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Zweites Capitel.

Eins der schönsten Häuser im Mittelpunkte der Stadt, ein würdiges Gebäude, noch aus der guten Zeit, wo man gediegener als prächtig baute, innerlich neu ausgestattet mit breiten, hellen Treppen, geschmackvollen Tapeten, glänzenden Spiegelscheiben, gehört dem Kommerzienrath Hermann.

Herr Hermann war noch unverheirathet. Seine würdige Mutter und seine Schwester Constanze, eine als liebenswürdig und geistreich gleich gerühmte junge Dame, walteten als Herrinnen in seinem Hause.

Constanze war heute eben beschäftigt, in den mit Teppichen, Seidengardinen, Kronleuchtern, Bildern und Vasen geschmückten Zimmern des ersten Stockwerks von den Möbeln und Kunstgegenständen den Staub zu fegen. Obgleich ihr Toilettentisch stets mit Büchern überladen war, und zwar nicht von leichter Romanlectüre, sondern mit philosophischen Werken, mit politischen und religiösen Tendenzschriften, so hatte die junge Dame dennoch Zeit und Sinn dafür, die oberste Leitung der großen Hauswirthschaft zu führen und, wenn es, wie heute, viel zu thun gab, auch selbst eifrig mit Hand anzulegen.

Mit den übrigen Zimmern fertig, ging sie in ihr geschmackvolles Boudoir. Als sie an einem Portrait, das über ihrem eleganten Schreibtische hing, das Glas säuberte, blieben ihre Augen sinnend an dem Bilde hängen – heute schon das dritte mal, daß sie es so betrachtete. Es war das Portrait des Dichters Friedrich von Sallet. Dieser war ein intimer Freund ihres Hauses gewesen. Vor fast fünf Jahren nahm er von demselben Abschied; der Arzt hatte zur Hebung eines plötzlich eingetretenen Brustleidens verlangt, daß er auf das Land gehe. In der Wehmuth des Scheidens küßte er die sechzehnjährige Constanze, und sie sah ihn nicht wieder: kurze Zeit darauf war er von allem Leiden für immer erlöst. Das war der erste Kuß, den das junge Mädchen einem Manne gestattet, und es sollte der letzte bleiben, bis sie einen Mann gefunden, der jenem Dichter an die Seite treten konnte. Sie war deshalb keine Nonne geworden; sie war stets gleichmäßig heiter, galt sogar für eine Cokette; niemals aber hatte sie »ein Verhältniß« gehabt; schon eine gute Anzahl Partien hatte sie ausgeschlagen und ihrer wohlmeinenden Mutter bei jeder gesagt, sie werde warten, bis ein Mann komme.

Als sie so in dem Anblick des geschiedenen Freundes versunken war, überraschte sie die alte Frau Hermann dabei und sagte lächelnd mit ihrem treuherzigen Tone: »Diesmal bist du doch wol traurig, daß du wieder einem Manne wehe gethan hast?«

Sie meinte damit den Antrag eines interessanten, jungen Gelehrten, den Constanze in diesen Tagen abgewiesen hatte. Sie erwiderte mit Bestimmtheit: »Nein, keinem Manne, einem Poeten. Um ein Mann zu sein, ist er zu liebenswürdig.«

Constanze dachte in der That nicht an den verabschiedeten Freier; aber sie wurde nur sinnender, da sie aus der Frage ihrer Mutter ersehen hatte, daß man die veränderte Stimmung ihr anmerke, und dennoch konnte sie ihr nicht entfliehen. Sie stand wieder vor dem Bilde. »Dasselbe tiefliegende, weiche Auge; dieselben ausdrucksvollen Züge!« sprach sie nachdenklich. Da schellte es draußen. Sie hörte öffnen. Man frug nach ihrem Bruder. Sie lauscht und »seine Stimme, ganz Sallet's Stimme!« rief sie entzückt vor sich aus.

Sie eilt an die Thüre. Sie empfängt Ernst Wagner. Sie nöthigt ihn, den widerstrebenden, in das Zimmer zu treten und sich niederzusetzen. Noch nie ist sie so in seiner Nähe gewesen. Das Herz pocht ihr vor Freude, den hingeschiedenen Freund in ihm wieder zu besitzen: seine Züge erscheinen ihr verklärt, wie die eines Seligen. Er bedauert mit kurzen Worten, daß er ihren Bruder nicht sprechen könne und bricht auf. Er wendet nicht einmal die üblichen Artigkeiten an, ihre Frage, ob er die Einladung zur morgigen Soirée empfangen, mit Bezeugung seiner Dankbarkeit zu bejahen, und mit einem steifen Complimente hat er sich entfernt.

