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Fünftes Capitel.

Wer die junge Sängerin auf der Bühne mit der rührend leidenden Trauer auftreten, oder in hastiger Eile mit ihren finster verschlossenen Zügen auf der Straße vorübergehen sah, der mußte wissen, daß sie nicht glücklich war. In der That hatte auch sie die Harmonie, die Fülle unendlichen Glückes, die sie in dem neuen Leben erwartet, nicht verwirklicht gefunden.

Auch noch nach den Thränen jener einsamen Fiebernacht, die auf die Triumphe ihres Debüts folgte, hatte sie durch die Liebe Wagner's glücklich zu sein versucht. Und manche glückliche Stunde, zurückgezogen aus des Winters und des Lebens Kälte und Stürmen, verträumten sie in dem glänzend bequemen Gemache, das Cesar's Aufmerksamkeit der schönen Freundin arrangirt hatte. Wie heimlich traulich war es, Arm in Arm mit dem Geliebten zur Dämmerstunde gleichen Schrittes das Zimmer auf und nieder zu durchmessen, an dem violetten Sammetmieder die markige Stirn des Geisterkönigs ruhen zu lassen.

Der Denker, der nur den für einen eigentlichen Menschen hielt, der an sein philosophisches System glaubte, bemühte sich anfangs die wahlverwandte Seele der Geliebten in Hegel, Sallet, Feuerbach einzuweihen und las ihr stundenlang aus philosophischen Büchern vor. Delphine aber fand das unendlich langweilig und dachte dabei an nichts als an die Unterhaltungen mit dem blonden Dichter, die ihr unvergleichlich interessanter waren. Aus der stummen Ergebenheit, mit der sie ihm zuhörte, mußte Ernst denn doch bald mit Schrecken merken, daß sie nicht fähig war, in die Mysterien der Wahrheit einzudringen, daß ihr Geist aus seinen musikalischen Träumen noch nicht zu begreifender Klarheit erwacht sei. Enttäuscht hörte er auf, seinen Gedankenreichthum ihr mitzutheilen, und dadurch verlor er bei ihr den Reiz, den die Schwärmerei seiner Rede auf ihr Gemüth ausgeübt hatte.

Aber so wie es ihm nicht genügte, daß die Resultate seines Denkens nur auf ihr Gefühl einen Eindruck machten, so schmerzte es Delphine, daß die Töne, die aus der Tiefe ihrer Seele kamen, nur sein Nachdenken anregten und mit einem kalten abstracten Urtheile von ihm beantwortet wurden, ja daß er oft, in ganz anderen Regionen schwärmend, ihrem Gesange nicht einmal seine Aufmerksamkeit schenkte. Als sie einst das Volkslied aus Flotow's Martha zu singen anfing, ein Lied das sie ihm so oft und stets so gern vorgesungen, weil es sie an ihr erstes Begegnen im Berliner Opernhause erinnerte, da stand er gedankenlos, oder vielmehr in Gedanken vertieft, am Fenster. »Was singe ich?« frug sie zärtlich, ihn darauf aufmerksam machend, daß sie es ihm singe. »Die Gnadenarie?« antwortete er zerstreut, unwillkürlich getäuscht durch die gleiche Tonart beider Stücke. Sie hielt es nicht für werth, seinen Irrthum zu verbessern, und sang das Lied weiter. Seitdem machte sie sich öfter den Scherz, bei einer Arie von Bellini zu sagen, es sei Mozart, damit er sich Mühe gebe, die »Idee« in dem klassischen Stücke herauszufinden. Sie hielt es endlich für eine Entweihung ihrer Kunst, vor ihm zu singen, und so verschloß auch sie ihm das Schönste, was ihr Wesen bot.

