Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XXV. Die Knospe öffnet sich

Plötzlich schien es Kamanita, als ob unten im Teiche sich etwas Lebendiges bewege. In der kristallenen Tiefe wurde er undeutlich einen aufsteigenden Schatten gewahr. Das Wasser brodelte und wallte, und eine große Lotusknospe mit roter Spitze schoß wie ein Fisch aus der Flut empor, um dann schwimmend auf der Wasserfläche sich zu wiegen, die erst in Kreisen wellte und dann noch lange danach wie zersplittert zitterte und glitzerte, farbensprühend, als ob der Teich mit fließenden Diamanten gefüllt wäre, während der Widerschein der Wasserblinke wie kleine Flammen über die Lotusblätter, die Gewänder und die Gesichter der seligen Gestalten emporflatterte.

Und auch das Gemüt Kamanitas erzitterte und strahlte in allen seinen verborgenen Farben, auch über sein Herz schien ein Widerschein freudiger Bewegung spielend hinzutanzen.

»Was war das wohl?« fragte sein Blick den blauen Nachbar.

»Tief unten, in weiten Weltfernen, auf der trüben Erde, hat in diesem Augenblick eine menschliche Seele ihren Herzenswunsch darauf gerichtet, hier in Sukhavati wieder ins Dasein zu treten. Nun wollen wir auch beobachten, ob die Knospe sich schön entwickelt und zum Blühen gelangt. Denn gar manche Seele richtet ihren Wunsch auf den reinen Ort der Seligkeit, vermag aber nicht, danach zu leben, sondern verstrickt sich wieder in unheilige Leidenschaften, versinkt in die Lust des Fleisches und bleibt an dem Erdenschmutze haften. Dann aber verkümmert die Knospe und verschwindet zuletzt gänzlich. Diesmal ist es, wie du siehst, eine männliche Seele. Eine solche kommt in dem bunten Welttreiben leichter vom Paradieswege ab, weshalb du auch bemerken wirst, daß, wenn auch die roten und die weißen sich an Zahl ziemlich gleichkommen, unter den blauen die helleren, weiblichen, bei weitem die meisten sind.«

Bei dieser Mitteilung erbebte das Herz Kamanitas gar sonderbar, als ob auf einmal schmerzliche Freude und lustgebärendes Weh es in schwankende Bewegung setzten, und sein Blick ruhte rätselratend auf einer geschlossenen Lotusrose, die, weiß wie die Brust eines Schwans, dicht neben ihm sich in dem noch leise bewegten Wasser anmutig wiegte.

»Kannst du dich auch darauf besinnen, daß du einmal gesehen hast, wie die Knospe meines Lotus sich aus der Tiefe erhob?« fragte er den erfahrenen Nachbar.

»Gewiß, denn sie tauchte ja zusammen mit dieser weißen Blume auf, die du jetzt gerade betrachtest Und ich habe das Paar immer beobachtet, manchmal nicht ohne Besorgnis. Denn ziemlich bald fing deine Knospe an, sichtlich zusammenzuschrumpfen und sie war fast gänzlich unter die Wasserfläche hinabgesunken, als sie sich plötzlich wieder erhob, voller und blanker wurde und sich dann gar prächtig bis zum Entfalten entwickelte. Die weiße aber wuchs langsam, allmählich und gleichmäßig ihrer Entfaltung entgegen – dann aber wurde auch sie plötzlich wie von einer Krankheit befallen. Doch sie erholte sich rasch wieder und wurde solch herrliche Blume, wie du sie jetzt vor dir siehst.«

Bei diesen Worten erhob sich in Kamanita eine so freudige Bewegung, daß es ihn dünken wollte, als sei er bis jetzt nur ein trüber Gast an einem trüben Ort gewesen, – dermaßen schien jetzt Alles um ihn herum zu leuchten, zu duften und zu klingen.

Und als ob sein Blick, der unverwandt auf dem weißen Lotus ruhte, ein Zauberstab wäre, um verborgene Schätze zu heben, regte sich die Spitze der Blume, die Blätter bogen ihre Ränder nach vorne und neigten sich nach allen Seiten; und sieh' – in ihrer Mitte saß Vasitthi mit weit geöffneten Augen, deren süß lächelnder Blick dem seinigen begegnete.

