Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XIII. Der Lebemann

So lebte ich denn im Elternhause zu Ujjeni. – Diese meine Vaterstadt, o Fremder, ist ja aber nicht weniger durch ihre Lustbarkeit und rauschende Lebensfreude als wegen ihrer glänzenden Paläste und prächtigen Tempel in ganz Indien berühmt. Ihre breiten Straßen hallen bei Tage vom Wiehern der Pferde und Trompeten der Elefanten wider, und bei Nacht vom Lautenspiele der Verliebten und von den Liedern fröhlicher Zecher.

Besonders aber erfreuen sich die Hetären Ujjenis eines außerordentlichen Rufes. Von den großen Kurtisanen, die in Palästen wohnen, Tempel den Göttern und öffentliche Gärten dem Volke stiften und in deren Empfangssälen man Dichter und Künstler, Schauspieler, vornehme Fremde, ja manchmal sogar Prinzen trifft – bis zu den gewöhnlichen Dirnen herab sind sie alle von schwellgliedriger Schönheit und unbeschreiblicher Anmut. Bei den großen Festlichkeiten, bei Aufzügen und Schaustellungen bilden sie den Hauptschmuck der blumenprangenden, wimpelumflatterten Straßen. In cochenilleroten Kleidern, duftende Kränze in den Händen, von Wohlgerüchen umwallt, von Diamanten funkelnd, siehst du sie dann, o Bruder, auf ihren besonderen Prachttribünen sitzen oder die Straßen dahinziehen, mit liebevollen Blicken, aufreizenden Gebärden und lachenden Scherzworten allerwärts die Sinnenglut der Lustverlangenden zu hellen Flammen schürend.

Vom König verehrt, vom Volke angebetet, von den Dichtern besungen, heißen sie ja »die bunte Blumenkrone des felsenragenden Ujjeni« und ziehen uns den Neid der weniger begünstigten Nachbarstädte zu. Öfters gastieren auch dort die hervorragendsten unserer Schönheiten, ja es kommt sogar vor, daß eine solche durch eine königliche Verordnung zurückgerufen werden muß.

Mir, der ich nun meinen lebenverzehrenden Kummer ertränken wollte, wurde von den Händen dieser fröhlichen Schwesterschaft der goldige Lustkelch des berauschenden Vergessenheitstrankes willig und reichlich an die Lippen geführt. Durch meine vielen Fähigkeiten und großen Kenntnisse der schönen Künste aller Art und nicht weniger aller geselligen Spiele wurde ich ein gern gesehener Gast der großen Kurtisanen, von denen eine sogar, deren Gunst mit Geld kaum aufzuwiegen war, sich zuletzt so leidenschaftlich in mich verliebte, daß sie sich meinetwegen mit einem Prinzen überwarf. Andererseits wurde ich durch meine völlige Beherrschung der Gaunersprache leicht vertraut mit den Dirnen der Gäßchen, deren Gesellschaft ich auf dem Wege derben Lebensgenusses keineswegs verschmähte, und von denen mehrere mir von Herzen ergeben waren.

So tauchte ich denn tief in den rauschenden Strudel der Vergnügungen meiner Vaterstadt, und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: »Ein Lebemann wie der junge Kamanita.«

Nun zeigte es sich aber, daß schlechte Gewohnheiten, ja selbst Laster manchmal dem Menschen einen Glücksfall bringen, so daß der weltlich Gesinnte nicht leicht entscheiden kann, ob er am meisten seinen guten oder seinen schlechten Eigenschaften sein Gedeihen zu verdanken hat.

Jene Vertrautheit mit den niedrigeren Dirnen kam mir nämlich sehr zustatten. Im Hause meines Vaters wurde ein Einbruch verübt, und Juwelen, die ihm zum großen Teil zur Schätzung anvertraut waren, gestohlen, und zwar in einem Betrage, der kaum mehr zu ersetzen war. Ich war außer mir, denn völliger Ruin drohte uns. Vergebens bot ich alle die Kenntnisse auf, die ich im Walde mir erworben hatte. Nach der Weise, wie der unterirdische Gang angelegt war, konnte ich wohl sagen, was für einer Art von Dieben die Täterschaft zuzuschreiben sei. Aber selbst dieser so nützliche Wink war zwecklos für die Polizei – die allerdings in Ujjeni nicht auf ähnlicher Höhe steht wie die Hetärenwirtschaft, was vielleicht nicht ganz ohne inneren Zusammenhang sein mag. Habe ich doch ist einem sehr gelehrten Vortrag über das Liebesleben der verschiedenen Stände folgenden Satz gehört: »Die Liebesabenteuer des Polizeimeisters haben während der nächtlichen Inspizierung stattzufinden und zwar mit den Stadtdirnen;« – was in Verbindung mit jener Vorlesung Vajaçravas' »Über die Nützlichkeit der Dirnen zum Hineinlegen der Polizei« in jener Zeit des ängstlichen Wartens mir manches zu denken gab.