Warum flieht er sie, die gewohnt war, daß alle Männer sich beeilten, ihr den Hof zu machen? und gerade er, dessen Vertrauen ihr so viel mehr Werth war, als die Huldigungen aller anderen? – Diese Begegnung war ihr unverständlich und Betrübniß erregend, ihr, deren ganzes Leben klar und heiter dahineilte. Einen Augenblick zogen sich düstere Falten auf ihrer Stirn zusammen. Aber es war ein energischer Geist in dem jungen Mädchen, und bei aller Kindlichkeit besaß sie eine Entschlossenheit, ein kleines Feldherrntalent, das sie keinen Herzschlag ihres Lebens in trübem Sinnen verlieren ließ. Schalkhaft lächelte sie vor sich hin und ihr Angriffsplan auf den unnahbaren Geistlichen war für die morgige Soirée angesetzt.

*

Die Gesellschaft ist versammelt. Hermann, leger gekleidet, in braunem Reitfracke, die Hände in den Taschen, macht die Honneurs in so wenig förmlicher Haltung, als gehörten dergleichen Feste in seinem Hause zu den Alltäglichkeiten. Als Wagner eintritt führt er ihn zu einer Gruppe von Männern, die ihn herzlich begrüßen. Dieser kleine Mann mit dem verschmitzten Lächeln, jener größere mit dem sarkastischen Ausdrucke und der dritte mit dem Zug von Enthusiasmus in dem edlen Antlitze sind das berühmte Kleeblatt von Doctores, welche den Kern der liberalen Presse der Provinz bilden. Der vierte jüngere Mann, der sich ihnen zugesellt, mit fuchsigem Bocksbarte, eine gewisse Impertinenz in den Mienen, ist ebenfalls Publicist, der radicalste von Allen. Neben ihm steht, den Ernst noch nicht kannte, der demokratische Graf, der sich rühmte, daß er den Ronge'schen Brief an den Bischof Arnoldi »gemacht« habe.

Ihren Ansichten nach unterschieden sich diese genialen Intelligenzen der Provinz kaum von jener Literatenclique, die Wagner in Berlin kennen gelernt hatte. Aber das Leben war hier zu kleinstädtisch, um so offen genial zu sein, wie dort. Man fraternisirte hier mit dem Philister, man stellte sich an die Spitze der liberalen Bewegung, übrigens aus Genialität eben so, als die Berliner es nicht thaten. Der sarkastische und der impertinente Publicist hatten einen Herrn Stadtrath unter die Arme gefaßt, einen kleinen, behäbigen Mann, mit einem Munde, der sich in seinem Antlitze so breit machte, wie er selbst es that in dem Bewußtsein, mit den Männern des Jahrhunderts Arm in Arm zu gehen, und mit einer Nase, die kupferroth geworden war von dem vielen Zweckessen und Zwecktrinken, zu dem jene ihn veranlaßten, – eine so eigenthümlich dumme Physiognomie und doch von so unendlich vielen Aehnlichen nicht zu unterscheiden!

Man erzählte sich gesinnungsvolle Klatschgeschichten. Der impertinente Literat sagte eben: »Hermann hat keinen einzigen Officier eingeladen, obgleich ein ganzes Dutzend gestern Visite machte«, – als ein hochgewachsener, schöner Mann zu der Gruppe trat, der in dem tragischen Zuge seines Antlitzes das Schicksal eingegraben trug, das er um der Liebe zum Vaterlande willen fern von demselben jetzt erdulden muß. Auch er gehörte mit zur Partei; aber den Einzelnen gegenüber fühlte er sich fremd. Das Gespräch verstummte, als er jetzt herantrat.

Um so mehr wurde es von einem neu eintretenden Gaste belebt: ein Mann, der sich von anderen Leuten dadurch unterschied, daß er nicht nur Aug' und Ohr doppelt hatte, sondern auch das Kinn, und im Ganzen genommen, obgleich er nur Einer war, mindestens zwei Andere aufwog. Von so glücklicher Natur kann nur ein Diener des Herrn sein, und das war der corpulente Herr in der That. Er war ein als Rationalist bekannter, evangelischer Probst, – ein Luther, was Statur, Organ und Selbstvertrauen betrifft. Er hatte kürzlich in einer Predigt die Göttlichkeit Christi anzuzweifeln gewagt. Das Bewußtsein dieser »That« hatte ihn mit einem wohlthuenden Selbstgefühl aufgeblasen, das ihn nach anderen lüstern machte. Von dem strahlenden Angesichte, mit dem er hereintrat, glänzte die Empfängnißwonne einer neuen »That«. Wie eine Frau in der Schwangerschaft war er empfindsam bei den Plänen, die er mit sich herumtrug. Mit weihevoll zitternder Stimme begrüßte er die »Freunde«. Als Wagner ihm bekannt gemacht wurde, hatte er Gelegenheit, sein Gemüth und sein Organ zu zeigen.

