Karl Gjellerup
Der Pilger Kamanita
Karl Gjellerup

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XI. Der Elefantenrüssel

Nach dieser Probe der seltsamen Denkweise dieses außerordentlichen Mannes – dem man wenigstens nicht, wie so vielen anderen berühmten Denkern, zur Last legen kann, daß er seine Theorie nicht in die Praxis umsetzte – nehme ich den Faden meiner Erzählung wieder auf.

Bei solchen mannigfachen Erlebnissen und neuen Geistesbeschäftigungen – ich versäumte selbstverständlich nicht, die Gaunersprache mir zu eigen zu machen – konnte die Wartezeit mir nicht lang werden. Je mehr sie sich aber ihrem Ende näherte, um so mehr wurde meine Seelenruhe durch drückende Besorgnisse erschüttert. Würde das Lösegeld überhaupt ankommen? Wenn auch jener Geleitbrief den Diener gegen Räuber schützte, so könnte ihn ja unterwegs ein Tiger zerreißen oder ein angeschwollener Fluß fortschwemmen, oder irgend einer der zahllosen, nicht vorauszusehenden Zufälle einer Reise ihn aufhalten, bis es zu spät war. Die Flammenblicke Angulimalas schossen oft so böswillig nach mir hin, als ob er diesen Fall erhoffte, und der Angstschweiß brach mir dann aus allen Poren. Wie wundervoll systematisch eingeleitet und scharf logisch begründet auch die Ausführung Vajaçravas' darüber war, daß in jedem Fall, in dem das Lösegeld nicht zur rechten Stunde gebracht würde, der Betreffende mit einer Baumsäge durchzusägen und beide Teile mitten auf die Landstraße hinzuwerfen seien – und zwar der Kopfteil nach der Seite des aufgehenden Mondes zu: so gestehe ich doch, daß meine Bewunderung für diese wissenschaftlich gewiß staunenswerte Leistung meines gelehrten Freundes durch eine eigentümliche Bewegung meines etwas »betroffenen« Bauchfelles einigermaßen beeinträchtigt wurde, zumal als wirklich die doppelzähnige Baumsäge, die bei solchen Gelegenheiten benutzt wurde, hergebracht und zur Veranschaulichung von zwei grimmigen Gesellen an einem einen Menschen vorstellenden Bündel in Wirksamkeit gesetzt wurde.

Vajacravas, der bemerkte, wie mir übel wurde, klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und meinte, das ginge mich ja nichts an. Dadurch schöpfte ich natürlich die Hoffnung, daß er mich im Notfalle zum dritten Male retten würde. Als ich aber in dankbarstem Tone etwas davon verlauten ließ, machte er ein gar ernstes Gesicht und sprach:

»Wenn dir dein Karma wirklich so gram sein sollte, daß das Lösegeld nicht zur rechten Zeit ankommt, und wäre es auch nur um einen halben Tag verspätet, dann kann dir freilich kein Gott und kein Teufel helfen, denn die Gesetze Kalis sind unverbrüchlich. Jedoch, sei getrost, mein Sohn! Du bist noch zu ganz anderen Dingen bestimmt. Und für dich fürchte ich eher, daß du einmal, nach einem ruhmreichen Räuberleben, auf einem öffentlichen Platze enthauptet oder gepfählt wirst – doch das hat ja noch gute Weile.«

Ich könnte nicht sagen, daß dieser Trost mich sehr aufgerichtet hätte, und so fühlte ich mich denn nicht wenig erleichtert, als eine volle Woche vor Ablauf der Frist unser getreuer alter Diener mit der geforderten Geldsumme eintraf. Ich nahm Abschied von meinem furchtbaren Wirt, der in Erinnerung an seinen erschlagenen Freund finster dreinblickte, als ob er mich lieber hätte durchsägen lassen, und drückte zärtlich die Hand des Brahmanen, der eine Träne der Rührung durch die Zuversicht bannte, wir würden uns sicher noch auf den nächtlichen Pfaden Kalis begegnen. So zogen wir beide denn ab, von vier Räubern begleitet, die mit ihrer Haut für unsere sichere Ankunft in Ujjeni hafteten. Denn Angulimala, der um seine Räuberehre sehr besorgt war, versprach ihnen, als er uns verabschiedete, wenn ich nicht heil in meiner Vaterstadt abgeliefert würde, ihnen die Haut über die Ohren zu ziehen und ihre Felle an den vier Ecken eines Kreuzweges aufzuhängen; und es war bekannt, daß er immer sein Versprechen hielt. Glücklicherweise wurde das hier nicht nötig, und die vier Gesellen, die sich unterwegs sehr wacker betrugen, mögen noch in diesem Augenblick im Dienste der schädelhalsbandschüttelnden Tänzerin sein.

