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Sechstes Capitel.

Der »morgen Abend« war gekommen für Ernst und Louis zugleich. Ernst war entschlossen, durch einen entscheidenden Schritt aus seiner verzweiflungsvollen Ungewißheit sich herauszureißen. Er fühlte es: er liebte Delphine; aber eben darum mußte er Gewißheit haben; er mochte weder so thöricht sein, sich betrügen, noch auch so ungeschickt, diese glänzende Eroberung sich entgehen zu lassen. Unverzagt wollte er den Schleier niederreißen, der ihm diese Welt und die Geheimnisse ihrer Erkenntniß wie ihres Genusses verhüllte. Delphinen wollte er heute offen sagen, was er von ihr zu wissen meinte, und sie bitten um – Aufklärung!

Eben im Begriffe in ihr Haus zu treten, sieht er Horn nur noch wenige Schritte entfernt, auf sich zukommen. Beide grüßen sich freundlich. Jeder war verlegen, ohne die Verlegenheit des Andern zu bemerken.

»Wo willst du hin?« frug Horn.

»Ich habe einen Brief auf die Post getragen, und suche den Weg in die Stadt, um mir ein Billet zum morgigen Concert zu holen.«

»Da gehst du wahrscheinlich vergeblich. Ich habe die letzten für mich bestellt. Du willst wol Delphine hören, nachdem du sie gefühlt?«

»Was du sagst! Die singt morgen?« log Ernst. »Um so interessanter! Du kannst mir aber kein Billet mehr verschaffen?«

»Gehe schnell zu meinem Banquier, Herrn Werther, den du bei Hippel gesehen hast. Er verkauft Billets und noch bekommst du sie als mein Freund mit mäßiger Erhöhung.«

Ernst dankte für den guten Rath. Die Beiden trennten sich. Es dauerte keine drei Minuten, so trafen sie sich an derselben Stelle wieder.

»Vortrefflich, daß ich deiner noch habhaft werde«, sagte Horn schnell gefaßt. »Ich laufe dir eben nach, und wollte dich um ein einziges Viergroschenstück bitten. Ich muß noch bis auf den Bahnhof gehen und habe kein Geld für eine Droschke bei mir. Doch welcher Teufel ist mir so gefällig, dich wieder in meine Arme zu führen?«

Ernst lachte laut auf, roth vor Scham, sich verstellen zu müssen: »Derselbe Teufel, der dich mir entgegengeführt, das Geld. Ich merke eben, ich habe nicht mehr Geld bei mir, als das Billet an der Casse kostet, und bin dir deshalb ebenfalls nachgelaufen. Aber wenn du gar nichts bei dir hast, kann ich dir mit der Kleinigkeit aushelfen.«

Sie trennten sich wieder. Horn stieg in eine Droschke. Ernst schlüpfte in das Haus. Es war diesem zweifellos klar, daß Horn ebenfalls zu Delphine wollte. Und dennoch, ja, gerade deshalb ging er zu ihr. Daß Horn noch nichts von seiner Bekanntschaft mit Delphine wußte, sah er ihm an. Sie war aus Instinct mit ihm darin übereingekommen, mit diesem davon nichts zu sprechen. Jetzt mußte er Entscheidung haben: es sei, was es wolle.

Das Dienstmädchen wollte ihn nicht hineinlassen, weil das Fräulein krank sei und keine Besuche empfangen könne. Die höfliche Tante aber, die ihn auf der Flur traf, konnte den lieben Besuch nicht abweisen und nöthigte ihn herein. Das Kindchen, rief sie ihm entgegen, sei zwar krank, aber sie liege nicht im Bette, und er könne immer hineingehen, das würde sie etwas ermuntern. Die Alte öffnete die Thüre und führte ihn hinein.

Er fand Delphine auf dem Sopha, mehr liegend als sitzend, bleich und sich in die Lippen beißend; ihr finsterer Zug lag über den Augen; sie sah aus wie das böse Gewissen.

