Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Nach einmal geschlossener Bekanntschaft schien Senantes seine volle, früher dem Chevalier zugewandte Gunst auf Matta übertragen zu haben. Er klopfte täglich an dessen Tür und Matta war alle Tage bei seiner Frau. Das gefiel nun Grammont nicht. Er bereute die Vorwürfe, die er Matta gemacht hatte, weil er ihn jetzt von einer alles Maß überschreitenden Aufmerksamkeit erfüllt fand. Frau von Senantes geriet dadurch noch mehr in Verlegenheit. So geistreich man auch sein mag, man ist den Menschen, denen man im Wege ist, nie willkommen; es wäre ihr nun sehr lieb gewesen, wenn sie gewisse unnütze Schritte nicht getan hätte.

Matta fing an, an ihrer Person Geschmack zu finden; auch an ihrem Geist hätte er Reize entdeckt, wenn sie es so gewollt hätte. Mit Leuten aber, die unsere Absichten durchkreuzen, ist es unmöglich, guter Laune zu bleiben. Während also die Neigung Mattas wuchs, war der Chevalier Grammont nur mit Plänen zur Erreichung seines Zweckes beschäftigt. Die Kriegslist, deren er sich bediente, um das Feld rein zu bekommen und den Gemahl sowie den Anbeter zu beseitigen, war folgende:

Er gab Matta zu verstehen, sie müßten den Marquis zu Tisch laden und er übernehme hiefür die Besorgungen. Matta fragte, ob das etwa geschehe, um zu spielen; es würde ihm nichts helfen, denn diesmal werde er dafür sorgen, daß Grammont sich nicht zum Spiel setze, um ihn mit dem langweiligsten Menschen auf Erden allein zu lassen. Der Chevalier dachte keineswegs daran; denn er war überzeugt, er würde die Gelegenheit nicht ausnützen können, wie immer er es auch anstelle, denn man würde ihn in allen Winkeln der Stadt suchen lassen. Sein ganzes Streben ging also dahin, das Mahl angenehm zu machen, es auszudehnen und zwischen Senantes und Matta Auseinandersetzungen hervorrufen. Deshalb steckte er sogleich die beste Laune auf, die anderen halfen ihrer Stimmung durch Wein nach.

Grammont sagte, er bedauere sehr, dem Herrn von Senantes nicht ein kleines Konzert geben zu können, wie er das heute früh beabsichtigt hätte, aber die Musiker seien bereits vergeben. Der Marquis beeilte sich, die Herren für nächsten Abend auf sein Landhaus zu bitten, wo er ein Orchester haben würde. Matta fragte, was zum Teufel sie mit der Musik wollten, und behauptete, sie sei ganz am Platze, wenn Frauen ihren Liebhabern etwas zuzuflüstern wünschen, während die Gesellschaft den Tönen lausche; auch sei sie gut für Dummköpfe, die, wenn die Musik nicht spielt, nicht wüßten, was sie reden sollten. Man beachtete seine Argumente nicht; die Partie wurde für morgen verabredet und das Konzert mit Stimmenmehrheit beschlossen. Um Matta zu trösten, brachte Senantes zu Ehren des Festes mehrere Gesundheiten aus. Dieser tat ihm lieber Bescheid beim Trinken als beim Disputieren.

Da Grammont gewahrte, es bedürfe keiner bedeutenden Ursache, um ihn aufzuregen, wünschte er nur, sie durch einen neuen Streit aneinander zu bringen. Vergeblich hatte er zu diesem Zwecke von Zeit zu Zeit einige Worte in die Unterhaltung geworfen. Endlich kam er auf den glücklichen Einfall, den Familiennamen der Frau von Senantes aufs Tapet zu bringen, und da der Marquis, wie alle Pedanten mit starkem Gedächtnis, in der Genealogie sehr bewandert war, entwarf er mit endlosen Verzweigungen den Stammbaum seiner Frau. Grammont schien ihm sehr aufmerksam zuzuhören, und als er Matta die Geduld verlieren sah, bat er ihn, die Ausführungen des Marquis genau zu verfolgen; denn es gebe nichts Schöneres. »Das ist ja ganz nett,« sagte Matta, »aber wäre ich verheiratet, so würde ich mich mehr mit der Erforschung des wahren Vaters meiner Kinder als mit der Entdeckung der Großmütter meiner Frau beschäftigen.« – Seine Derbheit wenig beachtend, fuhr Senantes ruhig fort und hörte nicht auf, bis er von Zweig zu Zweig die Vorfahren seiner Gemahlin bis auf Yolanthe de Senantes zurückgeleitet hatte. Darauf machte er sich anheischig, in weniger als einer halben Stunde die Abstammung der Familie Grammont aus Spanien darzutun. »Was kümmert das uns,« rief Matta, »wo die Grammonts herstammen! Glauben Sie mir, Marquis, es ist oft besser, gar nichts zu wissen, als zu viel im Kopf zu haben.«