»Auch Sie ein Kämpfer für die Freiheit des Glaubens!« sagte er; »ich darf Sie meinen Glaubens-, meinen Kampfgenossen nennen; und wer weiß, wie bald wir zusammen in einem Gliede stehen, denn auch im Protestantismus haben die Protestanten keinen Platz. Ich sage Ihnen, ich trage Gedanken mit mir herum! Es kann bald etwas Großes vor sich gehen.«

Dabei ergriff er einen kleinen, feinen Mann mit geistreichem Gesichte und langem, schlicht gescheiteltem, schwarzem Haare, der lächelnd hinzugetreten war, bei der Hand – es war der Rabbiner der jüdischen Reformgemeinde – mit der andern faßte er Wagner, trat mit ihnen unter den Kronleuchter in die Mitte des Salons, und, eine Gruppe bildend, sprach er mit der vollsten Sicherheit seines Kanzelorgans: »Jude, Katholik und Protestant, wir glauben all' an einen Gott. Ist die Zeit so ferne, wo ein Gotteshaus uns umschließen wird?«

Der Probst vergoß eine Thräne. Der Rabbiner schüttelte bedenklich mit dem Kopfe. Der impertinente und der sarkastische Publicist lächelten ironisch. Der Stadtrath, den diese noch immer unter die Arme gefaßt hatten, ließ eine helle Perle über seinen mehr als gewöhnlich breiten Mund rollen: er wußte zwar nicht recht, was der Probst sagen wollte, aber – Gruppe, Thränen, bebendes Organ, da mußte etwas Großes vor sich gehen, hier mußte auch er seine Theilnahme, sein Verständniß beweisen und eine Thräne vergießen.

Ernst Wagner hatte, um die Gruppe zu bilden, seinen Thee stehen lassen. Ehe er es sich versah, waren die Damen darüber hergefallen und hatten ihre Flacons damit gefüllt, um ein Andenken an den schwärmerisch verehrten Seelsorger bei sich zu tragen.

Constanze, die Wagnern nicht aus den Augen läßt, ohne daß es jedoch Jemand bemerkt hätte, sieht mit verächtlichem Lächeln auf diesen affectirten Modeenthusiasmus. Der liebenswürdige Bruder des großen Apostels theilte ihre Gefühle vollkommen.

Ein schlanker, blonder, junger Mann in rother Sammetweste, die Stirn geistvoll, das Auge nicht ohne Schwärmerei, um den Mund weltmännisches Lächeln – es ist der junge Dichter, dem Constanze den letzten Korb gegeben – macht einer stattlichen, jüdischen Banquiersfrau, die splendide Diners gibt und belletristische Bücher kauft, eben den Hof und darf es sich erlauben, ihr ins Ohr zu flüstern: »Das nenne ich Lichtfreundschaft! Gnädige Frau sollten dem Fräulein Tochter verbieten, damit zu spielen – gnädige Frau wissen, wie gefährlich es für Kinder ist, des Abends mit Licht zu spielen!«

»Sie sind zum Todtlachen, Sie ungezogener Liebling der Grazien!« – eine Redensart, die sie in seinen eigenen literarhistorischen Vorlesungen gelernt hatte, gab sie als Antwort mit einem Lächeln, das verschämt und verbindlich sein sollte.

Er aber fand es sehr wenig verschämt und eben so wenig verbindlich. Er wandte der Madame den Rücken und sah mit matten Augen gleichgültig durch den Saal. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte; die Gruppe der gesinnungstüchtigen Tendenzbären behagte ihm nicht; die Damenwelt kam ihm heut fade und langweilig vor; er hatte heut all seine »Goethe'sche Heiterkeit« verloren; er mußte schaudern vor dem Gedanken, ein ruinirter Mann zu werden. Er fühlte es klarer als je, er mußte einen Halt für sein Herz, einen festen Boden in der bürgerlichen Gesellschaft gewinnen. Als sein Blick nach irgend Etwas suchte, was ihm Interesse hätte einflößen können, traf er endlich auf ein blasses, schwermüthig ausdrucksvolles Gesicht, dessen großes Auge gleich dem seinen nichts in dem Saale zu finden schien, an dem es mit Liebe haftete. »George Sand's Lelia«, mußte er denken.

Es war Delphine, die verlassen mit ihren nonnenhaft entsagenden Mienen an einer Fensternische lehnte. Wie seine Mutter durch Service, so liebte es Hermann, durch seine Gäste zu glänzen und jede interessante Persönlichkeit der Stadt, die ein gewisses Exterieur repräsentirte, zog er in seine Cirkel. So auch Delphine, ohne daß er ihr Verhältniß zu Wagner kannte, das sie gegen Jedermann verschwiegen wissen wollte. Die junge Künstlerin wußte noch nicht, in solchen Kreisen sich zu bewegen, und so zog sie sich in ihre unnahbare Heiligkeit zurück.