»Mein Gott«, sagte sie verwirrt, »wie Sie mich hier finden! Ich kann Sie heut nicht sprechen. Ich bin krank, sehr krank. Mein Onkel kommt sogleich, er ist den ganzen Tag bei mir. Er darf keinen fremden Herrn bei mir finden, wenn ich krank daliege. Kommen Sie übermorgen wieder, bitte, bitte! Wir haben so viel, so viel mit einander zu sprechen, nicht wahr?« Das Letzte sprach sie mit einem so zärtlichen Tone und einem sichern, offenen Blicke, der ihm ihre ganze Seele zu enthüllen schien, daß das schärfste, ungläubigste Auge in diesen Zügen keine Falschheit gesehen hätte. Ernst aber wußte, was sie dachte und daß sie anders sprach. Und so wie diese seelenvolle Freundlichkeit als eine aufrichtige ihn hingerissen hätte, Alles für sie zu thun, so empörte sich jetzt sein ganzes Gefühl; eigensinnig und boshaft blieb er, entschlossen, die Katastrophe zu erwarten.

»Unmöglich kann ich Sie so verlassen. Was fehlt Ihnen? Sie müssen sehr leidend sein«, fragte er.

»Ja, das bin ich; aber bitte, Ernst, verlassen Sie mich, ich kann heute nicht sprechen und jedes Wort, das ich höre, greift mich entsetzlich an. Uebermorgen! Bitte, adieu!«

Ernst wußte nicht, was er vorbringen solle, um sein Bleiben nur einigermaßen zu entschuldigen. Er faßte sie an den Puls, frug sie nach Diesem und Jenem, aber endlich verlangte sie sein Fortgehen so bestimmt, daß es von ihm impertinent gewesen wäre, nicht zu gehorchen. Schon nahm er den Hut, da hörte er einen Wagen vorfahren.

»Das ist er.« Er that, als wenn er sich empfehle, und als er eben Delphinens Hand erfaßt hielt, um sie noch einmal zum Abschiede zu küssen, klingelt es draußen, Delphine fährt zusammen und will ihre Hand zurückziehen, Ernst aber hält sie mit Gewalt fest, und in dem Augenblicke, wo er sie noch einmal vertraulich küßt, öffnet sich die Thüre und Herr Doctor Horn tritt ein. Ein Blick – und er glaubt zu träumen; ein zweiter – und er will toll werden! Zorn, Verzweiflung, Rache lagen in diesem Blicke, mit dem er Delphine und Ernst durchbohrte. Ernst fürchtete schon, er habe zu viel gewagt. Aber noch ein Augenblick – und Louis war der Weltmann, der Philosoph, der er immer sein wollte. Er machte das alltäglichste Gesicht von der Welt, kaum ein wenig verwundert, nur etwas bleich, denn hatte er auch seine Mienen in der Gewalt, so konnte er doch das Blut seines Herzens nicht nach seinem Willen leiten.

»Ihr Diener, verehrtestes Fräulein. Aber, mon dieu, sind Sie krank? Bei Gott, Sie sehen ja bleich aus wie eine Märtyrerin. Ich glaube fast, Sie sind aus der Rolle gefallen; oder ist das auch noch Kunst? Dann sind Sie einzig in Ihrer Meisterschaft!«

Delphine lag da, den Kopf zurückgeneigt, die Augen geschlossen, als wäre sie in Ohnmacht gesunken.

»Beliebt das Fräulein nicht zu antworten? Nun, sie kann gewiß nichts Besseres thun. Aber – guten Abend auch, lieber Ernst. Gut, daß wir uns kennen, da Niemand uns einander vorstellen will.« – Sie sahen sich beide groß an; Louis zwang sich zum Lachen. Dann blickte er auf Delphine, und da er sah, daß sie in ihrer Ohnmacht verharrte, so wandte er sich wieder an Ernst.

