Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XXIII. Selige Reigen

Mit Verwunderung bemerkte Kamanita jetzt, wie eine nicht weit von ihm auf ihrer Lotusrose thronende weiße Gestalt plötzlich in die Höhe wuchs. Die aufgehäufte Masse der eckigen Mantelfalten wickelte sich auseinander, bis das Gewand geradlinig von den Schultern bis zum goldigen Saume hinabfloß. Und dieser berührte schon nicht mehr die Blumenblätter – die Gestalt schwebte frei über den Teich hin, über das Ufer hinauf, und verschwand zwischen den Bäumen und hinter dem Gebüsch.

»Wie herrlich muß das sein!« – dachte Kamanita. »Aber das ist wohl eine sehr schwierige Kunst, obschon es aussieht, als ob es gar nichts wäre. Ob ich das wohl jemals lernen kann?«

»Du kannst schon, wenn du nur willst,« antwortete der Blaue, an den die letzte Frage gerichtet war.

Sofort hatte Kamanita die Empfindung, als ob etwas seinen Körper in die Höhe höbe. Er schwebte schon quer über den Teich nach dem Ufer zu, und bald war er mitten im Grünen. Wohin er seinen Blick wünschend richtete, dorthin ging sein Flug, schnell oder langsam, je nach Verlangen. Er sah nun andere Lotusteiche, ebenso herrlich wie der, den er eben verlassen hatte, durchstreifte liebliche Haine, wo bunte Vögel von Zweig zu Zweig hüpften und ihr melodisches Zwitschern mit dem leisen Rauschen der Wipfel mischten, strich über blumenreiche Auen hin, wo niedliche Antilopen ihr Spiel trieben, ohne sich im geringsten vor ihm zu fürchten, und ließ sich endlich auf dem sanften Abhang eines Hügels nieder. Zwischen Baumstämmen und blühendem Gebüsch sah er die Ecke eines Teiches, wo das Wasser rings um die großen Lotusblüten glitzerte, deren Blumenthrone hier und dort eine selige Gestalt trugen, während mehrere selbst von den ganz entfalteten leer waren.

Es war nämlich offenbar gerade ein Augenblick des allgemeinen Schwärmens. Wie an einem warmen Sommerabend die Leuchtkäfer unter den Bäumen und um das Gebüsch hin und her kreisen, ein stilles, leuchtendes Treiben, also schwebten hier die seligen Gestalten, einzeln und paarweise, in ganzen Gruppen oder Reihen durch die Haine und um die Felsen. Dabei sah man es ihren Mienen und Blicken an, daß sie sich lebhaft miteinander unterhielten und man ahnte die unsichtbaren Fäden des Gespräches, die sich zwischen den lautlos Dahinziehenden hinüber und herüber spannen.

In süßer, traumhafter Befangenheit genoß Kamanita dies reizende Schauspiel. Nach und nach entstand in ihm ein Verlangen, sich mit diesen fröhlichen zu unterhalten.

Sofort war er von einer ganzen Gesellschaft umringt, die ihn freundlich begrüßte als den Neuangekommenen, den soeben Erwachten.

Kamanita wunderte sich sehr und fragte, ob denn das Gerücht von seinem Entstehen sich schon überall in Sukhavati verbreitet hätte.

»O, wenn ein Lotus sich öffnet, regen sich alle Lotusblumen in den Paradiesteichen, und jedes Wesen fühlt, wenn hier irgendwo ein neues Wesen zur Seligkeit erwacht.«

»Aber wie könnt ihr wissen, daß gerade ich der Neue bin?«

Die ihn Umschwebenden lächelten lieblich.

»Du bist noch nicht so ganz erwacht.«

»Du blickst uns an, als ob du Traumgestalten sähest und dich davor fürchtetest, daß sie plötzlich verschwinden könnten und daß eine rauhe Wirklichkeit dich wieder umgeben möchte.«

Kamanita schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe euch nicht so recht. Was sind Traumgestalten?«

»Ihr vergeßt,« sagte eine Weißgekleidete, »daß er gewiß noch nicht am Korallenbaume war.«

»Nein, dort war ich noch nicht. Aber ich habe doch schon von ihm gehört. Mein Nachbar im Teiche sprach mir davon; der Baum soll solch ein Wunder sein. Was ist's denn mit ihm?«

Aber sie lächelten alle geheimnisvoll, sich gegenseitig anblickend und den Kopf schüttelnd. »Ich möchte gern sofort hin. Will mir niemand den Weg zeigen?«

»Den Weg findest du schon selber, wenn die Zeit gekommen ist.«

Kamanita strich sich mit der Hand über die Stirn.

»Noch ein Wunderding war da, von dem er sprach. ... Ja! Die himmlische Ganga ... Von ihr wird unser Teich gespeist. Ist das mit dem eurigen auch so?«

Die Weißgekleidete zeigte nach dem klaren Flüßchen, das sich um den Fuß des Hügels wand und in gemächlichen Krümmungen sich dem Teiche zuschlängelte.

»Das ist unser Zufluß. Unzählige solcher Adern durchziehen diese Gefilde, und auch das, was du gesehen hast, ist nur eine solche, wenn auch eine größere. Aber die himmlische Ganga selber umschließt das ganze Sukhavati.«

»Hast du auch sie selber gesehen?«

Die Weiße schüttelte den Kopf.

»So kann man denn nicht dorthin kommen?«

»Man kann schon,« antworteten sie alle. »Aber keiner von uns war dort. Warum sollten wir auch? Nirgends kann es schöner sein als hier. Einige andere freilich waren da – aber sie sind nie wieder hingeflogen.«

»Warum denn nicht?«

Die Weiße zeigte nach dem Teiche:

»Siehst du den Roten dort, fast am anderen Ufer? – Er war dort, es ist lange, lange her. Wollen wir ihn fragen, ob er später noch einmal nach dem Gestade der Ganga geflogen ist?« »Nimmermehr,« klang sofort die Antwort des Roten.

»Und warum denn nicht?«

»Fliege selber hin und hole dir Antwort.« »Wollen wir? Mit dir zusammen darf ich schon.« »Ich möchte wohl hin – aber jetzt nicht.«

Aus einem nahen Hain schwebte ein Zug seliger Gestalten hervor, schlang sich zu einem Reigen um das Wiesengebüsch, und indem die Reihe sich ausdehnte, ergriff die äußerste Gestalt – eine hellblaue – die Hand der Weißen. Diese reichte einladend ihre andere Hand Kamanita hin.

Er dankte ihr lächelnd, schüttelte aber leise den Kopf: –

»Noch möchte ich lieber zusehen.«

»Ja, ruhe nur, und erwache. Auf Wiedersehen!« Und von der Hellblauen sanft fortgezogen, schwebte sie von dannen, im luftigen Ringeltanz.

Und auch die anderen zogen mit freundlichem, aufmunterndem Gruß davon, um ihm Ruhe zur Sammlung zu geben.


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