Und Kamanita und Vasitthi streckten gleichzeitig die Arme nach einander aus, und, ihre Hände ineinanderlegend, schwebten sie über den Teich dem Ufer zu.

Kamanita merkte wohl, daß Vasitthi ihn noch nicht wiedererkannte, sondern sich ihm nur unwillkürlich zuwandte, wie die Sonnenblume der Sonne. Wie hätte sie ihn auch erkennen sollen, da doch niemand sofort bei seinem Erwachen sich seines vorausgegangenen Lebens erinnerte – wenn auch in den Tiefen ihres Gemütes sich bei seinem Anblick dunkle Ahnungen regen mochten, wie einst bei ihm, als sein Nachbar von der himmlischen Ganga sprach. Er zeigte ihr den strahlenden Fluß, der sich still in den Teich ergoß:

»So speisen die silbrigen Wellen der himmlischen Ganga alle Lotusteiche in den Gefilden der Seligen.«

»Die himmlische Ganga?« wiederholte sie fragend und strich sich mit der Hand über die Stirn.

»Komm, wir wollen nach dem Korallenbaum.«

»Dort aber ist der Hain und das Gebüsch so lieblich, und sie spielen dort solch heitere Spiele,« sagte Vasitthi, nach einer anderen Richtung zeigend.

»Nachher! Jetzt wollen wir zuerst nach dem Korallenbaum, um dich durch seinen Wunderduft zu erquicken.«

Wie ein Kind, das man durch Versprechen auf ein neues Spielzeug darüber getröstet hat, daß es am fröhlichen Treiben der Kameraden nicht teilnehmen darf, so folgte Vasitthi ihm willig. Als der Duft ihnen entgegenzuwehen begann, belebten sich ihre Züge mehr und mehr.

»Wo führst du mich hin?« fragte sie, als sie in die enge Felsenschlucht einlenkten. »Niemals bin ich noch so erwartungsvoll gewesen. Und es kommt mir vor, als ob ich schon oft voll Erwartung war, obschon dein Lächeln mich daran erinnert, daß ich ja eben erst zum Bewußtsein erwacht bin. Aber du hast dich geirrt, hier kann man ja nicht weiter.«

»O, man kann weiter, viel, viel weiter,« lächelte Kamanita, »und vielleicht wirst du jetzt gewahr, daß jenes Gefühl dich nicht getäuscht hat, liebste Vasitthi!« Und schon öffnete sich vor ihnen das Talbecken der Malachitfelsen mit dem roten Korallenbaum und dem tiefblauen Himmel, und der Duft aller Düfte umfing sie.

Vasitthi legte die Hände auf ihre Brust, wie um ihr gar zu tiefes Atmen zu hemmen, und am schnellen Wechsel von Licht und Schatten in ihren Zügen erkannte Kamanita, wie der Sturm der Lebenserinnerungen über sie dahinbrauste.

Plötzlich erhob sie ihre Arme und warf sich an seine Brust:

»Kamanita, mein Liebster!«

Und er trug sie von dannen, im Eilfluge durch die Schlucht zurückstürmend.

Im offenen, noch etwas ernsten Tal, mit dunklem Gebüsch und dichten Hainen, wo die Gazellen spielten, aber keine menschliche Gestalt die Einsamkeit störte, ließ er sich mit ihr unter einem Baume nieder.

»O, du Ärmster!« – sprach Vasitthi, »was mußt du gelitten haben! Und was mußt du von mir gedacht haben, als du erfuhrst, daß ich Satagira geheiratet hatte!«

Aber Kamanita erzählte ihr, wie er das nicht durch eine Nachricht erfahren, sondern selber in der Hauptstraße Kosambis den Hochzeitszug gesehen habe, und wie der namenlose Jammer, der auf ihrem Gesichte geprägt stand, ihn unmittelbar davon überzeugt habe, daß sie nur dem Zwang ihrer Eltern nachgegeben hätte.

»Aber keine Macht der Erde hätte mich gezwungen, du einzig Geliebter, wenn ich nicht hätte glauben müssen, den sicheren Beweis zu haben, daß du nicht mehr am Leben seist.«

Und Vasitthi hub an, ihre damaligen Erlebnisse zu berichten.


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