Die tief innersten Lebensinteressen der Beiden wurzelten in zwei ganz verschiedenen Welten. Diese blieben jetzt gänzlich von ihrem Umgange ausgeschlossen. Aber beide, der Philosoph und die Künstlerin, gehörten jenen ihren Sphären so ganz an, daß sie kein drittes gemeinsames Feld fanden, auf dem sie einander begegnen konnten. Er, der sich nur mit dem Allgemeinen, Wesentlichen beschäftigte, hatte keine Anknüpfung mit den Mannigfaltigkeiten des wirklichen Lebens; für ihn existirte nur sein System, und ehe er sich herabließ, über zufällige, alltägliche Kleinigkeiten ein Gespräch zu führen, saß er lieber stumm da. Da auch Delphine nicht die gesellige Leichtigkeit des Geistes besaß, oder nicht immer animirt war, sie geltend zu machen, jene Mittheilungsgabe, die gerade über gewöhnliche Begegnisse ein unterhaltendes Gespräch anzuregen weiß, so bestand das Glück ihres Beieinanderseins endlich in nichts mehr als in dem Bewußtsein, in der Nähe der wahlverwandten Seele zu weilen. Denn selbst die kleinen Freuden der Liebe, Zärtlichkeiten und Neckereien, verschmähten sie, als ihrer erhabenen Liebe unwürdig.

Es mochte dieses stumme Glück, dieses ideale Verhältniß, das allgemeine Bewußtsein freier Liebe, ein recht großes Glück sein, aber da es immer stumm und stumm blieb, da es aus dem allgemeinen Bewußtsein in den Einzelheiten des wirklichen Lebens sich nicht kund zu geben wußte, da es, wie der Philosoph selbst hätte einsehen müssen, aus dem »reinen Sein« nicht in die »Besonderung des Daseins« zu treten vermochte, so schien es, als verliere es sich, der Nothwendigkeit der Kategorie verfallend, – in »Nichts.«

Ernst hatte die Idee einer freien Liebe in einem freien Leben realisiren wollen. Aber bei seiner Scheu vor der Wirklichkeit hatte er es nicht verstanden, aus der Allgemeinheit des Gedankens ein bestimmtes Lebensverhältniß sich zu gründen, und – er, der nur mit der Nothwendigkeit leben wollte, hatte sein Schicksal dem Zufall überlassen. Jenes Zusammensein ohne Zusammenleben wurde ihm, dem Philosophen, zur reizlosen Gewohnheit, der Schauspielerin zu unerträglichem Ueberdruß.

Ein paar mal noch suchte Delphine mit ihren bis ins Innerste der Seele wühlenden Blicken, mit den gluthathmenden Umarmungen das unbestimmt geahnte Ideal ihres phantastischen Glückes an Ernst's Busen zu finden. Endlich aber wurde ihr die Enttäuschung zweifellos, daß Ernst die Zauberkraft nicht besaß, aus den Knospen ihres Sehnens ein volles blüthenschweres Traumleben zu entfalten. Mit Entsetzen sah sie sich wieder auf dem Boden der verhaßten Wirklichkeit, und ihr zu entfliehen, blieb ihr nichts, als die Kunst, und dieser einzig und allein gehörte sie jetzt an.