»Ja, mon cher, was ist hier zu machen? Ich bin zwar Doctor, aber Doctor der Philosophie, und Philosophie schlägt hier nicht an, und du mit deiner Gottesgelahrtheit kannst wol einen gesunden Verstand verrückt machen, aber – dazu ist hier durchaus keine Gelegenheit. Also – ich dächte, das Beste wäre, wir gingen die Abendluft und panacée zu genießen.«

Er nahm Ernst unter den Arm, empfahl sich der Tante, und schlenderte nach zwei Minuten mit jenem durch die Straßen.

»Fauste! Fauste!« spottete er mit einem Hohne, in dem das mephistophelische Bewußtsein seiner Ueberlegenheit lag. »Hat der Teufel wieder einmal Recht bekommen? Das also ist deine ›Ehre‹, dein ›Worthalten‹? Suchst du bei ihr die erhabene ewige Liebe, die nur einen Umgang des Geistes mit dem Geiste begehrt? Du Denker, du Mann von Charakter, wer ist nun der Erbärmliche von uns beiden? Wer sich offen als Lump kund gibt, oder wer mit Sittlichkeit, Treue und dergleichen phantastischen Begriffen gleißt und doch am ehrlichen Lumpen ein hinterlistiger Schuft wird? Geht mir mit euerer Liebe und Tugend! Alle Liebe in der Welt kommt doch auf das Vergnügen hinaus, und Egoisten sind wir alle, ehrlich nur, wer niederträchtig genug ist, es offen zu sein! – Wo wollen wir hingehen?« frug er dann abbrechend, mit kurzem Tone, »zu Josti oder zu Steheli?«

»Wohin du willst«, antwortete Ernst, der von den Vorwürfen seines Freundes sich tief beschämt und erschüttert fühlte.

»Bei Steheli ist das apricôt ausgezeichnet«, fuhr Louis fort und führte Ernst dorthin. Im Grunde aber deshalb, weil es näher war, und seine erschütterten Glieder ihn nicht mehr weit tragen wollten. Er war im Innern in einer fürchterlichen Spannung auf das, was er von Ernst über Delphine und sein Verhältniß zu ihr hören würde. Wie weit hat er's mit ihr gebracht? Ist sie intim mit ihm gewesen? War er ein Grund, daß sie gestern dir so geantwortet hat? Weiß sie, welchen Betrug du mit ihr angestellt hast? Ja, weiß er selbst, daß er betrogen ist? Alle diese Fragen begehrte er beantwortet zu wissen, und doch vermochte er seine Aufgeregtheit unter dem Scheine der Gleichgültigkeit zu bergen. Er fing an mit Ernst in anderem Tone, wie mit dem besten Freunde zu sprechen, um ihm sein Geständniß möglichst leicht zu machen und ihm die reine Wahrheit zu entlocken.

Als sie sich in eine einsame Ecke zwischen den Myrthen- und Orangensträuchen gesetzt hatten, erzählte Ernst, daß er Delphine im Theater zuerst gesehen, dann auf der Straße getroffen, zu Hause besucht und mit ihr Umgang gepflogen habe als mit einer gebildeten, geistvollen Dame, und daß er jener geheimnißvollen Seite ihres Charakters und ihrer Verhältnisse keine Erwähnung gethan habe.

Dem Doctor war damit ein wenig das Herz erleichtert; er konnte sich freier der Gemüthlichkeit hingeben. »Nun, Fauste«, sagte er, »wenn du dich als bekehrt zum Anhänger meiner Philosophie bekennst, dann ist dir Alles vergeben. Ein solcher Schüler wie du, das müßte mich stolz machen. Aber, bester Junge, wenn mir gleichgültig ist, daß du mich hintergangen, so ist es von dir dumm gewesen, sehr dumm. Sei froh, daß die Sache so abgelaufen ist, daß ich dich bei ihr getroffen habe, ehe es Cesar gethan hat. Das ist ein Tiger, dieser Cesar, der hätte dir einen übeln Spaß angerichtet. Du weißt wol nicht, daß er schon einem halben Dutzend Gegnern in Paris und hier, und wer weiß wo er sich sonst herumgetrieben, Arme und Beine zerschossen hat?«

Ernst konnte nicht widersprechen; er schwieg. Louis merkte, daß er ihn überzeugt. Sie hatten sich ausgesprochen und trennten sich, da sie beide nach Einsamkeit verlangten.

