Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XLIII. Das Nirvana des Vollendeten

Meine Entkräftung erlaubte es mir nicht, lange Tageswanderungen zu unternehmen und nötigte uns bisweilen, uns einen Ruhetag zu gönnen, so daß wir erst nach einer einmonatigen Pilgerfahrt in Vesali ankamen, wo, wie wir wußten, der Erhabene sich längere Zeit aufgehalten hatte, von wo er aber vor etwa sechs Wochen weiter gewandert war.

Kurz vorher hatten wir in einem Dorfe, wo Anhänger der Lehre wohnten, gehört, daß Sariputta und Moggallana in das Nirvana eingegangen waren. Der Gedanke, daß diese beiden großen Jünger, die Häuptlinge der Lehre, wie wir sie nannten, nicht mehr auf Erden weilten, erschütterte mich tief. Wohl wußten wir alle, daß auch diese Großen, ja der Buddha selber, nur Menschen waren wie wir; aber die Vorstellung, daß sie uns verlassen könnten, war nie in uns aufgetaucht. Sariputta, der mir so oft auf seine bedächtige Weise schwierige Fragen der Lehre gelöst hatte, war davongegangen. Er war der Jünger, der dem Meister ähnlich sah, und er stand wie der Erhabene in seinem achtzigsten Lebensjahre; wäre es möglich, daß auch der Buddha selber sich schon dem Ende seines Erdenlebens näherte?

Vielleicht, daß die Unruhe, die durch diese Furcht entstand, einen schleichenden Rest meines Fieberzustandes wieder anschürte: jedenfalls kam ich erschöpft und krank in Vesali an. Hier lebte eine reiche Anhängerin des Ordens, die es sich angelegen sein ließ, für die durchziehenden Mönche und Nonnen auf jede Weise zu sorgen. Wie sie nun erfuhr, daß eine kranke Nonne angekommen sei, suchte sie mich sofort auf, brachte Medini und mich nach ihrem Hause und pflegte mich dort sorgsam.

Ihr gegenüber äußerte ich gar bald meine Furcht: ob es wohl möglich sei, daß der Erhabene, der ebenso alt sei wie Sariputta, uns nun auch bald verlassen würde?

Da brach die fromme Seele in einen Strom von Tränen aus und rief schluchzend:

»Ach! So weißt du es denn noch nicht? Hier in Vesali – vor zwei Monaten etwa – hat ja der Gesegnete vorausgesagt, daß nach drei Monaten sein Nirvana stattfinden wird. Wir haben ihn alle hier zum letzten Male gesehen. Und man denke: wenn nur Ananda Verstand genug besessen und zu rechter Zeit gesprochen hätte, dann wäre das nimmer geschehen, und der Buddha hätte bis zum Ende dieser Weltperiode fortgelebt!«

Ich fragte, was denn der gute Ananda damit zu tun habe, und auf welche Weise er eine solche Rüge verdient habe.

»Auf folgende Weise,« antwortete die Frau. »Eines Tages weilte der Erhabene mit Ananda vor der Stadt bei dem Çapala-Tempel. Da sagte nun der Gesegnete zu Ananda: wer auch immer die geistigen Kräfte in sich vollkommen entwickelt habe, der könne, wenn er wolle, durch eine ganze Weltperiode am Leben bleiben. O über diesen einfältigen Ananda, daß er, trotz dieses deutlichen Winkes, nicht sofort sprach: ›Möge doch der Erhabene eine Weltperiode hindurch zum Heile Vieler am Leben bleiben!‹ Sicher war sein Geist von Mara, dem Bösen, besessen, da er seine Bitte erst dann vorbrachte, als es zu spät war.«

