Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Fast zu gleicher Zeit hatte der Chevalier Grammont seiner Dame den Abschied gegeben; er war bei dem Verhältnis immer kühler geworden, nicht etwa, weil Fräulein Saint-Germain seiner Aufmerksamkeit unwert wurde; ihre Schönheit entfaltete sich im Gegenteil täglich zusehends üppiger. Abends ging sie in vollendeter Schönheit zu Bett und am Morgen erhob sie sich wieder mit neuer Anmut. An Alter und an Grazie zunehmen war bei ihr eins. Diese Wahrheit konnte der Chevalier nicht in Abrede stellen; aber er kam dabei nicht auf seine Rechnung. Ein bißchen weniger Schönheit mit etwas weniger Sittsamkeit wäre mehr nach seinem Sinn gewesen. Er merkte, daß sie ihm mit Vergnügen zuhörte und über seine Geschichten herzlich lachte, daß sie seine Billette und Geschenke unbedenklich annahm; allein – dabei blieb sie auch stehen. Seine Strategie hatte ihr zwar alles, aber nicht den Kopf verdreht. Ihr Kammermädchen war gewonnen, die von seinen Scherzen und Aufmerksamkeiten entzückten Eltern waren nie heiterer, als wenn sie ihn bei sich sahen, kurz, er hatte die Lehren des Liedchens der Frau Marquise genau befolgt und alles schien die Saint-Germain in seine Schlingen zu liefern, wenn die kleine Dame nur selbst Lust gehabt hätte, sich zu ergeben. Aber sie wollte durchaus nicht; vergebens sagte er ihr, die Gunst, um die er sie bitte, koste nichts, diese Schätze wären selten unter der Mitgift eines Mädchens und sie würde nie jemandem begegnen, der durch seine Liebe und seine Diskretion jener Gabe so würdig wäre wie er; ein Gemahl könne doch von der Süßigkeit der Liebe unmöglich den richtigen Begriff geben und der Unterschied zwischen dem zärtlichen Feuer eines bei aller Leidenschaft stets respektvollen Liebhabers und der bequemen Gleichgültigkeit eines Ehemannes sei einfach unermeßlich. Fräulein Saint-Germain wollte, um nicht böse werden zu müssen, seine Worte nicht ernst nehmen und meinte, da es hier Landessitte sei zu heiraten, wolle sie sie mitmachen, bevor sie noch jene feinen Unterscheidungen und seltsamen Dinge, die sie nicht recht verstehe, kennengelernt hätte, sie verlange darüber vorher keine weiteren Erläuterungen; diesmal habe sie ihn noch ruhig angehört; aber sie ersuche ihn, nichts mehr über dieses Kapitel zu sprechen, weil diese Unterhaltung ihr nicht zusage, außerdem für ihn zwecklos wäre. Wenn auch die Dame sonst zum Lachen geneigter war als die meisten, konnte sie dennoch zur rechten Zeit eine ernste Miene aufsetzen. Da der Chevalier Grammont fühlte, sie spreche in vollem Ernst, und erkannte, daß eine endlose Zeit dazu gehören würde, sie zu bekehren, ließ er in der Verfolgung seines Zieles so nach, daß er ihr nur äußerlich den Hof machte, um seine auf Frau Senantes gerichteten Pläne damit zu verschleiern.

Diese Dame war über Mattas trotzige Unfügsamkeit sehr entrüstet. Solch deutliche Nichtachtung hatte ihre ihm günstige Stimmung völlig zerstört. In diesem Zustand sagte ihr der Chevalier, sie habe ganz recht. Er übertrieb den Verlust, den sein Freund sich selbst zugefügt, stellte die Dame tausendmal höher als Fräulein Saint-Germain und erbat die Gunst, deren sein Gefährte nicht würdig sei, für sich selbst. Seine Bitte wurde bald hochgeneigtest aufgenommen und da sie im Herzen einig waren, dachten sie nur noch an die nötigen Maßregeln, um Gatten und Freund zu täuschen. Matta kannte kein Mißtrauen und der dicke Senantes, bei dem der Chevalier bereits alle Schritte getan, gegen die sein Genosse sich sträubte, konnte ohne Grammont gar nicht leben. Das war leider weit mehr, als dieser wünschte; denn sooft sich der Chevalier bei der gnädigen Frau einfand, war der Herr Gemahl aus Artigkeit auch da und hätte sie um keinen Preis der Welt allein gelassen, aus Furcht, die beiden könnten sich vielleicht ohne ihn langweilen.

