Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XLII. Die kranke Nonne

Um diese Zeit kam wöchentlich einmal einer der Brüder zu uns herüber und legte uns die Lehre dar. Als nun Angulimala an der Reihe war, ging ich nicht in die Versammlungshalle, sondern blieb in meiner Zelle auf der Ruhebank liegen und bat eine Nachbarschwester, Angulimala zu sagen: »Die Schwester Vasitthi, Ehrwürdiger, liegt in ihrer Zelle krank darnieder und kann in der Versammlung nicht erscheinen. Wolle, Ehrwürdiger, nach dem Vortrag dich nach der Zelle Schwester Vasitthis begeben, um auch ihr, der Kranken, die Lehre darzulegen.«

Und der ehrwürdige Angulimala kam nach dem Vortrag in meine Zelle, grüßte mich ehrerbietig und setzte sich neben mein Lager.

»Du siehst hier, Bruder,« sagte ich dann, »was niemand sehen sollte: eine liebeskranke Nonne, und an dieser meiner Krankheit bist du selber schuld, denn du hast mich des Gegenstandes meiner Liebe beraubt. Zwar hast du mich dann zu diesem großen Arzte gebracht, der von der ganzen Lebenskrankheit heilt; aber seine starke Heilkunst kann jetzt nicht weiter auf mich einwirken. In seiner großen Weisheit hat er dies wohl erkannt und hat mir ein Mittel gegeben, um den schleichenden Krankheitsstoff zur Ausscheidung durch eine Fieberkrisis zu bringen. So siehst du denn nun das Sehnsuchtsfieber in mir wüten. Und nun will ich dich an ein Versprechen mahnen, das du mir einst gegeben hast, in jener Nacht nämlich, wo du mich zu dem Verbrechen verleiten wolltest, dessen Ausführung nur durch das Dazwischentreten des Erhabenen vereitelt wurde. Damals sagtest du, du würdest nach Ujjeni gehen und mir sichere Kunde von Kamanita bringen, ob er noch am Leben sei, und wie es ihm ergehe. Was mir nun der Räuber einst versprach, das fordere ich jetzt vom Mönche. Denn mein Verlangen zu wissen, ob Kamanita lebt und wie er lebt, ist ein so gebieterisches, daß, bevor es nicht gestillt worden ist, für keinen anderen Gedanken, für kein anderes Gefühl in meiner Seele Raum ist, und es mir somit unmöglich ist, auch nur den kleinsten Schritt weiter auf diesem unserem Heilswege zu tun. Deshalb mußt du dies für mich tun und mein Gemüt durch irgend eine Gewißheit beruhigen.«

Nachdem ich also gesprochen hatte, erhob sich Angulimala und sagte:

»Wie du es eben, Schwester Vasitthi, von mir verlangst,« verbeugte sich tief und schritt zur Tür hinaus.

Er ging aber geradeswegs nach seiner Zelle, um seine Almosenschale zu holen und verließ noch in derselben Stunde den Sinsapawald. Man glaubte allgemein, er sei dem Erhabenen nachgepilgert. Nur ich kannte das Ziel seiner Wanderung.

Nach diesem Schritt fühlte ich mich in der Tat etwas beruhigt, obwohl ich bald zu zweifeln anfing, ob ich ihm nicht einen Gruß oder eine Botschaft an den Geliebten hätte mitgeben sollen. Aber es kam mir unpassend und unheilig vor, einen Mönch auf solche Weise als Liebesvermittler zu gebrauchen, während er doch ganz gut nach einer entfernten Stadt gehen und berichten konnte, was er dort gesehen. Auch würde es etwas ganz anderes sein – meinte ich mit geheimer Hoffnung – wenn er, ohne einen Auftrag zu haben und nur seinem eigenen Urteil folgend, sich entschließen sollte, mit dem Geliebten von mir zu sprechen.

»Ich selber werde nach Ujjeni gehen und ihn heil und sicher herbringen« – diese Worte hallten immer in meinem Innersten wider. Würde der Mönch vielleicht das Versprechen des Räubers einlösen? Warum denn nicht, wenn er selber einsah, daß es für uns beide notwendig war, einander zu sehen und zu sprechen?

Und damit kam ein neuer Gedanke, der, von einem ungeahnten Hoffnungsschimmer umstrahlt, mich zunächst blendete und verwirrte. Wenn mein Geliebter zurückkäme – was hinderte mich dann, aus dem Orden auszutreten und seine Frau zu werden?