Nun scheint es ja aber in dieser unserer sonderbaren Welt so eingerichtet zu sein, daß die linke Seite für das aufkommen muß, was die rechte versäumt. Und so geschah es denn auch hier, daß jene üppige Blüte Ujjenis mir die Frucht trug, welche der, vielleicht wegen dieser Üppigkeit etwas kümmerlich geratene Dornenhag des Polizeiwesens zu zeitigen nicht vermochte. Denn die guten Mädchen, als sie mich wegen der mir und den Meinigen drohenden Not untröstlich sahen, ermittelten die Täter und zwangen sie, durch Androhung völliger Entziehung ihrer Gunst, die Beute wieder herauszugeben, so daß wir glimpflich davon kamen, mit Verlust des Wenigen, das schon verpraßt gewesen, und mit einem Schrecken, der für mich nicht ohne gute Wirkung blieb.

Durch ihn wurde ich nämlich aus meinem Zeit und Jugendkraft unnütz vergeudenden Wüstlingsleben aufgerüttelt. Dieses war ohnehin zu einem Punkt gelangt, wo es mich entweder unter dem Joch der Gewohnheit völlig knechten und versumpfen lassen, oder aber mich anzuwidern anfangen mußte. Die letztere Wirkung wurde nun eben durch jenes Erlebnis gefördert. Ich hatte die Armut mir ins Gesicht starren sehen – die Armut, der mich jenes Leben wehrlos überliefert hätte, um mich dann treulos mit allen seinen kostspieligen Freuden zu verlassen. Nun besann ich mich auf jenes Wort des Kaufmannes am Grabe Vajaçravas: »Wenn ich so hoch in Gunst bei Vajaçravas stände wie du, dann würde ich in wenigen Jahren der reichste Mann in Kosambi sein.« Und ich beschloß, der reichste Mann in Ujjeni zu werden, und zu diesem Zwecke mich mit aller Kraft auf den Karawanenhandel zu verlegen.

Ob nun mein im Jenseits weilender Freund und Meister, Vajaçravas, mir bei meinen Unternehmungen in eigener Person beistand, wage ich nicht zu entscheiden, wiewohl ich es manchmal glaubte; sicher aber ist, daß seine Worte es jetzt nachträglich taten. Denn daß ich durch seine Belehrung mit allen Gewohnheiten und Gebräuchen der verschiedenen Räuberarten vertraut, ja selbst in ihre geheimen Regeln eingeweiht war, das setzte mich jetzt in den Stand, ohne törichte Waghalsigkeit Unternehmungen durchzuführen, die ein anderer nimmermehr hätte wagen dürfen. Gerade solche aber suchte ich mir jetzt aus und gab mich mit gewöhnlichen Reisen gar nicht mehr ab.

Wenn ich nun eine große Karawane nach einer Stadt führte, zu der monatelang keine andere hatte vordringen können, weil gerade zu der Zeit starke Räuberbanden die Gegend gleichsam abgesperrt hatten, so fand ich die Einwohner dermaßen auf meine Waren erpicht, daß ich diese manchmal mit dem zehnfachen Gewinn absetzen konnte. Aber damit nicht genug: einen unschätzbaren Vorteil zog ich aus jener Belehrung »über die Kennzeichen der für Bestechung zugänglichen Beamten höheren und niederen Ranges nebst Anweisung über die dabei in Frage kommenden Geldbeträge«; und was ich im Verlauf weniger Jahre durch geschickte Benutzung dieser Winke gewonnen habe, kommt für sich allein einem mäßigen Vermögen gleich. –

So vergingen denn einige Jahre in gesundem Wechsel zwischen allerlei Lebensgenüssen meiner freudigen Vaterstadt und gefahrreichen Geschäftsreisen, die übrigens bei allem Ernst auch nicht die Lust ausschlossen; denn ich stieg in den fremden Städten immer bei einer Hetäre ab, an die ich gewöhnlich von einer gemeinsamen Ujjenier Freundin empfohlen war, und die meine Kaufmannsgeschäfte oft gar schlau für mich einfädelte.

