Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Dies der Schluß des ersten Abenteuers. Bisher war mir das Spiel günstig; denn seit meiner Ankunft hatte ich bare fünfzehnhundert Louis gewonnen. Seitdem hat das Blatt sich wieder gewendet, wir müssen also dem Glück nachhelfen. Unser Geldvorrat ist im Zustande der Ebbe, führen wir also die Flut herbei.«

»Das ist kinderleicht,« sagte Matta, »wir brauchen nur wieder einen solchen Dummkopf zu finden, wie den Kaufmann von Lyon. Doch still, hat der treue Brinon vielleicht für den alleräußersten Fall nicht noch einen kleinen Rückhalt? Die Zeit für diesen wäre jetzt gekommen und wir täten nicht übel, wenn wir von ihm Gebrauch machten.«

»Der Spaß wäre ganz am Platz,« sprach der Chevalier, »wenn du wüßtest, wo wir den Kopf hintun sollen. Man muß wahrhaftig Überfluß an Witz haben, um ihn überall anzubringen, wie du es tust. Zum Henker! Du willst immer noch scherzen und bedenkst nicht, daß unsere Lage verzweifelt ernst ist. Höre, morgen gehe ich ins Hauptquartier, dort speise ich bei dem Grafen Cameran und werde ihn zum Abendessen laden.« – »Wo?« fragte Matta. – »Hier«, antwortete der Chevalier. – »Du bist toll, armer Freund,« rief der andere; »das ist wahrhaftig wie eines von deinen Lyoner Projekten. Du weißt, daß wir weder Geld noch Kredit haben und willst ein Souper geben, um unsere Not zu lindern?«

»Kurzsichtiger Mensch!« rief der Chevalier, »ist's möglich? Seit der ganzen Zeit, die wir zusammen leben, hast du nicht ein Körnchen Erfindungsgabe gehabt! Graf Cameran spielt gern eine Partie Quinze und ich auch; wir brauchen Geld, und er weiß nicht, was er mit seinem anfangen soll. Ich werde ein sehr gutes Essen bestellen; er wird es bezahlen. Laß mich mit deinem Haushofmeister sprechen und kümmere dich um nichts, außer um eine kleine Sicherheitsmaßregel, wie sie bei solchen Gelegenheiten am Platz ist.« – »Was?« fragte Matta. – »Wie ich dir sage,« erwiderte Grammont, »denn ich sehe wohl, daß man dir die einfachsten Dinge erklären muß. Du kommandierst hier die Gardekompagnien, nicht wahr? Mit Einbruch der Nacht läßt du fünfzehn bis zwanzig Mann unter deinem Sergeanten La Place antreten und legst sie zwischen uns und dem Hauptquartier in Hinterhalt.«

»Zum Teufel,« rief Matta, »eine Falle! Gott verzeih' dir's, ich glaube, du willst diesen armen Savoyarden ausplündern! Wenn das deine Absicht ist, so erkläre ich dir, daß ich nicht von der Partie bin.«

»Du bist nicht bei Trost,« sprach der Chevalier, »die Sache ist die. Wahrscheinlich werden wir ihm sein Geld abgewinnen. Obgleich sonst ganz anständige Leute, sind die Piemontesen doch sehr argwöhnisch und ahnen leicht Böses. Der Graf Cameran kommandiert die Kavallerie; du weißt genau, daß du den Mund nicht halten kannst und bist ganz der Mann dazu, irgend einen schlechten Witz loszulassen, der ihn beunruhigen könnte. Wenn es ihm nur einfiele, daß wir ihn prellen, und er sich über den Verlust aufregt, wer weiß, was aus der Sache wird; denn er ist gewöhnlich von acht bis zehn Reitern begleitet. Wie sich also sein Ärger über den Verlust auch äußern mag, es ist auf alle Fälle gut, wenn wir uns vorsehen und nicht überrumpeln lassen.«

»Laß dich umarmen, teurer Chevalier,« sprach Matta, sich den Bauch haltend, »du bist ein prächtiger Mensch. Ich war ein Einfaltspinsel, daß ich, als du von Vorsichtsmaßregeln sprachst, denken konnte, es handle sich bloß um einen Tisch mit besonderen Karten oder ein paar falsche Würfel. Nie wäre es mir eingefallen, daß man ein Spielchen durch ein Pikett Infanterie unterstützen kann. Man muß zugeben, daß du schon ein großer Taktiker bist.«

