Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XXVIII. Am Gestade der himmlischen Ganga

Als Kamanita merkte, daß selbst hier, am Orte der Seligkeit, diese Erinnerungen die noch zarte, neuerwachte Seele der Geliebten wie mit dunklen Fittichen überschatteten, faßte er sie bei der Hand und führte sie weiter, indem er ihren gemeinsamen Flug nach jenem lieblichen Hügel richtete, auf dessen Abhang er kürzlich gelegen und dem Spiele der Schwebenden zugeschaut hatte.

Hier lagerten sie sich. Schon waren Haine und Gebüsche, Wiesen und Hügelabhänge voll unzähliger schwebender Gestalten, roter, blauer und weißer. Immer neue Gruppen umringten sie, um die Neuerwachte zu begrüßen. Und die beiden mischten sich in die Reihen der Spielenden.

Schon lange waren sie hin und her durch die Haine, um die Felsen, über Wiesen und Lotusteiche geschwebt, wohin der Reigen sie führte, als ihnen jene Weiße begegnete, die damals Kamanita aufgefordert hatte, mit ihr die Fahrt nach der Ganga zu wagen. Als sie sich im Tanze die Hände reichten, fragte sie mit einem lieblichen Lächeln:

»Bist du nun auch am Gestade der Ganga gewesen? Jetzt hast du ja eine Begleiterin.«

»Noch nicht,« antwortete Kamanita.

»Was ist das?« fragte Vasitthi.

Und Kamanita erzählte es ihr.

»Da wollen wir hin,« sagte Vasitthi. »O, wie oft habe ich unten im trüben Erdental hinaufgeblickt zu dem fernen Abglanz ihres Himmelstromes, und an die seligen Gefilde gedacht, die von ihr umschlungen und bewässert werden, und gefragt, ob wir wohl einst an diesem Ort der Wonne vereinigt sein würden. Unwiderstehlich zieht es mich jetzt dahin, mit dir zusammen an ihrem Gestade zu weilen.«

Sie lösten sich aus der Kette des Reigens und lenkten ihren Flug in einer Richtung, die sie von ihrem eigenen Teiche weit wegführte. Nach einiger Zeit sahen sie keine Weiher mehr, deren Lotusrosen selige Gestalten trugen, immer mehr nahm die Blütenpracht ab, immer seltener begegneten sie schwebenden Gestalten; Herden von Antilopen belebten die Ebene, auf den Seen segelten Schwäne, eine Schleppe von blanken Wellen über das dunkle Wasser nach sich ziehend. Die Hügel, die anfangs immer schroffer und felsiger geworden waren, verschwanden gänzlich.

Sie schwebten über eine flache, wüstenartige Ebene, die mit Tigergras und Dornengebüsch bestanden war. Vor ihnen spannte sich der unabsehbare Bogen eines Palmenwaldes.

Sie erreichten den Wald. Immer tiefer umgab sie der Schatten. Die narbigen Schäfte leuchteten wie Bronze. Hoch oben rauschten die Wipfel mit ehernem Klange.

Vor ihnen fingen glitzernde Punkte und Streifen zu tanzen an. Und plötzlich strömte ihnen ein solcher Lichtglanz entgegen, daß sie die Hände vor die Augen halten mußten. Es war, als ob im Walde eine ungeheure Kolonnade von blanken Silbersäulen stände, die das Licht der aufgehenden Sonne zurückwarf.

Als sie sich getrauten, die Hände wieder von den Augen zu nehmen, schwebten sie gerade zwischen den letzten Palmen des Waldes hinaus.

Vor ihnen lag die himmlische Ganga, bis zum Horizonte ihre silbrige Fläche breitend, während zu ihren Füßen flache Wellenzungen, wie flüssiges Sternenlicht, flammenartig den perlgrauen Sand des flachen Ufers beleckten.

Wenn sonst der Himmel nach unten zu allmählich heller wird, so war es hier umgekehrt: das Ultramarinblau ging in Indigo über, das schließlich mit einem fast gänzlich schwarzen Rand sich auf die silberweiße Kimmung stützte.

Vom Dufte der Paradiesblüten war nichts mehr zu spüren. Wie aber im Malachittale um den Korallenbaum jener erinnerungsschwangere Duft aller Düfte gesammelt stand, so wehte hier den Weltenstrom entlang ein kühler und herber Hauch, dem das Fehlen aller Düfte, das vollkommen Reine als einziger Duft eignete. Und Vasitthi schien ihn begierig wie einen erfrischenden Trank einzuschlürfen, während er Kamanita den Atem raubte.