Noch nicht ahnend, daß er in Ungnade gefallen sei, diente Matta der Dame in seiner Art weiter. Sie war mit dem Chevalier übereingekommen, daß die Dinge vorläufig zum Schein so weitergehen sollten wie früher, und der Hof glaubte daher noch immer, Frau Senantes denke nur an Matta, wie dessen Freund nur an Fräulein Saint-Germain.

Von Zeit zu Zeit fanden kleine Juwelen-Lotterien statt. Der Chevalier Grammont setzte beständig und gewann gelegentlich dies und jenes. Unter dem Deckmantel dieser Gewinne kaufte er aber tausend Dinge, die er der Marquise Senantes ganz harmlos schenkte und die von dieser ebenso unbedenklich angenommen wurden. Die kleine Saint-Germain bekam nur selten etwas davon. Überall gibt es Störenfriede; man machte über das Verfahren Grammonts seine Bemerkungen und teilte sie Fräulein Saint-Germain mit. Sie stellte sich, als lache sie darüber, war aber doch etwas gekränkt. Ist es ja eine der Haupteigenschaften schöner Frauen, daß sie anderen nicht gönnen, was sie selbst zurückgewiesen haben. Sie wußte der Frau von Senantes also keinen Dank. Anderseits fragte man Matta, ob er etwa nicht erwachsen genug sei, der Marquise selbst Geschenke zu machen, ohne sie erst durch Grammont übergeben zu lassen. Das machte ihn stutzig; er hätte es von selbst nie beachtet. Vorderhand war er aber nicht sehr argwöhnisch, sondern sagte nur, um klarer zu sehen, zu Grammont: »Ich muß wohl zugeben, daß hier den Damen auf ganz eigene Art der Hof gemacht wird. Man dient ohne Liebeslohn, wendet sich an den Ehemann, wenn man in die Frau verliebt ist und macht der Geliebten eines anderen Präsente, um mit seiner eigenen Dame auf guten Fuß zu kommen.« – »Frau von Senantes ist dir sehr verbunden, daß du –.« – »Du hast mir verbunden zu sein,« sagte Grammont, »weil es für dich selbst geschieht.« – »Ich schämte mich, als ich sah, daß du ihr nie ein Geschenk gabst. Weißt du, die Leute hier am Hofe sind so eigen, daß sie glauben, nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus Knickerei gäbest du deiner Dame gar kein Präsent. Komisch, daß man stets für dich denken muß.«

Matta ließ sich schelten und erwiderte nichts, da er fühlte, er habe es ein wenig verdient; auch war er weder verliebt noch argwöhnisch genug, um weiter darüber nachzudenken. Da es aber im Interesse Grammonts lag, daß sein Freund mit Herrn von Senantes Bekanntschaft mache, quälte er ihn so lange, bis dieser es tat. Der Chevalier stellte ihn bei diesem ersten Besuch vor. Seine Dame wußte dem Eingeführten für seine Rücksicht Dank, wenn sie auch beschloß, ihn nicht dafür zu belohnen. Der Gemahl war endlich durch eine Höflichkeit, die er längst erwartet, zufriedengestellt und lud die Herren noch für denselben Abend in ein kleines Landhaus am Flusse nah bei der Stadt zum Essen ein.

Der Chevalier nahm in beider Namen die Einladung an, und da dies die einzige Bitte war, die Matta Herrn von Senantes nicht abschlagen wollte, willigte er ein. Zur bestimmten Zeit kam der Marquis, um die Gäste abzuholen; allein er fand nur Matta zu Hause. Der Chevalier war absichtlich anderwärts spielen gegangen, um die beiden allein zu lassen. Aus Furcht, mit Herrn von Senantes unter vier Augen zu bleiben, wollte Matta auf Grammont warten; allein der Chevalier ließ ihnen sagen, sie mögen nur vorausgehen, er werde gleich nach Schluß des Spieles bei ihnen sein. So war der arme Matta gezwungen, mit dem unangenehmsten Menschen der Welt fortzugehen. Es war nicht Grammonts Absicht, ihn so bald aus dieser Lage zu befreien; der Treulose wußte die beiden kaum geborgen, als er auch zu Frau von Senantes unter dem Vorwand eilte, noch ihren Mann anzutreffen und ihn zum Souper abzuholen.

Der Verrat war somit in vollem Gange und weil die Marquise meinte, Mattas Gleichgültigkeit verdiene es nicht besser, so nahm sie keinen Anstand, auf den Streich einzugehen. Sie erwartete also den Chevalier in um so günstigerer Stimmung, als sie lange auf ein vertrauliches ungestörtes Beisammensein mit ihm gespannt gewesen war. Es läßt sich wohl annehmen, daß diese erste Zusammenkunft nicht fruchtlos geblieben wäre, wenn nicht unerwarteterweise Fräulein Saint-Germain fast gleichzeitig mit dem Ersehnten eingetroffen wäre.