»Wie konnte es aber zu spät sein,« fragte ich, »da ja der Erhabene noch lebt?«

»Das war folgendermaßen. Du mußt nämlich wissen, vor fünfzig Jahren, als der Erhabene in Uruvela sich das Buddhawissen errungen hatte, und nach siebenjährigem Kampfe den Besitz heiliger Gemütsruhe genießend, unter dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten weilte: da nahte sich ihm Mara, der Böse, gar sehr besorgt wegen der Gefahr, die seinem Reiche durch den Buddha drohte; und in der Hoffnung, die Verbreitung der Lehre zu verhindern, sprach er: ›Heil dir! Jetzt ist es Zeit für den Erhabenen, in das Nirvana einzugehen!‹ Aber der Buddha antwortete: ›Nicht eher werde ich, du Böser, in das Nirvana eingehen, als bis ich der Menschheit die Lehre verkündet habe; nicht eher, als bis ich mir Jünger geworben habe, die imstande sind, diese Lehre gegen Angriffe zu verteidigen und sie weiter zu verkünden. Erst dann, Böser, werde ich in das Nirvana eingehen, wenn das Reich der Wahrheit fest begründet ist.‹

Nachdem nun aber der Erhabene hier am Çapalaheiligtum so, wie ich dir sagte, zu Ananda gesprochen hatte und dieser, ohne den Wink zu verstehen, weggegangen war, nahte sich Mara, der Böse, dem Erhabenen und sprach zu ihm: ›Heil dir! Jetzt ist für den Erhabenen die Zeit gekommen, in das Nirvana einzugehen. Was mir der Erhabene damals unter dem Nyagrodhabaume des Ziegenhirten zu Uruvela als Bedingung für sein Nirvana angab, das ist ja jetzt erfüllt. Fest gegründet ist das Reich der Wahrheit. Möge also der Erhabene jetzt in das Nirvana eingehen!‹ Da sprach der Buddha zu Mara, dem Bösen, also.: ›Sei du, o Böser, ohne Sorge! Das Nirvana des Vollendeten wird bald stattfinden; nach Verlauf von drei Monaten von jetzt ab wird der Vollendete in das Nirvana eingehen.‹ Bei diesen Worten aber erzitterte die Erde, wie du es wohl auch selber bemerkt haben wirst.«

In der Tat hatten wir in Kosambi, etwa einen Monat bevor ich den heiligen Hain verließ, ein leichtes Erdbeben gespürt, was ich ihr nun auch sagte.

»Siehst du!« rief die Frau erregt – »überall haben sie es gespürt. Die ganze Erde bebte, und die Trommeln der Götter dröhnten, als der Vollendete auf längere Lebensdauer verzichtete. Ach, daß doch der einfältige Ananda zu rechter Zeit den ihm so deutlich gegebenen Wink verstanden hätte! Denn als er nun, durch dies Erdbeben aus seiner Selbstvertiefung geweckt, zum Erhabenen zurückkam und ihn bat, er möge doch noch den Rest dieser Weltperiode hindurch am Leben bleiben: – da hatte ja der Vollendete schon Mara sein Wort gegeben und auf längere Lebensdauer verzichtet.«

Aus diesen Reden der frommen, aber etwas abergläubischen Frau entnahm ich, daß der Erhabene während seines Aufenthaltes in Vesali Zeichen des herannahenden Todes gespürt und wohl den Jüngern gesagt habe, daß er bald sterben würde.

So litt es mich denn nicht länger unter dem gastlichen Dache. Ich mußte den Buddha erreichen, bevor er uns verließ. Das war ja unser großer Trost gewesen, daß wir uns immer an ihn, den unerschöpflichen Quell der Wahrheit, wenden konnten. Nur von ihm konnten ja alle Zweifel meiner geängstigten Seele gelöst werden; nur er in der ganzen Welt war ja imstande, mir den Frieden wiederzugeben, den ich einst gekostet hatte, als ich am alten Krishnatempel im Sinsapawalde bei Kosambi ihm zu Füßen saß.

So brachen wir denn auf, als nach Verlauf von zehn Tagen meine Kräfte mir das Wandern einigermaßen erlaubten. Meine gute Wirtin, die sich ein Gewissen daraus machte, mich in meinem geschwächten Zustande weitergehen zu lassen, tröstete ich mit dem Versprechen, ihren Gruß dem Erhabenen zu Füßen zu legen.

