Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV. Der kahle Pfaff

So waren die Verhältnisse in meinem Hausstande, als ich mich eines Vormittags in dem geräumigen, auf der Schattenseite gelegenen Zimmer befand, das ich zum Besorgen aller geschäftlichen Angelegenheiten benutzte, und das deswegen dem Hofe zugekehrt war; denn es war mir bequem, von dort aus die wirtschaftlichen Vorgänge im Auge behalten zu können. Vor mir stand ein bewährter Diener, der alle meine Fahrten während einer Reihe von Jahren mitgemacht hatte, und ich gab ihm genaue Anweisungen über die Führung einer Karawane nach einem ziemlich entfernten Orte, sowie über die Art und Weise, wie er dort am besten die Waren würde absetzen können, welche Produkte er von dort aus zurückbringen müsse, welche Geschäftsverbindungen er dort anzuknüpfen habe und was dergleichen mehr war – denn ich wollte ihm die ganze Sache anvertrauen. Allerdings war meine Häuslichkeit weniger anheimelnd als je, und man könnte glauben, daß ich mit Freuden jede Gelegenheit ergriffen hätte, um in der Fremde umherzuschweifen. Aber ich fing jetzt an, etwas bequem und verwöhnt zu werden und scheute eine längere Reise, nicht nur wegen der Strapazen der Fahrt, sondern vor allem wegen der kargen Kost, mit der man, wenigstens unterwegs, vorlieb nehmen mußte. Ja, wenn man auch an Ort und Stelle angekommen, das Verlorene nachholen und sich recht gütlich tun wollte, so erlitt man doch oft Enttäuschungen, und jedenfalls, so gut wie am eigenen Tische aß ich dort nirgends.

So hatte ich denn angefangen, meine Karawanen unter zuverlässigen Führern auszusenden, während ich selber zu Hause sitzen blieb.

Als ich nun mitten in meinen sehr umständlichen und gar wohlüberlegten Anweisungen war, erschallten vom Hofe her die zänkischen Stimmen meiner beiden Frauen, und zwar ungewöhnlich laut und mit einem Redefluß, der nicht aufhören zu wollen schien. Ärgerlich über diese lästige Störung sprang ich schließlich auf, und nachdem ich vergebens durchs Fenster geblickt hatte, trat ich in den Hof hinaus.

Ich sah meine beiden Frauen am Eingangstor stehen. Aber weit davon entfernt, sie in gegenseitigem Zank zu finden – wie ich es erwartet hatte –, traf ich sie zum ersten Male einig, indem sie sich einen gemeinsamen Gegner ausgesucht hatten, über den sich ihr vereinigter Zorn ergoß. Dieser Unglückliche war ein wandernder Asket, der an den Torpfosten gelehnt dastand, und ruhig diesen Strom von Beschimpfungen über sich ergehen ließ. Was der eigentliche Grund ihres Angriffes war, habe ich nie erfahren, vermute aber, daß der bei beiden stark entwickelte mütterliche Instinkt in diesem Entsager einen Verräter gegen die heilige Sache der menschlichen Vermehrung und einen Feind ihres Geschlechts gewittert hatte, und daß sie sich so unwillkürlich über ihn geworfen hatten wie zwei Ichneumons über eine Cobra.

»Pfui über ihn, den kahlen Pfaffen, den schamlosen Bettler! – Sieh nur, wie er dasteht, mit gebeugten Schultern und gesenktem Blick – Frömmigkeit, Beschaulichkeit atmet er aus, der Heuchler, der Gleißner! Nach dem Kochtopf späht er hin, schaut nach und schnüffelt und schnuppert – wie der Esel, vom Karren losgeschnallt, im Hofe zum Kehrichthaufen geht und hinspäht, und nachschaut, und schnüffelt und schnuppert .... Pfui über ihn, den faulen Tagedieb, den schamlosen Bettler, den kahlen Pfaffen!«

Der Gegenstand dieser und ähnlicher Schmähreden, jener wandernde Asket, ein Mann von auffallend hohem Wuchse, stand unterdessen immer noch an den Türpfosten gelehnt, in gelassener Haltung da. Sein Mantel, von der gelben Farbe der Kanikarablume und dem deinigen nicht unähnlich, fiel in malerischen Falten über seine linke Schulter bis zu den Füßen hinab und ließ einen kräftigen Körperbau erraten. Der schlaff herabhängende rechte Arm war unbedeckt, und ich konnte nicht umhin, das gewaltige Geflecht der Muskeln zu bewundern, das eher der wohlerworbene Besitz eines Kriegers als das müßige Erbteil eines Asketen zu sein schien; auch die tönerne Almosenschale mutete mich in seiner nervigen Hand ebenso sonderbar und unangemessen an, wie eine eiserne Keule mir dort an rechter Stelle erschienen wäre. Sein Kopf war geneigt, der Blick zu Boden gesenkt, keine Miene verzog sich um den Mundwinkel, und so stand er regungslos da, als ob ein tüchtiger Künstler das Bild eines wandernden Asketen in Stein gehauen und fein bemalt und bekleidet hätte, und ich nun dieses Bildwerk an meinem Tor hätte aufstellen lassen – etwa als Wahrzeichen meiner Freigebigkeit.

Diese seine Ungestörtheit, die ich für Sanftmut hielt, meine beiden Frauen aber als Verachtung auffaßten, spornte natürlich diese zu immer größeren Anstrengungen an, und so wäre es wohl schließlich zu Tätlichkeiten gekommen, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre, meinen bösen Frauen ihr schändliches Betragen verwiesen und sie ins Haus gejagt hätte.

