Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XVI. Kampfbereit

Halb ohnmächtig sank ich auf eine Bank nieder. Doch fingen meine Gedanken sofort wieder zu arbeiten an. Angulimala war dagewesen, dessen war kein Zweifel; und auch der Grund seines Kommens war mir nur zu klar. Wie viele Geschichten hatte ich nicht über seine Unversöhnlichkeit und Rachsucht gehört! Nun hatte ich ja aber das Unglück gehabt, seinen besten Freund zu erschlagen, und von meinem Aufenthalt unter den Räubern wußte ich wohl, daß die Freundschaft bei ihnen nicht weniger gilt als bei einer ehrsamen Bürgerschaft, wenn nicht sogar weit mehr. Als ich aber sein Gefangener war, konnte Angulimala mich nicht töten, ohne sich gegen die Regeln der »Absender« zu versündigen; und trotzdem hätte er es zweimal beinahe getan und damit einen unauslöschlichen Fleck auf seine Räuberehre gesetzt. Nun aber hatte er endlich dieses, von dem sonstigen Gebiete seiner Tätigkeit weit abseits gelegene Land aufsuchen können und wollte jetzt das Versäumte nachholen. In der Verkleidung eines Asketen hatte er die Örtlichkeiten bequem in Augenschein nehmen können und ohne Zweifel wollte er noch in derselben Nacht handeln. Wenn er auch bemerkt haben mochte, daß ich ihn wieder erkannte, durfte er doch nicht zögern, denn diese Nacht war die letzte der dunklen Hälfte des Monats, und ein Unternehmen wie dieses in der lichten Hälfte auszuführen, wäre ein Verstoß gegen die heiligen Räubergesetze gewesen, der ihm den strafenden Zorn der schrecklichen Göttin Kali hätte zuziehen müssen.

Sofort ließ ich mein bestes Pferd satteln und ritt in die Stadt nach dem Palast des Königs. Leicht hätte ich bei ihm Zutritt erhalten, aber zu meiner Enttäuschung erfuhr ich, daß er sich gerade in einem seiner fernen Jagdschlösser aufhielt. Ich mußte mich also damit begnügen, den Minister aufzusuchen. Dieser war gerade derselbe Mann, der einst jene Gesandtschaft nach Kosambi geführt hatte und in dessen Obhut, wie du dich erinnern wirst, ich wohl hin- aber nicht zurückgereist war. Seit jenem Tage nun, an dem ich mich geweigert hatte, ihm zu folgen, war er mir nicht sehr gewogen, was ich bei verschiedenen Begegnungen gespürt hatte, wie ich denn auch wußte, daß er sich des öfteren über meinen Lebenswandel aufgehalten hatte. Bei ihm meine Sache vorbringen zu müssen, war mir nicht gerade angenehm; indessen ihre Berechtigung, ja sogar Verdienstlichkeit war so augenscheinlich, daß hier, wie mir schien, für persönliche Ab- oder Zuneigung wenig Spielraum war.

Ich erzählte ihm also so kurz und klar wie möglich, was sich in meinem Hofe zugetragen hatte, und fügte die fast selbstverständliche Bitte hinzu, eine Truppenabteilung möge für die Nacht in meinem Haus und Garten aufgestellt werden, um mein Besitztum gegen den sicher zu erwartenden Angriff der Räuber zu verteidigen und so viele wie möglich von diesen gefangenzunehmen.

Der Minister hörte mich schweigend und mit einem unergründlichen Lächeln an. Dann sagte er: »Mein guter Kamanita! Ich weiß nicht, ob du heute schon einen recht kräftigen Frühtrunk zu dir genommen hast, oder noch unter dem Einfluß einer deiner in Ujjeni sprichwörtlich berühmten nächtlichen Gelage stehst, oder ob du dir gar überhaupt durch deine ebenfalls sprichwörtlich berühmten scharf gewürzten Leckereien dermaßen den Magen verdorben hast, daß du nicht nur bei Nacht, sondern auch am hellen Tag böse Träume hast. Denn nur als einen solchen kann ich diese hübsche Geschichte betrachten, zumal wir wissen, daß Angulimala längst nicht mehr unter den Lebenden weilt.«

»Das war aber ein falsches Gerücht, wie wir jetzt sehen,« rief ich ungeduldig.

