Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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V. Das magische Bildnis

Da ich wußte, daß für mich doch nicht an Schlaf zu denken war, legte ich mich an diesem Abend gar nicht zu Bett, sondern setzte mich auf das zur Andacht bestimmte Graslager am Kopfende des Bettes, und brachte dort unter inbrünstigen Liebesbetrachtungen und im Gebet an die lotustragende Lakshmi, ihr himmlisches Urbild, in frommer und geziemender Weise die Nacht zu; aber die frühe Morgensonne fand mich wieder mit Pinsel und Farben an der Arbeit.

Mehrere Stunden waren mir dabei im Fluge vergangen, als Somadatta hereintrat. Ich hatte gerade noch Zeit, die Tafel und die Malwerkzeuge unters Bett zu schieben, als ich ihn kommen hörte. Dies tat ich ganz unwillkürlich.

Somadatta nahm einen niedrigen Stuhl, setzte sich neben mich und betrachtete mich lächelnd.

»Ich merke wohl,« sagte er, »daß unserem Hause die Ehre widerfahren soll, die Ausgangsstätte eines Heiligen zu sein. Du fastest ja, wie es nur die strengsten Asketen tun, und enthältst dich der üppigen Gewohnheit des Lagers. Denn weder auf den Kopf- und Fußkissen noch auf der Matratze ist der geringste Eindruck deines Körpers zu sehen, und die weiße Decke ist faltenlos. Obwohl du durch das Fasten schon recht schmächtig geworden bist, ist dein Körper doch wohl noch nicht ganz ohne Gewicht, was sich übrigens auch hier am Grassitze zeigt, wo du offenbar die Nacht in Gebet und Selbstvertiefung zugebracht hast. Aber ich finde doch, daß für einen so heiligen Bewohner dies Zimmer etwas zu weltlich aussieht. Hier auf dem Nachttisch die freilich unberührte Salbenbüchse und der Napf mit Sandelstaub, das Gefäß mit wohlriechendem Wasser und die Dose mit Zitronenbaumrinde und Betel. Dort an der Wand die gelben Amaranthkränze, die Laute – aber wo ist denn das Malbrett, das doch sonst an jenem Haken hängt?«

Während ich in meiner Verlegenheit auf diese Frage keine Antwort zu finden vermochte, entdeckte er nun das vermißte Brett und zog es unter dem Bett hervor.

»Ei, was ist denn das für ein böser, abgefeimter Zauberer,« rief er, »der hier auf dem Brett, das ich doch selber ganz leer an jenen Haken gehängt habe, das reizende Bild eines ballspielenden Mädchens durch magische Kraft hat entstehen lassen – offenbar in der bösen Absicht, den angehenden Asketen gleich im Anfange mit Versuchungen anzufallen und ihm Sinne und Gedanken zu verwirren! Oder am Ende ist es ein Gott, denn wir wissen ja, daß die Götter sich vor der Allmacht der großen Asketen fürchten; und bei solch einem Beginnen wie dem deinigen könnte schon das Vindhyagebirge vor der Inbrunst deiner Buße zu rauchen anfangen, ja durch die Aufhäufung deines Verdienstes müßte das Reich der himmlischen Götter ins Wanken kommen. Und jetzt weiß ich auch, welcher Gott es ist: gewiß ist es der, den sie den unsichtbaren nennen, der Gott mit den Blumenpfeilen, der einen Fisch im Banner trägt – Kama, der Liebesgott, von dem du ja auch deinen Namen hast. Und – Himmel, was seh' ich! das ist ja Vasitthi, die Tochter des reichen Goldschmiedes.«

Als ich so zum ersten Male den Namen der Geliebten hörte, fing mein Herz heftig zu pochen an, und mein Gesicht entfärbte sich vor Erregung.

»Ich sehe, lieber Freund,« fuhr der schlimme Spaßmacher fort, »daß dieser Gedanke von dem Zauber Kamas dich in großen Schrecken versetzt, und in der Tat müssen wir etwas tun, um seinem Zorn zu entgehen. Da ist aber ein Weiberrat nicht zu verachten. Ich will dies magische Bild meiner geliebten Medini zeigen, die auch mit beim Tanze war und überdies die Milchschwester der schönen Vasitthi ist.«

Hiermit wollte er sich mit dem Bilde entfernen. Da ich nun wohl merkte, was der Schelm vorhatte, hieß ich ihn warten, weil dem Bilde noch eine Inschrift fehlte. Ich mischte mir die schönste feurig-rote Farbe und in gar kurzer Zeit schrieb ich mit den zierlichsten Schriftzügen einen vierzeiligen Vers, der sehr einfach den Vorgang mit dem goldenen Ball erzählte. Wenn man aber die Zeilen rückwärts las, besagte der Vers, daß jener Ball, mit dem sie gespielt hatte, mein Herz sei, das ich selber ihr zurückschickte, wenn sie es auch davonjage; man konnte aber auch den Vers quer durch die Zeilen von oben nach unten lesen, und dann enthielt er eine Klage über die Verzweiflung, in die mich die Trennung von ihr gestürzt hatte; las man aber in umgekehrter Richtung, dann wurde man gewahr, daß ich doch zu hoffen wagte.

Von dem, was ich solchermaßen hineingeheimnißt hatte, ließ ich aber nichts verlauten, und so war denn Somadatta von dieser Probe meiner Dichtkunst, die ihm gar zu einfach schien, auch nicht sonderlich erbaut. Er meinte, ich müsse durchaus davon sprechen, wie Gott Kama, durch meine Askese in Schreck versetzt, das Zauberbild zu meiner Versuchung hervorgezaubert und mich dadurch überwunden hätte – wie denn jeder immer am meisten von seinem eigenen Witze entzückt ist.

