Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Hamilton war über diesen Beweis von Güte, dessen er sich unwürdig fühlte, bis zu Tränen gerührt. Seine Lippen berührten nicht bloß das Billett, er küßte auch Fächer und Handschuh mit Inbrunst. Als das Spiel zu Ende war, empfing sie Lady Chesterfield aus seinen Händen zurück und las in seinen Blicken die Seligkeit, die ihm ihre Zeilen bereitet hatten. Doch weit entfernt davon, sich mit jenen stummen Boten zu begnügen, eilte er nach Hause, um seinen Empfindungen schriftlich Ausdruck zu geben.

Wie verschieden war dieser Brief von dem früheren! Vielleicht war er nicht so gut geschrieben; denn wenn man um Verzeihung bittet, zeigt man nie so viel Geist, als wenn man verwundet, und der Stil der Liebe ist nicht halb so ergreifend, wie die Sprache der Entrüstung.

Doch genug, der Friede war geschlossen und ihr Verhältnis wurde nach dem Streit desto inniger. Um ihn nach diesem tiefen Mißtrauen vollends zu beruhigen, trug Lady Chesterfield gegen den Nebenbuhler häufig Nichtachtung und gegen den Gemahl wahren Abscheu zur Schau.

Seine dadurch gewonnene Zuversicht ging so weit, daß er ihr gestattete, dem Herzog vor der Welt scheinbare Gunstbeweise zu geben, um ihr wahres Verhältnis zu maskieren. So wurde denn sein Herz durch nichts gequält, als durch die Sehnsucht, eine günstige Gelegenheit zur Krönung seiner Wünsche zu finden. Die Herbeiführung der Stunde schien ihm nur von ihr abzuhängen. Durch Aufzählung von Hindernissen, die sie angeblich durch seine Gewandtheit gern beseitigt zu sehen wünschte, wußte sie das Ziel hinauszuschieben.

Das stopfte ihm den Mund; während er nun mit Eifer an der Überwindung der Schwierigkeiten arbeitete und sich im stillen wunderte, wie zwei für einander fühlende, vollkommen einverstandene Wesen nicht über bloße Wünsche hinauskämen, ließ das Schicksal ein Ereignis eintreten, das ihm nicht länger gestattete, am Glück seines Rivalen und der Untreue seiner Geliebten zu zweifeln.

Wenn wir den Sturz unserer Hoffnungen am meisten fürchten, verschont uns häufig das Unglück; wenn wir aber am wenigsten Unheil erwarten oder verdienen, überfällt es uns meist zehnfach. Hamilton war mitten in der Abfassung des zärtlichsten, leidenschaftlichsten Schreibens an Lady Chesterfield, als ihr Gemahl eintrat, um ihm alle Einzelheiten seiner letzten Entdeckung mitzuteilen. Der Schreibende hatte gerade nur noch Zeit, den Liebesbrief unter anderen Papieren zu bergen, so eilig war der Lord ins Zimmer getreten. Herz und Kopf steckten dem Liebenden noch so voll von den an die Lady gerichteten Zeilen, daß ihr Gemahl mit seinen Anschuldigungen anfangs kalt aufgenommen wurde, überdies kam er in jeder Hinsicht ungelegen. Er mußte jedoch angehört werden und die erste Minute Aufmerksamkeit änderte alles. Hamilton machte große Augen, als er Züge ihrer grenzenlosen Unvorsichtigkeit vernahm, die ihm fast unglaublich schien.

»Sie haben ganz recht, erstaunt zu sein,« sagte der Lord am Ende der Erzählung, »wenn Sie aber an dem Gesagten zweifeln, wird es Ihnen nicht schwer werden, Zeugen für die Tatsache zu finden; denn der Schauplatz dieser zärtlichen Vertraulichkeit war kein anderer als das Spielzimmer der Königin, und dieser Ort war Dank dem Himmel hübsch voll Gesellschaft. Die Lady Denham bemerkte zuerst, was die beiden schlau im Gedränge zu verbergen glaubten. Sie mögen sich denken, wie sie den Fall geheimhielt. Zuerst wandte sie sich mit der Anzeige an mich, als ich eintrat, um mir geradeheraus zu sagen, ich möchte meine Frau warnen, damit nicht andere zu sehen bekämen, was ich allein sehen könnte, wenn es mir beliebte.