»Also hat die Welt wieder einmal Recht«, sagte Ernst zu sich, als er allein den Heimweg suchte.

Zu Hause angekommen, setzte er sich an den Schreibtisch; er begann einen neuen Brief an seine Mutter und beendete ihn diesmal.

»Morgen ist der Onkel wieder hier«, so schrieb er, »hoffentlich ist meine Verzeihung durch ein Gespräch erreicht. Ich packe dann nur meine sieben Sachen noch ein und reise übermorgen früh ab. Ich sehne mich nach euch und freue mich auf meine stille Heimath.«

*

In sein Zimmer angelangt, wollte Horn sich selbst Licht anzünden; er suchte im Dunkeln das Feuerzeug, das immer auf dem Schreibsecretair stand, aber er konnte den Schreibsecretair nicht finden. Er tappte hin und her, er faßte an die Wand, aber nicht an das Möbel; er ging weiter links zum Sopha, aber wieder nichts als die Wand konnte er finden. War er denn nicht in seinem Zimmer? Ja wohl, er fand endlich sein Bett, aber alles Andere war verschwunden. Er faßte nach der Klingelschnur – auch sie war fort. War er behext? Wüthend riß er die Thüre auf und schrie nach Johann.

»Die gnädige Frau«, sagte der Diener, »sind ausgezogen, sie haben das Zimmer erbrochen und ihre Möbel fortschaffen lassen. Sie lassen sich dem Herrn Doctor bestens empfehlen und beabsichtigen, von jetzt ab bei ihren Herrn Eltern zu wohnen.«

»Auch gut.« Weiter sagte der verlassene Ehemann nichts. »Nun steck mir Licht an«, befahl er Jean.

»Verzeihen der Herr Doctor, die gnädige Frau haben die Lampe mitgenommen. Aber wenn der Herr Doctor erlauben, so bringe ich mein Licht herein.«

»Marsch!« Es blieb dem Doctor nichts Anderes übrig. Johann brachte seinen schmutzigen Blechleuchter mit einem Talglichte. Und als sich Louis nun im Zimmer umsah, war Alles ausgeräumt. Er mußte sich aus der Küche einen alten, unpolirten Tisch und einen Schemel hereinbringen lassen, um wenigstens sitzen und schreiben zu können. Die Hände hinter sich, lief er mit großen Schritten durch das leere Zimmer.