Aber auch hier erwartete sie nur ein Leben neuer Kämpfe. So wie das nie zu trübende Glück der Liebe, das sie an jenem Abende zu umfangen meinte, in die Täuschung eines Traumes sich auflöste, so auch das Glück der vollendeten Künstlerschaft. Die Fortschritte, die sie machte, bestanden nur darin, einzusehen, wie weit sie von ihrem Ideal der Kunst entfernt war. Schon in Berlin hatten es ihr Kenner prophezeit, daß die dramatische Darstellung ihr sehr schwer fallen werde. Sie aber war überzeugt gewesen, sie werde so lebhaft spielen können, als sie lebhaft zu empfinden vermochte. Jetzt aber mußte sie es erfahren, daß das Uebermaß ihrer Empfindung sie in der Darstellung derselben hinderte, während es ihr doch zugleich die höchsten Ziele zur Erreichung vorhielt. Während sie nun so in einem furchtbar quälenden Zwiespalte zwischen dem, was sie wollte, und dem, was sie konnte, suchte nach der Vollendung der Kunst, hatte sie Niemanden auf der Welt, der ihr Rath, Trost oder Ermunterung gewährt hätte. Nichts reichte von der Außenwelt in ihr verzweifeltes Streben hinein, als der sogenannte wohlmeinende Tadel der beiden Recensenten, – des einen, weil sie ihm die Thüre gewiesen, als er ihr ins Gesicht sagte, zum Theater gehen und tugendhaft bleiben, seien unvereinbare Gegensätze; – des anderen, weil er diesen Grundsatz von der anderen Sängerin anerkannt fand und damit die Billigkeit gegen die Rivalin nicht zu vereinbaren vermochte. Dazu endlich die kleinlichen Verfolgungen der Collegenschaft, die in der Kunst wie beim Handwerk aus Brotneid weit mehr als aus Ruhmsucht entspringen, – das Alles machte, daß sie sich stolz von der Welt in sich selbst zurückzog. Aber während sie alle Zurücksetzungen empfindungslos über sich schien ergehen zu lassen, zu keiner Intrigue, nicht einmal zu einer entgegenkommenden Höflichkeit sich entschließen wollte, war in ihr, oft während sie an ihrer Befähigung selbst verzweifelte, der Ehrgeiz zum leidenschaftlichsten Rachedurst des Künstlerstolzes aufgestachelt. Solche Stunden von Welt, Gott und Selbstvertrauen verlassener Verzweiflung, sind Stunden der höchsten Weihe. Was der strebende Geist in gewohnter Alltagsanstrengung nicht zu erreichen vermochte, dazu gehen ihm in der Zerknirschung dieser Festandacht, in der schaffenden Gährung des innersten Lebensdranges ungeahnte Kräfte auf, ungeahnte Ziele zu erreichen. Delphine ging mit Riesenschritten der Vollkommenheit entgegen; aber – die Vollendung ihrer Künstlerschaft verkaufte sie nur mit dem Verlust ihres Herzens. Um außerordentliche Erfolge zu erringen, ist oft eine excentrische Energie nöthig, zu der der Geist ohne Egoismus sich nicht zusammenzufassen vermag. In jener krampfhaften Anstrengung, in der Delphine sich oft wieder am Rande ihrer Lebensfähigkeit fühlte, dem Tode ihre Kunstvollendung und ihr Dasein entringend, in der Niemand sie verstand, Niemand ihr helfen, Niemand sie ermuthigen konnte, fand sie sich ganz auf sich allein angewiesen; alles Andere auf der Welt verlor den Werth für sie; die Aufwendung von Seelenkräften, die ihre Ausbildung ihr kostete, ließ sie nichts mehr lieben als sich selbst. Die alte Herzlosigkeit, in die sie unter dem Druck ihrer früheren Verhältnisse sich in sich selbst verschlossen, die mit dem Erwachen ihres neuen Lebens wie eine eisige Rinde durch einen Frühlingshauch von ihrem Herzen gethaut und von zarten Keimen hingebender Empfindung durchbrochen war, drohte von neuem, ein düsterer, frostiger Winter, mit der alten Unglückseligkeit sich über ihr Wesen zu legen. Dieses unendliche Liebesbedürfniß, diese unendliche Liebesfähigkeit und doch keine Möglichkeit zu lieben, – das war wiederum das Loos dieses genialen Herzens!

In ihre alte Apathie zurückversunken, vermochte sie nicht, Liebkosungen zu bezeigen, noch sie zurückzuweisen. Als Ernst in jener Liebesbedürftigkeit am heiligen Weihnachtsabend zu ihr ins Zimmer trat, da fiel sie ihm nicht um den Hals und küßte ihn nicht, aber sie weigerte es nicht, daß er in heiliger Inbrunst sie an sein Herz drückte. Als er mit weihevoller Stimme ausrief: »Wie sehne ich mich nach dir, meine Geliebte! Ich bedarf deiner sehr – sehr! laß mich bei dir den alten Muth für die alten Entschlüsse wiederfinden und neue Kraft, sie durchzuführen« – als er so an ihrem Busen betete, hatte sie keine Antwort für ihn als einen Seufzer, der ihre eigene muthlose Unlust ausdrückte.