Wir gingen nun in nordwestlicher Richtung weiter in den Spuren des Erhabenen, die wir immer frischer fanden, je weiter wir vordrangen, von Ort zu Ort uns erkundigend. In Ambagama war er acht Tage vorher gewesen; den Salahain von Bhoganagara hatte er drei Tage vor unserer Ankunft verlassen, um sich nach Pava zu begeben.

Sehr ermüdet trafen wir am frühen Nachmittage in diesem Orte ein.

Das erste Haus, das uns auffiel, gehörte einem Kupferschmied, wie an den vielen Metallwaren zu erkennen war, die an der Mauer entlang standen. Aber kein Hammerschlag ertönte; es schien ein Feiertag zu sein, und im Hofe wurden am Brunnen von den Dienern Schüsseln und Platten abgespült, als ob dort eine Hochzeit stattgefunden hätte.

Da trat ein kleiner, festlich gekleideter Mann auf uns zu und bat höflich, unsere Almosenschalen füllen zu dürfen.

»Wäret ihr einige Stunden früher gekommen,« fügte er hinzu, »dann hätte ich bei meinem Feste noch zwei liebe und würdige Gäste gehabt, denn euer Meister, der Erhabene, hat heute mit seinen Mönchen bei mir gespeist.«

»So ist denn der Erhabene noch hier in Pava?«

»Jetzt nicht mehr, Ehrwürdigste,« antwortete der Kupferschmied. »Gleich nach der Mahlzeit wurde der Erhabene von einer schweren Krankheit befallen, mit scharfen Schmerzen, die ihn einer Ohnmacht nahe brachten, so daß wir alle sehr erschraken. Aber der Erhabene überwand diesen Anfall und begab sich vor etwa einer Stunde weiter nach Kusinara.« Am liebsten wäre ich sofort weiter gewandert, denn was der Schmied von diesem Krankheitsanfall sagte, ließ mich das Schlimmste befürchten. Aber es war eine gebieterische Notwendigkeit, den Körper nicht nur durch Speise, sondern auch durch kurze Ruhe zu stärken.

Der Weg von Pava nach Kusinara war nicht zu verfehlen. Er führte bald von den bebauten Feldern fort, durch Tigergras und Gestrüpp, immer tiefer in die Dschungeln. Wir durchwateten einen kleinen Fluß und erfrischten uns ein wenig durch Baden. Nach kurzer Ruhe brachen wir wieder auf. Es wollte Abend werden, und ich konnte mich nur mit Mühe weiterschleppen.

Medini versuchte mich zu überreden, unter einem Baume auf einer kleinen Anhöhe zu übernachten. Es habe keine so große Eile:

»Dies Kusinara ist wohl nicht viel mehr als ein Dorf und scheint ganz in den Dschungeln begraben zu sein. Wie kannst du nur glauben, daß der Vollendete hier sterben wird? Gewiß wird er einmal im Jetavanapark bei Savitti, oder in einem seiner beiden Haine bei Rajagaha von dannen scheiden; aber der Erhabene wird doch nicht in dieser Einöde erlöschen! Wer hat denn je von Kusinara gehört?«

»Vielleicht wird man von jetzt ab von Kusinara hören,« sagte ich und ging weiter.

Meine Kräfte waren aber bald so erschöpft, daß ich mich entschließen mußte, die nächste baumlose Anhöhe zu besteigen, in der Hoffnung, von dort aus die Nähe Kusinaras erkennen zu können. Sonst mußten wir die Nacht dort oben zubringen, wo wir dem Angriffe der, Raubtiere und Schlangen weniger ausgesetzt waren und auch den fiebererzeugenden Ausdünstungen einigermaßen entrückt blieben.

Dort oben angelangt, spähten wir vergebens nach einem Anzeichen menschlicher Wohnsitze aus. Scheinbar ununterbrochen stiegen die Dschungeln vor uns allmählich aufwärts, wie ein Teppich, den man in die Höhe zieht. Bald aber tauchten große Bäume aus dem niedrigen Gebüsch auf; die dichten Laubmassen eines Hochwaldes wölbten ihre Kuppeln übereinander, und in einer schwarzen Schlucht schäumte ein Wildbach, derselbe Strom, in dessen ruhig fließendem Wasser wir kurz vorher gebadet hatten.

