Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Die Hälfte dieser Eigenschaften genügten, um die ganze Reizbarkeit des Chevaliers Grammont gegen diesen Nebenbuhler aufzurühren. Was Rachsucht, Bosheit, Schlauheit nur eingeben können, um die Ruhe eines Rivalen zu stören und eine untreue Geliebte zur Verzweiflung zu treiben, wurde in ihm lebendig. Sein erster Gedanke war, ihre Briefe zurückzusenden, seine Geschenke abzufordern und sie dann mit Quälereien zu verfolgen. Bald aber verwarf er diesen Plan als des ihm zugefügten Unrechts noch nicht würdig; so war er gerade mit der Vernichtung der armen Middleton beschäftigt, als er zufällig das Fräulein Hamilton erblickte. Von diesem Augenblick an war alle Feindschaft gegen die Middelton, alles Mühen um Miß Warnestrée vergessen. Fortan kannte er keine Untreue, kein Schwanken mehr. Ein einziger Gegenstand fesselte all seine Wünsche und von den alten Fehlern blieben ihm nur noch Nervosität und Eifersucht.

Sein erstes Streben war zu gefallen; aber er sah wohl, daß er, um hier zum Ziele zu kommen, ganz anders als bisher verfahren müsse.

Die ziemlich große Familie der Miß Hamilton bewohnte ein geräumiges, bequemes Haus neben dem königlichen Schlosse. Die Mitglieder der herzoglichen Familie Ormond waren beständig dort zu Besuch und die gewählteste Gesellschaft von London verkehrte täglich bei ihnen. Der Chevalier Grammont wurde seinen Verdiensten und seinem Stande gemäß aufgenommen. Er wunderte sich, wie er anderswo so viel Zeit habe verlieren können; nachdem er diese Bekanntschaft gemacht, suchte er keine andere mehr.

Jedermann gestand, daß Miß Hamilton die treueste und ernsteste Hingebung verdiene. Sie war von edelstem Geschlecht und dem Zauber ihrer Persönlichkeit war nichts zu vergleichen.

Von seinem galanten Abenteuer unbefriedigt, war der Chevalier glücklich ohne Gegenliebe, eifersüchtig ohne verliebt zu sein.

Die Middleton wollte wie gesagt herausbekommen, wie er die Frauen malträtiere, nachdem sie selbst empfunden hatte, wie sehr er zu gefallen verstehe. Er suchte sie auf dem Ball der Königin und traf sie dort, aber zu ihrem Glück war auch Miß Hamilton zugegen. Der Zufall hatte es bisher so gefügt, daß er von allen Schönheiten des Hofes gerade sie, die am meisten gepriesen wurde, fast gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. Er sah sie also zum erstenmal aus der Nähe und meinte, bis jetzt bei Hof so gut wie gar nichts gesehen zu haben. Er unterhielt sich mit ihr, sie antwortete treffend; sooft sie tanzte, hafteten seine Blicke an ihr und nun war aller Groll gegen die Middleton verschwunden. Miß Hamilton war in dem glücklichen Alter, in dem sich die weiblichen Reize zur Blüte entfalten. Sie hatte den schönsten Wuchs, den herrlichsten Busen, die edelgeformtesten Arme, war in allen ihren Bewegungen schlank und lieblich, in Toilette und Frisur ein Muster von Geschmack, dem alle Damen nachstrebten. Ihre Stirn war offen, weiß und glatt, ihr Haar reich und legte sich, was so selten vorkommt, von selbst in natürliche Locken. Eine Frische, die nicht ersetzt werden kann, belebte ihren Teint. Ihre Augen waren nicht groß, aber feurig, ihre Blicke drückten alles aus, was sie sagen wollte. Ihr Mund war reizend, der Umriß ihres Gesichtes vollendet. Ein zartes, etwas keckes Näschen war nicht die letzte Zier ihres lieblichen Gesichtchens. Mit einem Wort, aus Haltung, Eindruck und allem über sie ausgegossenen Zauber glaubte der Chevalier Grammont nur günstige Schlüsse auf die anderen Reize ziehen zu können. Ihr Geist entsprach ihrer Erscheinung. Sie strebte nicht danach, in der Unterhaltung durch unpassende Heiterkeit, deren Ausbruch oft nur blendet, zu glänzen, vermied auch jene schleppende, vornehm sein sollende Redeweise, die bloß einschläfert; ohne sich im Sprechen zu übereilen, sagte sie stets das Nötige und Richtige. Wunderbar wußte sie Echtes vom Falschen zu unterscheiden, und weit entfernt, ihr Licht immer leuchten zu lassen, blieb sie zurückhaltend aber bestimmt und treffend in ihren Äußerungen. Ihre Gesinnung war voll Adel, und wenn es die Gelegenheit erforderte, stolz bis zum Äußersten. Doch war sie von ihrem eigenen Wert weniger durchdrungen, als sich bei ihren Eigenschaften erwarten ließ. Dergestalt mußte sie wohl Liebe gewinnen, doch suchte sie sie nicht; denn sie war streng in der Auswahl derer, die die Blicke zu ihr erheben durften.

