Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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VII. In der Schlucht

Tief bewegt durch diese lebhafte Erinnerung, schwieg der Pilger eine kleine Weile. Dann seufzte er, strich sich mit der Hand über die Stirn und fuhr in seiner Erzählung fort.

Kurz, Bruder, ich ging während dieser ganzen Zeit wie in einem Rausche von Seligkeit umher, und meine Füße schienen kaum mehr die Erde zu berühren. Einmal mußte ich laut lachen, weil ich hörte, daß es Leute gebe, die diese Welt ein Jammertal nennen und ihre Gedanken und Wünsche darauf richten, nicht mehr unter den Menschen wiedergeboren zu werden. »Welch ausgemachte Toren, Somadatta!« rief ich, »als ob es einen vollkommeneren Ort der Seligkeit geben könnte als die Terrasse der Sorgenlosen.«

Aber unter der Terrasse war die Schlucht.

In diese waren wir gerade hinuntergeklettert, als ich jene törichten Worte ausrief, und als sollte mir gezeigt werden, daß auch die höchste Erdenwonne ihre Bitterkeit hat, wurden wir in demselben Augenblick von mehreren bewaffneten Männern angefallen. Wie viele es waren, vermochten wir in der tiefen Dunkelheit nicht zu unterscheiden. Glücklicherweise konnten wir uns den Rücken durch die Felsenwand decken, und mit dem beruhigenden Bewußtsein, nur von vorn bedroht zu sein, fingen wir an, für unser Leben und unsere Liebe zu fechten. Wir bissen die Zähne zusammen und waren schweigsam wie die Nacht, während wir so ruhig wie möglich parierten und stießen; unsere Gegner aber heulten wie die Teufel, um sich gegenseitig anzufeuern, und wir vermeinten acht bis zehn Stimmen unterscheiden zu können. Wenn sie nun auch ein paar bessere Degen vorfanden, als sie erwartet haben mochten, so war unsere Stellung doch ernst genug. Bald lagen aber zwei von ihnen auf der Erde, und ihre Körper hinderten die anderen, die fürchteten, über sie zu stolpern und so unseren Schwertspitzen überliefert zu werden, beträchtlich am Kämpfen. Sie mochten sich einige Schritte zurückgezogen haben, denn wir fühlten nicht mehr ihren heißen Atem im Gesicht.

Ich flüsterte Somadatta ein paar Worte zu, und wir rückten mehrere Schritte zur Seite, in der Hoffnung, daß die Angreifer, uns an der alten Stelle wähnend, einen plötzlichen Vorstoß machen und dabei anstatt an uns an die Felsenwand geraten und an dieser ihre Schwertspitzen zerbrechen würden, während die unserigen ihnen gehörig zwischen die Rippen fahren sollten. Obwohl wir nun die äußerste Vorsicht beobachteten, muß aber doch wohl ein leises Geräusch ihren Verdacht erweckt haben. Denn der erhoffte blinde Angriff erfolgte nicht, wohl aber sah ich plötzlich einen schmalen Lichtstreif die Wand treffen und wurde auch gewahr, daß dieser Strahl von einem Lampendocht herkam, der offenbar in einer vorsichtig geöffneten Dose steckte, neben der sich auch eine warzige Nase und ein zusammengekniffenes Auge zeigten.

Da die Bambusstange, mit deren Hilfe wir die Terrasse erklommen hatten, glücklicherweise sich noch in meiner linken Hand befand, stieß ich beherzt zu – ein lauter Schrei, das Verschwinden des Strahls und das Klirren des zu Boden gefallenen Lämpchens bezeugten, wie gut ich getroffen hatte; und diesen Augenblick benutzten wir nun, in der Richtung, in der wir gekommen waren, eilends davon zu laufen. Wir wußten, daß hier die Kluft allmählich enger wurde und ziemlich steil aufstieg, und daß man zuletzt ohne übermäßige Mühe die Höhe erklettern konnte. Doch war es ein großes Glück, daß unsere Angreifer die Verfolgung in der Finsternis sehr bald aufgaben, denn beim letzten Aufstieg drohten meine Kräfte mich zu verlassen, und ich fühlte, daß ich aus mehreren Wunden heftig blutete; auch mein Freund war verwundet, obschon leichter.

Oben angekommen, zerschnitten wir mein Gewand und verbanden notdürftig unsere Wunden, und so gelangte ich denn endlich, auf Somadattas Arm gestützt, glücklich nach Hause, wo ich dann mehrere Wochen auf dem Schmerzenslager zubringen mußte.

