Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Der pyrenäische Friede, die Vermählung des Königs, die Rückkehr des Prinzen und der Tod des Kardinals gaben dem Staat ein anderes Gesicht. Ganz Frankreich hatte die Augen auf den König gerichtet. Nichts glich seiner anmutigen Haltung und seiner majestätischen Miene; aber noch hatte man an ihm nicht jenes glänzende Genie entdeckt, das erst seine Untertanen zur Bewunderung hinriß, dann ganz Europa mit banger Scheu erfüllte. Liebe und Ehrgeiz, die unsichtbaren Hebel aller Hofintrigen, wurden für die ersten Schritte, die er tun würde, spannungsvoll bereit gehalten. Man glaubte erst, daß die Freude am Lebensgenuß über den jungen König, der so lange von Regierungsgeschäften ferngehalten worden war, die Oberhand bekommen sollte, daß der Ehrgeiz nur jene erfaßt habe, die um einen Ministerposten ringen wollten, war aber höchst erstaunt, bei dem Fürsten eine Geistesgröße zu finden, die er bisher klugerweise verborgen gehalten hatte.

Den Freuden der Jugend, die ein absoluter Herrscher sich selten versagt, war er abgeneigt, dagegen fesselte eiserner Fleiß, unaufhörliche Sorge den König an den Staat. Jeder bewunderte diesen unerhörten Umschwung, aber nicht jeder fand seine Rechnung dabei. Vor einem solch absoluten König wurden die Großen klein; die Hofleute nahten sich dem alleinigen Herrn ihres Schicksals nur in tiefster Ehrfurcht. Die früher kleine Tyrannen in ihrer Provinz oder in den Grenzorten gewesen, wurden dort nichts als einfache Verwalter. Gnadenbezeigungen als persönliche Auszeichnung oder für geleistete Dienste wurden vom König nur nach seinem eigenen Ermessen erwiesen. Von einer Belästigung oder Bedrohung des Hofes, um solche Gunst zu erlangen, konnte nicht mehr die Rede sein.

Der Chevalier Grammont betrachtete die Aufmerksamkeit seines Königs für Staatsangelegenheiten wie ein Wunder. Er begriff nicht, wie man sich in seinem Alter solchen selbst vorgeschriebenen Pflichten unterwerfen und dadurch dem Vergnügen Zeit entziehen könne, um sie langweiligen Berufsgeschäften und lästigen Regierungsfunktionen zuzuwenden, doch dankte er dem Himmel, daß er fortan niemand anderem Huldigungen darzubringen habe, als dem sie von Rechts wegen gebührten. Knechtischer Verehrung eines Ministers unfähig, hatte er sich vor keinem der Kardinäle gebeugt. Nie hatte er der Willkür Richelieus Weihrauch gestreut, noch den Kunstgriffen Mazarins Beifall gezollt; aber er hatte dafür auch von Richelieus nichts Besseres erlangt, als eine Abtei, die er seinem Range nicht verweigern konnte und von Mazarin nichts anderes, als was er ihm gerade im Spiel abgewonnen.

Seine unter Turenne gewonnenen Erfahrungen hatte ihm militärische Einsicht verschafft; doch war ihm diese bei dem nun herrschenden allgemeinen Frieden von keinem Nutzen. Er dachte deshalb, es gebe an dem durch Schönheit und Reichtum blühenden Hofe für ihn keine andere Aufgabe, als die, dem Herrscher zu gefallen, angeborenes Spieltalent zu betätigen und neue Kunstgriffe in der Liebe praktisch zu verwerten.

In beiden ersten Punkten hatte er ziemlichen Erfolg. Er nahm den Grundsatz an, sich in seinem ganzen Benehmen lediglich an den König anzuschließen, Gunst nur zu achten, wenn sie von Verdienst unterstützt sei, sich bei den Hofleuten beliebt, beim Minister gefürchtet zu machen, alles zu wagen, um wertvolle Dienste zu leisten und nichts gegen eine Unschuld zu unternehmen. So wurde er denn bald zum Erholungscercle des Königs geladen, ohne daß der Neid der Höflinge darüber rege zu werden schien.

Das Spiel war ihm günstig – nicht aber die Liebe, denn Unruhe und Eifersucht siegten über seine natürliche Vorsicht gerade in einem Fall, wo er ihrer am meisten bedurft hätte.

Das Fräulein La Motte-Houdancourt war eine der Hofdamen der Königin-Mutter; wenn sie auch keine auffallende Schönheit war, hatte sie doch der berühmten Meneville ihre Liebhaber entzogen. Der König brauchte damals nur seine Augen auf ein junges Mädchen am Hofe zu werfen, um ihr Herz mit Hoffnung, manchmal auch mit zarter Neigung zu erfüllen; hatte er aber mehr als einmal mit ihr gesprochen, so wußten die Höflinge, wieviel es geschlagen und alle, die vorher eine Neigung oder eine Leidenschaft für eine Dame gehegt, zogen sich sofort zurück, um ihr fortan nur noch Verehrung zu zollen. Nur der Chevalier Grammont ließ sich einfallen, gerade das Gegenteil davon zu tun. Vielleicht wollte er eine Sonderrolle spielen, was aber bei dieser Gelegenheit sehr schlecht angebracht war.