Eines Tages trat nun mein Vater vormittags in mein Zimmer, als ich gerade damit beschäftigt war, auf meine Lippen Lackfarbe aufzutragen, während ich gleichzeitig meinem Diener Anweisungen gab, der im Hofe vor meinem Fenster mein Lieblingspferd sattelte. Das mußte diesmal mit besonderer Sorgfalt geschehen, und es sollten durch eine eigenartige Vorrichtung Kissen angeschnallt werden, denn ich mußte unterwegs eine Gazellenäugige vor mir im Sattel halten. Ich hatte nämlich mit mehreren Freunden und Freundinnen einen Besuch in einem öffentlichen Garten verabredet.

Ich wollte sofort meinem Vater Erfrischungen bringen lassen; er lehnte es aber ab, und als ich ihm aus meiner goldenen Dose wohlriechende Mundkügelchen anbot, schlug er auch diese aus und nahm nur etwas Betel. Ich schloß daraus sofort, nicht ohne einige Beklemmung, daß er wohl etwas Ernstes vorhaben mochte.

»Ich sehe, daß du dich zu einem Vergnügungsausflug bereit machst, mein Sohn,« sagte er, nachdem er auf dem ihm von mir gebotenen Sitze Platz genommen hatte; »auch kann ich dies keineswegs tadeln, da du erst kürzlich von einer anstrengenden Geschäftsreise zurückgekehrt bist. Wo willst du heute hin, mein Sohn?«

»Ich will, Vater, mit einigen Freunden und Freundinnen nach dem Garten der hundert Lotusteiche reiten, wo wir uns mit Spielen belustigen wollen.«

»Gut, sehr gut, mein Sohn! Reizend, entzückend ist ja der Aufenthalt im Garten der hundert Lotusteiche – tiefer Schatten der Bäume und kühlender Hauch des Wassers laden da zum Verweilen ein. Auch sind artige und sinnige Spiele zu loben, denn sie beschäftigen Körper und Geist ohne sie anzustrengen. Ob wohl jetzt noch dieselben Spiele gebräuchlich sind, die wir in meiner Jugend spielten? Was meinst du, Kamanita, wird wohl heute dort gespielt werden?«

»Es kommt darauf an, Vater, wer von uns mit seinem Vorschlage durchdringt. Ich weiß, daß Nimi das Wasserspritzspiel vorschlagen will.«

»Das kenne ich nicht,« sagte mein Vater.

»Nein, Nimi hat es im Süden gelernt, wo es sehr Mode ist. Man füllt dabei Bambusrohre mit Wasser und bespritzt sich gegenseitig, und wer am nassesten wird, hat verloren. Das ist sehr drollig. – Kolliya aber will den Kadambakampf in Vorschlag bringen.«

Mein Vater schüttelte den Kopf:

»Das kenn' ich auch nicht.«

»O, das ist jetzt sehr beliebt. Die Spielenden teilen sich in zwei Parteien, die einander bekämpfen, und dabei dienen eben die Zweige des Kadambastrauches mit ihren großen, goldigen Blüten als gar prächtige Schlagwaffen. Durch den Blütenstaub sind die Wunden kenntlich, so daß die Kampfrichter danach entscheiden können, welche Partei gewonnen hat. Das Ganze ist recht spannend und hat etwas Zierliches. Ich aber beabsichtige, das Hochzeitsspiel vorzuschlagen.«

»Das ist ein gutes altes Spiel,« sagte mein Vater mit einem auffallenden Schmunzeln, »und es freut mich recht, daß du dafür eintreten willst, denn das zeugt von deiner Gesinnung. Vom Spiel zum Ernst ist der Schritt nicht gar zu groß.«

Dabei schmunzelte er wieder selbstgefällig, und mir wurde recht gruselig zumute.

