Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Durch jenes Beispiel gewarnt, hatte Miß Bellenden einige Zeit nachher die Klugheit, den Hof zu rechter Zeit zu verlassen, ehe sie fortgewiesen wurde. Die unangenehme Bardou folgte ihr bald, jedoch aus anderen Gründen, nach. Man war ihrer Sarabande und ihres Gesichtes müde. Um keine der beiden Damen wiederzusehen, ließ ihnen der König eine geringe Pension zahlen. Es blieb also nur noch die kleine de la Garde zu versorgen. Sie hatte weder so viele Fehler, um vom Hofe verbannt zu werden, noch genug Vorzüge, um dort zu bleiben. Gott weiß, was aus ihr geworden wäre, hätte nicht der edle Silvius, ein Mann, der außer seinem Namen nichts von einem Römer an sich trug, die Infantin de la Garde zur Frau genommen.

Wir haben gesehen, wie alle diese Heldinnen wegen Verirrungen oder wegen ihrer Häßlichkeit fortgejagt zu werden verdienten; die Nachfolgerinnen bewiesen indes, daß es möglich war, jene wieder zurückzuwünschen, die einzige Miß Wells etwa ausgenommen.

Sie war ein großes Mädchen, schön zum Malen, kleidete sich mit Geschmack und hatte den Gang einer Göttin; ihr denkbar schön geformtes Gesicht ließ aber trotzdem kalt. Die Natur hatte in ihre Züge einen so verschwommenen Ausdruck gelegt, daß man in das Auge eines träumenden Himmels zu sehen glaubte. Das gab keine gute Idee von ihrem Geist, und leider entsprach der Geist dieser Idee nur allzusehr. Da sie aber frisch war und jungfräulich schien, so wollte der König, durch Miß Stewart punkto Geist nicht verwöhnt, untersuchen, ob bei Miß Wells die Sinne nicht eher auf ihre Kosten kamen als der Kopf bei ihrem Verstande. Die Probe wurde ihm nicht schwer. Sie stammte aus einer gut königlich gesinnten Familie, und da ihr Vater Karl dem Ersten treu gedient, so meinte sie, dürfe sie Karl dem Zweiten keinen Widerstand entgegensetzen. Das Verhältnis hatte jedoch für sie keine sehr vorteilhaften Folgen. Man behauptete, sie habe etwas zu wenig Widerstand gezeigt und sich, ohne stark bedrängt worden zu sein, auf Gnade und Ungnade ergeben; andere meinten, Seine Majestät beklage sich außerdem über weitere, noch weniger einladende Allzuleichtigkeiten. Über diesen Vorfall machte der Herzog von Buckingham ein Couplet, in dem der König im Gespräch mit Progers, dem vertrauten Diener seiner geheimen Freuden, aufgeführt wird. Das Wortspiel mit dem Namen Wells, der »Quelle, Brunnen« bedeutet, bildet die Pointe. Wir geben den Sinn:

Als der König dieses Brunnens
Schauderhafte Tiefe fühlte,
Schrie er, Progers, wo geriet ich hin?
Sucht' ich hier den Mittelpunkt der Erde,
Fände ich ihn ohne viel Beschwerde,
Wär' bald selber drin.

Trotz dieser Art Anagramm auf ihren Namen und der Andeutung über ihre Person glänzte Miß Wells immer noch unter ihren neuen Gefährtinnen, die Fräulein Levingston, Fielding und Boynton, die kaum wert sind, in diesen Memoiren erwähnt zu werden; auch wollen wir sie in ihrem Dunkel lassen, bis es dem Schicksal gefällt, sie ans Licht zu ziehen.

Das waren also die Ehrenfräulein des neuen Hofstaates der Königin; der der Herzogin von York wurde fast gleichzeitig neu gebildet. Diese Fürstin bewies durch glänzende Auswahl, daß England reich an Schönheiten sei. Ehe wir von ihnen sprechen, wollen wir ein wenig sehen, wer die bisherigen Hofdamen waren und weshalb sie von Ihrer Hoheit wegkamen.