Er hatte nie an sie gedacht; als er sie aber beim König in Gunst sah, glaubte er, sie verdiene auch die seine. Als er sich aber um sie bewarb, wurde er ihr höchst unbequem, ohne daß es ihm gelang, sie von seiner Liebe zu überzeugen. Sie wurde seiner Verfolgungen müde; er ließ sich durch schlechte Behandlung und Drohungen nicht abschrecken. Sein erstes Drängen ließ sie hingehen, weil sie glaubte, er werde sich bessern und sie in Frieden lassen; als er aber zudringlicher wurde, führte sie Klage. Da mußte er nun die Erfahrung machen, daß wenn Liebe auch den Standesunterschied ausgleicht, dies nur für Liebende, nicht auch für Nebenbuhler gilt. Er wurde vom Hof verwiesen, und weil er in Frankreich nichts fand, das ihn über den schmerzlichen Verlust trösten konnte, nämlich über Anblick und Gegenwart seines Königs, so faßte er nach einigen Betrachtungen über seinen Fall und nach leisen Verwünschungen gegen dessen Ursache den Entschluß, nach England zu gehen.

Der Wunsch, den durch seine Gewalttaten wie durch seine Erhebung gleich berühmten Cromwell zu sehen, hatte den Chevalier Grammont schon einmal nach England geführt. Die Politik maßt sich schöne Vorrechte an; was ihr nützlich scheint, gilt ihr auch erlaubt, alles Notwendige auch für sittlich. Während der König von England in Flandern bei Spanien und Holland Schutz suchte, schickten andere Mächte Gesandte an Cromwell.

Nachdem Ehrgeiz diesem Manne durch große Untaten den Weg zur höchsten Gewalt gebahnt, erhielt er sich durch Eigenschaften, deren Glanz ihn seiner Stellung würdig zu machen schien. Das unter allen Nationen Europas unlenksamste englische Volk ertrug mit Geduld ein Joch, das ihm nicht einmal den Schatten einer sonst so eifersüchtig gehüteten Freiheit ließ. Unter dem Titel Protektor, Herr der Republik, im Innern gefürchtet, von außen mit noch größerer Besorgnis betrachtet, war Cromwell, als der Chevalier Grammont ihn sah, auf dem Gipfel seines Ruhmes. Doch ihn umgab keine Spur eines Hofstaates. Der Adel war teils verbannt, teils wurde er den Staatsgeschäften ferngehalten; statt des Luxus und der Pracht der Höfe zeigte sich in den Sitten eine puritanische Strenge; so bot die schönste Stadt der Welt einen ernsten, traurigen Anblick, und der Chevalier Grammont trug von dieser Reise nur den Eindruck der Größe eines Gewaltmenschen und die Bewunderung einiger schönen Damen heim, die er heimlich aufzuspüren nicht verfehlt hatte.

Ganz anders war die Reise, die uns jetzt beschäftigen soll. Noch leuchtete überall die Freude über die Wiederherstellung des Königtums; nach neuem Leben begierig, genoß das Volk das Gefühl gewohnter Führung und schien nach langer Unterdrückung wieder aufzuatmen. Die Nation, die ihre legitimen Fürsten samt den Nachkommen durch feierliches Gelöbnis für immer vom Throne ausgeschlossen, erschöpfte sich jetzt in Freudenfesten über ihre Rückkehr.

Zur Zeit der Ankunft des Chevaliers Grammont war der König ungefähr zwei Jahre auf dem Throne. Die Aufnahme, die dem Ritter hier zuteil wurde, ließ ihn fast den Hof vergessen, den er soeben verlassen hatte und seine später in England angeknüpften Verbindungen linderten den Schmerz über die Verbannung aus Frankreich.

Für einen Mann seines Schlages war London ein schöner Aufenthalt; alles entsprach seinem Geschmack, und wenn seine Erlebnisse hier an sich nicht bedeutend schienen, waren es jedenfalls die angenehmsten seines ganzen Daseins. Ehe wir jedoch darauf eingehen, wird eine Skizze vom damaligen englischen Hofe am Platze sein.

Der Drang der Ereignisse hatte Karl II. von Jugend auf den Strapazen und Gefahren eines blutigen Krieges ausgesetzt. Sein Vater hatte ihm nur Mißgeschick und Elend als Erbe gelassen. Überall verfolgte ihn das Unglück; aber erst nach äußerstem Kampf mit seinem Schicksal unterwarf er sich den Beschlüssen der Vorsehung.