»Ja, mein Sohn,« fuhr er fort, »ich komme dabei gerade auf das, was mich heute zu dir geführt hat. Du hast bei deinen vielen Kaufmannsreisen durch Geschicklichkeit und Glück unser Vermögen vervielfacht, so daß das Gedeihen unserer Geschäfte in Ujjeni sprichwörtlich geworden ist. Andererseits hast du aber auch in vollen Zügen deine Jugendfreiheit genossen. Aus dem ersteren folgt, daß du wohl imstande bist, deinen eigenen Haushalt zu gründen. Aus dem zweiten, daß es jetzt auch für dich an der Zeit ist, dies zu tun und daran zu denken, den Faden des Geschlechts weiterzuspinnen. Um dir, meinem lieben Sohn, alles recht leicht zu machen, habe ich schon im Voraus eine Braut für dich ausgesucht. Es ist die älteste Tochter unseres Nachbars Sanjaya, des großen Kaufmannes, die erst kürzlich das heiratsfähige Alter erreicht hat. Sie stammt also, wie du siehst, aus einer ebenbürtigen, achtbaren und sehr begüterten Familie und hat großen Verwandtenanhang, sowohl von väterlicher wie von mütterlicher Seite. Ihr Körper ist makellos; sie hat Haare von der Schwärze der Biene, ein Gesicht wie der Mond, die Augen eines Gazellenlammes, eine der Sesamblüte ähnelnde Nase, Zähne wie Perlen und Bimbalippen, von denen eine Stimme so süß wie die der Kokila ertönt. Ihr Schenkelpaar ist herzerfreuend wie ein Pisangstamm, und durch die Fülle der Hüften beschwert, hat ihr Gang die lässige Majestät des Ilfen. Du wirst also unmöglich etwas gegen sie einwenden können.«

Ich hatte in der Tat nichts gegen sie einzuwenden, außer etwa, daß ihre vielen mir so poetisch angepriesenen Reize mich völlig kalt ließen. Und ich gestehe, daß von allen Hochzeitszeremonien mir diejenige der drei Nächte der Enthaltsamkeit, in denen ich der Satzung gemäß mit meiner jungen Gattin, nichts Scharfgewürztes essend, auf dem Boden schlafend und das Hausfeuer unterhaltend, die Keuschheit zu bewahren hatte, die am wenigsten lästige war.

Eine ungeliebte Frau, o Bruder, macht das Heim nicht lieb und das Haus nicht fesselnd, und so begab ich mich von jetzt ab fast noch williger als zuvor auf Reisen und kümmerte mich in der Zwischenzeit nur um meine Geschäfte. Und da ich – um der Wahrheit die Ehre zu geben – bei diesen nicht gar zu skrupelhaft zu Werke ging, sondern ohne viel Bedenken meinen Vorteil nahm, wo ich ihn sah, so wuchs mein Reichtum dermaßen, daß ich mich nach wenigen Jahren dem Ziel meines Ehrgeizes nahe fand und einer der reichsten Bürger meiner Vaterstadt war.

Nun wollte ich aber auch als Hausherr und Familienvater – denn meine Gattin hatte mir zwei Töchter geboren – meines Reichtums recht genießen und besonders auch vor meinen Mitbürgern damit prunken. Ich erwarb mir deshalb ein großes Grundstück in der Vorstadt, wo ich einen gar prächtigen Lustgarten anlegte und in seiner Mitte ein geräumiges, mit marmornen Säulenhallen versehenes Haus errichten ließ. Dies Besitztum wurde zu den Wundern Ujjenis gerechnet, und selbst der König kam, um es zu besichtigen.

Hier veranstaltete ich nun märchenhafte Gartenfeste und gab die üppigsten Gastmähler. Denn ich hatte mich mehr und mehr auf die Freuden der Tafel geworfen. Die leckersten Speisen, die zur betreffenden Jahreszeit überhaupt für Geld zu haben waren, mußten auf meinem Tische sein, selbst zu den täglichen Mahlzeiten. Damals war ich nicht, wie du mich jetzt siehst, durch lange Wanderungen, durch Waldaufenthalt und Askese hager und abgezehrt, sondern von blühender Körperfülle; ja ein Bäuchlein hatte schon angefangen sich zu runden.

Und es wurde, o Fremder, eine sprichwörtliche Redensart in Ujjeni: »Man ißt bei ihm, wie beim Kaufmann Kamanita.«


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