Wir erreichten Ujjeni ohne weitere Abenteuer, und ich hatte in der Tat auch an den erlebten genug. Die Freude meiner Eltern, mich wiederzusehen, war unbeschreiblich. Um so unmöglicher war es, ihnen die Erlaubnis abzuringen, bald wieder eine Reise nach Kosambi zu unternehmen. Mein Vater hatte ja außer der nicht unbedeutenden Lösesumme auch alle Waren meiner Karawane und alle Leute verloren und war so bald nicht imstande, eine neue Karawane auszurüsten. Aber dies war nur ein kleines Hindernis im Verhältnis zu dem Schrecken, der meine Eltern beim Gedanken an die Gefahren des Weges befiel. Auch hörte man ab und zu immer wieder von furchtbaren Taten Angulimalas, und ich kann nicht leugnen, daß es mich wenig gelüstete, noch einmal in seine Hände zu fallen. Eine Botschaft nach Kosambi gelangen zu lassen, gab es in dieser Zeit durchaus keine Möglichkeit, und so mußte ich mich denn mit der Erinnerung begnügen und in fester Zuversicht auf die Treue meiner angebeteten Vasitthi mich auf bessere Zeiten vertrösten.

Diese kamen denn endlich auch. Eines Tages flog wie ein Lauffeuer die Nachricht durch die Stadt, der schreckliche Angulimala sei von Satagira, dem Sohne des Ministers in Kosambi, aufs Haupt geschlagen, die Bande niedergemetzelt oder zersprengt, der Häuptling aber mit vielen der hervorragendsten Räuber gefangen genommen und hingerichtet worden.

Nun konnten meine Eltern meinen stürmischen Bitten nicht mehr widerstehen. Man hatte in der Tat guten Grund, anzunehmen, daß jetzt für längere Zeit die Straßen frei sein würden, und mein Vater war nicht abgeneigt, wieder mit einer Karawane sein Glück zu versuchen. Da befiel mich plötzlich eine Krankheit, und als ich vom Lager wieder aufstand, war die Regenzeit schon so nahe herangerückt, daß man diese erst abwarten mußte. Dann stand aber auch meiner Abreise nichts mehr entgegen. Mit vielen Ermahnungen zur Vorsicht nahmen meine Eltern Abschied von mir, und ich befand mich wieder unterwegs an der Spitze einer wohlversehenen Karawane von dreißig Ochsenkarren, freudigen und mutigen Herzens und von brennender Sehnsucht getrieben.

Unsere Reise ging so glatt vonstatten, wie das erste Mal, und an einem schönen Morgen zog ich, halb närrisch vor Freude, in Kosambi ein. Hier gewahrte ich nun bald ein ungewöhnliches Menschengedränge in den Straßen. Ich kam infolgedessen immer langsamer vorwärts, bis mein Zug an einer Stelle, wo er eine Hauptverkehrsader der Stadt zu durchkreuzen hatte, endlich völlig zum Stillstehen gebracht wurde. Es war schlechterdings nicht möglich, durch die Menge hindurchzudringen, und ich bemerkte nun auch, daß jene Hauptstraße durch Fahnenstangen, von den Fenstern und Söllern herabhängende Teppiche und querüber gespannte Blumengewinde aufs prächtigste geschmückt war – wie für irgend einen Aufzug. Fluchend vor Ungeduld, fragte ich die vor mir Stehenden, was hier los sei.

»Ei,« riefen sie, »weißt du denn nicht, daß heute Satagira, der Sohn des Ministers, seine Hochzeit feiert? Du kannst dich glücklich preisen, gerade zu rechter Zeit eingetroffen zu sein, denn der Zug kommt jetzt vom Krishnatempel hier vorüber, und eine solche Pracht hast du gewiß noch nirgends gesehen.«

Daß Satagira Hochzeit hielt, war mir eine ebenso wichtige wie willkommene Nachricht, weil sein Werben um meine Vasitthi bei ihren Eltern eins der größten Hindernisse für unsere Vereinigung gewesen wäre. So ließ ich mir denn das Warten gefallen, um so mehr als es nicht lange dauern konnte; denn schon waren die Lanzenspitzen einer Reiterabteilung sichtbar, die unter ohrenbetäubendem Jubel vorüberzog. Diese Reiter genossen, wie man mir mitteilte, in Kosambi die größte Volksgunst, weil hauptsächlich sie es waren, die die Bande Angulimalas unschädlich gemacht hatten.