»Ich sehe das keineswegs,« versetzte er in scharfem Ton. »Von falschem Gerücht kann hier keine Rede sein, denn kurze Zeit nach der Begebenheit hat Satagira selber mir in Kosambi erzählt, daß Angulimala in den unterirdischen Gewölben des Ministerpalastes unter den Folterwerkzeugen gestorben sei, und ich habe noch seinen Kopf über dem östlichen Stadttor aufgespießt gesehen.«

»Ich weiß nicht, wessen Kopf du dort gesehen hast,« sagte ich – »das aber weiß ich genau, daß ich noch vor einer Stunde den Kopf Angulimalas wohlbehalten auf seinen Schultern gesehen habe, und daß ich so wenig deinen Spott verdiene, daß du mir vielmehr danken solltest, weil du durch mich Gelegenheit bekommst – –«

»Einen toten Mann totzuschlagen und aus mir selbst einen Narren zu machen,« unterbrach mich der Minister – »ich danke!«

»Dann bitte ich wenigstens zu bedenken, daß es sich hier nicht um den ersten besten Besitz handelt, sondern um ein Haus und um Gartenanlagen, die zu den Wundern Ujjenis gerechnet werden, und die unser gnädiger König selber mit großer Bewunderung besichtigt hat. Er wird dir's nicht danken, wenn Angulimala diese Herrlichkeiten seiner Hauptstadt einäschert.«

»O, das kümmert mich wenig,« antwortete dieser Unmensch lachend. »Folge meinem Rat, gehe nach Hause, beruhige dich durch ein Schläfchen und laß die Sache dich nicht weiter kümmern. Das Ganze kommt übrigens daher, daß du dich damals in Kosambi in ein galantes Abenteuer gestürzt hast und töricht genug warst, meine Worte in den Wind zu schlagen und nicht mit mir abzureisen. Hättest du das getan, dann wärest du nie in Angulimalas Hände gefallen und würdest jetzt nicht von einer grundlosen und leeren Angst geplagt. Auch ist dein monatelanges Zusammenleben mit dem Räubergesindel für deine Sitten nicht günstig gewesen, wie wir ja alle hier in Ujjeni gesehen haben.«

Er erging sich noch in einigen moralisierenden Gemeinplätzen und entließ mich dann.

Schon unterwegs überlegte ich mir, was nun, da ich auf mich selber angewiesen war, zu tun sei. In meinem Hause angekommen, ließ ich sofort alle beweglichen Schätze, die sich da fanden, vornehmlich solche Dinge wie kostbare Teppiche, eingelegte Tische und ähnliches in den Hof bringen und dort auf Karren verladen, um diesen Teil meiner Güter in der inneren Stadt in Sicherheit zu bringen. Gleichzeitig ließ ich an alle meine Leute Waffen verteilen – sowohl Karren wie Waffen waren ja reichlich wegen der beabsichtigten Karawanenfahrt vorhanden. Aber dabei ließ ich es nicht bewenden. Das Allererste, was ich zu tun hatte, war, einige vertraute Diener in die Stadt zu schicken, um dort gegen Versprechen eines ansehnlichen Lohnes mutige und waffentüchtige Kerle für die Nacht zu werben. Für jeden anderen wäre dies nun freilich ein gar gefährliches Wagestück gewesen; denn wie leicht konnten solche Leute im entscheidenden Augenblick mit den Angreifern gemeinsame Sache machen! Ich vertraute aber gewissen Freundinnen, die meinen Dienern nur zuverlässige Spitzbuben empfahlen – nämlich solche, die zwar sonst zu Allem fähig sind, denen aber doch ihr feierlich gegebenes Wort und das genommene Handgeld heilig sind. Da ich dies Gesindel und seine sonderbaren Gewohnheiten kannte, wußte ich wohl, was ich tat.