Außer Fräulein Blague und Miß Price, die schon erwähnt wurden, bestand der Kreis aus Miß Bagot und Miß Hobart, der ältesten der Schwesterschaft.

Da die Blague den Grund ihres Zerwürfnisses mit dem Marquis von Brisacier nie recht genau erfahren hatte, so hielt sie sich an den von ihm empfangenen fatalen Brief; in diesem war, ohne die Andeutung, daß Miß Price mit ihr gleiche Farben in Handschuhen und Bändern tragen würde, nur von ihrer Blondheit und ihren »Frischlings-Augen« die Rede gewesen. Sie bildete sich ein, das müsse etwas ganz Besonderes sein, weil man ihre Sehorgane so bezeichnete und, neugierig auf die eigentliche Bedeutung des Ausdruckes, fragte sie nach einiger Zeit, was Frischling sei? – Nun gibt es in England keine Eber und die Befragten antworteten, es sei ein kleines Ferkel. Diese Beleidigung bestärkte sie vollends in ihrem Verdacht von der Treulosigkeit des Franzosen und Brisacier, noch mehr erstaunt über ihre plötzliche Veränderung, als jene über seine angebliche Tücke entrüstet war, sah in ihr außer einem faden Wesen nun auch ein eigensinniges Geschöpf und ließ sie ohne weiteres im Stich. Allein der Ritter Yarborough, ebenso blond wie sie selbst, stellte sich mitten in dieser gespannten Stimmung ein, wurde günstig aufgenommen und das Schicksal schloß diesen Bund, um zu zeigen, was ein so blaßbleiches Paar zu Tage fördern könne.

Miß Price besaß Verstand; da ihr Äußeres aber nicht danach war, ihr viele Verehrer zu verschaffen, sie aber mehrere wünschte, so trieb sie bei Gelegenheit den Preis nicht zu sehr in die Höhe, sondern feilschte überhaupt nicht. Wie in ihrem Zorn, so zeigte sie Heftigkeit in ihrer Liebe. Das hatte sie einigen Unannehmlichkeiten ausgesetzt. Sehr zur Unzeit hatte sie mit einem jungen Mädchen Streit angefangen, das Lord Rochester liebte. Der Umgang war bisher geheimgehalten worden und sie war so unklug, das Verhältnis möglichst in die Öffentlichkeit zu bringen. Dadurch zog sie sich den gefährlichsten Feind der Welt zu. Nie hat jemand anmutiger, feiner und gewandter geschrieben als dieser Lord; doch war dafür in seiner Feder die Satire von unerbittlicher Schärfe.

Da sie sich seiner Geißel ausgesetzt hatte, so figurierte die arme Price in seinen Ausfällen täglich in neuer Gestalt. Es regnete Liederchen, in denen ihr Name das Stichwort, ihr Benehmen den Inhalt bildete. Was ließ sich dagegen an einem Hofe tun, an dem man auf die geringsten Dinge von Lord Rochester gespannt war. Es bedurfte nur noch des Verlustes eines Liebhabers und einer darauf folgenden Entdeckung, um die Verfolgung der Price bis zur äußersten Grenze zu treiben.

Zu jener Zeit starb nämlich Dongan. Es war ein Mann von Verdienst, dem Durfort, der spätere Graf Feversham, in dem Posten eines Oberoffiziers der herzoglichen Leibgarde folgte. Miß Price hatte den Verstorbenen zärtlich geliebt. Sein Tod stürzte sie in Verzweiflung; aber sein Nachlaß hätte sie fast zum Wahnsinn getrieben. Darunter war nämlich ein von der Hand des Verstorbenen an Miß Price adressiertes allerseits versiegeltes Kästchen. Die Gouvernante hielt für richtig, es in Empfang zu nehmen, weil die Price es ablehnte, und überlieferte es sodann pflichtgemäß der Herzogin selbst, indem sie dachte, der Inhalt könne aus wertvollen und nützlichen Dingen bestehen, von denen für sie etwas abfallen könnte. Wenn die Herzogin das auch nicht gerade glaubte, so war sie doch neugierig, was ein so sorgfältig versiegeltes Wunderkästchen bergen könne. Die Eröffnung fand in Gegenwart einiger Damen statt, die gerade bei ihr waren.