Tags darauf ging alles Punkt für Punkt, wie der Chevalier es vorgesehen hatte; der unglückliche Cameran ging in die Falle. Es wurde sehr fein soupiert. Matta trank fünf bis sechs große Schluck, um einen Rest von Zartgefühl, das er in sich befürchtete, hinunterzuspülen. Glänzend beredt wie gewöhnlich, versetzte der Chevalier Grammont den Gast, den er bald sehr ernst stimmen sollte, in schallendes Gelächter und der gute Cameran schmauste wie ein Mensch, dessen Neigungen zwischen Essen und Spiel geteilt sind, das heißt, er beeilte sich mit dem Souper, um für das Glücksspiel keinen kostbaren Augenblick zu verlieren.

Nach dem Mahl legte sich der Sergeant La Place in Hinterhalt und der Chevalier nahm seinen Mann aufs Korn. Die Prellerei des Schweizers Cerise und des Spitzhuts steckte ihm noch im Gedächtnis und wappnete ihn bis zu vollkommener Unempfindlichkeit gegen einige schwache Gewissensbisse und Zweifel, die noch in ihm aufstiegen. Um nicht Zeuge der Verletzung des Gastrechtes zu werden, warf sich Matta in einen Lehnstuhl und versuchte zu schlafen, während man dem armen Cameran den Hals abschnitt.

Anfangs setzten sie nur drei bis vier Pistolen, wie zum Scherz, da aber Cameran drei- bis viermal im Verlust gewesen war, wagte er mehr und das Spiel wurde ernst. Er verlor wieder, wurde hitzig, die Karten flogen durchs Zimmer und die Ausrufe weckten Matta.

Da sein Kopf von Wein und Schlaf verwirrt war, fing er über die Ausbrüche des Piemontesen zu lachen an und sagte, statt ihn zu trösten: »Armer Graf, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich nicht weiter spielen.« – »Weshalb?« fragte dieser. – »Ich weiß nicht,« sprach der andere; »aber mir scheint, Ihr Glücksstern will sich nicht zeigen.« – »Das muß man abwarten«, meinte Cameran und forderte neue Karten. – »So versuchen Sie's«, lallte Matta und schlief wieder ein. Aber diesmal schlummerte er nicht lange; für den Verlierenden waren alle Karten gleich unglücklich und es half ihm nichts, daß er am Schluß Quinze, das heißt 15, aufwies. Es folgten neue Ausbrüche. »Hatte ich's nicht gesagt?« rief Matta aus dem Schlaf gestört; »das Wettern hilft nichts; solange Sie spielen, werden Sie verlieren. Glauben Sie mir, die kürzesten Irrtümer sind die besten; hören Sie auf, denn – der Henker soll mich holen – es ist ganz unmöglich, daß Sie gewinnen können.« – »Weshalb nicht?« fragte Cameran immer gereizter. – »Wollen Sie's wissen?« antwortete Matta, »wir beschwindeln Sie.«

Außer sich über einen Scherz, der um so unpassender schien, weil er den Schein der Wahrheit hatte, sagte der Chevalier Grammont: »Matta, meinst du, es sei für einen Herrn, der so unglücklich spielt, wie der Graf, etwa angenehm, sich den Kopf noch mit herzlosen Späßen vollreden zu lassen? Ich für meinen Teil finde das so störend, daß ich gleich zu spielen aufhören würde, wenn der Graf nicht im Verlust wäre.« – Ein aufgeregter Mensch fürchtet nichts so stark wie eine Drohung dieser Art, und Herr von Cameran sagte, sich beherrschend, der Chevalier möge Matta nur reden lassen, wenn es ihn nicht beleidige; ihn selber ärgere das nicht im mindesten.

Grammont behandelte ihn schonender, als der Schweizer zu Lyon es mit ihm gemacht, denn er spielte, so viel der Graf verlangte, auf Ehrenwort. Cameran war ihm dafür so dankbar, daß er gegen fünfzehnhundert Pistolen einbüßte, die er am anderen Tage bezahlte. Matta wurde wegen seiner unpassenden Worte gehörig gescholten. Der einzige Grund, den er den Vorwürfen entgegensetzte, war: sein Gewissen hätte es nicht zugelassen, daß der arme Savoyarde ganz ungewarnt ausgeplündert würde; außerdem hätte es ihm Spaß gemacht, seine Infanterie mit der Kavallerie Camerans, wenn dieser aufbegehrt hätte, handgemein werden zu sehen.