Während dieser Vorbereitungen schickte ich, da ich selber nicht Zeit hatte, zu meinen Frauen zu gehen, einen Diener zu einer jeden von ihnen und ließ ihnen sagen, sie müßten sich bereit halten – die erste mit ihren beiden Töchterchen, die zweite mit ihrem Söhnlein – noch heute nach der Stadt ins Vaterhaus zu ziehen. Daß es nur für die eine Nacht sein sollte, ließ ich sie nicht wissen, weil ich wohlweislich bedacht hatte, wenn sie erst einmal dort wären, könnten sie auch eine Woche oder länger dort bleiben, und ich würde unterdessen zu Hause einen ungeahnten Frieden genießen – vorausgesetzt natürlich, daß es mir gelänge, den Angriff abzuschlagen. Ebensowenig ließ ich sie den Grund zu dieser Maßregel erfahren, weil man ja überhaupt Weibern gegenüber sich nicht auf Gründe berufen soll.

Ich war nun gerade im Begriff, meiner bewaffneten Dienerschaft eine anfeuernde Rede zu halten, wie ich das bei gefahrdrohenden Gelegenheiten während einer Karawanenreise immer und mit großem Erfolg getan hatte. Da stürzten gleichzeitig, wie auf Verabredung, aus zwei verschiedenen Türen meine beiden Frauen in den Hof, mit verstörten Mienen und lautem Schreien, so daß Alle sich nach ihnen umsahen, und ich meine kaum angefangene Rede unterbrechen mußte. Die erste schleppte die beiden Töchterlein, die zweite mein Söhnchen mit sich.

Vor mir angelangt, zeigte die eine auf die andere und beide schrien:

»So ist es denn endlich diesem schlechten Weib gelungen, dein Herz gegen mich zu wenden, daß du mich verstoßen willst, und mir, deiner getreuen Ehefrau, die Schande antust, mich ins Vaterhaus zurückzuschicken mit deinen unschuldigen Töchterlein – (mit deinem armen Söhnlein) –.«

Die überschäumende Wut, unterstützt von ihrem angeborenen kurzen Verstande, verursachte, daß keine von ihnen merkte, wie die andere sie genau derselben Sache beschuldigte, die sie selbst dieser zur Last legte, und sich genau über das gleiche Schicksal beklagte, das sie selbst als das ihrige beweinte, und daß also jedenfalls ein Irrtum vorliegen mußte. Aber weit entfernt davon, so etwas zu ahnen, schrien und heulten sie immer weiter, wobei sie sich die Haare rauften und ihre Brüste mit den Fäusten schlugen, bis sie dann, wie zur Erholung, sich gegen die vermeintliche siegreiche Gegnerin in Schimpfreden ergingen, die an Grobheit Alles, was ich je in der Gesellschaft übelberufener Weiber gehört hatte, weit übertrafen.

Endlich gelang es mir doch, zu Wort zu kommen und ihnen, wenn auch mit großer Mühe, klar zu machen, daß sie meine Diener gänzlich mißverstanden hätten, daß keine von ihnen zu ihren eigenen Eltern zurückgeschickt werden sollte, sondern daß sie beide in das Haus meiner Eltern gebracht würden, und zwar nicht zur Strafe oder als Zeichen meiner Ungnade, sondern lediglich um ihrer und der Kinder Sicherheit willen. Als ich nun aber sah, daß sie dies vollkommen begriffen hatten, ließ ich mich hinreißen und rief:

»Das habt ihr von eurer Unart, nun lernet endlich euch anständig zu betragen! Da habt ihr euren »kahlen Pfaffen«! Wer, glaubt ihr wohl, daß das war? Angulimala war es, der Räuber, der Schreckliche, der die Menschen tötet und sich ihre Daumen um den Hals hängt! Den habt ihr beschimpft, den habt ihr gereizt! Ein Wunder, daß er euch nicht mit der Almosenschale totgeschlagen hat. Wir anderen, wenn jemand von uns in seine Hände fällt, wir werden es ausbaden müssen, und wer weiß, ob ihr noch im Hause meines Vaters vor ihm sicher seid.«

Als meinen Frauen der Sinn dieser Rede völlig aufging, fingen sie alsbald an zu schreien, als ob sie schon die Messerschneide an der Kehle spürten, und wollten mit den Kindern zum Tor hinausstürzen. Ich ließ sie jedoch zurückhalten und setzte ihnen umständlich auseinander, daß vorläufig noch gar keine Gefahr zu befürchten sei, da Angulimala, wie ich wohl wußte, uns auf keinen Fall vor Mitternacht angreifen würde. Dann hieß ich sie in die Wohnung zurückkehren und Alles zusammenpacken, was sie und die Kinder während der Zeit, die sie, der Räubergefahr wegen, in der Stadt bleiben mußten, nötig haben könnten. Das taten sie denn auch sofort.