Je mehr der Chevalier Grammont sich von der Reinheit dieser Züge ergriffen fühlte, desto mehr strebte auch er zu gefallen und zu erobern. Sein heiterer Sinn, seine lebhafte, leichte, immer neue Unterhaltung verschaffte ihm wohl Gehör; aber es setzte ihn in Erstaunen, daß alle Geschenke, die bei seinem alten System so rasch Aufnahme gefunden hatten, bei diesem neuen Verhältnis keine Wirkung mehr taten und daß er sich ganz anderer Mittel bedienen mußte.

Er hatte einen alten Kammerdiener namens Termes, einen kecken Spitzbuben und noch frecheren Lügner. Dieser wurde jede Woche von London abgesandt, um die erwähnten Besorgungen zu machen; seit dem Bruch mit der Middleton und Warmestrée wurde Termes nur noch zur Bestellung der Kleider seines Herrn nach Paris und zurück gesendet und entledigte sich, wie wir sehen werden, dieser Aufträge nicht immer auf das treueste.

Die Königin hatte Geist und wandte alles auf, um den König durch Gefälligkeiten, die ihrem Gefühl nicht allzu große Opfer auferlegten, entgegenzukommen. Sie war voll Aufmerksamkeit für alle von ihr veranstalteten Feste und Vergnügungen, besonders wenn sie persönlich daran teilnahm.

So hatte sie eine galante Maskerade erdacht, bei der die von ihr gewählten Paare in verschiedenen Nationaltrachten erscheinen sollten. Sie gab Zeit zur Vorbereitung und man kann sich vorstellen, wie sehr die Schneider, Näherinnen und Stickerinnen in Tätigkeit gesetzt wurden. Auch die von ihr ausgewählten Damen waren recht erregt, doch fand Miß Hamilton Muße zu einigen kleinen Scherzen, wie man sie sich bei lächerlichem Hervortreten einzelner bei so günstiger Gelegenheit wohl erlauben darf. Zwei Damen waren besonders geschmacklos. Die eine war Lady Muskerry, die Frau von Miß Hamiltons Vetter, die andere ein Ehrenfräulein der Herzogin von York, namens Blague.

Die erste, von ihrem Manne sicherlich nicht wegen ihrer schönen Augen erwählt, war gleich den meisten reichen Erbinnen von der Natur, die ihre Schätze um so mehr zu versagen scheint, je weniger sie mit Glücksgütern spart, recht stiefmütterlich bedacht. Ohne in der Hoffnung zu sein, hatte sie das Aussehen einer Schwangeren und hinkte stark; denn von ihren sehr kurzen Beinen war eines länger als das andre; ein schiefes Gesicht krönte die Häßlichkeit der ganzen Erscheinung.