Sollte es vielleicht der Halt sein, den er suchte, wenn er seine Hand auf diese statuenartige Schulter lehnte? So dachte der blonde Dichter. Er wollte den Stenio dieser Lelia spielen und, so wie er etwas Interessantes ins Auge gefaßt hatte, war der liebenswürdige Humor seiner souverainen Natur, die Alles um ihn her zu beherrschen schien, ihm wiedergekehrt.

Er schwebte zu Delphinen hinüber. Er stellte sich ihr selbst vor; das imponirte. Er nannte sie: »gnädiges Fräulein«, das schmeichelte ihr. »Sie sind mir weniger fremd, als Sie ahnen« – das machte neugierig. »Ich habe Ihre künstlerische Entwickelung seit diesen wenigen Wochen mit dem größten Interesse verfolgt« – das machte verbindlich – »und ich möchte glauben, tief in Ihrer Seele gelesen zu haben« – das machte verlegen. »Sie haben eine schwere Laufbahn gewählt« – sie seufzte. »Es gehört ein starker Geist dazu« – sie widersprach nicht. »Das Leben einer Schauspielerin ist ein Roman; ihr Herz muß eine Heldennatur haben« – sie sah zu ihm empor mit ihrem sehnsüchtig träumerischen Blicke, als wolle sie klagen: ich habe noch nichts von dem Roman erlebt!

»Und der Roman Ihres Lebens«, sagte er mit forschend lächelndem Blick, »sollte er ein glücklicher sein?«

»Sie fragen danach, Sie, für dessen Auge kein Herz verschlossen scheint?« So gab sie sich Mühe auf seine Galanterien einzugehen.

»Allerdings«, erwiderte er, »liegt bei Vielen das Herz frei dem Blicke vor, deren Anlage sich im Lichte ihrer Tage entfalten konnte, – das sind die Tagmenschen.«

»– zu denen Sie mich nicht zu rechnen scheinen.«

»Aber auch nicht zu denen, deren Herz nie zum Vorschein kommt, – zu den Nachtblumen, wie ich sie nenne, weil das Beste in ihnen dem Lichte des Tages verhüllt ist. Ihr Leben, mein Fräulein, ist glänzend, voll Erlebnissen, aber Ihr Fühlen ist tief und die innerste Sehnsucht Ihres Herzens noch nicht an das Licht des Lebens gekommen. Sie sind eine Nachtviole.«

Delphine war entzückt von dieser anmuthig coketten Galanterie. Sie mußte dabei denken, wie sehr ihrem geliebten Apostel es an Weltbildung fehlte. Sie versank einen Augenblick in trübes Sinnen.

Der blonde Dichter sah daraus, wie er durch jene Redensart ihr imponirte; er beschloß, dieselbe im Gedächtniß zu behalten und bei Gelegenheit anzuwenden, – er hat sie in der That in seinem nächsten Drama benutzt.

Eine anmuthige Musik ertönte. Die Gesellschaft ging zum Tanze. Der Dichter, der nur selten tanzte, um desto mehr Dank dafür zu ernten, bot Delphine den Arm. Als zum ersten male die Reihe an sie kam, klopfte ihr hoch das Herz. Mit diesen ersten Pas glitt sie gewissermaßen vom Stapel auf die hohe See dieser Welt. Das fühlte sie, und sie fühlte, wie Aller Augen an ihr hingen. Röthe der Aufregung verklärte sanft den kalten Stolz ihrer Züge; sie war staunenerregend schön. Man kann auch im Tanze den Charakter der Dame erkennen, und Delphine als Künstlerin tanzte wahrhaft charakteristisch: so grazienhaft leicht dahinschwebend, als wäre sie eins mit den Tönen, dem Element ihres Lebens, und doch dabei mit einer festen Haltung auf den Arm des Tänzers sich beugend, die den selbstständigen Charakter der emancipirten Dame bekundete. Delphine fehlte es an aller Schule für den Tanzsalon, und doch – wie fein ist der Instinct des Weibes! Sie konnte keine glücklichere Repräsentation finden, um zu imponiren und zugleich zu entzücken: mit verachtendem Stolze auftretend und doch mit anmuthiger Schwärmerei dem Vergnügen sich hingebend.

Auch der Dichter war entzückt. »Tanzen wir oder schweben die Grazien mit mir hinweg?« lispelte er.

Hier beging Delphine, die Naturdichterin im guten Tone, einen Fehler gegen den Rhythmus. Sie verstand noch nicht den Tact, in welchem das Federballschlagen dieser Herzenscoketterie des Salons gespielt werden will. Ihr Gefühl durchbrach hier den Instinct, und anstatt die ihr entgegengeworfene Galanterie neckend von sich zu schlagen, wußte sie nichts Anderes zu thun, als sich seinem Arme durch einen kaum merklich leisen Druck enger anzuschmiegen. Aber – in dem Zustande des magnetischen Hellsehens, in dem das Herz eines Dichters und einer Künstlerin im Tanze aneinander lehnen, spricht ein nur ahnend empfundenes Muskelzucken oft unendlich mehr als das Wort zu verrathen vermöchte!

