Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XXXVIll. Im Reiche des hunderttausendfachen Brahma

Und Kamanita und Vasitthi traten wieder ins Dasein, im Reiche des hunderttausendfachen Brahma, als die Götter eines Doppelgestirns. Der leuchtende Astralstoff, an den die geistige Wesenheit Kamanitas gebunden war, umhüllte gleichmäßig den Himmelskörper, der von seiner Kraft belebt, von seinem Willen gelenkt wurde. Durch diesen Willen wurde der Stern zunächst um seine Achse gedreht, und diese Bewegung war sein Eigenleben, war seine Selbstliebe.

Und er spiegelte sich im Glanze Vasitthis und spiegelte ihren Glanz wider. Strahlenwechselnd umkreisten sie einen Mittelpunkt, wo sich ihre Strahlen sammelten. Dieser Punkt war ihre Liebe, das Kreisen darum war ihr Liebesleben, und daß sie sich dabei ineinander spiegelten – das war ihre Liebeswonne.

Allseitig Auge, schaute jeder von ihnen gleichzeitig nach allen Richtungen des unendlichen Raumes. Und überall sahen sie zahllose Sternengötter, wie sie selber, deren Strahlenblicke sie empfingen und erwiderten. Da war zunächst eine Anzahl, die mit ihnen zusammen eine Gruppe für sich bildeten; daneben andere Gruppen, die mit der ihrigen zusammen ein ganzes Weltsystem ausmachten; ferner andere Systeme, die sich zu einer Kette von Systemen verbanden, und weiter noch mehrere Ketten, und Ringe von Ketten, und Sphären von Kettenringen. Und Kamanita und Vasitthi lenkten nun ihr Doppelgestirn in harmonischem Fluge unter den anderen Sternen und Doppelgestirnen ihrer Gruppe, indem sie, wie in einem wohlgeordneten Tanzreigen, ihren Nachbarn weder zu nahe kamen, noch sich zu weit von ihnen entfernten, während alle gegenseitig, durch eine gewisse Sympathie, einander die genaue Richtung und das rechte Maß der Bewegung mitteilten. Dabei bildete sich aber auch gleichsam ein gemeinsamer Wille, der ihre ganze Gruppe in die Bewegung der Gruppen ihres Systems einlenkte, welches dann wiederum auf dieselbe Weise unter seinesgleichen sich weiterbewegte. Und diese Teilnahme am ungeheuren, schwebenden Tanze der Weltkörper, diese gemeinsame und endlos vielfältige Wechselbewegung – das war ihre Weltangehörigkeit, ihr Außenleben, ihre Alles umfassende und durchdringende Nächstenliebe.

Was aber hier Harmonie der Bewegung ist, das erscheint den unterhalb der Sternengötter weilenden Luftgöttern als Harmonie der Klänge; durch Teilnahme an ihrem Genüsse ahmen die himmlischen Genien in den Paradiesen diese Harmonien in ihren wonnigen Weisen nach, und indem ein schwacher Abklang von diesen bisweilen bis an die Erde dringt – so schwach, daß er nur von den geistigen Ohren der Erwachten aufgefangen wird – reden die Seher rätselhaft von der Harmonie der Sphären, und die großen Künstler der Musik schaffen nach, was sie in ihrer Begeisterung sich erlauscht haben; und dies ist das höchste Entzücken der Menschenkinder. Aber wie das Sein zu dem immer trüber werdenden Schein sich verhält – also verhält sich zu diesem Entzücken der Menschen über Klänge und Töne und Weisen die Daseinswonne der Sternengötter.

Denn eben dies ist ihre Lebenslust, ihre Daseinswonne.

Aber alle diese Bewegungen, diese ungeheuren Reigen der Weltsysteme, umkreisten ein einziges Wesen: den in der Mitte des Weltganzen thronenden hunderttausendfachen Brahma, dessen unermeßlicher Glanz alle Sternengötter durchdrang, und dem sie alle den Glanz wieder zurückstrahlten, wie so viele Spiegel seiner Herrlichkeit; dessen unerschöpfliche Kraft, wie eine nie versiegende Quelle, ihnen allen ihre Bewegung mitteilte, und in dem sich ihre Bewegungen alle konzentrierten.

Und dies war ihr Brahmadurchdrungensein, ihre Gemeinschaft mit dem höchsten Gott, ihr Gebenedeitsein, ihre Anbetung, ihre Seligkeit.

Wenn sie aber in Brahma den Alles sammelnden Mittelpunkt hatten, so war diese Brahmawelt auch, obschon unendlich, dennoch gleichsam begrenzt. Wie das Auge des Menschen schon in uralten Zeiten ahnend am Himmelsgewölbe einen »Tierkreis« entdeckt hat, so sahen die Sternengötter hier unzählige Tierkreise in- und umeinander beschrieben – eine ganze Sphärenfläche von Bildern webend, indem die fernsten Sternengruppen zu leuchtenden Figuren zusammenschmolzen. Ineinanderstrahlend, auseinanderleuchtend, erschienen da Gestalten, Astralformen aller Wesen, die auf den Weltkörpern oder zwischen ihnen leben und weben, bleibende Urbilder alles dessen, was, in die groben Elemente sich hüllend, unaufhörlich entsteht und vergeht im wandelbaren Flusse des Werdens.

Und dies Schauen der Urbilder war ihr Weltwissen.

Dieweil sie aber alläugig, ohne von diesem fort auf jenes hinzusehen, ohne zu blinzeln, mit einem Blicke die Einheit Gottes und die Vielheit der Weltwesen erschauten: fiel für sie Gottesweisheit und Weltwissen in Eins zusammen. Wenn nämlich ein Mensch auf die göttliche Einheit den Blick richtet, dann entschwindet ihm die Gestaltenvielheit der Wandelwelt; und wiederum, wenn er diese betrachtet, kann er die Einheit nicht mehr festhalten. Somit bleibt sein Wissen ein zerstückeltes, immer schwankendes, ein von Zweifel fortwährend bedrohtes Wissen. Sie aber sahen auf einmal Zentrum und Kreis, und deshalb war ihr Wissen ein einheitliches, nimmer schwankendes, von keinem Zweifel bedrohtes Wissen.

Durch diese ganze leuchtende Brahmawelt floß nun die Zeit still und unbemerkbar. Wie man einem ruhig und gerade dahinfließenden, völlig klaren Strome, dessen Flut von keinem Widerstand irgendwie gehemmt oder gebrochen wird, die Bewegung nicht ansieht: ebenso war die Flut der Zeit hier unmerkbar, weil sie von keinen aufsteigenden und absteigenden Gedanken und Gefühlen Widerstand erfuhr.

Diese Unmerkbarkeit des Zeitverlaufs war ihre Ewigkeit.

Und diese Ewigkeit war ein Wahn.

So war denn auch Alles, was sie in sich befaßte: ihr Wissen, ihre Gottseligkeit, ihre Daseinswonne, ihr Weltleben, ihr Liebesleben und ihr Eigenleben in Wahn getaucht, mit der Farbe des Wahns behaftet.


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