Ihre Frau Kusine saß, wie ich bemerkte, am Spieltisch, der Herzog ihr zur Seite. Ich weiß nicht, was aus seiner Hand geworden, aber ich sah, daß sein Arm bis zum Ellenbogen verschwunden war. Ich stand hinter beiden an der Stelle, die Lady Denham verlassen hatte. Im Umdrehen erblickte mich der Herzog und war über meine Erscheinung so bestürzt, daß er Lady Chesterfield fast entblößt hätte, indem er seine Hand zurückzog. Ich kann nicht sagen, ob beide die Ertappung bemerkten; aber ich bin überzeugt, Lady Denham wird dafür sorgen, daß es vor niemand geheim bleibt. Ich gestehe Ihnen, ich bin in der schrecklichsten Verlegenheit. Wäre mir Rache an meinem Beleidiger erlaubt, dann wäre mein Entschluß bald gefaßt. Mit ihr würde ich kurzen Prozeß machen; aber so unwürdig sie selbst jeder Rücksicht ist, so gehört sie einer erlauchten Familie an, die eine öffentliche, solchen Vergehens würdige Strafe in Verzweiflung stürzen müßte. Als Verwandter sind Sie beteiligt; Sie sind mein Freund und ich schenke Ihnen mein Vertrauen über die heikelste Sache der Welt. Überlegen wir gemeinschaftlich, was in so peinlicher Lage zu tun ist.«

Noch betroffener, noch tiefer erschüttert als er, war Hamilton nicht sehr imstande, ihm zu raten. Er gab nur der Eifersucht und dem Durst nach Rache Gehör. Aber die Möglichkeit einer Verleumdung oder wenigstens einer Übertreibung der Anklage gegen Lady Chesterfield milderten etwas seine Gefühle; er bat ihren Gemahl, seinen Entschluß aufzuschieben, bis er sich näher erkundigt habe. Doch versicherte er ihm, wenn die Dinge sich wirklich zugetragen, wie er sie erzählt, so würde er auf kein anderes Interesse als das seinige Rücksicht nehmen.

Damit schieden sie und Hamilton fand schon nach der ersten Nachfrage fast alle von jenem Vorfall unterrichtet, dem jeder noch etwas hinzufügte. Dabei schwand alle Liebe zu ihr, Entrüstung und Rachsucht flammten dafür in seinem Herzen auf.

Es hing nur von ihm ab, sie zu sehen, um auf sie alle Vorwürfe zu entladen, die in solchen Fällen unsere Brust beengen; aber seine Wut war zu heftig, um zu einer etwaigen Aufklärung zu führen. Er hielt sich allein für verletzt, indem er die Beschimpfung eines Gatten gegen die dem Liebhaber angetane Schmach für nichts rechnete.

In blinder Aufregung lief er zu Lord Chesterfield und sagte ihm, er habe genug erfahren, um ihm einen Rat zu geben, den er an seiner Stelle selbst befolgen würde; er solle nicht zaudern, wenn er eine verblendete Frau retten wolle, die zwar den Kopf, doch vielleicht noch nicht ganz die Unschuld verloren. Er müsse sie ungesäumt aufs Land führen, und damit sie nicht erst zu gefährlicher Besinnung erwache, so rasch wie möglich.

Dieser Ausweg, den Lord Chesterfield als den besten Rat seines Freundes ansah, war nicht schwer zu gehen. Aber seine Gemahlin ahnte noch nichts von der Entdeckung ihres Benehmens und glaubte also, er scherze, als er ihr ankündigte, sie habe sich in zwei Tagen zur Abreise aufs Land bereit zu halten. Sie wurde in ihrem Wahn noch bestärkt, weil es gerade mitten in einem sehr rauhen Winter war; doch bald merkte sie, es sei voller Ernst. An der Miene und dem Wesen ihres Mannes sah sie, daß er begründeten Anlaß zu haben glaube, sie stolz zu behandeln, und da sie auch alle Verwandte gegen ihre Klagen taub fand, so setzte sie in dieser Verlassenheit ihre einzige Hoffnung auf Hamiltons Liebe. Durch ihn gedachte sie über die wahre Ursache ihres Pechs aufgeklärt zu werden und schmeichelte sich, er werde Mittel zur Verhinderung einer Reise finden, die ihn noch mehr schmerzen müsse als sie selbst. Aber das hieß auf das Gefühl eines Tigers rechnen.