In der Schatulle waren alle nur erdenklichen Liebespfänder, die sämtlich von der zärtlichen Miß Price stammten. Man konnte nicht begreifen, wie ein einziges menschliches Wesen habe so viel Stoff liefern können; denn außer Porträts gab es alle Art von Haaren in den mannigfachsten Geflechten. Darauf kamen drei oder vier Pakete Briefe von so feurig zärtlichem Inhalt, daß man nach den ersten beiden nicht weiter zu lesen wagte: Inbrunst und Schmachten waren gar zu natürlich in ihnen ausgedrückt.

Die Herzogin bereute das Eröffnen der Kassette in so guter Gesellschaft; denn sie verhehlte sich nicht, daß es angesichts solcher Zeugen nicht möglich sei, die Sache zu unterdrücken. Da es aber auch unmöglich war, ein solches Ehrenfräulein zu behalten, gab man Miß Price ihr Eigentum mit dem Wink zurück, den Verlust ihres Geliebten wo anders zu beweinen oder – sich über ihn zu trösten.

Miß Hobart war von einem damals in England noch unbekannten Charakter; auch ihre Gesichtszüge mußten in einem Lande auffallend erscheinen, wo es eine Ausnahme bildet, wenn man jung und dabei nicht wenigstens ein bißchen schön ist. Sie hatte einen guten Wuchs, in ihrer Miene lag viel Entschlossenheit, sie besaß Bildung, doch ohne die nötige Vorsicht. Ihre Phantasie war bei großer Lebhaftigkeit etwas ungezügelt, aber ihre sehr feurigen Blicke konnten nicht einnehmen. Ihr Herz war zärtlich, aber man behauptete, nur für das schöne Geschlecht.

Miß Bagot wurde zuerst von ihrer Sorgfalt und Zärtlichkeit angezogen und erwiderte sie harm- und arglos; da sie aber bald gewahrte, all ihre Freundschaft genüge der Glut der Hobart nicht, so überließ sie diese Eroberung der kleinen Nichte der Gouvernante, die sich durch sie sehr geehrt fühlte.

Bald verbreitete sich am Hofe das wahre oder falsche Gerücht dieser Perversität. Man war dort so unkultiviert, von dieser Geschmacksverfeinerung in der Liebe, wie sie das alte Griechenland kannte, nie gehört zu haben, und bildete sich ein, die berühmte Hobart sei mit ihrer Vorliebe zum schönen Geschlecht etwas ganz anderes, als sie scheine.

Nun fingen die Spottliederchen an, ihr wegen dieses neuen Talentes Komplimente zu machen; auf Grund dieser Sticheleien zogen sich ihre Gefährtinnen von ihr zurück. Über das Gerücht ganz erschrocken, wandte sich die Gouvernante an Lord Rochester in der Gefahr, der ihre Nichte ausgesetzt scheine, um Rat. Sie konnte sich an keinen Besseren wenden. Er empfahl ihr, die Kleine den Händen der Miß Hobart zu entziehen und lenkte die Sache so gut, daß sie in die seinigen fiel. Zu edel, um diesen Verdacht ernst zu nehmen, und zu gerecht, um jemanden auf Grund von Spottliedern zu verurteilen, nahm die Herzogin das Fräulein aus der Damenwohnung, damit sie bei ihr Dienst tue.