Was sich nur durch Adel oder Treue auszeichnete, war dem König ins Exil gefolgt und die glänzende Jugend, die sich in der Folge um ihn scharte, bildete einen kleinen Hof, der eines besseren Loses würdig gewesen wäre.

Mit dieser erlesenen Begleitung war der König von England seit zwei Jahren auf einen Thron zurückgekehrt, den er, wie die glorreichsten seiner Vorfahren, würdig auszufüllen berufen schien. Bei seiner Krönung wurde die schon bei seinem Einzug entfaltete Pracht verdoppelt. Der Tod des Herzogs von Gloucester und der bald darauf folgende Tod der Schwester des Königs hatten den Glanz durch längere Trauer unterbrochen, nach ihrem Ablauf aber bereitete man sich zum Empfange der jungen Königin, der Infantin von Portugal, vor.

Mitten unter den für diese angestellten Festen kam der Chevalier Grammont an dem üppigen Hofe an, um zum Glanz der Feierlichkeiten noch durch seine Gegenwart beizutragen. An die Pracht des französischen Hoflagers gewöhnt, war er nichtsdestoweniger von der Feinheit und dem Luxus des englischen überrascht. Der König stand an Gestalt, an Haltung und Tracht keinem seiner Edelleute nach. Sein Geist war scharf, sein Charakter mild und freundlich. Allen Eindrücken offen, war er gegen Unglückliche mitleidig, gegen Verbrechen unbeugsam. Sein Herz war fast zu zärtlich. Bei dringenden Anlässen jeder Anstrengung fähig, konnte er sich normalerweise mit nichts Ernstem beschäftigen. Oft war er getäuschtes Opfer, noch öfter Sklave seiner Neigungen.

Von ganz anderem Charakter war der Herzog von York. Ihm schrieb man einen jeder Probe standhaltenden Mut, unverbrüchlichstes Festhalten am gegebenen Worte, Sparsamkeit, Anmaßung, Fleiß, Stolz, alles an richtiger Stelle, zu. Genauer Wahrer von Recht und Pflicht galt er als Freund für treu, als Feind für unversöhnlich.

Eine Zeitlang durch Standesvorurteile zurückgehalten, hatte sein sittliches und sein Rechtsgefühl endlich gesiegt, als er die Ehrendame der königlichen Prinzessin, seiner Schwester, Miß Hyde, mit der er sich in Holland heimlich verbunden, als seine Gemahlin anerkannte. Der Vater dieser Fürstin, nachmals Lordkanzler, gelangte, durch diese Verbindung gestützt, bald an die Spitze des englischen Reiches und hätte die Staatsangelegenheiten beinahe in Verwirrung gebracht, nicht aus Mangel an Talent, sondern infolge Selbstüberhebung.

Der Herzog von Ormond genoß das Vertrauen und die Achtung seines Fürsten und verdiente beides wegen seiner ausgezeichneten Dienste, seines persönlichen Wertes, seiner hohen Geburt, wie auch wegen der Bereitwilligkeit, mit der er seine reichen Güter im Stich gelassen, um Karl II. in die Verbannung zu folgen. Selbst die Höflinge wagten nicht zu murren, als sie in seiner Person die bedeutenden Würden des Obersthofmeisters, des Lord-Kammerherrn und des Vizekönigs von Irland vereint sahen. An Geistes- und Sittenadel glich er ganz dem Marschall von Grammont, und wie dieser damals Frankreichs Stolz, war er die Zierde des englischen Hofes.

Der Herzog von Buckingham und der Graf von Saint-Albanserschienen in der Heimat ebenso, wie sie sich im Ausland gezeigt; der eine voll Geist und Feuer, verschwendete die unermeßlichen Güter, in deren Besitz er wieder gelangt war, zwecklos; der andere war ein mittelmäßiger Kopf und hatte sich aus dem Nichts zum Großgrundbesitzer emporgeschwungen; dabei schien er, wenn er beim Spiel verlor und eine prachtvolle Tafel hielt, nur seine Renten zu vermehren.

Sir George Berkley, nachmals Lord Falmouth, war des Königs Günstling und Vertrauter; er befehligte das Leibregiment des Herzogs von York und beherrschte diesen selbst. In seinem Äußeren hatte er nichts Glänzendes; auch war sein Geist nicht hervorragend; aber sein Charakter war des hohen Glückes würdig, das ihn eben erwartete, als er, dem Ziel seiner Erhebung nahe, zur See getötet wurde. Nie hat es ein edleres, so großer Selbstverleugnung fähiges Gemüt gegeben; der Ruhm seines Fürsten war sein ganzes Streben, all sein Einfluß nur darauf gerichtet, wahres Verdienst zu belohnen, oder wertvolle Menschen durch königliche Gunst zu erhöhen. Im Umgang war er so bescheiden, daß Gnade ihn zu beugen schien, in seinem ganzen Wesen so offen, daß man ihn kaum für einen Hofmann halten konnte.


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