Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Als die Castlemaine einige Tage darauf den Herzogstitel annahm, nahm der kleine Jermyn den Weg nach seinem Landsitz. Schon nach vierzehn Tagen hätte er zurückkommen können; der Chevalier Grammont brachte die frohe Kunde von der Erlaubnis des Königs dazu dem guten alten Grafen Saint-Albans. Das hieß, ihm das Leben schenken; vergeblich teilte er sie aber seinem Neffen mit. Dieser wollte vielleicht, die Londoner Damen sollten nach ihm schmachten, vielleicht wollte er auch gegen die Ungerechtigkeit des Jahrhunderts und die Tyrannei des Fürsten de- und remonstrieren, genug, er blieb ein halbes Jahr auf dem Land und spielte unter den Jagdliebhabern der Umgegend den kleinen Philosophen. Die Herren Junker staunten ihn aber nur als eindringliches Beispiel vom Umschwung des Glückes an.

Diese Rolle kam ihm so schön vor, daß er noch länger geblieben wäre, wenn er nicht von Miß Jennings gehört hätte. Was man von ihren Reizen berichtete, galt ihm wenig, da er überzeugt war, er habe ganz andere gesehen. Weit mehr zog ihn ihr Widerstreben und ihr Stolz an. Letzterer schien ihm seines Kampfes würdig; um sie zu unterjochen, verließ er sein Exil und kam gerade an, als der ernstlich verliebte Talbot sich, nach seiner eigenen Meinung, so dummerweise mit Fräulein Jennings überworfen haben mußte.

Sie hatte von Jermyn als einem wahren Helden in Liebesabenteuern gehört. Wenn die Price ihr die Verhältnisse der Herzogin von Cleveland schilderte, nannte sie seinen Namen oft, verschwieg aber dabei die Schwäche nicht, die der Held angeblich bei ernsten Zusammenkünften an den Tag legte. Dadurch wurde aber ihre Begierde, einen Mann zu sehen, dessen ganzes Wesen eine lebendige Trophäe aus Damengunst und allen möglichen Siegen über das schöne Geschlecht sein mußte, nicht geringer.

Um diese Neugier zu stillen, war jetzt Jermyn persönlich gekommen, und wenn auch sein Glanz durch den ländlichen Aufenthalt ein wenig eingerostet war, wenn seine Beine auch dünner, sein Kopf dicker erschienen als sonst, so glaubte das kleine Köpfchen der Jennings, doch nie etwas Vollendeteres gesehen zu haben. Das Weib erlag seinem Schicksal und ließ sich noch seltsamer verblenden als ihre Schwestern. Man bemerkte es mit einigem Befremden; denn von dem überzarten Geschmack einer sonst so unüberwindlichen Dame erwartete man anderes.

War Jermyn über diese Eroberung auch erfreut, so überraschte sie ihn keineswegs; sein Herz nahm aber bald so viel teil an ihr wie seine Eitelkeit. Mit Staunen bemerkte aber Talbot diesen Eilsieg, seine schmachvolle Niederlage, und wollte vor Wut und Eifersucht fast vergehen; allein er dachte, es sei anständiger, beides im stillen zu hegen, als zu zeigen, war scheinbar gleichmütig und trat in den Hintergrund, um zu beobachten, wie eine so plötzliche Bezauberung enden würde.

Jermyn genoß unterdes ruhig die Zuneigung des lieblichsten und seltsamsten Wesens. Seitdem sich das Fräulein dem Ansinnen des Herzogs von York widersetzt hatte, hatte die Herzogin sie unter ihre Flügel genommen. Ihre Hoheit prüfte die Absichten Jermyns auf die Dame; die Fürstin war mit den Versicherungen eines Mannes zufrieden, dessen Redlichkeit seinen wahren Wert in der Liebe um vieles übertraf. Er zeigte also dem ganzen Hofe, er sei bereit, sich mit ihr zu vermählen, wolle sie aber nicht drängen. Alle Welt gratulierte der schönen Jennings, daß es ihr gelungen, den Schrecken der Ehemänner und die Plage der Liebhaber so weit zu bringen. Der Hof war mit der Erwartung dieses Wunders und die kleine Jennings mit der Aussicht auf eine nahe, glückliche Ehe beschäftigt, aber man muß mit der Glücksgöttin rechnen, ehe man ihre Gaben sicher in die Hand bekommt.