Als nun Somadatta das Bild entführt hatte, fühlte ich mich in einer gehobenen und tatkräftigen Stimmung, weil doch nun ein Schritt getan war, der vielleicht in seinen Folgen zum ersehnten Glücksziel führen mochte. Ich konnte wieder essen und trinken, und nachdem ich mich gestärkt hatte, nahm ich die Vina von der Wand und ließ ihre Saiten bald melodisch seufzen, bald jubeln, während ich den himmlischen Namen Vasitthi in immer neuen Tönen wiederholte.

So fand mich denn auch Somadatta, als er mehrere Stunden später mit dem Bild in der Hand wieder hereintrat.

»Die ballspielkundige Zerstörerin deiner Ruhe hat auch gedichtet,« sagte er, »aber vielen Sinn finde ich eben nicht in ihren Versen aufgespeichert, wenn auch die Schrift für ungewöhnlich hübsch gelten darf.«

Wirklich gewahrte ich – mit welchem Entzücken, vermag ich nicht zu sagen – einen zweiten Vierzeiler, der mit Schriftzügen wie zarte Blütenzweige auf das Brett gleichsam hingehaucht war. Somadatta freilich hatte keinen Sinn darin finden können, denn das Ganze bezog sich eben auf das, was er nicht bemerkt hatte, und zeigte mir, daß die Holde meine Strophe in allen Richtungen – rückwärts, nach unten und aufwärts – richtig gelesen hatte, was mir einen hohen Begriff von ihrer Bildung und ihren Kenntnissen gab, wie denn auch ihr feiner Geist sich in der anmutig scherzenden Wendung zeigte, mit welcher sie meine feurige Erklärung als eine höfliche Galanterie hinnahm, der man nicht allzu große Bedeutung beimessen dürfe.

Nun versuchte ich freilich auch dieselben Lesemethoden auf ihre Strophe anzuwenden, in der Hoffnung, vielleicht doch ein verblümtes Geständnis oder irgend eine geheime Botschaft, wohl gar die Einladung zu einem Stelldichein darin zu finden; jedoch vergeblich. Ich sagte mir denn auch sogleich, daß dies gerade ein Beweis der höchsten und feinsten weiblichen Gesittung sei: die Liebliche zeigte mir, daß sie wohl imstande sei, die Subtilität und die verwegenen Pfade des männlichen Geistes zu verstehen, daß sie sich aber nicht verleiten lasse, seinen Spuren zu folgen.

Über meine enttäuschte Erwartung wurde ich nun auch sofort durch die Worte Somadattas getröstet.

»Aber diese Schönbrauige, wenn sie auch keine große Dichterin ist, hat doch wahrlich ein gutes Herz. Sie weiß, daß ich schon seit langer Zeit meine geliebte Medini, ihre Milchschwester, nicht gesehen habe, außer in großer Gesellschaft, wo nur die Augen sprechen können, und auch die nur verstohlen. Und so gibt sie uns Gelegenheit, uns in der folgenden Nacht auf der Terrasse des väterlichen Palastes zu treffen. Diese Nacht ist es leider nicht möglich, weil ihr Vater ein Gastmahl gibt; so lange müssen wir uns also gedulden. Vielleicht hast du Lust, mich bei diesem Abenteuer zu begleiten?«

Dabei lachte er ganz verschmitzt, und ich lachte ebenso und sicherte ihm meine Begleitung zu. In der vortrefflichsten Laune nahmen wir das Brettspiel, das an die Wand gelehnt war, und wollten uns durch diese den Geist anregende Beschäftigung die Zeit verkürzen, als ein Diener hereintrat und sagte, ein Fremder wünsche mich zu sprechen.

Ich ging in die Vorhalle und traf da den Bedienten des Gesandten, der mir sagte, ich müsse mich zur Abreise fertig machen und mich schon in dieser Nacht mit meinen Wagen im Hofe des Palastes einfinden, damit man beim ersten Morgengrauen aufbrechen könne.

Meine Verzweiflung kannte keine Grenzen. Ich wähnte, ich müsse unversehens irgend eine Gottheit beleidigt haben. Sobald ich meine Gedanken einigermaßen sammeln konnte, stürzte ich zum Gesandten und log ihm eine Menge vor von einem Geschäft, das noch nicht ganz abgewickelt wäre und unmöglich in so kurzer Frist zum gedeihlichen Abschluß gebracht werden könnte. Mit heißen Tränen beschwor ich ihn, die Reise nur noch um einen Tag zu verschieben.

»Du sagtest mir doch schon vor acht Tagen, daß du fertig wärest,« entgegnete er.

Ich aber versicherte ihm, daß sich nachher unverhofft noch eine Aussicht auf einen bedeutenden Gewinn eröffnet hätte. Und das war auch keine Unwahrheit, denn welcher Gewinn hatte für mich mehr zu bedeuten, als die Eroberung dieses unvergleichlichen Mädchens? – Und so gelang es mir denn endlich, ihm diesen einen Tag abzulisten.

Die Stunden des folgenden Tages vergingen schnell mit den nötigen Reisevorbereitungen, so daß mir die Zeit, trotz meiner Sehnsucht, nicht allzu lang wurde. Als der Abend hereinbrach, standen die Karren beladen im Hof. Alles war zum Vorspannen bereit, um, sobald ich – noch vor Morgengrauen – erschien, aufbrechen zu können.


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