Der Marquis behauptete eifrig das Gegenteil und hätte den Beweis angetreten, daß ein unwissender Mensch ein Dummkopf sei; doch Grammont, der mit Mattas Charakter vertraut war, sah voraus, er würde den Logiker, wenn er mit seinen Schlüssen fertig wäre, zum Teufel jagen; deshalb setzte er sich, als ihre Stimmen laut zu werden anfingen, zwischen beide, sagte, es sei Torheit, sich um nichts und wieder nichts zu streiten und behandelte die Sache, um größeren Effekt zu erzielen, mit ernster Miene. Da er so den Streit unterdrückte, endete das Nachtmahl ziemlich ruhig und eine gehörige Portion Wein trat an die Stelle der Argumente.

Tags darauf war Matta auf der Jagd, der Chevalier Grammont beim Bader und Senantes auf seinem Landhaus. Während er dort mit Einschluß des Orchesters alles vorbereitete, während Matta im Freien jagte, um sich Appetit zu holen, dachte der Chevalier Grammont an die Ausführung seines Planes.

Als die Sache in seinem Kopfe feststand, ließ er den bei der Fürstin diensttuenden Gardeoffizier wissen, Herr von Senantes hätte vergangene Nacht beim Abendessen mit Matta einen Wortwechsel gehabt; der eine Herr sei heute früh ausgegangen, der andere in der Stadt nirgends zu finden.

Durch diese Nachricht erschreckt, ließ die Fürstin den Chevalier sofort holen, und als sie über die Sache sprach, schien dieser betroffen. Er gab zwar zu, sie hätten eine kleine Auseinandersetzung gehabt, doch glaube er nicht, daß irgend einer der Herren heute noch daran denke. Er meinte, wenn das Malheur nicht schon geschehen sei, wäre das einfachste, sich beider Kavaliere bis zum folgenden Tage zu versichern, und wenn man sie fände, wolle er ihre Aussöhnung ohne weitere üble Folgen schon erreichen. Die Sache war nicht schwierig. In des Marquis Stadtwohnung erfuhr man, er sei in seiner Villa. Man begab sich dorthin und fand ihn sofort; der Offizier gab ihm, ohne ein Wort zu sagen, einige Mann Wache und verließ ihn, ohne sein tiefes Erstaunen zu beachten.

Als Matta von der Jagd zurückgekehrt war, sandte ihm die Fürstin denselben Offizier und ließ ihm das Versprechen abnehmen, vor dem nächsten Tage nicht auszugehen. Die Weisung überraschte ihn; denn man gab ihm dafür keinen Grund an. Ein gutes Mahl wartete seiner, er verging fast vor Hunger und nichts schien ihm unvernünftiger, als unter solchen Umständen an die Wohnung gebannt zu sein. Allein er hatte sein Wort verpfändet, und da er nicht einsah, was die Sache bedeuten könne, fand er kein anderes Mittel, als nach seinem Freunde zu schicken.

Dieser kam aber erst nach seiner Rückkehr vom Lande. Dort hatte er Herrn von Senantes mitten unter seinen Geigern über die Gefangenschaft und über Matta, den er zu einer guten Mahlzeit erwartete, sehr entrüstet gefunden. Er beklagte sich beim Chevalier bitter darüber und meinte, er habe jenen nicht beleidigt; wenn er aber Skandal liebe, möge er's ihm sagen, er solle bei erster Gelegenheit nach Herzenslust befriedigt werden. Der Chevalier Grammont erwiderte, Matta habe nie daran gedacht; er wisse im Gegenteil, dieser schätze ihn unendlich; es wäre höchstwahrscheinlich nur die ärztliche Besorgnis seiner Frau Gemahlin schuld; auf die Berichte der Lakaien hin dürfte sie wohl zur Fürstin gegangen sein, um einer gefährlichen Wendung vorzubeugen; er glaube das um so mehr, da er einigemal der Frau Marquise von Matta erzählt habe, es sei der ärgste Raufbold von ganz Frankreich. Tatsächlich habe der arme Mensch bei jedem Duell das Unglück gehabt, seinen Gegner zu töten.

Etwas besänftigt, sagte Herr von Senantes, er danke sehr für die Mitteilung und wolle seine Frau wegen ihrer übergroßen Besorgnis gehörig schelten, doch vergehe er fast vor Sehnsucht nach seinem teuren Matta.

Der Chevalier versprach, für ihr beiderseitiges Wiedersehen nach Kräften zu sorgen und befahl der Wache, den Marquis ohne bestimmte Ordre von Hof auf keinen Fall entschlüpfen zu lassen, weil es scheine, daß er Lust habe, sich zu schlagen. Die Soldaten seien dafür verantwortlich. Das genügte den Leuten, um ihn nicht aus den Augen zu lassen, obschon es nicht nötig gewesen wäre.