Miß Bagot besaß in diesem früheren Kreise allein bei körperlichen Reizen fleckenlose Sittsamkeit. Ihre Züge waren schön und regelmäßig. Sie hatte jenen dunklen Teint, der, wenn er gefällt, so bezaubernd wirkt. In England gefiel die Farbe sehr, weil sie dort selten ist. Die junge Dame errötete über alles, ohne dabei etwas zu tun, worüber sich erröten ließ. Lord Falmouth warf zuerst die Augen auf sie. Seine Werbungen wurden besser aufgenommen als die der Miß Hobart, und einige Zeit später erhob die Liebe sie von dem Posten eines Ehrenfräuleins der Herzogin zu einem Rang, um den sie alle jungen Engländerinnen hätten beneiden können.

Um ihren Hof neu zu bilden, wollte die Herzogin von York alle vorgeschlagenen jungen Damen selbst sehen und wählte, ohne Rücksicht auf Empfehlungen, die schönsten aus.

An der Spitze standen Miß Jennings und Miß Temple. Sie überstrahlten bei weitem die beiden andern ernannten und wir werden deshalb nur von ihnen reden.

Mit der Blüte der Jugend geschmückt, war Miß Jennings von blendender Weiße, ihr Haar das herrlichste Blond. Ein lebhaftes seelenvolles Wesen bewahrte ihre Hautfarbe vor jener matten Eintönigkeit, die sonst mit auffallend hellem Teint verbunden ist. Ihr Mund war nicht ganz klein, aber er war dennoch der lieblichste der Welt. Die Natur hatte ihn mit unaussprechlichen Reizen, mit ihrem anmutsvollsten Zauber geschmückt. Der Umriß des Gesichts war rein und der keimende Busen glänzend-weiß wie das Gesicht. Die ganze Erscheinung gab mit einem Wort die verkörperte Idee der Aurora oder der Frühlingsgöttin wieder, wie die Dichter sie in ihren besten Oden malen. Da es indes ungerecht wäre, wenn ein Wesen alle Wunder der Schönheit ohne den geringsten Makel in sich vereinte, so ließen Arme und Hände, um dem Ganzen zu entsprechen, etwas zu wünschen übrig. Die Nase war nicht vollendet fein, auch die Augen strahlten keine versengenden Blicke, während Mund und alles andre tausend Pfeile zum Herzen sandten.

Bei diesem lieblichen Äußern sprühte sie Geist und Leben. Ihre Manieren, ja alle Bewegungen waren stets überraschend neu. Wenn sie gefallen wollte, war ihre Sprache hinreißend, wollte sie spotten, fein und treffend. Da jedoch ihre Phantasie sie oft hinriß und sie Worte hinwarf, ehe der Gedanke entwickelt war, so gaben ihre Ausdrücke den Sinn mitunter zu stark, mitunter zu schwach wieder.

Bei ungefähr gleichem Alter war Miß Temple im Verhältnis zu ihr zu brünett. Ihr Wuchs war hübsch. Dabei besaß sie schöne Zähne, sprechende Augen, frischen Teint, ein angenehmes Lächeln und eine seelenvolle Miene. Soweit das Äußere; das übrige ist schwer anzugeben; denn sie war einfach und prahlerisch zugleich, leichtgläubig, argwöhnisch, gefallsüchtig, spröde, sehr von sich eingenommen und sehr albern.

Kaum waren diese beiden neuen Sterne am Hofe der Herzogin erschienen, als auch schon jeder die Augen auf sie warf und damit gute oder schlimme Absichten verband.

Miß Jennings zeichnete sich bald vor den andern aus und ließ ihren Gefährtinnen nur Anbeter, die aus Ehrgeiz bei Hof blieben. Ihre glänzende Erscheinung zog an, während ihr Geist fesselte.

Da der Herzog von York sie als zu seinem Bereich gehörig ansah, glaubte er Ansprüche geltend machen zu sollen, etwa wie sein königlicher Bruder sich die Gunst der Miß Wells erobert hatte; aber wenn sie auch zum Dienst der Herzogin bestellt war, fand er sie doch keineswegs geneigt, sich auch ihm zu Diensten zu stellen. Zunächst wollte sie von den vielen Blicken, mit denen er sie belagerte, nichts wissen und nichts verstehen. Wenn die Augen Seiner Hoheit sie suchten, so waren die ihrigen anderswo; traf er zufällig einen unbewachten Blick, so wurde sie nicht einmal rot dabei. Die Angriffsbatterie mußte also verstärkt werden. Da stumme Waffen nichts ausrichteten, so versuchte er zu sprechen; allein das war noch schlimmer. Wie er seine Gefühle vortrug, kann ich nicht sagen; seine Reden fanden jedenfalls keine bessere Aufnahme als seine verliebten Blicke.