»Pah!« rief er aus. »Ich brauche keine Antwort für meinen Brief. Sie wird mir eben so wenig Aufklärung geben, als sie mir seinen Umgang gestanden hat. Hätte ich nur den Brief nicht geschrieben! Mich noch zu blamiren! Von ihr hinters Licht geführt. Wenn sie's mit Ernst so macht, der kann's hinnehmen, der prätendirt keine Weltkenntniß. Aber ich – ich! Ich Narr! Ich Narr! O, wenn ich doch fluchen könnte! Aber worüber! Ueber mich selbst! Ueber eine Narrheit, die ich begangen, werde ich nun noch ein Narr sein zu rasen? Narrheit! – O, es ist gräßlich, wüthen zu wollen, zu müssen, und nicht zu wissen worüber! Es ist, als sollte ich toll werden, und rasen um nichts, wüthen aus bloßer Narrheit. Es muß süß, eine Wollust sein, so recht rasen zu können aus Herzenslust! Wenn ich jetzt so zu ihr stürzen könnte, ihr sagen, was sie gethan, und ihr drohen, daß sie bleich wird vor Entsetzen, und sie Schlange nennen, Schlange! o! du falsches, du schändlich falsches Weib! Aber – ich kann ja nicht, ich muß mich ja zehn mal mehr einen Narren, einen dummen, gimpelhaften Tölpel nennen, ehe ich ihr ein mal sagen kann, daß sie falsch ist. Hat sie's nicht etwa von mir selbst gelernt, die Menschen zu brauchen, wozu sie sich brauchen lassen, und ihnen aufzuspielen– ja, spielen! wie sie tanzen wollen? Hat sie nicht von mir selber hören können, daß das ganze Treiben hier nur ein Spaß, ein toller, toller Spaß ist, und ein Weiser, wer den Spaß versteht und am tollsten mitmacht? Ich bin der Narr, und sie ist die Weise. Was kann sie dafür, daß ich den Spaß ernst genommen? Nein! – sie hat ja selbst nicht einmal den Spaß recht verstanden, den sie gemacht! sie hält ja ihre eigene Tollheit für Ernst. Sie ist nicht falsch, sie ist verdreht, übergeschnappt, verrückt, ja verrückt ist sie. Aber, zum Henker! sie kann ja doch weder so falsch noch so verrückt sein. Aufklärung, Aufklärung! Es ist gar nicht möglich! Nein, noch ist nicht Alles verloren, noch kann ich's nicht glauben. Sie hat mir ja noch nicht geantwortet! Und – bis ich das nicht gehört, kann ich's nicht glauben. Und wenn ich's gehört, wenn sie ›nein‹ sagt –? Weltmann! Du wirst doch nicht rasen aus Liebe zu ihr? Daß das Capital ihrer Stimme dir verloren geht, das zwei und mehr Tausend Zinsen bringen sollte, bei Gott, das ist Pech! infames Pech! Darüber könntest du rasen. Aber was weiter? Du kannst auch ohne sie davonlaufen und ohnedem noch leben. Was ist da zu verzweifeln, du hast noch dein Werk und 500 Thlr. Honorar! Und jedes Halbjahr machst du ein neues Werk und neue 500 Thlr.! Dein Werk! Dein Werk. Doch – wo –?« Ein jäher Schreck durchzuckte lähmend mit Blitzesschnelle alle seine Glieder; wo hatte seine Frau sein Werk gelassen, das in der verschlossenen Stube auf seinem Schreibbureau liegen geblieben war? Mit schlotternden Gliedern raffte er sich auf, ergriff das Talglicht und, vor Angst ächzend, eilte er, halb kriechend, durch das Zimmer. Er sah auf dem Bette, auf den Fensterbretern, auf dem Fußboden nach; nirgends war sein Werk zu sehen. »Hat sie es mitgenommen, so soll es schon heraus«, sagte er, sich beruhigend; »das Schreibbureau hat ihr gehört, aber meine Gedanken soll sie schon herausgeben!« Noch einmal blickte er, gebückt leuchtend, über den Fußboden, da gewahrt er am Ofen ein weißes Blatt; mit zusammenbrechenden Knien stürzte er, halbtodt vor Entsetzen, darauf los: »Der Mensch und die Schönheit, eine Philosophie der Kunst, in drei Bänden, von Doctor Ludwig Horn«, steht mit großen Buchstaben von seiner eigenen Hand darauf; es ist das Titelblatt seines Werkes. Und wo das Werk? – Die messingene Ofenthüre ist geöffnet und gräulich gähnt ihn die schwarze Höhle des Ofens an – das Grab seines Werkes und seiner Hoffnungen. Mit Hast greift seine weiße, gepflegte Hand in die schwarzen Kohlen hinein; kalte, auffliegende Asche verbrannten Papiers bekommt er zu fassen, und damit ja kein Zweifel an seiner Vernichtung ihm bleibe, zeigen einzelne nur halb versengte Blätter ihm seine Handschrift und den Inhalt seines Buches. Die Rache seiner Frau hatte die Geistesarbeit des Aesthetikers vernichtet. Nur unartikulirte Töne stöhnte er von sich. »Es ist aus!« das Licht entfiel seiner Hand, er brach kraftlos zusammen. Alle Anstrengung, deren er fähig war, raffte er noch einmal zusammen, schleppte sich bis an sein Bett und zog einen schweren Kasten darunter hervor. Er öffnete ihn, und was er herausnahm, waren ein Paar Pistolen. Mit gierigem Blicke betrachtete er sie, lud sie mit Pulver und Blei, und sank dann bewußtlos nieder, die Nacht hindurch mit dem Kopfe auf dem Waffenkasten zu schlafen.