Miß Blague war ein anderes komisches Original. Ihre Gestalt war weder schlecht noch gut, ihr Gesicht außerordentlich fad, aber diese blasse, mit kleinen, tiefliegenden Augen und fingerlangen blonden Wimpern gezierte Larve drängte sich überall vor. Mit solchen Reizen legte sie sich auf die Lauer, um Herzen zu fangen; aber ohne die Ankunft des Marquis von Brisacier hätte sie ewig vergeblich gelauert. Der Himmel schien beide füreinander geschaffen zu haben. Äußeres und Manieren waren bei ihm ganz danach, ein so sonderbares Wesen zu fesseln. Ohne etwas zu sagen, schwätzte er unaufhörlich; in seiner Tracht überbot er die schreiendste Mode. Miß Blague meinte, all dieses Aufsehen geschehe ihretwegen, und der edle Brisacier dachte, die langen Wimpern der Blague hätten nie jemand anderen als ihn aufs Korn genommen. Man merkte, daß sie einander gut waren, doch hielten sie noch beim bloßen Gebärdenspiel, als Miß Hamilton sich ihrer zu erbarmen beschloß.

Sie wollte die Rangetikette nicht verletzen und fing deswegen mit ihrer Kusine Lady Muskerry an. Die schwachen Seiten dieser Dame waren Tanz und Putz; mit ihrer Gestalt freilich vertrugen sich prachtvolle Toiletten wenig, und wenn auch der Tanz noch weniger zu ihr paßte, verfehlte die Dame dennoch keinen Hofball, da die Königin gegen die Gesellschaft so freundlich war, daß sie die Lady stets zum Tanz aufmunterte; aber bei einer so pompösen, prachtvollen Sache, wie bei diesem Maskenball, war es unmöglich, ihr eine Rolle zuzuweisen. Lady Muskerry verschmachtete also vor Ungeduld nach der ersehnten Einladung der Königin.

Auf diese Spannung baute Miß Hamilton ihren Plan, sich auf Kosten der Närrin einen Genuß zu verschaffen. Die Königin sandte den ernannten Damen Einladungen, in denen das Kostüm genau vorgeschrieben war. Miß Hamilton ließ eine ganz ähnliche Einladung für Lady Muskerry schreiben mit der Anmerkung: »Erscheint als Babylonierin«.

Sie versammelte ihre Getreuen, um über die Zustellung des Schreibens zu beraten. Nach kurzem Überlegen beschloß man, das Billett zu ihren eigenen Händen abzugeben. Lord Muskerry kam mit seiner Gemahlin eben nach Hause, als sie es erhielt. Der Lord war ein sehr würdiger Mann, ziemlich ernst, streng und Todfeind jeder Lächerlichkeit. Die Mißgestalt seiner Frau schmerzte ihn weniger, als daß sie bei jeder Gelegenheit Veranlassung zum Lachen gab. Im vorliegenden Fall hielt er sich für sicher, weil er nicht annehmen konnte, die Königin werde ihren Maskenball durch Einladung dieser Frau entstellen; da er jedoch ihre Leidenschaft für Tanz und Putz kannte, hatte er sie eben feierlich ermahnt, sich bei diesem Fest mit dem Zusehen zu begnügen, selbst wenn die Königin so grausam sein sollte, sie zu einer Kostümgruppe aufzufordern. Endlich erlaubte er sich, den Unterschied zwischen ihrer Gestalt und jener der zu Tanz und Umzügen geeigneten Personen anzudeuten. Seine Predigt schloß mit dem ausdrücklichen Verbot, sich bei diesem Fest zu einer Rolle zu drängen, die ihr gar nicht zugedacht sei. Aber weit entfernt, den Rat gut aufzunehmen, bildete sich die Lady ein, nur ihr Mann habe der Königin von einer Einladung abgeraten, die sie so sehnlich begehrte, und kaum war er fort, als sie sich Ihrer Majestät zu Füßen werfen und um Gerechtigkeit flehen wollte. In solcher Stimmung erhielt sie das Billett. Sie küßte es dreimal und ohne Rücksicht auf das Verbot ihres Mannes stieg sie hastig in den Wagen, um bei allen levantinischen Händlern nachzufragen, wie Damen von Stand sich in Babylon kleideten.