Sie war sittsam und stolz, und was er ihr anbot, entsprach keiner dieser beiden Eigenschaften. Bei ihrer Lebhaftigkeit hielt man sie großer Bedenklichkeit für unfähig; doch hatte sie sich mit einigen für Personen ihres Alters sehr heilsamen Grundsätzen gewappnet. Der erste lautete, man müsse, um am Hofe mit Erfolg aufzutreten, jung und, um ihn mit Anstand zu verlassen, nicht zu alt sein; dann könne man seine Stellung dort nur durch würdevolle Festigkeit oder imposante Schwäche erhalten; an einem so gefahrvollen Orte müsse man endlich vor allem danach streben, das Herz nur mit der Hand zu verschenken.

Bei derartiger Gesinnung wurde ihr die Verteidigung gegen die Lockungen des Herzogs nicht so schwer wie die Aufgabe, sich seiner Hartnäckigkeit zu entledigen. Den Vorschlägen einer unabhängigen Stellung und Existenz, mit denen er ihren Ehrgeiz zu ködern suchte, hielt sie ein taubes Ohr entgegen; Geschenke hatten noch weniger Erfolg. Was sollte man tun, um ein impertinent anständiges Weib zu fangen, das durchaus keine Vernunft annehmen wollte? War es nicht eine Schmach, ein kleines, keckes Mädchen aufgeben zu müssen, dessen Gemüt ja doch etwas von jener Lebhaftigkeit haben mußte, das ihrem ganzen Wesen aufgeprägt war, das sich einfallen ließ, gerade dort Solidität zu zeigen, wo man sie von ihr nicht verlangte.

Nach längerem Nachdenken über ihre Widerspenstigkeit dachte der Herzog, ein Brief könne vielleicht bewirken, was weder Blicke, noch Reden, noch Vorschläge erreicht hatten. Das Papier duldet alles, aber sie mochte das Papier nicht dulden. Täglich drängten sich Briefe voller Zärtlichkeiten oder großer Versprechungen in ihrer Tasche oder ihrem Muff. Das geschah nicht unbemerkt und die boshafte Hexe sorgte dafür, daß die Aufpasser, die die Briefchen erspähten, sie auch uneröffnet herausfallen sahen. Sie brauchte nur ihren Muff zu schütteln oder ihr Taschentuch zu ziehen; sobald der Herzog sich abwandte, regnete es Billette, und wer da wollte, hob sie auf. Die Herzogin war oft Zeuge ihres Benehmens und wagte nicht, sie wegen Respektmangels zu schelten. An beiden Höfen war nur von der Schönheit und Sittenstrenge der Miß Jennings die Rede; man konnte nicht fassen, daß ein junges, frisch vom Land gekommenes Mädchen durch ihre Reize Schmuck, durch ihr Betragen Vorbild des Hofes werden konnte.

Der König dachte, die Belagerer hätten es falsch angefangen; es schien ihm nicht natürlich, daß weder Verheißungen sie locken, noch Leidenschaft sie rühren sollten; denn sie konnte diese Moral doch kaum von ihrer Mutter geerbt haben, die die Pfirsiche und Aprikosen von Saint-Albans einst so köstlich gefunden. Er wollte die Sache untersuchen. Alles erschien ihm bei ihrem geistvollen Wesen und dem Zauber ihrer Person neu, und Neues reizte ihn nur zu leicht. Das Interesse an der Prüfung verwandelte sich bald in Sehnsucht nach Gelingen des Experiments. Weiß der Himmel, wie die Sache abgelaufen wäre; denn er war der gewandteste Mensch der Welt und – König. Diese Eigenschaften sind nicht gering anzuschlagen. Die Vorsätze der schönen Jennings waren wohl löblich und verständig; Geist zog sie aber an und die Majestät eines Herrschers, der sich vor einem jungen Wesen beugt, hat wunderbare Überredungskraft. Miß Stewart aber war weit entfernt davon, den Plan des Königs ohneweiters zu billigen.