*

Indeß saß Delphine vor ihrem alten Klavier. Eine dunstende Lampe ohne Cylinder und Glocke erleuchtete ärmlich ihre Notenblätter. Sie sang leidenschaftlich Opernarien, durcheinander mit heiligen Choralen. Sie bereitete sich zum Auftreten in dem morgigen Concerte vor, und in ihrem Eifer versäumte sie die Stunde, zu der sie den Flügel zu verlassen pflegte, um nicht vom Onkel dabei getroffen zu werden.

Der Onkel pflegte gewöhnlich, wenn er des Abends aus dem Laden kam, mürrisch zu sein, denn das Geschäft konnte nie gut genug gehen; und heute hatte er absonderliche Veranlassung zur Verstimmung, da ein Syrupfaß unvermerkt ausgelaufen war. Er ahnte nichts davon, daß sie morgen wieder öffentlich auftreten werde. Er hatte es nach ihrem ersten Concerte verschworen, ihr je wieder die Erlaubniß zu geben; und sie, in unbeugsamem Trotze, ohne Furcht, alle Folgen über sich zu nehmen, hatte sich entschlossen, ohne sein Wissen morgen zu singen. Heftig zankend fuhr er sie an: »Da sitzt sie schon wieder am Klimperkasten, anstatt was Gescheidtes zu thun. Kann die Mamsell nicht lieber dem Onkel die Tüten kleben oder sich einen Groschen durch Arbeit verdienen? Und wie sie aussieht! Man muß sich schämen, was die Leute davon denken werden. Die Bleichsucht wird sie noch kriegen von dem ewigen Phantasiren. Dann möcht' ich dir wol auch noch einen Doctor bezahlen, du Thunichtgut? Aber warte man, ich werde dir curiren. Um neun Uhr ins Bett, um vier Uhr aus dem Bett, und den Tag ein Paar Strümpfe stricken, so werde ich dir deine Ideen vertreiben. Nun marsch ins Bett, daß du mich nicht noch mehr Oel verbrennst!«

Delphine gehorchte in schweigendem Trotze. Ohne ein Wort zu sagen, nahm sie die Lampe und ging in ihre Kammer. Als sie schon eine Weile sich zur Ruhe gelegt und die Lampe ausgelöscht hatte, kam der Onkel, wie er bei seinem Mistrauen täglich pflegte, mit seinem Licht in die Kammer, sah sich um, nahm die ausgelöschte Lampe mit, damit das Mädchen sie nicht heimlich wieder anzünde, und schloß dann draußen den Eingang der Wohnung zu, den Schlüssel in die Tasche steckend.

Als es eine Weile Ruhe geworden war, rührte es sich in Delphinens Kammer; ein Streichhölzchen flammte auf; das junge Mädchen war aufgesprungen, holte aus dem Tisch, der ihre Toilette vorstellte, ein paar Lichtrestchen, klebte das eine an den Rand des Tintenfasses und setzte sich, nur halb angekleidet, zum Schreiben zurecht. Eine Zeit lang saß sie in Nachdenken versunken da; dann, ihres, spärlichen Erleuchtungsmaterials sich erinnernd, griff sie zur Feder, stützte die brennende Stirn des klugen Kopfes auf die eine Hand und schrieb:

»Herr Wagner!

Ich weiß nicht, ob Sie es noch für Werth halten werden, von mir ein Billet anzunehmen und zu lesen, wenn Sie es aber thun, so ist's mein guter Engel gewesen, der Sie dazu geleitet, um mir mein Leben zu retten. – Ernst, Sie denken falsch von mir! Bei Gott – nein! dabei schwören wir beide nicht! wobei denn soll ich schwören? Bei deiner edlen, großen Seele, Ernst, ich bin nicht schuldig. Bin ich Schuld, daß er mich liebt? Ich habe ihm kein Recht auf mich gegeben. Ich liebte ihn nie, ich war nicht glücklich an seiner Brust, wenn der Schmerz meine schwache, zusammenbrechende Seele zwang, an ihm eine Stütze zu suchen; nein! ich mußte seinen Geist bewundern, ich mußte ihm in Allem Recht geben, aber mir ward nicht wohl dabei, mir schauderte vor seinem kalten, todten Verstande.

