Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XIV. Der Ehemann

Eines Morgens ging ich in den Anlagen mit meinem Obergärtner, um zu erwägen, welche neue Verbesserungen anzubringen wären, als mein Vater auf seinem alten Esel in den Hof ritt. Ich eilte hin, um ihm beim Absteigen behilflich zu sein, und wollte ihn in den Garten führen, da ich glaubte, er käme, um dessen Blumenpracht zu genießen. Er zog es aber vor, ins erste beste Zimmer zu treten, und als ich dem Diener befahl, Erfrischungen zu bringen, schlug er auch diese aus – er wolle ungestört mit mir sprechen.

Etwas unheimlich berührt, eine drohende Gefahr witternd, nahm ich neben ihm auf einem niedrigen Sitze Platz.

»Mein Sohn,« fing er nun sehr ernst an, »deine Frau hat dir nur zwei Töchter geboren, und es ist keine Aussicht, daß sie dir einen Sohn schenken wird. Nun heißt es ja aber sehr richtig, daß der Mann erbärmlich stirbt, für den kein Sohn das Totenopfer vollziehen kann. Ich tadle dich nicht, mein Sohn,« fügte er hinzu, als er bemerken mochte, daß ich etwas unruhig wurde; und obwohl ich nicht wußte, wodurch ich mir in diesem Handel hätte Tadel verdienen können, dankte ich ihm mit geziemender Demut für seine Milde und küßte seine Hand.

»Nein, ich muß mich selber tadeln, weil ich bei der Wahl deiner Frau mich durch weltliche Rücksichten auf Familie und Güter zu sehr habe blenden lassen und nicht genügend auf die Zeichen achtete. Das Mädchen, das ich jetzt für dich im Auge habe, ist zwar aus einer wenig hervorragenden und keineswegs begüterten Familie; auch kann man ihr das, was der oberflächliche Betrachter ›Schönheit‹ nennt, nicht nachrühmen. Dafür aber hat sie einen tief sitzenden und nach rechts gedrehten Nabel; sowohl Hände wie Füße weisen Lotus-, Krug- und Radmal auf; ihr Haar ist ganz glatt, nur im Nacken hat sie zwei nach, rechts gewundene Locken. Von einem Mädchen, das solche Zeichen besitzt, sagen ja die Weisen, daß es fünf Heldensöhne gebären wird.«

Ich erklärte mich mit dieser Aussicht vollkommen befriedigt, dankte meinem Vater für die Güte, mit der er für mich sorgte, und sagte, ich sei bereit, das Mädchen sofort heimzuführen. Denn ich dachte: wenn es doch sein muß! ...

»Sofort?« rief mein Vater erschrocken aus. »Aber, mein Sohn! Dämpfe dein Ungestüm! Wir sind ja jetzt im südlichen Laufe der Sonne. Wenn diese Gottheit in ihren nördlichen Lauf eintritt, und wir dann die Monatshälfte, in welcher der Mond zunimmt, erreichen, dann wollen wir einen günstigen Tag zur Handergreifung erwählen – aber eher nicht – eher nicht, mein Sohn! Was würden uns sonst alle guten Eigenschaften der Braut nützen?«

Ich bat meinen Vater, unbesorgt zu sein. Ich würde mich so lange gedulden und mich in allen Punkten von seiner Weisheit leiten lassen; worauf er meinen Gehorsam lobte, mir seinen Segen erteilte und mir gestattete, daß ich Erfrischungen kommen ließ. Endlich nahte der von mir nicht sehr ersehnte Tag, auf den sich alle glückverheißenden Zeichen vereinten. Die Zeremonien waren diesmal noch viel umständlicher; ich hatte vorher volle vierzehn Tage gebraucht, um alle notwendigen Sprüche genau einzustudieren. Welche Angst ich während der Handergreifung im Hause meines Schwiegervaters ausgestanden habe, läßt sich mit Worten kaum beschreiben. Ich zitterte fortwährend vor Furcht, daß ich irgend einen Vers nicht ganz richtig oder genau bei der Bewegung, zu der er gehörte, hersagen möchte; denn mein Vater hätte mir das ja nie vergeben. Und darüber hätte ich beinahe die Hauptsache vergessen, denn anstatt ihren Daumen zu ergreifen, faßte ich nach ihren vier Fingern, als ob ich wünschte, daß sie mir Töchter gebären sollte – aber glücklicherweise hatte die Braut Geistesgegenwart genug, um mir den Daumen in die Hand zu schieben.