Sie war an jenem Tage heiterer und reizender denn je in ihrem Leben, man fand sie aber sehr unangenehm und langweilig. Sie bemerkte bald, daß sie im Wege sei, und da sie sich nicht ungestraft beiseite stellen lassen wollte, brachte sie erst eine gute halbe Stunde damit zu, sich an der Ungeduld des Paares zu weiden und ihm tausend kleine Possen, die sie zu nicht ungelegener Zeit hätte anbringen können, zu spielen; dann nahm sie Hut, Überwurf und alles ab, was man nur tut, wenn man sich wo für den ganzen Abend häuslich niederzulassen gedenkt. Der Chevalier Grammont verwünschte sie ihm stillen, während sie ihn beständig wegen seiner schlechten Laune in so guter Gesellschaft neckte. Frau von Senantes war ebenso wütend wie er und sagte ihr ziemlich kurz angebunden: sie müsse noch zu Ihrer königlichen Hoheit. Fräulein Saint-Germain antwortete ihr, es werde ihr eine Ehre sein, sie hinzubegleiten, wenn es ihr nicht unangenehm sei. Man erwiderte darauf so gut wie nichts und der Chevalier, der die Zwecklosigkeit eines längeren Besuches einsah, machte gute Miene zum bösen Spiel und ging.

Kaum war er draußen, so schickte er einen seiner Diener, um dem Herrn von Senantes zu melden, er möge sich mit seiner Gesellschaft nur zu Tisch setzen, ohne auf ihn zu warten; denn das Spiel würde nicht so bald zu Ende sein. Nach Absendung dieses Kuriers stellte er an der Tür von Frau von Senantes einen Aufpasser in der Hoffnung auf, die endlose Visite der Saint-Germain werde doch einmal aufhören und sie würde ohne die Marquise fortgehen. Aber vergebens – nach Verlauf einer in Ungeduld verbrachten Stunde meldete ihm sein Spion, die Damen seien zusammen ausgegangen. Er begriff nun, daß es unmöglich sei, sie heute noch zu sehen, weil schon alles bei seinem Plan verkehrt gegangen war; er mußte deshalb auf die Frau verzichten, um den Herrn Gemahl aufzusuchen.

Während sich dies in der Stadt zutrug, unterhielt sich Matta auf dem Lande auch nicht sehr. In seiner Voreingenommenheit gegen Herrn von Senantes fand er alles schlecht, was dieser auch sagte. Er verwünschte den Chevalier Grammont aus ganzer Seele wegen des Tête-a-tête, das er ihm verschafft. Er war nahe daran aufzubrechen, als er sah, man müsse sich ohne Dritten zu Tisch setzen.

Da sein Gastgeber jedoch Feinschmecker war und den besten Koch wie die trefflichsten Weine in ganz Piemont besaß, besänftigte ihn der Anblick des ersten Ganges etwas, und während er, ohne viel auf Herrn von Senantes zu achten, tapfer und tüchtig aß, schmeichelte er sich, das Souper werde ohne großen Dialog mit dem Wirt vorübergehen. Aber da täuschte er sich.

Als ihn nämlich Grammont mit dem Marquis auf guten Fuß setzen wollte, hatte er, um dessen Neugier zu erregen, von Matta ein sehr schmeichelhaftes Bild entworfen; das gelahrte Steckenpferd des Marquis hatte den Chevalier bewogen, den Freund unter Aufzählung von weiteren hundert guten Eigenschaften als einen der gelehrtesten Männer Europas hinzustellen.

Vor Beginn des Essens an hatte also Senantes irgend eine gelehrte Bemerkung von Matta erwartet, um dann selbst mit seiner Weisheit protzen zu können; aber da hatte er sich bedeutend verrechnet. Es gab keinen weniger belesenen Menschen und niemand war beim Essen so wortkarg wie der Gast. Da er keine Unterhaltung wünschte, öffnete er den Mund nur, um zu essen und zu trinken.