Da nun der eine Mann gesichert war, blieb nur noch übrig, für den anderen zu sorgen. Grammont kam nach der Stadt zurück, und als Matta ihn sah, rief er: »Was zum Teufel bedeutet die Komödie, die man mich hier spielen läßt; ich werde aus den abgeschmackten Sitten hierzulande gar nicht klug; warum macht man mich zum Gefangenen auf Ehrenwort?« – »Wieso das kommt?« sagte der Chevalier, »du bist wahrhaftig noch alberner als die ganze Geschichte. Du verwickelst dich in Streit mit einem Tölpel, über den du nur lachen solltest. Gewiß hat irgend ein eifriger Diener die schöne Zänkerei von gestern abend hinterbracht. Frühmorgens sah man dich aus der Stadt gehen, und Senantes folgte einige Zeit darauf – braucht man mehr, um die Fürstin zu Vorsichtsmaßregeln zu veranlassen? Senantes ist gefangen, dir fordert man nur das Ehrenwort ab – statt also die Sache zu nehmen, wie du sie nimmst, würde ich an deiner Stelle Ihrer Hoheit für die Gnade, die sie dir erwiesen, untertänigst danken lassen, denn nur um deinetwillen ist die Fürstin eingeschritten. Ich werde ins Palais gehen, um das Geheimnis aufzuklären; da jedoch wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sich die Sache heute noch in Ordnung bringen läßt, wirst du gut daran tun, ein Nachtmahl zu bestellen; denn in einem Augenblick bin ich wieder da.«

Nach Verlauf einer halben Stunde kehrte der Chevalier mit zwei oder drei von Mattas Jagdbekanntschaften zurück. Auf das Gerücht von dem Streit waren die Herren gleich herbeigeeilt, um jeder seine Dienste gegen den friedlichen Senantes anzubieten. Matta dankte ihnen, behielt sie zum Abendessen und zog seinen Hausrock an.

Als die Dinge im Gange waren, wie der Chevalier Grammont es wünschte, als er gegen Ende des Mahles die diversen Gesundheiten ausbringen sah, glaubte er sich bis zum nächsten Tage seines Mannes sicher. Er zog ihn nun beiseite und flüsterte ihm mit Erlaubnis der Gäste, um einen echten Verrat zu decken, eine falsche Mitteilung zu. Nachdem er ihm nämlich mehrere Schwüre abgefordert, die Sache nie verlauten zu lassen, meldete er ihm, er habe für diese Nacht mit der kleinen Saint-Germain eine Zusammenkunft; deshalb müsse er die Gesellschaft jetzt unter dem Vorwand verlassen, sich zum Spiel an den Hof zu begeben; er bäte ihn, den Herren nur ja zu sagen, daß er sich bloß deswegen entferne, denn die Piemontesen wären leicht verletzbar und überhaupt argwöhnisch.

Matta versprach, die Sache diskret abzumachen; er werde, wenn er sich heimlich empfohlen habe, seine Entschuldigung ausrichten; darauf gratulierte er ihm zu seinem Glück und nahm von ihm so eilig und geheimnisvoll wie möglich Abschied, ab hätte er Furcht, der Freund könnte die Gelegenheit versäumen.

Er setzte sich wieder zu Tisch, entzückt über die erhaltene Nachricht und über den Anteil, den er am günstigen Erfolge des Spiels zu haben glaubte. Um seine Gäste zu täuschen, spielte er den Schlauen; zog heftig gegen die Spielwut los, die ihre Opfer von allem abzöge und sie ganze Nächte der Leidenschaft frönen lasse. Er spottete laut über die Torheit des Chevaliers, aber im stillen über die Leichtgläubigkeit der Piemontesen, die er so pfiffig zu prellen meinte.

Erst spät in der Nacht endete das Mahl und Matta legte sich sehr zufrieden mit dem, was er für den Freund getan, zu Bett. Dieser aber genoß die Frucht seines Verrates, soweit man dem Schein trauen darf. Die zärtliche Senantes empfing ihn in einer Stimmung, wie man sie, um seine Dankbarkeit recht zu zeigen, anzunehmen pflegt. Ihre Reize waren in voller Blüte, und wenn es Lagen gibt, in denen man den Verrat liebt, aber den Verräter haßt, war dies hier nicht der Fall. So diskret sonst Chevalier Grammont über genossenes Liebesglück war, so war es nicht seine Schuld, wenn man ihm diesmal keinen Glauben schenkte. Doch wie dem immer sei, in der Liebe ist, was man durch Gewandtheit erreicht, stets wohlerworbene Beute. In dieser Überzeugung scheint er auch über jene Perfidie nie Reue empfunden zu haben.

Doch ist es Zeit, ihn dem Aufenthalt in Savoyen zu entziehen, damit wir ihn am französischen Hofe glänzen sehen.


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