Zu rechter Zeit besorgt, bat sie, Seine Majestät möge ihrem Bruder, dem Herzog, die Sorge überlassen, die Fräulein ihrer Schwägerin, der Frau Herzogin, auszubilden, und wenn der Fürst nicht wolle, daß sie selbst auf gewisse Heiratsanträge eingehe, möge er sich nur um die eigene Herde kümmern. Die Drohung war nicht zu verachten. Der König gab nach und Miß Jennings hatte wieder den vollen Triumph aller über die Sache verbreiteten Gerüchte. Höhere Achtung und neue Huldigungen von allen Seiten! Ohne von ihrer Freiheit etwas einzubüßen, hatte sie so viele andre in Bande geschlagen. Noch war ihre Stunde nicht gekommen, aber sie war nicht mehr fern und wir werden über sie berichten, sobald wir gesehen haben, wie ihre Gefährtin sich benahm.

Wenn sie auch durch Miß Jennings überstrahlt wurde, war Miß Temple doch eine der schönsten Erscheinungen; an Geist stand sie ihr weit nach. Ließe sich dieser mitteilen, so hätte es ihr nicht daran gefehlt; denn zwei Personen, die sehr viel Vorrat davon besaßen, bemühten sich um sie, doch raubten sie ihr nur noch das bißchen Verstand, das sie besaß. Es waren Lord Rochester und Miß Hobart. Der erste verdarb sie durch Vorlesung seiner Dichtungen, als wäre sie die verständnisvollste Person der Welt. Nie sagte er ihr viel Schmeicheleien über ihre körperlichen Reize. Allerdings gestand er ihr, daß, wenn der Himmel ihn für Schönheit empfänglich gemacht hätte, in ihrer Nähe keine Rettung für ihn wäre; aber er werde, Gott sei Dank, nur von Geist gefesselt, und so könnte er angenehmste Unterhaltung ohne ernstere Folgen genießen. Nach so offenem Bekenntnis zeigte er ihr ein neues Gedicht, worin ihr alles, was mit ihren Reizen wetteifern konnte, huldigend zu Füßen gelegt wurde. Dergleichen Einflüsterungen verdrehten ihr das Köpfchen, daß es ein wahrer Jammer war, es mit anzusehen.

Die Herzogin merkte es, und weil sie den Umfang beider Intelligenzen kannte, gewahrte sie den Abgrund, in den die kleine Temple rannte, ohne es zu ahnen. Es ist aber ebenso bedenklich, ein beginnendes Verhältnis durch Verbote zu bekämpfen, wie festgewurzelte Neigungen zu unterdrücken; deshalb wurde Miß Hobart beauftragt, so vorsichtig wie möglich dafür zu sorgen, daß die wiederholten langen Unterredungen keine nachteiligen Folgen hätten. Sie übernahm die Aufgabe gern und schmeichelte sich eines Erfolges.

Sie hatte bald alle Vorbereitungen getroffen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Gegen sie weniger als gegen Rochester auf der Hut, erwiderte Miß Temple ihr Entgegenkommen. Sie war für Lobsprüche sehr empfänglich und, wie ein Kind von neun oder zehn Jahren, auf alle Art Näscherei versessen. Für beide Arten von Appetit wurde gesorgt. Miß Hobart hatte die Aufsicht über das Badezimmer der Herzogin, ihr Zimmer stieß daran. Hier besaß sie einen Schrank voll Konfitüren und allen möglichen feinen Likören. Das sagte Miß Temple sehr zu und Fräulein Hobart behagte dieser Geschmack der Miß Temple.


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