Als sie aber endlich den Vorabend der Abreise kommen sah, als alle Vorbereitungen zu einer langen Abwesenheit getroffen wurden, als sie Abschiedsbesuche in aller Form und noch immer keine Nachricht von Hamilton erhielt, da verlor sie alle Geduld und Hoffnung. Tränen hätten sie in dieser traurigen Lage erleichtert, aber sie versagte sich lieber diese Linderung, als daß sie ihrem Mann einen Triumph gegönnt hätte. Besonders unbegreiflich schien ihr Hamiltons Benehmen, und als sie ihn immer noch nicht kommen sah, sandte sie ihm folgendes Billett:

»Sollten Sie auch zu denen gehören, die, ohne mir ein Vergehen, um dessentwillen man mich wie eine Sklavin behandelt, vorzuhalten, ruhig in meine Entführung willigen? Was soll Ihr Schweigen, Ihre Untätigkeit in einem Falle bedeuten, der Ihre zärtliche Teilnahme verdoppeln sollte? Ich bin am Vorabend meiner Abreise und schäme mich, zu fühlen, daß ich sie um Ihretwillen mit Bangen ansehe, weil ich annehmen muß, sie rege Sie weniger auf als irgend einen anderen. Lassen Sie mich wenigstens wissen, wohin man mich schleppt, was man mit mir in der Wüste vorhat und weshalb sie wie alle anderen sich gegen ein Wesen verändert zeigen, das sich um keinen Preis ändern würde, wenn nicht Ihre Schwäche oder Undankbarkeit Sie meiner Zuneigung unwürdig machen.«

Diese Zeilen bestärkten und reizten nur noch mehr seinen Rachedurst. In langen Zügen sog er den Genuß ihrer Verzweiflung ein, weil er sicher glaubte, ihr Schmerz gelte einem andern. Über den tätigen Anteil, den er an ihrer Qual genommen, empfand er nicht mindere Genugtuung und gratulierte sich zu einem Rat, durch den er sie von einem dem Glück vielleicht nahen Nebenbuhler fortriß. Mit der unerbittlichsten Grausamkeit der Eifersucht gegen seine eigene Schwäche gewaffnet, sah er ihrer Abreise mit unverhohlenem Gleichmut zu. Sein unerwartetes Benehmen hätte im Verein mit allem plötzlich hereinbrechenden Unheil die Arme fast wirklich in höchste Verzweiflung gestürzt.

Der Hof war voll von der Sache; der Grund der schnellen Abreise blieb für niemanden ein Geheimnis; aber nur wenige billigten Lord Chesterfields Vorgehen. Mit Staunen sah man in England auf einen Mann, der so abscheulich war, auf seine Frau eifersüchtig zu sein. Es war eine in London unerhörte Sache, daß ein Ehemann, um dem gefürchteten und verdienten Lohn dieser gräßlichen Leidenschaft zu entgehen, zu solch gewaltsamen Mitteln griff. Den armen Chesterfield nahm man nur in Schutz, soweit es die Furcht vor dem gesellschaftlichen Urteil gestattete, und klagte allein des Lords mangelhafte Kinderstube an. Alle Mütter gelobten dem Himmel, ihre Söhne sollten nie den Fuß nach Italien setzen, um nicht dort die abscheuliche Sitte anzunehmen, ihren Frauen Zwang anzutun.

Da dies lange Unterhaltungsstoff bei Hof blieb, so erging sich der Chevalier Grammont, heftiger als alle Bürger von London zusammen, in den stärksten Ausfällen gegen diese Tyrannei, wobei er allerdings das Thema nur theoretisch behandelte. Im Grunde genommen zeitigten seine Ausführungen bei dieser Gelegenheit nur einen neuen Text zur Melodie der verhängnisvollen Sarabande, die eine so traurige Rolle bei dem Ereignis gespielt hatte. Die Worte galten für sein Werk; wenn aber Saint-Evremond daran Anteil hatte, so waren sie freilich nicht seine beste Arbeit, wie aus dem folgenden Kapitel zu ersehen ist.


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