Durch ein Stillschweigen, das jenem natürlich schien, verletzt, glaubte der Wirt, der bereits müde war, bei seinem Gast alle Saiten umsonst angeschlagen zu haben, es sei nicht unpassend, ihn auf das Kapitel: Liebe und Galanterie zu bringen, und leitete das Gespräch so ein:

»Da Sie der Ritter meiner Frau sind ...« – »Ich,« rief Matta, wobei er diskret sein wollte, »ich? Wer Ihnen das gesagt hat, hat gelogen.« – »Chevalier,« sprach Senantes, »Sie fassen das in einem Ton auf, der Ihrer nicht würdig ist. Denn trotz Ihrer Abweisung muß ich Ihnen sagen, daß Frau von Senantes vielleicht keiner Ihrer französischen Damen nachsteht und daß es Männer gibt, die Ihnen gewiß gleichkamen und sich eine Ehre daraus gemacht hätten, ihr dienen zu dürfen.« – »Das bestreite ich nicht,« meinte Matta, »ich halte sie dessen für vollkommen würdig, und weil Sie es so haben wollen, bin ich Ihnen zu Gefallen ihr Diener und Ritter.«

»Sie denken vielleicht,« fuhr der andere fort, »es sei hierzulande wie bei Ihnen; die schönen Damen hätten hier nur Liebhaber, um ihnen ihre Gunst zu erweisen; geben Sie diesen Irrtum auf und nehmen Sie bitte, zur Kenntnis, daß, auch wenn dergleichen hier bei Hofe vorkäme, ich gar nicht unruhig wäre.« – Matta sagte: »Das ist sehr edel von Ihnen, aber weshalb würden Sie ruhig bleiben?« – »Weil ich die zärtliche Neigung meiner Frau zu mir, ihre Sittsamkeit gegen jedermann und mehr als alles andere meinen eigenen Wert kenne.«

»Das sind wohl drei wertvolle Erfahrungstatsachen,« sprach Matta; »ich verbeuge mich vor allen dreien. Auf Ihre Gesundheit.« – Senantes tat ihm Bescheid, aber weil die Unterhaltung stockte, wenn man nicht trank, wollte er nach zwei oder drei Toasten einen weiteren Versuch machen und Matta bei seiner starken, das heißt gelehrten Seite angreifen.

Er bat ihn also, ihm zu sagen, zu welcher Zeit seiner Meinung nach die Allobroger sich in Piemont niedergelassen hätten? Matta, der ihn mit seinen Allobrogern zum Henker wünschte, erwiderte, es müsse zur Zeit der Bürgerkriege gewesen sein. »Das bezweifle ich«, sprach der Marquis. – »Wie Sie meinen«, sagte Matta. – »Unter welchem Konsulat?« forschte Senantes weiter. – »Unter dem der Ligue, als die Guisen die Landsknechte nach Frankreich kommen ließen,« sprach Matta; »aber zum Teufel, was geht das uns an?«

Herr von Senantes war ziemlich kurz angebunden und wurde leicht grob; Gott weiß also, wie die Unterhaltung geendet hätte, wenn nicht der Chevalier Grammont gekommen wäre, um Ordnung zu machen. Es wurde Matta nicht ganz leicht, den Streitgegenstand festzustellen; denn der eine hatte die Fragen, die ihn geärgert, der andere die Antworten vergessen, er hielt aber dem Chevalier die ewige Spielwut vor, bei der man nie auf ihn rechnen könne. Sich weit schuldiger fühlend, als die Herren ahnten, nahm Grammont alles geduldig hin und klagte sich noch heftiger an, als sie es verlangten. Das beruhigte sie. Das Mahl endete friedlicher, als es begonnen. Die Gesprächsordnung war hergestellt, aber es war dem Chevalier unmöglich, wie sonst Heiterkeit zu verbreiten. Er war in sehr trüber Stimmung, und da er beständig drängte, von Tisch aufzustehen, glaubte Herr von Senantes, er habe beim Spiel viel verloren. Matta meinte im Gegenteil, er hätte gewiß viel gewonnen, aber der Rückzug sei aus Mangel an Vorsichtsmaßregeln vielleicht unglücklich gewesen. Deshalb fragte er ihn, ob er nicht vielleicht den Sergeanten La Place und dessen Hinterhalt gebraucht habe.

Diese historische Anspielung ging über die Gelehrsamkeit des Marquis hinaus. Aus Furcht, Matta könne sie vielleicht erläutern, änderte der Chevalier die Unterhaltung und wollte aufbrechen; aber Matta hatte keine Lust dazu. Das söhnte Senantes, der die Artigkeit auf sich bezog, mit ihm aus, aber sie galt nicht ihm, sondern seinem Wein, den Matta sehr nach seinem Geschmack fand.

Mit Herrn von Senantes Wesen vertraut, war die Fürstin von dem Bericht, den Grammont ihr von dem Gastmahl und der Unterhaltung erstattete, ganz entzückt. Sie ließ Matta rufen, um von ihm selbst die Wahrheit zu hören. Er gestand, vor der Frage über die Allobroger hätte der Marquis ihm zu Leibe gewollt, weil er nicht in seine Frau verliebt wäre.


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