Da lag ich nun, von dreifachem Leid geplagt. Denn die Wunden und das Fieber verbrannten mir den Leib, und zehrende Sehnsucht nach der Geliebten verzehrte meine Seele – bald aber kam noch die Besorgnis um ihr teures Leben hinzu. Denn das zarte, blumenhafte Wesen hatte die Nachricht von der tödlichen Gefahr, in der ich geschwebt hatte und vielleicht noch immer schwebte, nicht ertragen können und war von einer schweren Krankheit befallen worden. Ihre getreue Milchschwester Medini ging aber tagtäglich von einem Krankenlager zum anderen, und so fehlte es uns wenigstens nicht an dauernder Verbindung und an sinnigem Verkehr. Blumen wanderten zwischen uns hin und her, und da wir beide in die Wissenschaft der Blumensprache eingeweiht waren, vertrauten wir uns durch diese lieblichen Boten gar mancherlei an. Später, als unsere Kräfte sich hoben, fand auch manch zierlicher Vers den Weg von Hand zu Hand, und so hätte unser Zustand sich bald recht erträglich gestaltet, wenn nicht mit der Genesung, der wir in gleichem Schritt uns näherten – gleichsam zu treu verbunden, als daß der eine dem anderen darin vorauseilen wollte – auch die Zukunft an uns herangetreten wäre und uns mit schweren Sorgen erfüllt hätte.

Es war uns nämlich nicht verborgen geblieben, welcher Art jener scheinbar so rätselhafte Überfall gewesen war. Kein anderer als der Sohn des Ministers – Satagira war sein verhaßter Name –, mit dem ich an jenem unvergeßlichen Nachmittage im Parke um Vasitthis Ball gerungen hatte: kein anderer war es als er, der die gedungenen Mörder auf mich gehetzt hatte. Ohne Zweifel hatte er bemerkt, daß ich nach der Abreise der Gesandtschaft noch immer in der Stadt zurückblieb, und sein dadurch geweckter Argwohn hatte gar bald meine nächtlichen Besuche auf der Terrasse erspäht.

Ach, jene Terrasse der Sorgenlosen war unserer Liebe jetzt wie ein versunkenes Eiland. Wohl hätte ich freudig immer wieder und wieder mein Leben in die Schanze geschlagen, um die Holde dort zu umfangen. Aber selbst wenn Vasitthi das Herz gehabt hätte, mich allnächtlich tödlicher Gefahr auszusetzen, so blieb uns doch eine solche Versuchung erspart. Der böse Satagira mußte die Eltern meiner Geliebten von unseren geheimen Zusammenkünften unterrichtet haben, denn es zeigte sich bald, daß Vasitthi sorgfältig und argwöhnisch überwacht wurde, und daß der Aufenthalt auf der Terrasse ihr nach Sonnenuntergang verboten war – angeblich wegen ihrer noch gefährdeten Gesundheit.

So war denn unsere Liebe obdachlos! Die sich so gern im Verborgenen heimisch fühlt, durfte nur dort zu Hause sein, wo es alle Welt war! – In jenem öffentlichen Garten, wo ich zuerst ihre göttliche Gestalt erblickt und sie ein paarmal schon vergebens gesucht hatte, trafen wir uns wie von ungefähr. Aber was für eine Begegnung war das! Wie flüchtig die gestohlenen Minuten, wie zaghaft und sparsam die hastigen Worte, wie gezwungen die Bewegungen, die sich neugierigen oder wohl gar spähenden Blicken ausgesetzt fühlten! Vasitthi beschwor mich, die Stadt, wo mir in ihrer Nähe tödliche Gefahr drohte, sofort zu verlassen. Sie klagte sich bitter an, daß sie an jenem unvergeßlichen ersten Abend auf der Terrasse durch ihren Eigensinn mich zum Bleiben überredet und mich dadurch beinahe schon in den Rachen des Todes getrieben habe; vielleicht würden in diesem Augenblick neue Meuchelmörder gegen mich gedungen. Wenn ich mich nicht durch schleunigste Abreise dieser Gefahr entzöge, machte ich sie zur Mörderin ihres Liebsten! Unterdrücktes Schluchzen erstickte ihre Stimme, und ich mußte daneben stehen, ohne sie in meine Arme schließen und ihr die Tränen, die schwer wie Gewittertropfen ihre blassen Wangen herabrollten, wegküssen zu können. Einen solchen Abschied ertrug ich nicht, und ich erklärte ihr, ich könne nicht von dannen reisen, ohne vorher eine Zusammenkunft mit ihr zu haben, wie diese nun auch zu bewerkstelligen sei. Vasitthis verzweifelt flehender Blick, als wir gerade in diesem Moment durch das Nahen mehrerer Personen uns zu trennen genötigt wurden, konnte meinen Entschluß nicht zum Wanken bringen. Ich vertraute auf die Erfindungsgabe meiner Geliebten, die nunmehr, durch Sehnsucht nach mir und durch Angst um mein Leben angespornt und von der schlauen und in Liebessachen bewanderten Milchschwester Medini beraten, gewiß einen Ausweg finden würde. Hierin täuschte ich mich nicht; denn noch in derselben Nacht konnte Somadatta mir ihren recht verheißungsvollen Plan mitteilen.


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