Ernst kam mit leeren Händen zu seiner Geliebten, ohne Christgeschenk. Was bedurfte es auch solcher Tändeleien bei einer ihrer selbst so sicheren Liebe! Aus Princip, schon aus bloßem Widerspruch gegen die abergläubischen Sitten der Alltagsmenschen, wollte er zeigen, daß er auch ohne kindische Gewohnheiten glücklich sein könne. Es überraschte ihn deshalb, als Delphine ihm ein schönes Portefeuille zum Geschenk machte. Er setzt ihr auseinander, daß er nicht aus Vernachlässigung, sondern aus Consequenz kein Angebinde gebracht habe, »und«, so frug er sie, »darum wirst du doch nicht böse sein?«

»Im Gegentheil, ich werde dich noch bitten, mir meine Inconsequenz zu verzeihen«, sagte Delphine kalt und hüllte sich in ihr rührend leidendes Schweigen. Der Weihnachtsheiligeabend hatte in ihrem zeitherigen Leben stets zu den traurigsten Stunden gehört; bis zum letzten Augenblicke mußte sie angestrengt die Geschenke fremder Menschen arbeiten, und dann, wenn alle Anderen beglückten und beglückt wurden, hatte sie die Klagen des Onkels über sein schlechtes Geschäft anzuhören, die an dem Feste, wo er den Ladendiener und das Dienstmädchen beschenken mußte, lebhafter waren als gewöhnlich. Diesmal hatte sie gehofft, werde der Abend ihr durch die Galanterie eines Liebhabers erheitert werden, und nun war sie durch seine Pedanterie verstimmt. Sie setzte sich an das Clavier, nur halb den Tasten zugewendet, klimperte unaufmerksam mit der einen Hand diese und jene Melodie, beantwortete Ernst's Fragen mit einem gedankenvollen Nicken oder Schütteln des Kopfes, und endlich, indem sie klagte, an Migräne zu leiden, lehnte sie sich in den Stuhl zurück, das Gesicht mit den Händen bedeckend, als sei sie für ihn nicht da. Sie dachte an den Poeten, an Cesar, an Horn, an die heilige Mutter.

Ernst fiel es nicht ein, in jener Aeußerung und in diesem Benehmen Bitterkeit oder Laune zu finden, – wie konnten die reinen Geister denn bitter oder launisch gegen einander sein! Er hatte doch nur Ursache sie zu bemitleiden, aber dennoch konnte er eine Misstimmung gegen sie nicht überwinden. Er mußte unwillkürlich an den lebhaften Geist der lichtfreundlichen Constanze denken, und empfand einen tiefen Mangel im Umgange mit Delphine. Er hätte seinem sinkenden Muthe aufhelfen mögen, indem er ihr aus Sallet's »Atheisten« vorlas, aber er wußte, sie hatte kein Verständniß dafür, – oder indem er sie zu singen bat, aber sie hatte es ihm schon neulich abgeschlagen und heute litt sie an Migräne! Mit großen Schritten ging er im Zimmer heftig auf und ab, rathlos, wie er den Geist, die Idee wieder auf sie beide herabbeschwören sollte, die sie einig und in der Einigkeit stark und muthig gemacht hatte!

Eben wollte er ihr zu Füßen stürzen, sie an die Stunden ihrer Verzweiflung und an den Augenblick erinnern, wo sie an einander ihren Lebensmuth wieder erweckten, um sie zu beschwören, diese Zauberkraft auch heute wieder an ihm auszuüben, – als der Postbote einen Brief an Delphine brachte. »Anbei ein Packet in schwarzem Wachstaffet«, war auf dem Couvert bemerkt. Darin fand sie ein Billet von ihrem »wohlaffectionirten Cesar.« Der Brief war in dessen champagnersprudelnder Manier geschrieben, – ein buntes Rosenbouquet feuriger und zarter Artigkeiten, hier und da ein wehmüthiges Vergißmeinnicht verbergend.

Delphine schien Ernst gegenüber die wohlberechnete Sentimentalität darin nicht zu bemerken und, das Ganze als Scherz nehmend, schlug sie ein herzliches Gelächter auf. Der Kopfschmerz war im Moment verschwunden; sie war plötzlich heiter und gesprächig, von hinreißender Freundlichkeit gegen Ernst. Als nach kaum einer Viertelstunde das Packet von der Post geholt war, riß sie, vor hastiger Erwartung blaß und zitternd, den Wachstaffet auseinander. Drei kostbare Roben entwickelten sich daraus: blaue Gaze, weißer Atlas, rother Sammet. Da blickte wieder einmal durch den Schleier ihres finsteren, nonnenhaften Wesens das irdische Weib hindurch, die Evanatur mit aller Entzückung und allem Entzückenden der kleinen, menschlichen Schwächen.