Ich bin nicht schuldig, und doch – ich bin auch nicht unschuldig, nicht ganz unschuldig. Ich war gedankenlos, thöricht, unklug, ach! ich war krank, sterbenskrank, und ich bin's jetzt noch mehr, wenn du mir nicht hilfst. Wenn du sie mir nicht gewährst, wo soll ich Rath und Rettung finden! Ich habe heute gebetet, ich wollte mir Vergebung holen bei Gott, aber ich vermochte es nicht, ich glaube ja an keinen Gott, der mir vergeben kann. Niemand kann mir vergeben, Niemand mir rathen und mich retten, als du. Meinen Gott hat mir Louis genommen. Ernst, wenn Sie mich nicht mehr lieben, wenigstens verlassen Sie mich nicht, lassen Sie mich Ihnen Alles, Alles gestehen, Ihnen beichten und von Ihnen Vergebung empfangen.

Ich muß Sie sobald als möglich sprechen, morgen Abend, nach dem Concerte; ich fahre nach Hause, sobald meine letzte pièce vorüber ist.«

Delphine faltete diesen Brief zusammen und versiegelte ihn. Dann drückte sie einen Kuß darauf und legte ihr Haupt in die beiden weichen Hände über die weißen und farbigen Briefbogen der zierlichen Schreibmappe. Cesar hatte sie damit beschenkt, da sie selbst kein Geld in Händen hatte, sich mit Papier für ihre Briefe zu versorgen. Ihre Lippen berührten die duftigen Blätter. Sie schrak auf. Kampf malte sich in ihren Zügen; ihr unverhüllter Busen wogte heftig. In den zusammengekniffenen Lippen trat endlich Entschlossenheit hervor und siegte über ihre Bewegung. Sie richtete sich mit Festigkeit empor, strich mit der Hand über die Stirn und schrieb einen zweiten Brief:

»Sie frugen mich neulich, ob ich krank, ob ich unglücklich sei, weil ich blaß aussähe? Ich antwortete Ihnen mit nein, aber – ich log. Ich war krank und unglücklich; ein namenloser Schmerz nagte in meinem Herzen, ein fürchterlicher Vorwurf stand drohend und warnend vor meiner Seele, Cesar, ich liebe Sie nicht mehr, ich darf Sie nicht mehr lieben. – Ich hatte das Gelübde vergessen, das ich am Sterbebett meiner Mutter gegeben, und das ich gehalten habe, bis Sie mich daran wankend machen wollten, Niemanden zu lieben, als die himmlisch reine Seele meiner Mutter. In Ihrer Nähe hatte ich dies Gelübde vergessen. – Aber ich habe diese Prüfung überstanden; ich kann den Gedanken jetzt ohne Zittern ertragen, Ihnen zu entsagen, denn ich entsage einem Glück, das mich nicht glücklich macht, meine Seele nicht erfüllen kann. Meine glühende Phantasie hat einen höheren, einen unbeschreiblich höheren Begriff von einem himmlischen Glücke der Seele, als das, welches ich in den leichten Tändeleien Ihrer Liebe finden konnte.

Ihre Liebe muß ich zurückweisen. Für die Freundschaft, die Sie mir erwiesen, danke ich Ihnen; bewahren Sie mir das ungetrübte Andenken derselben, indem Sie – mich nie wieder zu sehen suchen.

Ach! ich bin so unglücklich! – müssen auch die, die mir gut sind und mich beglücken wollen, mein Unglück noch vermehren? Nein, Sie sind nicht grausam! Verfolgen Sie mich nicht mehr! Leben Sie wohl auf ewig! auf ewig. –

Der Allmächtige beschütze Sie – und mich!«

*


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