Dann trat ich zum Asketen hin, verneigte mich ehrerbietig und sprach:

»Wolle, Ehrwürdigster, dir nicht zu Herzen nehmen, was diese Frauen, deren Verstand ja kaum zwei Finger breit ist, an Ungebührlichem, Unziemlichem gesagt haben mögen! Wolle, Ehrwürdigster, nicht deshalb mit deinem Asketenzorn dies mein Haus vernichtend treffen! Ich will ja, Ehrwürdigster, selber deine Almosenschale mit dem Besten füllen, was das Haus vermag – welch ein Glück, daß sie noch leer ist! Ich will sie füllen, daß kein Bissen mehr hineingeht, und kein Nachbar sich heute dadurch, daß er dich ernährt, Verdienst erwerben kann. Du bist auch wahrlich nicht vor die unrechte Schmiede gekommen, Ehrwürdigster, und ich denke, das Essen wird dir munden, denn es ist sogar eine sprichwörtliche Redensart hier in Ujjeni: ›Man ißt bei ihm, wie beim Kaufmann Kamanita‹ – und der bin ich. Wolle also, Ehrwürdiger, nicht über das Vorgefallene zürnen und meinem Hause fluchen.«

Der Asket aber antwortete darauf, mit nicht eben unfreundlicher Miene:

»Wie könnte ich wohl, o Hausvater, über solche Schimpfereien zürnen, da es mir doch zusteht, wegen viel gröberer Behandlung sogar dankbar zu sein. Denn einst, o Hausvater, begab ich mich, zeitig gerüstet, mit Mantel und Schale versehen, in eine Stadt, um Almosenspeisen zu sammeln. In dieser Stadt aber hatte Mara, der Teufel, gerade damals die Brahmanen und Hausväter gegen den Orden der Heiligen aufgehetzt. ›Geht mir mit euren tugendhaften, edelgearteten Asketen! Beschimpft sie, beleidigt sie, verjagt sie, verfolgt sie.‹ Und so geschah es, Hausvater, als ich nun die Straßen daherging, daß bald ein Stein mir an den Kopf flog, bald ein Scherben mich im Gesicht traf, bald ein Stock meinen Arm halb zerquetschte. Als ich nun mit zerschnittenem, von Blut überströmtem Kopfe, mit zerbrochener Schale und zerrissenem Mantel zum Meister zurückkam, sagte dieser: ›Dulde nur, Asket, dulde nur! Um welcher Tat Vergeltung du viele Jahre Höllenqual erlitten hättest, dieser Tat Vergeltung findest du noch bei Lebzeiten.‹

Bei den ersten Lauten seiner Stimme zuckte mir ein jäher Schreck durch den Leib vom Scheitel bis zur Sohle, und mit jedem Wort durchdrang ein eisiges Erstarren tiefer mein ganzes Wesen. Denn das war ja, o Bruder, die Stimme Angulimalas, des Räubers – wie konnte ich daran zweifeln? Und als mein krampfhafter Blick sich an sein Gesicht heftete, erkannte ich auch dieses wieder, obschon ihm früher der Bart fast bis an die Augen gegangen und das Haar ihm tief in die Stirn gewachsen war, während er jetzt kahl und rasiert vor mir stand. Nur zu gut erkannte ich die Augen unter den buschigen, zusammengewachsenen Brauen wieder, obwohl sie mir nicht wie damals Zornesblitze entgegensprühten, sondern mit tiefer Verstellungskunst mich vielmehr freundlich anblickten; und die sehnigen Finger, die die Almosenschale umspannten – gewiß waren es dieselben, die einst wie Teufelskrallen meine Kehle umklammert hatten.

»Wie sollte ich wohl, o Hausvater« – fuhr mein unheimlicher Gast fort, – »wie sollte ich wohl über Schimpfreden in Zorn geraten? Denn der Meister hat ja gesagt: »Wenn auch ihr Jünger, Räuber und Mörder euch mit einer Baumsäge Gelenke und Glieder abtrennten, so würde, wer da in Wut geriete, nicht meine Weisung erfüllen.'«

Als ich aber, o Bruder, diese Worte mit ihrer so teuflisch versteckten und mir so deutlichen Drohung vernahm, zitterten mir die Beine dermaßen, daß ich mich an der Wand festhalten mußte, um nicht umzusinken. Nur mit Mühe vermochte ich mich so weit zusammenzunehmen, daß ich, mehr noch durch Gebärden als mit einigen hergestammelten Worten, dem als Asketen verkleideten Räuber bedeuten konnte, er möchte sich gedulden, bis ich die Speisen beschafft hätte.

Dann eilte ich, so schnell wie meine wackeligen Beine mich tragen wollten, quer über den Hof in die große Küche, wo gerade das Mittagsmahl für meine Familie und die ganze Haushaltung zubereitet wurde, und es in allen Pfannen und Töpfen briet und brodelte. Hier wählte ich nun ebenso schnell wie sorgfältig das Beste und Schmackhafteste aus. Mit einer goldenen Kelle bewaffnet und von einer ganzen Schar schüsseltragender Diener gefolgt, stürzte ich wieder in den Hof, um meinen furchtbaren Gast zu bedienen und womöglich zu versöhnen.

Angulimala aber war verschwunden.


 << zurück weiter >>