Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XXXVII. Paradieswelken

»Ja, mein Freund,« fügte Vasitthi hinzu, »ohne Enttäuschung vernahm ich jene Worte, die dir so hoffnungsvernichtend erschienen, wie ich jetzt ohne Schmerz, ja sogar mit Freude sehe, wie hier ringsum die Wahrheit dieser Worte zur Wirklichkeit wird.«

Während der Erzählung Vasitthis war in der Tat das Welken langsam, aber unaufhaltsam fortgeschritten, und es konnte nunmehr nicht der leiseste Zweifel bestehen, daß alle diese Wesen und ihre Umgebungen dem Untergang und der völligen Auflösung entgegensiechten.

Die Lotusrosen hatten schon mehr als die Hälfte ihrer Kronenblätter gefällt, und das Wasser glitzerte nur noch spärlich hervor zwischen diesen bunten Schifflein, jeden Augenblick in Zittern versetzt durch das Fallen eines Blattes. Auf ihren schmuckberaubten Blumenthronen saßen die Gestalten in mehr oder weniger zusammengesunkenen Stellungen; diesem war der Kopf vornüber auf die Brust, jenem seitlings auf die Schulter gesunken, und wie Fieberschauer durchzuckte es sie jedesmal, wenn ein fröstelndes Schaudern die schon gelichteten Wipfel der Haine durchlief, so daß Blüten und Blätter herniederregneten. Traurig gedämpft, und immer häufiger von schmerzlichen Dissonanzen durchzogen, klang die Musik der himmlischen Genien; tiefe Seufzer und angstvolles Stöhnen mischten sich hinein. Alles, was geleuchtet hatte – Gesichter und Gewänder der Seligen und der Genien, Wolken und Blumen –, sie alle verloren mehr und mehr ihren Glanz, und ein bläulicher Dämmerungsnebel schien seine Fäden um die Fernen zu spinnen. Aus dem frischen Blumenduft, der vorher so herzerquickend Alles durchhaucht hatte, war aber jetzt allmählich ein atembeklemmender und sinnenbetäubender, einschläfernder Geruch geworden.

Und Kamanita zeigte umher mit einer matten Handbewegung:

»Wie kann man denn, Vasitthi, an einem solchen Anblick Freude empfinden?«

»Deshalb, mein Freund, kann ich mich über diesen Anblick freuen, weil, wenn dies Alles dauerhaft und unvergänglich wäre, es kein Höheres gäbe. Nun aber gibt es ein Höheres, denn dies vergeht – und es gibt ein Unvergängliches, Unentstandenes. Das eben nennt der Erhabene »Freude der Vergänglichkeit«, und deshalb sagt er: ›Wenn du den Untergang des Erschaffenen erkannt hast, dann kennst du das Unerschaffene‹.«

Durch diese zuversichtlichen Worte belebten sich die Züge Kamanitas, wie eine vor Trockenheit hinwelkende Blume sich unter dem Regen erholt.

»Gepriesen seist du, Vasitthi! zu meinem Heile bist du mir gegeben. Ja, ich fühle es: darin nur haben wir gefehlt, daß unsere Sehnsucht nicht hoch genug gezielt hat. Denn wir ersehnten uns ja dies Leben in einem Blumenparadiese. Und Blumen müssen freilich, ihrer Natur nach, verwelken. Unvergänglich aber sind die Sterne; nach ewigen Gesetzen wandeln sie ihre Bahnen. Und sieh dort, Vasitthi, während alles andere die blassen Spuren des Verfalles zeigt, gießt jenes Flüßchen – ein Zweig der himmlischen Ganga – sein Wasser ebenso sternenklar und ebenso reichlich wie je in unseren Teich – weil es eben von der Sternenwelt kommt. Wer das erreichen könnte, unter den Sternengöttern wieder ins Dasein zu treten, der wäre über den Kreislauf des Vergänglichen erhaben.«

»Warum sollten wir das nicht erreichen können?« fragte Vasitthi. »Denn ich habe ja von Mönchen gehört, die ihren Sinn und ihr Herz darauf richteten, im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wiederzukehren. Und auch jetzt kann es noch nicht zu spät sein, wenn das alte Wort aus dem hohen Liede wahr ist:

›Das Sein, an welches denkend er aus diesem Leibe scheidet,
In dieses Sein wird jedesmal er drüben eingekleidet‹.«

»Vasitthi! du gibst mir jenen übermenschlichen Mut! Wohlan, wir wollen unser ganzes Sinnen darauf richten, im Reiche des hunderttausendfachen Brahma wieder ins Dasein zu treten.«

Kaum hatten sie diesen Entschluß gefaßt, so brauste ein mächtiger Sturmwind durch die Haine und über die Teiche. Blüten und Blätter wirbelten haufenweise dahin, die Lotusthronenden duckten sich und zogen stöhnend den Mantel dichter um die zitternden Glieder.

Wie aber Einer, der in der eingeschlossenen, düftegesättigten Luft eines Zimmers am Ersticken ist, wenn der frische Meerwind, salzig von den Fluten des Ozeans, durch das geöffnete Fenster hereinweht, diesen aus voller Brust atmet und sich neu belebt fühlt: also wurde Kamanita und Vasitthi zu Mute, als ihnen jener Duft des völlig Reinen entgegenströmte, den sie einst am Gestade der himmlischen Ganga geatmet hatten.

»Merkst du's?« fragte Vasitthi.

»Ein Gruß von der Ganga. Und horch, sie ruft,« sagte Kamanita.

Denn die klagende Sterbeweise der Genien wurde jetzt durch jene feierlichen, donnerähnlichen Klänge übertäubt.

»Gut, daß wir schon den Weg kennen,« jubelte Vasitthi. »Fürchtest du dich noch, mein Freund?«

»Wie sollte ich mich fürchten? Komm!« Und wie ein Vogelpaar sich aus dem Neste stürzt und dem Winde entgegenfliegt, also flogen sie von dannen.

Alle starrten ihnen nach, verwundert, daß es hier noch Wesen gäbe, die Kraft und Mut zu einem Fluge besäßen.

Als sie aber so dem Winde entgegenflogen, entstand ein Wirbelsturm, der hinter ihnen Alles entblätterte und entseelte, dem hinsiechenden Leben Sukhavatis ein Ende machend.

Bald war der Palmenwald erreicht, bald durchflogen. Vor ihnen breitete sich die silbrige Fläche des Weltenstromes bis zum schwarzblauen Himmelsrande.

Sie schwebten über seine Fluten hinaus, und sofort wurden sie von der dort herrschenden Luftströmung erfaßt und im Sturmesflug davongetragen. Durch die Schnelligkeit der Fahrt und unter dem mächtigen Getöse wie von Donner und Glockengeläute schwanden ihnen die Sinne.


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