Der König war nicht gewohnt, Lord Rochester so lange im Exil zu lassen. Auch dieser wurde der Verbannung müde und fand es unrecht, daß der Fürst ihn vergessen habe. Er eilte also sofort nach London, ohne Seiner Majestät Befehl abzuwarten. Zunächst schlug er seinen Sitz in der sogenannten City, dem Viertel der gewichtigen Bürger und reichen Kaufleute auf. Dort herrscht allerdings nicht die Verfeinerung des Hofes, dafür walten da aber, ruhiger und solider, Vergnügen, Luxus und Fülle. Anfangs war es nur seine Absicht, sich in die Geheimnisse der glücklichen Bewohner einweihen zu lassen, das heißt unter verändertem Namen und in fremder Tracht wollte er an ihren Festen, Partien, gelegentlich auch an dem Genusse ihrer Frauen teilnehmen.

Da sich sein Geist allen Richtungen anbequemte, mußte man sehen, wie er sich in die Derbheit der reichen Aldermänner und in die Zartheit ihrer liebenden und prunksüchtigen Ehehälften einlebte. Er wurde zu allen Festen geladen, und während er mit den Männern gegen die Fehler und Schwächen der Regierung loszog, half er ihren Frauen über die Hofdamen und Mätressen des Königs den Text lesen. Er behauptete mit ihnen, dieser schändliche Mißbrauch nage am Mark des armen Volkes; die schönen Damen der City gäben denen von Westend gar nichts nach und doch fände in ihrem Stadtteil ein braver Ehemann an einer Frau vollkommen Genüge; ihr Murren noch überbietend, meinte er endlich, er sei erstaunt, daß noch nicht Feuer vom Himmel auf Whitehall gefallen sei und es zerstört habe, weil man dort Taugenichtse, wie Rochester, Killegrew und Sidney, dulde, die da behaupteten, alle Männer in London seien Hahnreie und alle ihre Weiber geschminkt. Das machte ihn in sämtlichen Kreisen so beliebt und gesucht, daß er der Schlaraffengelage und der Zudringlichkeit der Kaufleute bald müde wurde.

Doch weit entfernt, in die Nähe des Hofviertels zu ziehen, verbarg er sich vielmehr in dem entlegensten Winkel der City und ließ dort, unter der Maske eines neuen Namens, in anderer Tracht, Rundschreiben des Inhalts ergehen, es sei seit einigen Tagen ein mit geheimen Wundermitteln und untrüglichen Rezepten versehener Doktor aus Deutschland angekommen. Sein Geheimnis bestände in astrologischer Erforschung der Vergangenheit und Weissagung der Zukunft. Die Kraft der Mittel bestehe hauptsächlich in rascher Befreiung der armen Mädchen von allen Übeln, die ihnen, sei es durch zu große Nächsten- oder durch zu große Selbstliebe, zugestoßen sein könnten.

Seine erste nicht über die Nachbarschaft hinausgehende Praxis war nicht sehr bedeutend; aber bald drang sein Ruf ans andere Ende der Stadt; bald kamen auch die Kammermädchen vom Hofe, die Zofen der Frauen von Stand; als diese nun die Wundermär über den deutschen Arzt verbreiteten, so folgten ihnen bald einige der Herrschaften selbst nach.

Nie hat es für die leichtere Literatur witzigere und lebendigere Vorbilder gegeben, als die Schriften Lord Rochesters; von allen seinen Werken aber ist das sinnreichste und ergötzlichste die Aufzählung der Ereignisse und Abenteuer, die ihm während seiner astrologisch-medizinischen Praxis in den Vorstädten Londons passierten.

Die schöne Jennings war nahe daran, in die Sammlung aufgenommen zu werden; der Umstand, der sie rettete, konnte aber nicht verhindern, daß man später ihre Absicht, zu dem Propheten zu gehen, erfuhr.