Von anderer Art war die Falle, die man Miß Blague stellte. Sie besaß ein so unerschütterliches Vertrauen in ihre Reize und ihren Zauber, daß man sie damit fangen konnte.

Der Kopf des Marquis Brisacier, den sie gefesselt zu haben glaubte, war voll Gemeinplätze und kleiner Gedichte. Der Marquis imponierte gern mit seiner falschen Stimme und brachte eines oder das andere dieser schönen Talente immer zur Geltung, denn der Herzog von Buckingham verwöhnte ihn absichtlich durch Lobsprüche über seine Stimme und seinen Geist.

Miß Blague richtete sich, weil sie das Französische nur wenig verstand, nach des Herzogs Urteil, um beides gehörig zu bewundern. Sie fand, daß all seine Lieder nur von Blondinen sprachen, weshalb sie, den Text auf sich beziehend, die Augenwimpern in demütiger Dankbarkeit senkte. Auf Grund solcher Beobachtungen beschloß man, sich die Blague gelegentlich auszuborgen. Während diese kleinen Pläne im Gang waren, fragte der auf die Unterhaltung des Chevaliers Grammont stets bedachte König, ob er unter der Bedingung, Miß Hamilton zu führen, nicht an der Maskerade teilnehmen wolle? Der Chevalier hielt sich zwar als Tänzer dieser Aufgabe nicht gewachsen, hütete sich aber, die Aufforderung zurückzuweisen. »Sire,« sprach er, »von allen Gnaden, mit denen Ew. Majestät mich seit meiner Ankunft überhäuft haben, ist mir diese Gunst die wertvollste und, um meine Dankbarkeit zu bezeigen, stelle ich mich bei Miß Stewart zu treuen Gegendiensten bereit.« – Er sagte dies, weil man ihr eben eine, von den übrigen Damen der Königin abgesonderte Wohnung zugewiesen hatte, und weil die Huldigungen der Hofleute sich ihr zuzuwenden begannen. Der König nahm den Scherz gut auf und, nachdem er ihm für ein so dringend nötiges Anerbieten gedankt, fragte er: »Chevalier, wie werden Sie sich zum Balle kostümieren? Ich überlasse ihnen die Wahl des Kostüms.« – »Wenn das der Fall ist,« erwiderte Grammont, »so werde ich als Franzose erscheinen; denn in Ihrem London erweist man mir bereits die Ehre, mich für einen Engländer zu halten. Sonst hätte ich auch Lust, als Römer aufzutreten; aber ich befürchte, mit dem Prinzen Rupert Händel zu bekommen, der gegen Lord Thanet, einen Anhänger von Cäsar, Alexanders Partei ergreift; so wage ich denn nicht, als Held zu glänzen. Wenn ich übrigens auch nur erträglich tanze, hoffe ich, mich mit etwas Gehör und Takt aus der Sache zu ziehen, um so mehr, als Miß Hamilton schon dafür sorgen wird, daß die Leute mich nicht bemerken. Wegen meines Anzuges sende ich morgen früh meinen Termes nach Paris, und wenn ich bei seiner Rückkehr nicht das eleganteste Kostüm habe, mögen Ew. Majestät mich für die schmählichste Nation ihres Maskenballes halten.«

Termes reiste mit wiederholten Weisungen ab und sein Herr zählte, in dieser Lage doppelt ungeduldig, als der Kurier kaum an Land sein konnte, schon die Augenblicke bis zu seiner Rückkehr. Bis zum Vorabend des Balles war er nur mit seinem Werke beschäftigt, und diesen Tag wählte Miß Hamilton mit ihrem kleinen Kreise zur Ausführung ihres Planes.


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