Ich war ganz in Schweiß gebadet, als ich endlich zur Abfahrt die Stiere einspannen konnte, während meine Braut in die Kummetlöcher der Geschirre je einen Zweig von einem fruchttragenden Baume steckte. Ich sprach aber den betreffenden Halbvers mit dem Bewußtsein, daß jetzt das Schlimmste vorüber sei. Die Gefahren waren jedoch keineswegs überstanden.

Zwar erreichten wir mein Haus, ohne daß irgend einer von den vielen kleinen Unfällen, die bei einer solchen Gelegenheit wie auf der Lauer liegen, unterwegs sich ereignet hätte. Vor der Tür angekommen, wurde die Braut von drei Brahmanenfrauen unbescholtenen Wandels, die alle nur Knaben geboren hatten, und deren Männer noch lebten, vom Wagen gehoben. So weit ging Alles gut. Nun aber kannst du dir, Bruder, meinen Schrecken denken, als beim Eintreten ins Haus der Fuß meiner Frau beinahe die Schwelle berührt hätte. Ich weiß noch heute nicht, woher ich die Entschlossenheit nahm, sie in meinen Armen hoch empor zu heben und dadurch zu verhüten, daß eine Berührung wirklich stattfände. Immerhin war eine solche Unregelmäßigkeit beim Hineingehen schlimm genug, und dazu kam, daß ich nun selber vergaß, mit dem rechten Fuß zuerst einzutreten. Glücklicherweise waren Alle, und besonders mein Vater, über die drohende Berührung der Schwelle dermaßen entsetzt, daß mein Fehltritt fast gänzlich unbeachtet blieb.

In der Mitte des Hauses nahm ich zur Linken meiner Frau auf einem roten Stierfell Platz, das mit der Nackenseite nach Osten und mit der Haarseite nach oben lag. Nun hatte mein Vater nach langem Suchen und mit unendlicher Mühe ein männliches Wunderkind ausfindig gemacht, das selber nur Brüder und keine Schwester – auch keine gestorbene – hatte und von einem Vater stammte, der sich in demselben Fall befand, nur Brüder zu haben, was sogar auch noch von dessen Vater galt – alles gerichtlich bescheinigt. Dies Knäblein sollte nun meiner Braut auf den Schoß gesetzt werden. Schon stand an ihrer Seite die kupferne Schüssel bereit mit den im Schlamme gewachsenen Lotusblumen, die sie dem Kinde in die zusammengelegten Hände geben sollte; – da war das Unglücksmenschlein nirgends zu finden. Erst nachher, als es schon zu spät war, entdeckte ein Diener, daß der Kleine das Opferbett zwischen den Feuern gar zu verlockend gefunden und sich in dem weichen Grase gewälzt hatte, bis er fast gänzlich darin begraben war. Nun mußte natürlich das Opferbett neu geschichtet und dazu frisches Kuçagras geschnitten werden – was schon an sich verkehrt war, weil ja das Gras bei Sonnenaufgang geschnitten sein muß.

Diese Krone des ganzen Werkes fahren lassend, mußten wir uns mit einem in aller Hast herbeigeschafften Knäblein begnügen, dessen Mutter nur Söhne geboren hatte. Mein Vater war aber über das Mißlingen dieser Maßregel, auf die er so große Hoffnung gesetzt hatte, dermaßen erregt, daß ich fürchtete, der Schlag könne plötzlich seinem teuren Leben ein Ende machen. Freilich wäre er unter keinen Umständen jetzt gestorben, um nur nicht dadurch den Zeremonien den allerverderblichsten Abbruch zu tun. Diese tröstliche Betrachtung stellte ich aber damals nicht an. Während ich von entsetzlicher Furcht gequält wurde, mußte ich die Wartezeit bis zur Ankunft des Ersatzknaben damit ausfüllen, daß ich ununterbrochen geeignete Sprüche hersagte, damit ja nicht eine leere Pause entstände.