Die ersten Kammermädchen, die ihn befragten, waren die Zofen der Ehrenfräulein. Sie hatten eine Menge Zweifel aufzuhellen, sowohl über sich, wie über ihre Damen. Sie verkleideten sich vergebens, er erkannte einige, wie die Mädchen der Miß Temple und der Price, auch die von der Hobart jüngst entlassene Zofe. Mehrere waren verwundert, andere ganz erschrocken zurückgekehrt. Das Mädchen der Miß Temple beteuerte, er habe ihnen versichert, sie werde die kleinen und ihre Herrschaft die großen Pocken spätestens in zwei Monaten bekommen, wenn ihre Gebieterin sich nicht von einem als Frau verkleideten Manne in acht nähme. Die Zofe der Price erzählte, er hätte, ohne sie zu kennen, ihr nur in die Hand geguckt und ihr sogleich gesagt, nach der Stellung der Gestirne müsse sie bei einer guten Dame in Dienst sein, die keinen anderen Fehler besitze, als Liebe zu Männern und zum Wein. Von irgend etwas besonderem in ihren Angelegenheiten überrascht, hatte jede endlich ihre Herrschaft damit in Bestürzung oder in Lachen versetzt, zumal da sie, wie gewöhnlich, um die Sache wunderbarer zu machen, etwas von eigener Erfindung hinzugefügt.

Miß Price unterhielt ihre junge Freundin einst von diesen Dingen und der böse Feind versuchte die letztere sogleich, persönlich zu dem neuen Magier zu gehen.

Das Unternehmen war sehr gewagt, aber nicht zu kühn für die kleine Jennings, die da glaubte, man könne sich über den Schein hinwegsetzen, wenn man in Wirklichkeit unschuldig sei. Die Price war die Gefälligkeit selbst und als der Entschluß einmal gefaßt war, dachte man nur an die Mittel zur Ausführung.

Wegen ihrer auffallenden Schönheit war die Jennings schwer zu verkleiden; etwas Eigentümliches in ihrem Wesen machte dies fast unmöglich. Nach reifem Nachdenken fanden sie es indes am besten, sich wie Orangenmädchen anzuziehen, die an öffentlichen Plätzen und im Theater ihre Ware feilbieten. Wie gesagt, so getan. Beide waren in ähnlichem Aufzuge, jede nahm ein Körbchen mit Orangen; so stiegen sie in eine Mietkutsche und überließen sich, nur von ihrer Laune und Keckheit geleitet, dem Schicksale.

Die Herzogin war mit ihrer Schwester im Theater; Miß Jennings hatte sich unter dem Vorwand eines Unwohlseins entschuldigen lassen. Bei dem gelungenen Anfang des Abenteuers schwamm sie in einem Meer von Wonne; denn sie hatten verkleidet den Park durcheilt und ohne Hindernisse eine Kutsche am Tor von Whitehall bestiegen. Sie gratulierten sich. Durch den glücklichen Beginn über das Weitere beruhigt, forschte die Price ihre Gefährtin aus, was sie eigentlich bei dem Zauberer anfangen und wonach sie ihn nun fragen wollten.

Miß Jennings antwortete, was sie hinführe, sei mehr Neugierde als ein ernster Grund. Sie wäre indes entschlossen, ihm ohne Nennung von Namen die Frage vorzulegen, weshalb ein gewisser, in ein ziemlich hübsches junges Mädchen verliebter Mann sich nicht beeile, zu heiraten, da das doch ganz angenehm sein müßte und nur von ihm abhinge. Die Price gestand ihr lachend, um dies Rätsel zu lösen, brauche man nicht zum Propheten zu gehen; sie habe ihr bei Gelegenheit der Abenteuer der Herzogin von Cleveland bereits den geheimen Grund angedeutet.

Mit diesen Worten waren sie in die Nähe des Theaters gekommen. Nach einigem Nachdenken meinte die Price, da das Glück sie so begünstige, biete sich ihrem Mut eine schöne Probe; Sie brauchten nämlich nur in den Schauspielsaal zu gehen und dort ihre Orangen im Angesicht der Herzogin und des ganzen Hofes feilzubieten.