Den ganzen Tag über war es schwül und trübe gewesen. Hier wehte uns nun ein frischer Hauch entgegen, und immer klarer wurde es vor unseren Augen, als ob ein Schleier nach dem andern gelüftet würde.

Ungeheure Felsenmauern türmten sich über dem Walde empor, und als ihr Dach bauten grüne Bergkuppen sich immer höher hinauf – bewaldete Berge mußten es ja sein, obwohl sie wie Mooskissen aussahen – immer höher, bis sie im Himmel selber zu verschwinden schienen.

Nur eine einzige langgestreckte, rötliche Wolke schwebte dort oben.

Während wir sie betrachteten, fing sie an gar seltsam zu glühen. Gleichwie wenn mein Vater mit der Zange ein Stück geläuterten Goldes aus dem Schmelzofen herausnahm und, nachdem es abgekühlt war, es auf eine lichtblaue seidene Decke hinlegte: also erglänzte jetzt dies leuchtende Luftgebilde in scharf begrenzten goldig-blanken Flächen; dazwischen aber dämmerten duftig hellgrüne Streifen und zogen sich fächerförmig nach unten, indem sie erblassend in die farblose Luftschicht untertauchten, als ob sie die grünen Bergkuppen erreichen wollten. Immer rötlicher glühten die Flächen, immer grüner wurden die Schatten.

Das war keine Wolke!

»Der Himavat!« flüsterte Medini, überwältigt und ergriffen meinen Arm berührend.

Ja, da erhob er sich vor uns, der Berg der Berge, die Stätte des ewigen Schnees, die Wohnung der Götter, der Aufenthalt der Heiligen! Der Himavat – schon von Kindheit an hatte mich dieser Name mit tiefen Gefühlen von Scheu und Ehrfurcht, mit heimlicher Ahnung des Erhabenen erfüllt! Wie oft hatte ich in Sagen und Märchen den Satz gehört: »und er begab sich nach dem Himavat und lebte dort ein Asketenleben«! Zu Tausenden und Abertausenden waren sie dort hinaufgestiegen, die Erlösungsuchenden, um in der Bergeinsamkeit durch Bußübungen sich das Heil zu erringen – jeder mit seinem Wahn: und nun nahte er, der einzige Wahnlose, dessen Spuren wir folgten.

Während ich also dachte, erlosch das leuchtende Bild, als ob der Himmel es in sich aufgesogen hätte.

Ich fühlte mich aber durch diesen Anblick so wunderbar belebt und gestärkt, daß ich an keine Ruhe mehr dachte.

»Wenn auch der Erhabene,« sagte ich zu Medini, »uns bis zu jenem Gipfel voranschritt, um von solchem erhabenen Standorte aus in jenes höchste der Gefilde einzugehen: so würde ich ihm doch folgen und ihn erreichen.«

Und ich wanderte mutig weiter. Wir waren aber keine halbe Stunde gegangen, da verschwand das Gestrüpp plötzlich, und bebautes Land lag vor uns. Es war schon ganz dunkel, und der Vollmond ging groß und glühend über dem uns gegenüberliegenden Walde auf, als wir endlich Kusinara erreichten.

Es war in der Tat nicht viel mehr als ein Dorf der Mallas, mit Mauern und Häusern von gestampftem Lehm und Weidengeflecht. Mein erster Eindruck war, daß eine verheerende Krankheit das Städtchen entvölkert haben müsse. Vor den Haustüren saßen einige alte und kranke Leute und jammerten laut.

Wir fragten sie, was denn geschehen sei.