In dieser Stunde aber gelobte ich mir fest, daß ich, was auch kommen möchte, nie wieder heiraten würde.

Nachdem endlich Alles erledigt war, mußte ich mit meiner Gemahlin – die gar nicht ein solcher Ausbund von Häßlichkeit war, wie ich nach der Empfehlung meines Vaters erwartet hatte – zwölf Nächte in gänzlicher Enthaltsamkeit und unter strengem Fasten, auf dem Fußboden schlafend, zubringen. Diesmal waren es nämlich zwölf Nächte, weil mein Vater meinte, wir müßten lieber zuviel, denn zuwenig des Guten tun. Dabei empfand ich nun freilich recht schmerzlich, daß ich während der ganzen Zeit alle meine gewürzten Lieblingsgerichte entbehren mußte.

Indessen auch diese Probe wurde überstanden, und das Leben ging in dem alten Geleise weiter – jedoch mit einem sehr wesentlichen Unterschied. Es sollte sich mir nämlich nun bald zeigen, wie berechtigt meine Scheu vor dem neuen Heiratsvorschlag meines Vaters gewesen war. Wohl hatte ich mich sofort damit getröstet, daß man, wenn man eine Frau hatte, auch zwei haben konnte. Aber, ach! wie hatte ich mich darin getäuscht!

Meine erste Frau hatte immer einen sanftmütigen Charakter gezeigt, der eher zum Stumpfsinn als zu auffahrender Heftigkeit neigte; und auch meiner zweiten Frau rühmte man eine echt weibliche Milde nach. So sind ja auch, o Bruder, das Wasser und das Hausfeuer alle beide gar wohltätige Dinge; wenn sie aber auf dem Kochherd zusammentreffen, dann zischt's. Und so hat es denn von jenem Unglückstage an in meinem Hause gezischt. Aber wie wurde es erst, als meine zweite Frau mir nun wirklich den ersten jener fünf verheißenen Heldensöhne gebar! Nun beschuldigte mich meine erste Frau, ich hätte mit ihr keine Söhne haben wollen und nicht die rechten Opfer gebracht, um so einen Vorwand zu haben, eine andere zu heiraten; während meine zweite Frau, wenn sie von der ersten gereizt wurde, es an bitterem Hohn ihr gegenüber nicht fehlen ließ. Auch herrschte ein fortwährender Rangstreit; meine erste Frau forderte als solche den Vorrang, während meine zweite als Mutter meines Sohnes dieselbe Forderung erhob.

Aber bald sollte es noch schlimmer kommen. Eines Tages stürzte meine zweite Frau ganz zitternd vor Erregung zu mir herein und verlangte, ich sollte die erste fortschicken, da diese meinen Sohn vergiften wolle – der Knabe hatte nämlich Leibschneiden bekommen, weil er genascht hatte. Ich wies sie streng zurecht, kaum aber war ich sie los geworden, als die erste hereinstürzte und rief, ihre beiden Lämmchen wären ihres Lebens nicht mehr sicher, solange jenes niederträchtige Weib im Hause bliebe – ihre Nebenbuhlerin wolle meine Töchterchen aus dem Wege räumen, damit deren Mitgift nicht das Erbe ihres Sohnes vermindern sollte.

So war denn unter meinem Dach kein Frieden mehr zu finden. Wenn du, o Bruder, vorhin vielleicht am Gehöfte des reichen Brahmanen unweit von hier stehen geblieben bist und gehört hast, wie drinnen die beiden Frauen des Brahmanen keiften, mit lauten, schreienden Stimmen sich zankten und sich gegenseitig mit groben Schimpfworten bewarfen – dann bist du sozusagen auch an meinem Hause vorübergekommen.

Und es wurde nun leider auch eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: »Die beiden vertragen sich wie die Frauen Kamanitas.«


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