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Viertes Capitel.

Ernst war auf einer Geschäftsreise in Angelegenheiten der Demokratie begriffen. An Geld fehlte es ihm nicht. Die Polen, für die er sich aufgeopfert hatte, sind in diesem Punkte stets nobel und versorgten ihn mit hinreichenden Summen.

Eines Abends war er, in einer der deutschen Miniaturresidenzen angekommen, in die Versammlung des demokratischen Clubs gegangen, aber es war ihm unmöglich länger sich dort aufzuhalten, als eine Anstandsvisite es erfoderte. Er war der echte Demagoge geworden, der das Volk tapfer, weise, bewundernswürdig nennt, und doch es verachtet, weil es nur den Prunk der Phrase, nicht den Kern der Wahrheit zu schätzen weiß. Vorzüglich verhaßt war ihm die spießbürgerliche Mittelmäßigkeit dieser kleinstädtischen Demokratie. Er ging aus dem Club ins Theater. Man gab Robert den Teufel. Er trat mitten im Acte ein und schenkte der Vorstellung kaum die geringste Aufmerksamkeit. Plötzlich trifft ein Ton sein Ohr, sein Herz, seine innerste Seele. »Gnade, Gnade für mich, Gnade für dich selber!« so klingt das hinreißende Flehen einer üppig schwellenden, glockenhellen Stimme von altbekanntem Klange zu ihm herüber.

Delphine meint er zu erkennen und doch muß er fürchten, sich zu irren. Ihr Wesen ist es, aber durch und durch verändert. Das Auge nicht mehr sanft leuchtend, sondern feurig glühend, nicht wie damals fromm gen Himmel aufgeschlagen, sondern unstet das Haus durchirrend. Ihr Gesang hat Manier bekommen, nicht mehr von lyrischer Einfachheit, sondern von leidenschaftlich dramatischem Accente durchlebt. Ihr ganzes Benehmen ringt in hastig suchender Beweglichkeit nach dem höchsten Ausdrucke des übermächtigen, aus sich herausdrängenden Gefühles. Jeder Moment ist Bewegung, jede Bewegung theatralischer Effect. Als am Ende der Arie die Primadonna, in furiosem Fortissimo die ganze Gewalt ihrer gereiften Stimme entfaltend, mit exaltirtem Spiele den Verführer, zu dem ihr Flehen gerichtet ist, an den Händen zerrt und dann in statuenartiger Stellung vor ihm zusammensinkt, da bricht von allen Seiten rauschender Applaus über sie herein, dankend richtet ihr Auge sich zur Seitenloge, wo ein Prinz mit rothem Ordensband um die Cravatte über die Brüstung gebeugt ihr applaudirt, und dieser heilig üppige Blick läßt dem überraschten Ernst Wagner keinen Zweifel mehr. Es ist Delphine, aber die erlöste, die offenbar gewordene Delphine!

Die leidende Apathie, die ihr Wesen bisher verschleiert gehalten, war durchbrochen; das, was ihre befangenen Lebensgeister entzauberte, war die Leidenschaft. Delphine hatte bei aller Leidenschaftlichkeit, deren sie in ihrem nervös reizbaren Zustande momentan fähig war, die Leidenschaft selbst nicht gekannt. Sie hatte geschwelgt in Stimmungen; aber sie empfand nur, um zu empfinden; der Gegenstand ihres Gefühles hatte kein bleibendes Interesse für sie; keinen Augenblick hatte sie darüber sich selbst vergessen; noch nie war sie vom Zuge ihres Herzens, einem Gedanken ganz angehörend, über sich hinaus gerissen worden.

So war ihre Liebe, auch die zu Cesar, keine Leidenschaft gewesen, nur leidenschaftliches Begehren. Glück ist nur in der Liebe reiner Herzen, – das Glück der Hingebung, das Glück der Beglückung. Die Liebe der Selbstsucht trägt den Fluch der ewigen Unbefriedigtheit an sich; die Begierde wird durch jede Befriedigung nur selbstquälerisch gesteigert.

Die Banden, die sie mit Cesar verknüpften, waren ihr die Ketten, welche die Sclaven aneinanderfesseln. Die tiefste Unglückseligkeit empfand sie auch im süßesten Glücke und doch konnte sie von diesem sich nicht trennen. Als aber Cesar selbst die Fesseln zerriß, da bemächtigte sich ihrer ein Haß, der sie zum erstenmale aus ihrer träumerischen Apathie herausriß und all ihre Lebensgeister zu vollster Freiheit weckte. Nicht nur Cesar haßte sie; sie haßte die ganze Männerwelt. Der Dämon der Coketterie, der sie bisher, ohne daß sie selbst es wußte, besessen hatte, war jetzt zügellos entfesselt. Sie betrog nur noch Andere, nicht mehr sich selbst; ihr Egoismus war nicht mehr das mystisch sentimentale Pathos, das sie selbst aufrieb, sondern die hinterlistige Intrigue, die über Männer triumphiren wollte.

Wild war sie in das Leben hineingestürmt. Sie war in jener Lebensepoche, die vielleicht jeder geniale Charakter durchzumachen hat, in der man, um Empfundenes und Gethanes zu vergessen, hastig erfaßt, was sich auch darbietet, in der man nur neues erleben will, sei es Freudiges, sei es Schmerzliches.