»Ach,« riefen sie händeringend: »Gar zu bald wird der Vollendete sterben. Noch in dieser Stunde wird das Licht der Welt erlöschen. Die Mallas sind nach dem Salahain gegangen, um den Heiligen zu sehen und zu verehren. Denn kurz vor Sonnenuntergang kam Ananda in unsere Stadt und begab sich zur Markthalle, wo die Mallas eine öffentliche Sache berieten, und sagte: ›Heute, noch vor Mitternacht, o Mallas, wird das Nirvana des Vollendeten stattfinden. Sorget, daß ihr euch nicht später einen Vorwurf machen müßt: in unserer Stadt ist der Buddha gestorben, und wir benutzten nicht die Gelegenheit, um den Vollendeten in seinen letzten Stunden zu besuchen.‹ So zogen denn die Mallas mit Weibern und Kindern, klagend und jammernd, nach dem Salahain. Wir aber sind zu alt und schwach, wir mußten hier zurückbleiben und können den Erhabenen nicht in seinen letzten Stunden verehren.«

Wir ließen uns nun den Weg von der Stadt nach jenem Salahaine zeigen. Dieser Weg war aber, als wir ihn betraten, schon gänzlich angefüllt mit den Scharen der zurückkehrenden Mallas. Wir eilten also lieber querfeldein, nach einer Ecke des Wäldchens zu.

Hier stand, an einen Baumstamm gelehnt, ein Mönch und weinte. In dem Augenblick, da ich ergriffen stehen blieb, erhob er sein Antlitz zum Himmel – das volle Mondlicht fiel auf die schmerzdurchdrungenen Züge, und ich erkannte Ananda.

»So bin ich doch zu spät gekommen,« sagte ich mir, und ich fühlte, wie meine Kräfte mich verließen.

Ich vernahm aber ein Rascheln im Gebüsch und sah einen riesengroßen Mönch hervortreten und seine Hand auf Anandas Schulter legen:

»Bruder Ananda, der Meister ruft dich.«

So sollte ich doch noch den Buddha in seinen letzten Augenblicken sehen! Sofort kehrten meine Kräfte wieder und befähigten mich, den beiden zu folgen.

Jetzt bemerkte und erkannte Angulimala uns. Seinen besorgten Blick richtig deutend, sagte ich:

»Fürchte nicht, Bruder, daß wir durch lautes Weinen und weibisches Klagen die letzten Augenblicke des Vollendeten stören werden. Wir haben uns von Vesali bis hierher keine Ruhe gegönnt, um den Erhabenen noch zu sehen. Verwehre uns den Zutritt nicht, wir wollen stark sein.«

Da winkte er uns, ihnen zu folgen. Wir hatten nicht weit zu gehen. Auf einer kleinen Waldwiese waren wohl an die zweihundert Brüder versammelt und standen da in einem Halbkreise. In der Mitte erhoben sich zwei Salabäume, die eine einzige Masse von weißen Blüten bildeten, und unter ihnen, auf einem Lager von gelben Mänteln, die zwischen den beiden Stämmen ausgebreitet waren, ruhte der Vollendete, den Kopf auf den rechten Arm gestützt. Und die Blüten regneten leise über ihn herab.

Hinter ihm sah ich im Geiste die jetzt im Nachtdunkel verborgenen, in ewigen Schnee gehüllten Zinnen des Himavat, von denen ich soeben einen flüchtigen, traumhaften Anblick genossen hatte, dem ich es verdankte, daß ich jetzt hier vor dem Vollendeten stand. Der überirdische Glanz aber, der von ihnen herübergegrüßt hatte, strahlte mir jetzt in geistiger Verklärung von seinem Gesichte wider. Auch er, der Erhabene, schien ja, ebenso wie jene wolkenartig schwebenden Gipfel, der Erde gar nicht anzugehören, und doch war er wie sie, von derselben Ebene aus, die uns alle trägt, bis zu jener unermeßlichen Geisteshöhe emporgestiegen, von welcher aus er jetzt im Begriff stand, dem Blick der Menschen und der Götter zu entschwinden.