Der Vorschlag sagte dem Sinne der einen, wie dem lebhaften Wesen der anderen zu; sie stiegen aus, bezahlten den Kutscher und drängten sich eine Unzahl von Wagen entlang; so gewannen sie mit großer Mühe den Eingang zum Schauspiel. Schöner als Adonis, stieg eben Sidney, noch mehr als gewöhnlich geschmückt, dort aus. Wie er sich eben das Haar zurechtstrich, redete die Price ihn keck an; doch er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um an sie zu denken und schritt ohne ein Wort an ihr vorüber.

Killegrew war der zweite, der ausstieg. Durch das, was sie von der anderen gesehen, ein wenig ermutigt, näherte sich die schöne Jennings und hielt ihm ihren Korb hin, während die Price, mit der passenden Sprache mehr vertraut, ihm zurief: »Kauft Orangen, schöne Orangen!« – »Jetzt nicht,« erwiderte er, sie mit Aufmerksamkeit betrachtend, »wenn du aber morgen früh mir die Kleine zuführen willst, so soll dir das mehr einbringen als alle Orangenbuden der Stadt.« Während er dies zur einen sagte, griff er der anderen unters Kinn und ein wenig auf die Brust. Diese Vertraulichkeit ließ die kleine Jennings ganz aus der Rolle fallen; nachdem sie ihn so derb als möglich zurückgestoßen, sagte sie: er sei unverschämt, sich zu unterstehen ... »Ha, ha,« rief er, »hier ist wahrhaftig etwas ganz Neues, eine kleine H – – exe, die die Spröde spielt und Tugend vorschützt, um den Wert ihrer Ware zu steigern.«

Die Price merkte wohl, die Freundin werde an einem so gefährlichen Ort nichts Gutes ausrichten; so nahm sie sie unter den Arm und führte sie, über die erlittene Beleidigung noch ganz entrüstet, weiter.

Weil Miß Jennings um solchen Preis nun keine Orangen mehr verkaufen wollte, hatte sie Lust, auf den Rest des Abenteuers zu verzichten und nach Hause zu kehren; die Price jedoch, die nach so viel Mut eine solche Schwäche als Schmach behandelte, trieb sie an, den Astrologen schnell aufzusuchen, damit sie noch vor Schluß des Schauspiels zurück sein könnten.

Sie hatten eine Adreßkarte, doch bedurften sie ihrer nicht; ihr Kutscher sagte ihnen, er wisse sehr gut, wohin sie wollten, er hätte schon mehr als hundert Personen zum deutschen Arzt gefahren. Sie waren von dort nur noch eine halbe Straße entfernt, als es dem Glück einfiel, ihnen den Rücken zu kehren.

Brounker hatte zufällig bei einem Kaufmanne dieser Gegend gespeist und als er eben herauskam, ließen sie ihm gegenüber den Wagen halten. Zwei Orangenmädchen zu Wagen, von denen die eine sehr hübsch schien, das erregte seine Aufmerksamkeit! Dergleichen war seiner Neugierde immer willkommen.

Von allen Hofleuten hegte er am wenigsten Achtung vor dem schönen Geschlecht und hatte mit dessen Ruf das allermindeste Erbarmen. Er war nicht mehr jung, sein Äußeres nicht einnehmend, allein er besaß bei sehr viel Geist eine unbegrenzte Neigung zu Weibern. Über den eigenen Wert war er sich vollkommen klar; er sah wohl ein, er könne nur noch bei denen, die es auf seinen Beutel abgesehen hätten, sein Glück machen und lag deshalb mit allen anderen im Kampfe. Eine Stunde von London hatte er ein Landhaus, das immer mit einigen Grisetten möbliert war; übrigens war er ein sehr guter Mann und der erste Schachspieler im ganzen Reich.

Durch die Aufmerksamkeit, mit der der gefährlichste Feind, dem sie in den Weg geraten konnten, sie betrachtete, erschreckt, wandte die Price den Kopf ab, riet ihrer Gefährtin, es ebenso zu machen und befahl dem Kutscher, weiterzufahren.


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