Der Dichter war frappirt. Durch eine kaum berechenbare Beugung wird die reine Schönheitslinie zum Ueppigen geschwellt, und ihm war durch jenes Näherbiegen die Linie des idealen Conversationstones überschritten. Dennoch war er elektrisirt. Er fand sich angelockt zu dem übermüthigen Hinüberschweifen in ein verbotenes Gebiet, und als sie, den Tanz beendend, festen Fuß faßten, verstand er es, wie zufällig ihr Haupt streifend, sie auf den Scheitel zu küssen.

Als ihm aber jetzt Delphine aus ihren großen Augen mit dem Seele in Seele hinüberschmelzenden Blicke schwermüthig entgegenschaute, da fehlte ihm an ihr der neckende Uebermuth; er liebte nicht diese Naturen, die »ganz Seele« sind, und wußte jetzt, daß die junge Künstlerin weder den inneren Halt eines festen Charakters besaß – sonst hätte sie nicht so rasch sich mit ihm in die Sprache des Hellsehens eingelassen, noch die äußere Bildung eines beweglichen Gesellschaftstones – sonst hätte sie es in anderer Art gethan. Sie war ihm ein »unbeschriebenes Blatt«, sie konnte ihm Mitleid für ihr zukünftiges Schicksal, nicht aber das Vertrauen einflößen, das er als Stütze für sein Herz suchte. Unwillig blickte er sich im Saale um und es war ihm ein Stich in das Herz, als er Constanze mit dem christkatholischen Prediger in so ernstem Gespräche gewahrte, als er es mit ihr je geführt zu haben sich nicht erinnerte.

Wagner war in den Anblick der schwebenden Delphine versunken, er hatte die einsame Stellung eingenommen, die sie nicht längst verlassen, und glaubte, ihre Gedanken ruhten in ihm wie die seinen in ihr, als er sich am Ellbogen leise berührt fühlte, zur Seite blickte, und – den Kopf, in dem die knabenhaft kecke Haltung mit den kindlich anmuthigen Umrissen, die übermüthig hüpfenden, braunen Locken mit den ruhig klugen, blauen Augen seltsam contrastirten, kühn zu ihm, dem Größeren, emporgerichtet, den Fächer wie einen Zauberstab an seinen Arm lehnend, zu keinem Worte die reizenden Lippen erschließend, blickte eine wunderbar schöne Fee ihn an mit einem herrischen Lächeln, das zu sagen schien, wie sie ihres Zaubers sich bewußt war und an der Verwirrung des sprachlosen Sterblichen absichtlich ihre Macht zu prüfen suchte.

Es war Constanze, die ihren Angriffsplan gegen den träumerischen Geistlichen zu eröffnen begann.

Der Denker hatte bei seinem Mangel an Beobachtung nur zweierlei Frauenschönheiten gekannt: die zarte, liebliche des ländlichen Aennchens, die er verachtete, und die bedeutende, ausdrucksvolle – diese liebte er in Delphine, die ihm das vollendetste Ideal aller weiblichen Schönheit war. Hier begegnete er einer neuen Schönheit, lieblich und doch bedeutend, zart und doch geistig. Im Vergleich mit dieser Grazie erschien Delphine ihm plötzlich statuenartig, die Züge zu stark, das Auge zu kolossal, die Haltung zu todt.

Ernst war an Constanze bisher gleichgültig vorübergegangen. Man hatte sie ihm als Cokette bezeichnet und in dem Stolze seines Idealismus war er über die Weltdame so weit erhaben, daß er nur mit Verachtung auf dieses alltägliche Wesen herabsehen konnte. Jetzt aber fühlte er sich von diesem beherrschenden Entgegentreten so imponirt, daß er in sprachloser Verwirrung diesen Stern des Salons anstarrte.

Als die kleine, große Cokette an dem beabsichtigten Eindrucke auf ihn sich geweidet hatte, ging ihr herrisches Lächeln in schelmisch triumphirendes über; jetzt endlich öffneten sich die geheimnißvoll geschlossenen Lippen und sie frug: »Was träumen Sie?« mit einer feenhaft neckischen Anmuth, die ihr das Recht zu geben schien, nach allen Träumen zu fragen.