Und er sprach zu dem vor ihm stehenden Ananda:

»Ich weiß wohl, Ananda, daß du einsam weintest in dem Gedanken: ›Ich bin noch nicht frei von Sünden, ich habe noch nicht das Ziel erreicht, und mein Meister wird jetzt in das Nirvana eingehen – er, der sich meiner erbarmte.‹ Aber nicht also, Ananda – klage nicht, jammere nicht! Habe ich es dir nicht zuvor gesagt, Ananda: – von Allem, was man lieb hat, muß man scheiden? Wie wäre es möglich, Ananda, daß das, was entstanden ist, nicht verginge? Du aber, Ananda, hast lange Zeit den Vollendeten geehrt, in Liebe und Güte, mit Freuden, ohne Falsch. Du hast Gutes getan. Strebe ernstlich, und du wirst bald frei sein von Sinnenbegier, von Ichsucht und von Irrwahn.«

Wie um zu zeigen, daß er sich nicht mehr von Trauer überwältigen ließe, fragte nun Ananda, indem er mit Gewalt seine Stimme beherrschte, was die Jünger mit den sterblichen Resten des Vollendeten tun sollten.

»Laßt euch das nicht kümmern,« antwortete der Buddha. »Es gibt weise und fromme Anhänger unter den Adligen, unter den Brahmanen, unter den bürgerlichen Hausvätern – sie werden den sterblichen Resten des Vollendeten die letzte Ehre erweisen. Ihr aber habt Wichtigeres zu tun. Gedenket des Ewigen, nicht des Sterblichen; eilet vorwärts, schauet nicht zurück.«

Und indem er seinen Blick im Kreise herumgehen ließ und jeden einzelnen ansah, sprach er weiter:

»Es möchte sein, ihr Jünger, daß ihr also denkt: ›das Wort hat seinen Meister verloren, wir haben keinen Meister mehr.‹ Aber so müßt ihr nicht meinen. Die Lehre, ihr Jünger, die ich euch gelehrt habe, die ist euer Meister, wenn ich von dannen gegangen bin. Darum haltet euch an keiner äußeren Stütze. Haltet fest an der Lehre, wie an einer Stütze! Seid eure eigene Leuchte, eure eigene Stütze.«

Auch mich bemerkte er dann – voll Mitleid ruhte der Blick des Allerbarmers auf mir, und ich fühlte, daß mein Pilgergang nicht vergeblich gewesen war.

Nach einer kurzen Weile sprach er dann:

»Es möchte sein, ihr Jünger, daß in jemand von euch irgend ein Zweifel aufstiege hinsichtlich des Meisters oder hinsichtlich der Lehre. Fragt frei, ihr Jünger, auf daß ihr euch nicht später den Vorwurf zu machen habt: ›der Meister war bei uns, von Angesicht zu Angesicht, und wir haben ihn nicht gefragt.‹«

Da er also gesprochen, also uns aufgefordert hatte, schwiegen Alle.

Wie hätte wohl auch da noch ein Zweifel bestehen können angesichts des dahinscheidenden Meisters? Wie er dalag, von milden Mondstrahlen überflutet – als ob himmlische Genien ihm das Sterbebad bereiteten; von den niederregnenden Blüten bestreut – als ob die Erde ihren Verlust beweine; inmitten der tief erschütterten Jüngerschar selber unerschüttert, ruhig, heiter: wer fühlte da nicht, daß dieser vollkommen Heilige auf ewig alles Unvollkommene abgetan, alle Übel überwunden hatte? Was sie da »das sichtbare Nirvana« nennen, das sahen wir ja vor uns in den leuchtenden Zügen des weltverlassenden Buddha.

Und Ananda faltete seine Hände und sagte, inniglich ergriffen:

»Wie wunderbar ist doch dies, o Herr! Wahrlich, ich glaube, in dieser ganzen Versammlung ist auch nicht einer, in dem sich ein Zweifel regt.«

Und der Erhabene antwortete ihm:

»Aus der Fülle deines Glaubens, Ananda, hast du gesprochen. Ich aber weiß, daß in keinem sich ein Zweifel regt. Selbst wer am weitesten zurück war, ist erleuchtet worden und wird schließlich das Ziel erreichen.«

Bei dieser Verheißung war es wohl jedem von uns, als ob eine starke Hand ihm die Pforte der Ewigkeit auftue.

Noch einmal öffneten sich die Lippen, die der Welt die höchste und letzte Wahrheit verkündet hatten:

»Wohlan, ihr Jünger, wahrlich, ich sage euch: vergänglich ist jegliche Gestaltung. Ringet ohne Unterlaß!«

Das waren die letzten Worte des Erhabenen.


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