Jede Beständigkeit war Delphine in dieser Stimmung verhaßt. Nirgends konnte sie rasten und doch wußte sie nie, wohin sie fliehen sollte. Schon zwei Theatercontracte hatte sie gebrochen und mußte enorme Summen Reugeld zahlen. Sie war in Schulden gestürzt. Jeder Mangel war ihr verhaßt, weil er an ihre elende Vergangenheit sie erinnerte. Der Prinz, der ihr heute im Theater applaudirt hatte, sollte ihr mit seinen Revenuen unter die Arme greifen. Sie hatte ihm heute zum ersten male ein Rendezvous gegeben: nach der Oper auf ihrem Zimmer, wenn sie wie gewöhnlich an der Table d'Hote soupirt hätte.

Nach abgelegtem Costüme und abgewischter Schminke trat die Primadonna in den öffentlichen Speisesaal ihres Hotels. Officiere und Kammerherren, die Cavaliere des Hofes, die seit Frau Schröder einer so genialen Theaterprinzessin nicht gehuldigt hatten, bildeten von der Eingangsthüre bis zu ihrem regelmäßigen Platze an der Spitze der Tafel ein Spalier. Donna Delphine schritt majestätisch hindurch und hielt nach rechts und links den aufmarschirten Grafen und Baronen die superben Hände zum Handkuß hin.

»Ich bin verlechzt!« rief sie, als der ungeschickte Kellner sich vergeblich bemühte, den Draht der Champagnerflasche zu lösen. Zürnend riß sie ihm, ihren weißen Handschuh nicht schonend, die Bouteille aus der Hand und schlug an der Kante des Tisches den Pfropfen mit dem Halse ab. Ueber den ganzen Tisch spritzte der Schaum. Nobel mäckernd lachten die Cavaliere und blickten nach einem, schon längst von ihnen scheel angesehenen Fremden am anderen Ende ihrer Tafel, dem der Champagnerstrahl ins Gesicht gesprudelt war.

Auch die Primadonna lachte laut auf; mit ihrer übermüthigen Miene bog sie die Vase mit den Blumenbouquets, die sie heute durch die Gnadenarie erobert, zur Seite, um den Cavalier, den sie aus solcher Distance benetzt hatte, in Augenschein zu nehmen, und – erbleichend schreckt sie zusammen. Einen aus dem Grabe heraufgestiegenen Geist hat sie zwischen den Tafelaufsätzen und Flaschen hindurch erblickt.

Delphine war noch durch nichts von dem Irrthume enttäuscht, in dem sie Ernst am 18. März erschossen meinte. Dieses Antlitz, in dem einst die Träume ihrer schönen Seele heimisch gewesen waren, jetzt, todesbleich, die Zerstörungen der Gefangenschaft und unglücklicher Leidenschaft eingegraben tragend, war zur Ruine geworden; aus den unheimlich eingefallenen Augen blickten die Geister, die gespenstig darin hausten.

Bei der bemerkten Bewegung der Primadonna trat ein augenblicklich staunendes Schweigen ein. Wagner's Blick ruhte mit strengem Ernste auf seiner treulosen Geliebten, aber mit keinem Worte redete er sie an. Er mußte sie verachten, die ihre Genialität in jenem aristokratischen, dem freien Geiste feindlichen Kreise vergeudete, dem die Genialität nicht Princip, nur Gourmandise war!

Delphine war verlegen. Sie warf über die herausfodernde Majestät ihrer Züge den Schleier der tief leidenden Schwermuth ihrer schönsten Weltschmerzperiode.

Die Cavaliere, welche die Anwesenheit des unberufenen Fremden als Ursache der gestörten Laune ihrer Gebieterin ansahen, suchten ihn durch brusques Benehmen zu verbannen. Sie witzelten über den Demokraten, wofür sie ihn am schwarzen Stürmerhute erkannten. »Bummelmeyer, Dagesschriftsteller mit'n großen Barte!« näselte einer der Officiere, die anderen mäckerten laut auf.

Die Züge der Primadonna aber erheiterten sich nicht, auch nicht als der Fremde, mit strafendem Blicke auf sie, sich erhob und hinausschritt.

Aus seinem Zimmer konnte Ernst den Eingang zu Delphinens Wohnung beobachten. Er lauschte an seiner Thüre. Da schritt ein Mann an ihm vorüber nach ihrem Zimmer zu. Er erkannte das rothe Ordensband an der weißen Cravatte wieder: es war der applaudirende Prinz aus der Prosceniumsloge.

Delphine hatte sich indeß, durch Wagner's Anblick bewegt, zu anderen Entschlüssen aufgerafft. Als sie von Tische aufbrach, gab sie einem berühmten Claviervirtuosen, der als tapferer Ritter ohne Furcht, selbst vor gekrönten Häuptern, sich bekannt gemacht hatte, den Wink, ihr zu folgen. Auf ihrem Zimmer traf derselbe mit dem Prinzen zusammen. Die Herren hatten einen Wortwechsel und – entfernten sich endlich beide.

Als Delphine am anderen Morgen nach dem sonderbaren Fremden fragte, war er abgereist. Auch sie verließ die Stadt in den nächsten Stunden und ging nach Wien.

*


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