Als diese Frage auftauchte, bedeckte eine brennende Röte mein Gesicht, das ich unwillkürlich in meinen Händen verbarg aus Furcht, jemand könne mich gerade beobachten. Welcher häßlichen Mißdeutung würde nicht eine solche Handlung ausgesetzt sein! Sähe das nicht aus, als ob ich den Orden des Buddha lediglich als eine Brücke betrachtet hätte, um aus einer unlieben Heirat in eine liebe hinüberzuwandeln? Gewiß würde das von Vielen so ausgelegt werden. Aber was könnte mir schließlich am Urteil Anderer liegen? Und wieviel besser wäre es nicht, eine fromme Laienschwester zu sein, die treu zum Orden hielt, als eine Ordensschwester, deren Herz außerhalb des Ordens weilte.

Ja, wenn auch Angulimala mir nur die Mitteilung brächte, daß mein Kamanita noch lebe, und ich der Schilderung ihrer Begegnung entnähme, daß der Geliebte mir noch immer in treuer Sehnsucht ergeben sei: dann würde ich ja auch selber nach Ujjeni pilgern können. Und ich malte mir aus, wie ich eines Morgens als wandernde Asketin am Eingange deines Hauses stehen würde, wie du mir dann eigenhändig die Almosenschale füllen und mich dabei erkennen würdest – und dann die ganze unbeschreibliche Freude, uns wiedergefunden zu haben.

Freilich war es eine weite Wanderung nach Ujjeni, und es geziemte einer Nonne nicht, allein zu pilgern. Aber ich brauchte nicht lange nach einer Begleiterin zu suchen. Gerade in dieser Zeit fand Somadatta ein trauriges Ende. Seine Leidenschaft für die unseligen Würfel hatte immer mehr die Oberhand gewonnen, und nachdem er seine ganze Habe verspielt hatte, ertränkte er sich in der Ganga. Die tief erschütterte Medini trat nunmehr in den Orden ein. Es mochte wohl weniger das religiöse Leben selbst in seiner herben Strenge und mit seinem hohen Ziele sein, was sie unwiderstehlich in diesen heiligen Hain zog, als vielmehr das Bedürfnis, immer in meiner Nähe zu weilen; denn ihr kindliches Herz hing mit rührender Treue an mir. Und so zweifelte ich denn auch nicht daran, daß sie, wenn ich ihr mein Vorhaben offenbarte, mit mir nach Ujjeni, ja, wenn es sein sollte, bis an das Ende der Welt gehen würde. Auch jetzt schon gereichte mir ihre Gesellschaft vielfach zur Aufmunterung, wie ich denn andererseits auch ihre aufrichtige Trauer über den Verlust ihres Gemahls durch tröstende Worte milderte.

Als nun die Zeit kam, wo Angulimalas Rückkehr zu erwarten war, ging ich nachmittags immer nach dem südwestlichen Rande des Waldes und setzte mich unter einen schönen Baum auf einer mäßigen Anhöhe, von welcher aus ich dem Wege, den er kommen mußte, weit mit dem Blicke folgen konnte. Ich dachte mir, er würde wohl gegen Abend sein Ziel erreichen.

Eine Woche hielt ich dort vergebens Wache, war aber auch darauf gefaßt, einen ganzen Monat lang warten zu müssen. Am achten Tage aber, als die Sonne schon so tief stand, daß ich mir mit der Hand die Augen beschatten mußte, wurde ich in der Ferne eine Gestalt gewahr, die sich dem Walde näherte. Bald erglänzte ihr gelber Mantel, und als sie an einem heimkehrenden Waldarbeiter vorüberschritt, erkannte man, daß sie von ganz ungewöhnlich hohem Wüchse war. Es war in der Tat Angulimala – allein. Meinen Kamanita hatte er nicht »heil und sicher mitgebracht« – was tat's ? Wenn er mir nur versichern konnte, daß der Geliebte am Leben sei, dann würde ich ja selber den Weg zu ihm finden.

Heftig pochte mein Herz, als Angulimala vor mir stand und mich mit höflichem Anstand begrüßte.

»Kamanita lebt in seiner Vaterstadt in großem Wohlstand,« sagte er, »ich habe ihn selber gesehen und gesprochen.«

Und er erzählte mir nun, wie er eines Morgens an dein palastähnliches Haus gekommen sei, wie deine beiden Frauen ihn gröblich beschimpft hätten, wie du dann selber hinzugetreten seiest, die bösen Frauen ins Haus gejagt und ihn freundlich und entschuldigend angeredet hättest.