Nachdem dies Abenteuer ihnen wieder aufgeholfen, erklärte sich, bis zum Ende des Feldzuges, das Glück zu ihren Gunsten, und um zu zeigen, daß er sich des gräflichen Gewinns nur bedient habe, um den in Lyon erlittenen Verlust zu decken, fing der Chevalier an, von seinem Gelde jenen Gebrauch zu machen, den er bei allen Anlässen zu zeigen pflegte. Er suchte Unglückliche auf, um ihnen beizustehen; Offiziere, die ihre Effekten im Krieg oder ihr Geld im Spiel verloren hatten, Soldaten, die in den Laufgräben verstümmelt worden waren – mit einem Wort, alle fühlten seine Freigebigkeit. Doch überbot die Art der Unterstützung noch die Wohltat selbst. Ein Mann, der von solcher Seite bewundert wird, kann überall auf Erfolg rechnen. Von den Soldaten wurde er angebetet. Zu jeder militärischen Operation, bei der es etwas zu leisten gab, fanden ihn die Generäle bereit und suchten ihn auch sonst auf. Als er sah, daß ihm das Glück wieder günstig sei, war seine erste Sorge, Cameran Revanche zu geben, indem er ihn bei allen vorteilhaften Partien zu seinem Teilnehmer machte.

Ein unerschöpflicher Vorrat von guter Laune und Munterkeit gab seinen Reden und Handlungen stets Gehalt und neuen Reiz. – Ich weiß nicht, wie es kam, daß Herr von Turenne gegen Schluß der Belagerung ein detachiertes Korps befehligte. In seinem entfernten Quartier besuchte ihn der Chevalier und fand dort fünfzehn bis zwanzig Offiziere. Turenne liebte an und für sich die Heiterkeit; schon die bloße Gegenwart Grammonts munterte ihn auf; er war über den Besuch entzückt und wollte aus Erkenntlichkeit ihm zu Ehren ein Spiel veranstalten. Der Chevalier dankte und sagte, von seinem Lehrer habe er zweierlei gelernt: gehe man zu seinen Freunden, so sei es weder klug, wenn man bei ihnen sein Geld lasse, noch anständig, wenn man ihres mitnehme. Herr von Turenne erwiderte, er würde bei ihnen gewiß weder viel Geld noch hohes Spiel finden; damit es aber nicht heiße, daß man ihn ohne dieses Vergnügen empfangen habe, möge jeder ein Pferd setzen. Der Chevalier Grammont war es zufrieden. An einem Ort vom Glück begünstigt, wo er dessen nicht zu bedürfen geglaubt, gewann er im Umsehen fünfzehn bis sechzehn Tiere und als er einige der Spieler über den Verlust bestürzte Gesichter machen sah, sprach er: »Meine Herren, ich würde Sie von Ihrem General ungern zu Fuß nach Hause gehen sehen; es genügt, wenn Sie mir Ihre Pferde morgen senden, mit Ausnahme eines einzigen, welches ich als Kartengeld da lasse.« Der Diener glaubte, er scherze nur. – »Ich spreche im Ernst,« fügte der Chevalier hinzu, »ich gebe ein Pferd als Kartengeld, nehmt euch, welches ihr wollt, nur nicht meines.« – »Die Sache gefällt mir schon wegen ihrer Neuheit,« sagte Turenne, »denn ich glaube, bis jetzt hat noch niemand ein Pferd als Kartengeld gegeben.«

Trino ergab sich endlich; nach langer, tapferer Verteidigung des Platzes erhielt Baron de Batteville eine seines Widerstandes würdige Kapitulation. Ich weiß nicht, ob der Chevalier an der Einnahme dieser Festung teilhatte; aber ich weiß, daß mehrere Orte unter einer noch ruhmreicheren Regierung und unter einer überall siegreichen Waffenmacht vor den Augen des Königs mit durch seine Kühnheit und Gewandtheit gewonnen wurden. Man wird das im Verfolg der Memoiren finden.


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