Dem Philosophen dabei aber war dieses Entzücken ein Stich ins Herz. Von zufälligen, weltlichen Aeußerlichkeiten so sich bestimmen und fortreißen lassen, wie paßte das für ein freies, emancipirtes Weib, das auf die Höhe der ewig gleichen Vernunft sich geschwungen hat! Es packte ihn ein Gefühl entsetzlichen Weh's im Herzen, das ihn zu einem Ausbruch wahnsinniger Wuth aufstachelte; vor Eifersucht wollte er aufspringen und mit einem Fluche sie auf ewig verlassen. Aber – Eifersucht! wie war die denn möglich bei den starken Seelen, die sich liebten, nicht aus zufälliger Gefühlsstimmung, sondern aus Princip, weil sie wußten, warum sie einander liebten, – deren Liebe so unzertrennlich war, als die Logik unumstößlich! Der Denker besann sich, – wie konnte er sich nur so von blinder Leidenschaft fortreißen lassen! Er dachte über sie nach und er mußte einsehen, daß er ihr Unrecht gethan. Warum sollte sie über die Geschenke eines Freundes nicht lebhafte Freude empfinden? und daß sie ihm gegenüber sie unverhohlen äußerte, war ja ganz natürlich, daß sie sich dessen eben bewußt war, daß ihre ewig sichere Liebe von solchen Kleinigkeiten gar nicht berührt werden konnte! So mußte der Denker sich selbst Vorwürfe machen, an dem seiner selbst gewissen Geiste gezweifelt zu haben, und dennoch mußte er zweifeln und konnte nicht los werden, was ihn quälte, trotz seines besseren Bewußtseins, und was ihn um so mehr quälte, je mehr er es durch Consequenz in sich zurückdrängte, – die Eifersucht.

Delphinens moralische Vorsehung war hereingerufen, eine heruntergekommene, polnische Generalin, die Cesar in Paris gekannt hatte und Delphinen nicht genug von seiner Galanterie und seinem Heroismus erzählen konnte, ihr auch verrathen hatte, daß er ihr vertraut, wie sehr er Delphine liebe, – gleichsam das officielle Organ, das, aus seiner Chatulle unterhalten, seinen Manoeuvern in geheimem Einverständniß dienen mußte.

Als die alte Dame bei weiterer Enthüllung der Emballage sich auch mit einem schweren Seidenstoffe bedacht sah, hielt sie ihrem Gönner eine besonders lange und eifrige Gedächtnißrede. Dann fing sie mit Delphine an ihre Freude zu äußern, daß sie nun einen viel nobleren Sammetschlepp habe, als die andere Sängerin, und zu berathen, von welchem Tailleur und in welcher Façon die Roben gearbeitet werden sollten.

Ernst war es unmöglich, sein Ideal weiblicher Hoheit mit solchem Tande sich befassen zu sehen. Mit einem fürchterlichen Schmerze sprang er auf, um zu gehen, indem er vorgab, zur morgigen Festpredigt sich vorbereiten zu müssen.

Er wäre glückselig gewesen, wenn Delphine dennoch ihn zurückgehalten und nun einen neuen Ton der Unterhaltung eingeschlagen hätte. Sie that es nicht. Auch das nahm er ihr nicht übel: nur Gründe der Nothwendigkeit, so mußte sie ja glauben, konnten ihn zum Fortgehen veranlaßt haben!

Sie sah es ihm an, daß er verletzt war. Durch die Ueberraschung war ihre Apathie durchbrochen; sie empfand wieder, und sie empfand Mitleid über den schwermüthigen Blick des Freundes. Auch fiel es ihr plötzlich ein, daß sie sich zu sehr gehen gelassen und die vornehme Ruhe verletzt hatte, die ihrer idealen Hoheit ziemte. Beides mußte sie wieder gut machen. Als sie Wagner bereits aus der Thüre entlassen, rief sie ihn noch einmal zurück. »Ernst!« sagte sie nur, die Hand ihm entgegenstreckend, mit dem klarsten, innigst liebreichen Blicke aus wehmutsvoll leidendem Antlitz. Dann schlug sie die Thüre zu, prüfte von neuem die prächtigen Stoffe und machte ihrer adligen »Theatermutter« keinen Vorwurf, als sie sich über den Herrn Prediger moquirte, der nicht einmal ein Weihnachtspräsent gebracht habe.

