie hören, was ich im schrecklichsten Gefängnis der Welt erdulde. Überall bietet sich meinen Blicken die traurigste Aussicht, die unser Land in dieser Jahreszeit nur gewähren kann. Durch undurchdringlichen Morast abgesperrt, sehe ich von einem Fenster aus auf Felsen, aus dem andern auf Abgründe; wohin ich aber im Hause meine Augen wende, begegne ich den Blicken eines Eifersüchtigen, die mir noch schmerzlicher sind, als die traurige Umgebung. Das Elend meines Lebens wird dadurch noch größer, daß ich in den Augen eines Mannes schuldig erscheine, der mich selbst gegen überzeugenden Anschein hätte in Schutz nehmen sollen, wenn ich bei Erwiesenheit meiner Unschuld das Recht hätte, mich zu beklagen oder jemandem Vorwürfe zu machen. Wie soll ich mich aber aus so weiter Ferne rechtfertigen, wie darf ich mir schmeicheln, die Schilderung eines fürchterlichen Aufenthalts werde Sie veranlassen, mich anzuhören! Verdienen Sie übrigens, daß ich das wünsche? Himmel, wie würde ich Sie hassen, wenn ich Sie nicht leidenschaftlich liebte? Kommen Sie doch nur einmal zu mir, um meine Verteidigung anzuhören und ich bin überzeugt, daß, wenn Sie mich nach dem Besuch schuldig finden, ich es wenigstens nicht gegen Sie gewesen bin. Morgen reist unser Argus wegen eines Prozesses, der ihn dort acht Tage aufhalten dürfte, nach Chester. Ich weiß nicht, ob er ihn gewinnen wird; das aber weiß ich, es wird nur von Ihnen abhängen, ob er einen andern Prozeß verliert, der ihm mindestens ebenso am Herzen liegt wie jener.«

In diesem Briefe standen Dinge, die einen Menschen blindlings zu weit bedenklicheren Wagnissen treiben konnten als zu dem vorgeschlagenen Abenteuer, das beiläufig gesagt, wenn auch lockend, doch nicht so ganz ohne Gefahr war. Er begriff nicht, wie sie es anfangen wollte, sich zu rechtfertigen; doch versicherte sie ihm, er werde mit der Reise zufrieden sein; das war ihm für den Augenblick genug.

Bei Lady Chesterfield wohnte eine seiner Verwandten. Da diese sie in die Verbannung begleitet hatte, war sie bis zu einem gewissen Grade in ihr beiderseitiges Verhältnis eingeweiht. Durch sie empfing er sowohl das Schreiben wie die nötigen Andeutungen über seine Hinreise und Einkehr. Bei solchen Unternehmungen ist, wenigstens vor Schluß des Abenteuers, Geheimhaltung unerläßlich. Er nahm Postpferde und reiste bei Nacht, von so zärtlichen, schmeichelnden Träumen gewiegt, daß er im Verhältnis zu Wetter und Wegen fünfzig sonst tödliche Stunden in unmerklich kurzer Zeit zurückgelegt hatte. Auf der letzten Station entließ er aus Vorsicht seinen Postillon. Es war noch nicht Tag; aus Angst vor Felsen und Abgründen ging er mit einer bei einem Verliebten ungewohnten Behutsamkeit zu Fuß weiter.

Er vermied glücklich alle gefährlichen Wege und stieg den erhaltenen Weisungen gemäß in eine näherbezeichnete, an die Parkmauer stoßende Bauernhütte. Das Quartier war nicht glänzend; da er aber nur der Ruhe bedurfte, fand er alles hiezu Nötige vor. Er wollte weder die Sonne sehen noch von ihr gesehen werden, deshalb versenkte er sich in diesem dunklen Winkel bis zum Mittag in tiefen Schlummer. Als er beim Erwachen starken Hunger spürte, aß er erst tapfer und tüchtig, und als der eleganteste Mann bei Hof brachte er, nun er von der elegantesten Frau in England erwartet wurde, den Rest des Tages damit zu, sich zu waschen und alle an solchem Ort möglichen Vorbereitungen zu treffen, ohne daß er nur ein einziges Mal den Kopf zum Fenster hinausgesteckt oder seinem Wirt eine Frage vorgelegt hätte. Endlich kam mit Anbruch des Abends die sehnlich erwartete Nachricht durch eine Art Boten an, der ihm zugleich als Führer diente. Nachdem er mit diesem eine halbe Stunde in den kotigen Wegen eines ungeheuren Parks herumgewatet, ließ ihn der Mensch in einen Garten treten, in den die Tür eines ebenerdigen Saales führte. Er wurde diesem Eingang gegenüber aufgestellt, um bald in reizendere Räume eingelassen zu werden. Der Führer wünschte ihm guten Abend; die Nacht brach an, aber die Tür ging nicht auf.


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