Wagner besaß die Beredtsamkeit, die schwer errungene Wahrheit aus dem Schachte seines innersten Herzens als reines schweres Metall zu Tage zu fördern, nicht aber jene Redefertigkeit, die im hergebrachten Gesellschaftstone, gleichsam durch den Austausch geprägter Münze, Unterhaltung auszugeben und anzuregen versteht. Er wußte Constanzen auf ihre kecke Frage keine Antwort zu geben und deshalb war er verletzt, im Glauben, sie habe sich über ihn moquiren wollen. Sein Auge verfinsterte sich und er sagte ohne Galanterie: »Ich träume nie, am wenigsten in Damengesellschaft.«

Das Unhöfliche dieser Antwort und der Mangel an geselliger Gewandtheit, den sie darin nicht verkannte, weit entfernt, sie abzustoßen, war dem seltsamen Mädchen eine Wohlthat. Sie erkannte daran den Mann, der seinen eigenen Kern in sich trägt und ihn auch schroff der Außenwelt entgegenstellt, nicht nur die Marionette, die, stets nach dem Tacte des guten Tones sich bewegend, immer nur das ist, als was man sie wünscht. In diesem finsteren Auge las sie, was Wagner war: der mit der Welt der Formen ringende Schwärmergeist, und, während er ihr gegenüber verlegen war, hatte er den tiefsten Eindruck auf sie gemacht. Sie beschloß, ihm zu zeigen, daß auch der ernste Gedanke ihr nicht fremd sei. Sie ließ die Schelmerei und warf den Kopf nicht mehr keck, sodaß die Locken neckisch hüpften, sondern wiegte ihn schmeichlerisch, sodaß sie anmuthig ihr Haupt umschwebten. Indem alle ihre Mienen einstimmten in den Ernst ihres Blickes, sagte sie, deren Worte sonst immer spitz klangen, mit seelenvoll mildem Tone: »Sie zürnen doch nicht, daß ich Ihnen Träume zumuthe? O, leugnen Sie nicht, wer so begeisternd spricht, muß auch begeistert träumen können. Ich halte die Menschen nicht gar zu hoch, die keine anderen Gesichte haben, als die der schalen Wirklichkeit. Und sollte ich es nicht wissen, was Sie träumten? Erschrecken Sie nicht, wenn ich es in Ihren Augen gelesen, aber gestehen Sie es mir ein! Sie betrachteten jenes schöne, junge Mädchen, das, wie die Leute sagen, sich emancipirt hat, und dachten, wie selten, aber wie bewundernswerth ein Mädchen mit einem großen Herzen ist.«

»Hellseherin!« sagte Ernst, »das dachte ich!« Und freundlicher blickten seine blauen Augen unter den schwarzen Brauen hervor. Er war erfreut, eine Seele gefunden zu haben, die ihn verstand, die Delphinens Freundin werden mußte.

Constanze fühlte sich durch diesen aus finsterem Gewölbe leuchtenden Schimmer aufs anmuthigste bewegt. Ermuthigt dadurch, eine in ihm wiederklingende Saite berührt zu haben, fuhr sie fort: »Das ist der Vorzug der Künstlerschaft. Auch ich möchte eine Schauspielerin sein, wenn – ich nicht Constanze Hermann wäre! Denn darum bedaure ich sie, daß sie um die Freiheit ihres Herzens sein Glück eingebüßt hat. Meinen Sie nicht auch, das Glück des Frauenherzens gedeiht nur auf dem Boden der Familie, und dieses Mädchen mußte ihn verlassen, um auf die unruhvolle See des Künstlerlebens sich zu wagen.«

Damit war der Zauber gebannt. Aus diesen Worten sprach der Bürgerstolz der eitelen, hochmüthigen Dame dieser exclusiven Gesellschaft! »Ich wollte Delphine sein, wenn ich nicht Constanze wäre« – Constanze, die gehorsame Tochter ihrer Mutter, und Delphine, die mit Gefahr des Lebens der Gesellschaft ihre Freiheit entrungen! Ernst war durch dieses spitze Wort so tief verletzt, daß er auf ihre Frage gar nicht antwortete und in düsteres Schweigen zurück versank.

Constanze fand sich durch sein abstoßendes Wesen nur inniger angezogen. Irgend ein geheimer Schmerz mußte in seiner Seele wohnen. Sollte auch er trauern, um der Freiheit willen aus dem trauten Kreise der Familie einsam in den ruhmlosen Kampf hinausgestoßen zu sein? So dachte sie und fühlte, daß sie einen Theil ihres Lebens darum gegeben, hätte sie durch ihren Blick, durch ihr Wort das räthselhaft finstere Sinnen von dieser markigen Stirn scheuchen können. Sie ehrte sein Schweigen und wagte nicht von neuem ihn anzureden.

Als man zu Tische ging und Wagner die Karte suchte, die ihm den Platz bezeichnen sollte, fand er diesen an der Spitze der Tafel zwischen dem corpulenten Probste und der graziösen Tochter des Hauses. Er war überrascht, sich als die Ehrenperson des Festes betrachtet zu sehen. Er war kürzlich als Prediger der Gemeinde förmlich und feierlich installirt, und daß aus dieser Veranlassung das heutige Fest arrangirt war, das wurde ihm zweifellos, als nach der Bouillon und dem Ragoutfin Hermann das Wort ergriff, um in Wagner den Lehrer der Wahrheit leben zu lassen, den Werkmeister, der dem Geiste der großen deutschen Zukunft diene.