Auch von jener lieblichen Musik der Genien vernahm man hier nicht den leisesten Ton. Aber aus dem Strome schienen mächtige, donnerartig dröhnende Klänge emporzusteigen.

»Horch!« – flüsterte Vasitthi und erhob ihre Hand.

»Sonderbar!« – sagte Kamanita. »Einst war ich in eine Hütte eingekehrt, die an dem Ausgange einer Bergschlucht lag und an der ein kleiner, lieblicher Bach vorüberfloß, in dessen klarem Wasser ich nach meiner Wanderung meine Füße wusch. Während der Nacht ging ein mächtiger Regen nieder, und als ich in der Hütte wach lag, hörte ich, wie der Bach, der abends nur leise gerauscht hatte, immer ungestümer brauste und tobte. Zugleich aber vernahm ich einen polternden, donnernden Schall, den ich mir durchaus nicht zu erklären wußte. Am nächsten Morgen sah ich nun, daß aus dem klaren Bach ein reißender Gebirgsstrom mit grauen, schäumenden Fluten geworden war, in welchem große Steine rollend und springend dahinstürzten. Und diese waren es, die dies Getöse verursacht hatten. Wie mag es wohl kommen, daß nun hier, beim Anhören jener Klänge, diese Erinnerung aus meiner Pilgerschaft in mir emporsteigt?«

»Es kommt daher,« antwortete Vasitthi, »weil in jenem Gebirgsbache Steine, in dem Strome der himmlischen Ganga aber Welten gerollt und mitgetrieben werden, und die sind es, von denen jene donnerartig dröhnenden Klänge herrühren.«

»Welten!« – rief Kamanita entsetzt.

Vasitthi lächelte und schwebte dabei weiter; aber erschrocken hielt Kamanita sie an ihrem Gewande zurück.

»Hüte dich, Vasitthi! Wer weiß, welche Mächte, welche furchtbaren Kräfte draußen über diesem Weltenstrome schweben, Mächte, in deren Gewalt du geraten könntest, wenn du dieses Ufer verließest. Ich zittere schon bei dem Gedanken, dich plötzlich fortgerissen zu sehen.«

»Dürftest du mir dann nicht folgen?«

»Gewiß würde ich dir folgen. Wer weiß aber, ob ich dich erreichen könnte, ob man uns nicht voneinander reißen würde? Und wenn wir auch zusammen blieben, welcher Jammer wäre es doch, in das Unbegrenzte getragen zu werden, weit weg von diesem trauten Orte der Seligkeit.«

»In das Unbegrenzte!« wiederholte Vasitthi sinnend, und ihr Blick schweifte über die Fläche der himmlischen Ganga hinaus bis dorthin, wo die silberne Flut den schwarzen Himmelsrand erreichte, und schien noch immer weiterdringen zu wollen; – »und kann denn ewige Seligkeit bestehen, wo Begrenzung ist?« sprach sie gleichsam in Gedanken verloren.

»Vasitthi!« rief Kamanita, ernstlich erschreckend – »ich wollte, ich hätte dich nie hierher geführt! Komm, Geliebte, komm!«

Und noch ängstlicher als vom Korallenbaume zog er sie von dannen. Nicht unwillig folgte sie ihm, wobei sie jedoch zwischen den äußersten Palmen das Haupt wandte und einen letzten Blick auf den himmlischen Strom warf ....

Und wiederum thronten sie auf ihren Lotussitzen im kristallklaren Teiche, wiederum schwebten sie zwischen juwelenblühenden Bäumen und mischten sich unter die Reihen der Seligen und genossen die himmlischen Wonnen, glücklich in ihrer ungetrübten Liebe.

Aber als sie im Reigen einmal der Weißen begegneten, sagte diese:

»So seid ihr also wirklich am Gestade der Ganga gewesen?«

»Wie kannst du es wissen, daß wir dort gewesen sind?«

»Ich sehe es; denn Alle, die da waren, tragen gleichsam einen Schatten über den Brauen. Deshalb will ich auch nicht dahin. Und ihr werdet auch nicht zum zweiten Male hingehen, niemand tut das.«


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