Als er nun Alles – so wie es dir ja bekannt ist – genau berichtet hatte, verbeugte er sich vor mir, schlug den Mantel wieder um die Schulter und wandte sich um, als ob er in derselben Richtung weiter wandern wollte, statt in den Wald hineinzugehen.

Verwundert fragte ich ihn, ob er nicht nach der Halle der Mönche gehe.

»Ich habe nun,« antwortete er, »deinen Auftrag getreulich ausgerichtet, und nichts gibt es jetzt mehr, was mich hindern könnte, meinen Weg ostwärts zu nehmen, in den Spuren des Erhabenen, nach Benares und Rajagaha, wo ich ihn nun antreffen werde.«

Also sprechend, ging dieser mächtige Mann mit weit ausholenden Schritten fürbaß, den Waldrand entlang, ohne sich die geringste Rast zu gönnen.

Ich starrte ihm lange nach und sah, wie die untergehende Sonne seinen Schatten weit vor ihm bis zum Hügelrande am Horizonte, ja gleichsam noch darüber hinaus streckte, als ob seine Sehnsucht ihm ungestüm vorauseile, während ich wie eine Gelähmte zurückblieb ohne ein Sehnsuchtsziel für irgend eine liebe Hoffnung.

Mein Herz war gestorben, mein Traum zerronnen. Das herbe Asketenwort: »ein Schmutzwinkel ist die Häuslichkeit«, hallte durch mein ödes Gemüt wider. Auf jener herrlichen Terrasse der Sorgenlosen, unter freiem, sternenblinkendem und monddurchstrahltem Himmel war ja meine Liebe daheim. Wie hätte ich Törin je daran denken können, sie nach jener schmutzwinkligen Häuslichkeit in Ujjeni betteln zu schicken, damit zankende Frauen sie mit Schimpfreden begeiferten?

Mit Mühe schleppte ich mich nach meiner Zelle zurück, um mich auf das Krankenlager zu strecken. Diese plötzliche Vernichtung meiner fieberhaft erregten Hoffnungen war zuviel für meine schon durch monatelange Seelenkämpfe erschütterte Widerstandskraft. Mit einer Selbstaufopferung ohnegleichen pflegte Medini mich Tag und Nacht. Sobald aber, durch ihre Sorgfalt gestützt, mein Geist sich über die Schmerzen und den Fieberbrand erheben konnte, reifte mein Wanderplan in einer neuen Richtung aus. Nicht dorthin, wo ich Angulimala hingeschickt hatte, sondern dorthin, wo er jetzt von selber hinwanderte, wollte ich nun pilgern: den Spuren des Erhabenen wollte ich folgen, bis ich ihn träfe. War ich denn nicht mit meinem Spruche zu Ende? Wie mit der Liebe Leid entsteht, hatte ich ja im tiefsten Grunde erfahren. Und so durfte ich denn auch, meinte ich, den Buddha aufsuchen und von der Kraft des Heiligen mich neu beleben lassen, um nach dem höchsten Ziele weiter vorwärtsstreben zu können.

Ich vertraute denn auch dies mein Vorhaben der guten Medini an, die sofort mit wahrem Feuereifer den unerwarteten Gedanken aufnahm und sich in ihrem kindlichen Gemüt ausmalte, wie herrlich es sein würde, mit mir zusammen durch liebliche Gegenden zu streifen, frei wie die Vögel durch die Luft, wenn die Wanderzeit sie nach fernen Himmelsstrichen ruft.

Freilich mußten wir erst geduldig warten, bis ich wieder hinlänglich zu Kräften gekommen war. Und als dies einigermaßen der Fall war, legte uns die schon eingetretene Regenzeit eine noch längere Geduldsprobe auf.

In seiner letzten Rede hatte der Erhabene uns zugerufen: »Gleich wie etwa, wenn im letzten Monat der Regenzeit, im Herbste, nach Zerstreuung und Vertreibung der wasserschwangeren Wolken, die Sonne am Himmel aufgeht und alle Nebel der Lüfte strahlend verscheucht und flammt und leuchtet: ebenso nun auch, ihr Jünger, erscheint da diese Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt, und verscheucht strahlend die Redereien gewöhnlicher Büßer und Geistlicher und flammt und leuchtet.«

Als nun die Natur ringsum uns dies Bild verwirklichte, verließen wir den Krishnahain vor Kosambi, und unsere Schritte ostwärts lenkend, eilten wir jener Sonne einer heiligen Lebensführung entgegen.


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