Wagner war in den zwei Monaten seiner Anwesenheit der Mann des Tages geworden. Wie überall hatte sich der exaltirte Enthusiasmus, in dem sich die bürgerlichen Mittelstände in dem Erwachen des sogenannten neuen Lebens ergingen, an die Person seines Trägers geheftet. Wagner's verschlossenes, ans Sonderbare streifendes Wesen trug dazu bei, ihn in eine ideale Höhe zu versetzen; er war der Inbegriff geworden für den Bürger aller politischen Tugenden, für die Bürgerin aller romanhaften Liebenswürdigkeit. Hermann aber hatte etwas an ihm wieder gut zu machen. Selbst der Geburt nach aus der katholischen Kirche hervorgegangen, gehörte er zu jener staatsmännischen Richtung innerhalb der katholischen Reformbewegung, welche darauf bestand, daß dieselbe so lange als möglich auf dem Boden der altkatholischen Kirche stehen bleibe und besonders es vermeiden solle, mit der freien Partei der evangelischen Kirche ineinander zu strömen, weil man dadurch sowol einen großen Theil der freisinnigen Katholiken, als auch die evangelische Orthodoxie und somit die preußische Regierung sich zu Gegnern mache. Aus diesem Grunde war der politische Hermann anfangs gegen die Berufung Wagner's, eines protestantischen Theologen, aufgetreten. Als er aber sah, daß er mit dieser klügelnden Berechnung gegen den Strom des allgemeinen Enthusiasmus nicht durchdringen könne, war er wieder politisch genug, dem fait accompli sich zu fügen, und dem allgemein verehrten Geistlichen auch seine Achtung darzubringen. Und da er sehr wohl von Ronge's Rundreisen her wußte, welchen Eindruck ein feierlicher Actus auf das Gros der Partei macht und wie die Menge der vagabondirenden Parteigänger weniger durch die That als durch die Siegesfeier mit fortgerissen wird, so veranstaltete er bei der dargebotenen Gelegenheit für Wagner ein Huldigungsfest.

Der Toast auf den Lehrer der Wahrheit wurde mit allgemeinem Jubel begrüßt. Wagner hatte bisher die große Gesellschaft und insbesondere die Zweckessen verachtet. Das heutige Fest aber, in dem er an der Spitze der Tafel saß und vor Allen als Mann des Tages ausgezeichnet wurde, sah er mit ganz anderen Augen an; das war ihm eine Versammlung der neuen freien Gesellschaft; in sich fühlte er den Mann des Gedankens geehrt. Dieses Zweckessen war ihm ein Dienst der Idee, ein Gottesdienst, der mit weihevoller Andacht sein Herz weit aufschwellte. Fromm und empfindsam wie die eines Kindes war seine Seele, und jedes Gläserklingen der Herren und Damen, die herbeieilten, um mit ihm anzustoßen, klang darin zu unendlicher Erhebung an. Als man nun, um irgend wie seiner Begeisterung Luft zu machen, das Lied ertönen ließ, das dem neuen Propheten Johannes zu Ehren auf die Melodie »Heil dir im Siegerkranz« gedichtet war:

»Töne, du Orgelklang,
Rausche wie Sphärensang,
                Heiliger Chor!
Ehre sei ihm gebracht,
Der durch der Wahrheit Macht
Aus tiefer Geistesnacht
                Uns hob empor u. s. w.«

– da fühlte Ernst sich auf den Schwingen dieses Gesanges mächtig emporgetragen. Die Andacht, die er in dem heimathlichen Dorfe auf der Kanzel in angstvoller Verzweiflung vermißt, die ihn in jenem Concert bei Delphinens Engelsstimme in schmerzvollem Kampfe über sich hinwegzureißen gesucht, diese Andacht trug ihn in kindlich frommer Glückseligkeit jetzt sicher und leicht schwebend dem Ziele seines Strebens zu. Er war selig gerührt und hatte nur noch ein Verlangen, – Hand in Hand mit einem Wesen so dahingetragen zu werden, mit dem er die innersten Stimmungen seiner Andacht theilen konnte. Er blickte mit feuchtem Auge auf Delphine, um auch aus der Ferne durch Blick um Blick mit ihr zu reden.