Fast unmittelbar hinter ihnen kam der Elefant, der die Braut trug – allerdings ein überwältigender Anblick. Die knorrige, hügelartige Stirn des Riesentieres war, dem Götterberg Meru ähnlich, mit einem Flor von mannigfarbigen Edelsteinen bedeckt. Wie bei einem brünstigen Ilfenstier der Saft an den Schläfen und Wangen herabträufelt, und Bienenschwärme, von seinem süßen Duft angelockt, darüber hängen, also erglänzten hier Schläfen und Wangen von den wundervollsten Perlen und darüber baumelten durchsichtige Gehänge von schwarzen Diamanten – eine Wirkung, die zum Aufschreien schön war. Die mächtigen Hauer waren mit dem feinsten Golde beschlagen; und aus demselben edlen Metalle war die mit großen Rubinen besetzte Brustplatte, von der der duftigste blaue Benaresmusselin herabhing und die kräftigen Beine des Tieres – wie Morgennebel die Baumstämme – leicht umwallte.

Aber es war der Rüssel des Staatselefanten, der vor allem meinen Blick fesselte. Auch zu Hause, in Ujjeni, hatte ich ja bei Prozessionen sehr prachtvolle Dekorationen der Elefantenrüssel gesehen, aber niemals eine, die so geschmackvoll gewesen wäre wie diese. Bei uns nämlich wurde der Rüssel in Felder eingeteilt, die irgend ein feines Muster bildeten, und war also ganz mit Farbe gedeckt. Hier aber war die Haut als Untergrund frei gelassen, und über diesen astähnlichen Grund war ein loses Laubgeranke von lanzettförmigen Asokablättern geschlungen, aus dem gelbe, orangefarbene und scharlachrote Blumen hervorleuchteten – Alles in köstlichster ornamentaler Stilisierung ausgeführt.

Während ich nun mit dem Blick eines Kenners dies Wunderwerk studierte, kam ein gar wehmütiges Gefühl über mich, indem ich gleichsam den ganzen Liebesduft jener seligen Nächte auf der Terrasse wieder einatmete. Mein Herz begann heftig zu pochen, da ich unwillkürlich an meine eigene Hochzeit denken mußte; denn welcher Schmuck konnte sinniger erfunden werden für das Tier, welches dereinst Vasitthi tragen sollte, als gerade dieser, da ja die »Terrasse der Sorgenlosen« wegen ihrer wunderbaren Asokablüten in ganz Kosambi berühmt war?

In diesem fast traumhaften Zustande vernahm ich, wie eine Frau neben mir zu einer anderen sagte:

»Aber die Braut – die sieht doch gar nicht fröhlich aus!«

Unwillkürlich blickte ich in die Höhe, und ein seltsam unheimliches Gefühl beschlich mich, als ich die Gestalt gewahr wurde, die dort unter dem purpurnen Baldachin saß. Gestalt, sage ich – das Gesicht konnte ich nicht sehen, weil der Kopf vornüber auf die Brust gesunken war – aber auch von einer Gestalt sah man wenig, und es schien, als ob in jener Masse von regenbogenfarbigen Musselins, wenn auch ein Körper, so doch kein mit lebendiger, widerstandsfähiger Kraft begabter steckte. Die Art und Weise, wie sie hin und her schwankte bei den Bewegungen des Tieres, dessen mächtige Schritte das Zelt auf seinem Rücken in starkes Schaukeln versetzten, hatte etwas unsagbar Trauriges, ja fast etwas Grauenerregendes an sich. Man konnte in der Tat befürchten, daß sie im nächsten Augenblick herunterstürzen würde. Eine solche Furcht mochte auch die hinter ihr stehende Dienerin bewegen, denn sie faßte die Braut an den Schultern und neigte sich zu ihr vor, um ihr aufmunternde Worte ins Ohr zu flüstern.

Ein eisiger Schreck lähmte mich, als ich in dieser vermeintlichen Dienerin – Medini erkannte. Und ehe mir diese Ahnung noch deutlich geworden war, hatte die Braut Satagifas den Kopf erhoben.

Es war meine Vasitthi.


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