Dabei hatte ich nun allerdings die Wirkung nicht bedacht, die meine Worte auf meine Leute haben könnten. Und diese erwies sich bald als wenig günstig. Denn als sie erfuhren, daß es der schreckliche, für tot gehaltene Angulimala war, der mein Haus ausgekundschaftet hatte und es sicher in der Nacht angreifen wollte, schlich erst der eine und andere still davon, dann aber warfen sie zu Dutzenden die Waffen von sich und erklärten, mit einem solchen Teufel nicht anbinden zu wollen: das könne man keineswegs von ihnen verlangen. Auch die in der Stadt Angeworbenen, von denen gerade jetzt die ersten ankamen und hörten, wie die Dinge standen, meinten, so hätten sie nicht gewettet und zogen wieder ab. Nur etwa zwanzig meiner eigenen Leute, an ihrer Spitze mein braver Hausmeier, erklärten, sie wollten mich nicht verlassen, sondern bis zum letzten Blutstropfen das Haus verteidigen, denn sie sahen wohl, daß ich entschlossen war, diesen herrlichen Besitz, an dem mein Herz hing, nicht preiszugeben, sondern, wenn es sein müßte, mit ihm unterzugehen.

Mehrere entschlossene Kerle aus der Stadt, die die Aussicht auf einen tüchtigen Kampf fast noch mehr als das Geld lockte und die sich nicht einmal vor dem Namen Angulimala fürchteten, ja sich wohl gar einredeten, daß sie, nachdem sie sich brav geschlagen und gefangengenommen worden, der Bande einverleibt werden würden – mehrere solche verzweifelte Gesellen schlossen sich an, und so gebot ich doch zuletzt über gegen vierzig wohlbewaffnete und tapfere Männer.

Unterdessen war es fast Abend geworden, und der Wagen für meine Frauen fuhr vor. Diese kamen mit den Kindern einigermaßen beruhigt heraus; aber ein neues Geheul erhob sich sofort, als sie merkten, daß ich nicht mitfahren wollte, ja überhaupt nicht beabsichtigte, das Haus zu verlassen. Sie warfen sich auf die Knie, ergriffen mein Gewand und beschworen mich unter strömenden Tränen, mich mit ihnen zu retten: »Unser Gebieter, unser Beschützer, verlaß uns nicht, stürze dich nicht in den Rachen des Todes!« Ich erklärte ihnen, daß, wenn ich meinen Posten verließe, dies Haus sicher ein Raub der Flammen und plündernder Hände werden, und mein Sohn den Hauptteil seines Erbes verlieren würde, während es jetzt noch vielleicht durch tapferes Ausharren zu retten sei, da man nicht wisse, ob Angulimala mit großer Stärke angreifen würde.

»Ach, weh uns!« riefen sie, »unser Herr und Beschützer verläßt uns! Und der schreckliche Angulimala wird ihn umbringen und seine Daumen an der Halskette tragen! Zu Tode martern wird er unseren Gemahl in seinem furchtbaren Grimm, und unsere Schuld wird es sein! Um unserer Schimpfreden willen muß unser Gatte leiden, und uns wird es deshalb in der Hölle übel ergehen!«

Ich versuchte sie zu beruhigen so gut es ging, und als sie sahen, daß ich unerschütterlich war, mußten sie sich dazu bequemen, den Wagen zu besteigen. Kaum aber hatten sie ihre Plätze eingenommen, so fingen sie an sich mit gegenseitigen Beschuldigungen anzufeinden.

»Du warst's, die anfing.« – »Nein, du – du hast mich auf ihn aufmerksam gemacht, wie er dort am Torpfosten stand. Jawohl – gerade dort, du zeigtest mit Fingern auf ihn.«

»Und du hast nach ihm ausgespuckt – roten Speichel – ich hatte noch keinen Betel gekaut, das tu ich morgens nie.« – »Aber du nanntest ihn einen Landstreicher, einen faulen Bettler.« – »Und du einen kahlen Pfaffen ....«

Und so ging's weiter; aber das Knarren der Räder, als die Ochsen jetzt anzogen, übertäubte ihre Stimmen.


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