Ernst dagegen hatte jetzt den Trost und den absoluten Halt wiedergefunden, den er bei ihr gesucht. Dieser einzige Blick hatte in dem vom Zufall unberührten Denker die Harmonie des ewigen Geistes wiederhergestellt; dieser Strahl aus dem Auge der Schauspielerin war die Himmelsleiter, an dem der Weltreformator emporstieg in den Aether des weltgeschichtlichen Bewußtseins.

Versöhnt mit aller Welt, erfüllte ihn nur das Verlangen messianischer Liebe, die ganze Menschheit in diese ewige Harmonie allgemeiner Freiheit, allgemeinen Glückes emporzuziehen. Die kleine Störung seiner innigen Beziehung zur Geliebten, die Zwistigkeiten zwischen dem gutgesinnten Hermann und dem ebenso gutgesinnten Krist, der Schmerz, den er seiner armen Mutter verursachte, die Trübsal der Armuth, deren Anblick ihn so tief erschüttert hatte, alle Zwistigkeiten, alle Schmerzen, alle Trübsal dieser Welt, mußten sie nicht zu unendlicher Glückseligkeit gesühnt werden in dem Cultus der allgemeinen Menschenliebe? O, es war nur nöthig, daß das Evangelium der neuen Zeit, die Religion des Gedankens, rücksichtslos klar und frei ausgesprochen wurde, so mußten ja Alle, die es hörten, daran glauben und also thun!

Thränen weltumfassender Liebe rollten von Wagner's Augen, er fühlte sich unerschütterlich selig, der Verkünder dieses Evangeliums zu werden, als er am Weihnachtsmorgen eine Predigt hielt, in der er damit begann ein Bild aufzurollen der bestehenden Lebensverhältnisse in Staat und Familie, Erwerb und Geselligkeit, wie sie alle im Großen und Kleinen begründet sind auf den Egoismus, ein Bild mit der Unterschrift: »Unser Verkehr«, das die Überschrift verdiene: »Betrug und Wucher«, ein Bild, dessen Grundton die Lieblosigkeit, dessen Schattirung das Verbrechen sei. Dann fuhr er fort:

»Das allgemeine Elend ist da, es wächst mit jedem Tage, – Niemand wagt es zu leugnen! Wollen wir in Verzweiflung die Achseln zucken, in träger Selbstsucht die Hände in den Schoos legen, auf Gottes Hilfe und den Messias warten?

Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.

Und die Hilfe ist da! die Hilfe ist ein neues Princip, das Princip der allgemeinen Bruderliebe, die Solidarität des Menschengeschlechts!

Stehen wir Einer für Alle, Alle für Einen, der Mensch für die Menschheit, die Menschheit für den Menschen!

Was haben wir an dem Dasein, das wir jetzt führen, an dem Dasein ohne Liebe, ohne Freiheit, ohne Glück? Wie eine Last nur tragen wir es, und wenn nicht die Furcht vor einem ungewissen Jenseits wäre, – wer würfe es nicht von sich? Wohlan denn, werfen wir es von uns, dieses Dasein der Lüge und des Elends, von uns für die Menschheit in die Wagschale, und wir werden es eintauschen mit einem verklärten Dasein ewiger Liebe, ewigen Glückes! Versuchen wir es, Alle auf einmal die Bruderliebe und nur die Bruderliebe zu üben, und wir werden erlöst sein von allem Uebel, der Himmel wird sich zur Erde senken!

Scheuen wir uns nicht vor todten Worten! Nenne man uns immerhin Communisten! Ja, wir sprechen es frei aus, es gelte die Gemeinsamkeit, die Brüderlichkeit, die Solidarität des Menschengeschlechts!

Umschlingt einander, Millionen! Gebt der ganzen Welt den Kuß! Dann wird die Zeit erfüllt sein. Ueber den Erdboden wird der Jubel schallen: Es ist Ehre Gott in der Höhe, es ist Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!«

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