Aber Delphine sah ihn nicht. Sie saß auf Veranstaltung der neckischen Constanze neben dem blonden Dichter. Sie war glückselig durch die Aufmerksamkeit, die ihr heute allgemein erwiesen wurde. Sie glaubte das ersehnte »Leben« erblühen zu sehen, – einen rosigen Feengarten, dessen Herrin sie selber war. Ihre kindlich ausgelassenen Züge zeigten, wie sie von dem ungezogenen Liebling der Musen ganz gefesselt war. Dieser hatte zwar seit einiger Zeit eine besondere Vorliebe für den soliden Charakter; jedoch war er selbst nicht so pedantisch solide, daß er sich nicht mit dem besten Humor in das Schicksal gefunden hätte, die Gesellschaft dieser genialen Dame zu theilen. Er selbst bezeichnete sich als die Biene, die von allen Blumen den Honig der Poesie zusammentrug, aber für die störende Hand auch den verwundenden Stachel hatte. So suchte er jetzt gleichsam mit den Fühlfäden seines poetischen Tastsinnes das Innere dieses eigenthümlichen Naturells zu ergründen; er prüfte, wie weit er in der Sprache des Hellsehens mit ihr gehen konnte, wie weit im naiv und wie weit im sentimental frivolen Tone. Er war eben bei der ersten Probe begriffen, er sprach von den Augen, Locken, Füßchen, Taillen der Damen in dem kitzlich poetischen Style Heinrich Heine'scher Lyrik, und Delphine, deren nervöse Natur immer in den Extremen der Stimmungen sich bewegte, zeigte, einmal zur Heiterkeit erweckt, ihren genialen Charakter auch im Lachen, sie lachte so aus ganzem Herzen, wie keine der anwesenden Mütter ihren wohlgezogenen Töchtern es erlaubt hätte, – als Ernst mit den erwähnten feuchten Augen zu ihr hinüber schaute. Ihr in dieser Erregtheit funkelnder Blick traf ihn tief verletzend. Ihr Mangel an Andacht schmerzte ihn; aber er hatte keinen Vorwurf für sie, nur Mitleid, daß sie für den Abend an den aristokratischen Schöngeist gefesselt war, den er zu verachten das Recht zu haben meinte, da der impertinente Publicist ihm gesagt hatte, der Poet gebe bei einer Flasche Champagner jeder Meinung Recht.

Delphine begegnete endlich dem Blicke Ernst's, und wie ein schwärmerisches Auge immer den tiefsten Eindruck auf sie machte, so auch jetzt. Sie fühlte plötzlich, daß für die ideale Stellung, die sie einnehmen wollte, ihre Ausgelassenheit zu weit ging. Sie beantwortete den nächsten glatten Scherz ihres Nachbars mit ihrem nonnenhaft strengen Blicke. Er sah, daß er in der naiven Frivolität nicht weiter gehen durfte; auch sein Blick wurde jetzt schwärmerisch, er war ganz Seele, er sprach von dem Rechte des Herzens gegenüber der Gesellschaft, von den unverstandenen Bedürfnissen der Künstlerseele, von dem den Tod nicht aufwiegenden Glücke einer sich ausströmenden Leidenschaft, er sprach: »wir, die wir zu dem stillen Bunde gehören, welcher die nach Freiheit und Selbstgefühl ringenden Geister unserer Zeit vereinigt« u. s. w., und ging so weit, daß er merkte, wie die schwärmerische Schauspielerin seiner naiven Frivolität keine andere Schranke entgegenhalten konnte, als die sentimentale, und daß in dieser für seine Unterhaltung keine andere Grenze war, als die der Solidität seines eigenen Charakters!

Ernst indeß hatte keine Zeit mehr, auf Delphinens Augen zu achten; mit den sich überstürzenden Toasten wurde er im Strome der Geschichte fortgerissen. Wie sonst musikalische Virtuosen die Ehre, zu einer guten Tafel gezogen zu sein, mit einem Probestückchen ihrer Gänge und Triller bezahlen müssen, so thaten es die Virtuosen des Liberalismus mit geistreichen Trinksprüchen. Der sarkastische Doctor brachte einen Toast auf den Fortschritt, der pfiffige auf das Licht. Der demokratische Graf erhob sich: »Es lebe das Volk!« Der schwärmerische Doctor steckte eine Warnungstafel auf: »Die Geschichte geht nicht zurück!« Bei jedem Spruche wurde das Glas geleert; mit jedem Glase wurde das »Hoch!« stürmischer. Wagner war trunken von Begeisterung; jedem der Redner hätte er vor Rührung um den Hals fallen mögen.

Da erhob sich der dicke Stadtrath. Der Halbmond seines breiten Mundes, dessen Spitzen beim Lachen über die gesinnungsvollen Klatschgeschichten sich nach oben gewandt hatten, war jetzt in tragischem Ausdrucke nach unten gesenkt: er hatte seine Posa-Miene angelegt. Irgend etwas Gewaltiges mußte er auf dem Herzen tragen, denn nur etwas Großes vermochte diesen gewichtigen Körper in die Quecksilberunruhe zu versetzen, mit der er während des ganzen Soupers auf seinem Stuhle hin und hergerückt war. Auch er wollte einen Toast bringen, aber er besaß darin noch nicht die leichte Sicherheit jener Virtuosen, die als echte Künstler über den Enthusiasmus selbst hinaus waren; für ihn war der Toast die Aeußerung eines innersten Naturdranges, der ihm die hellen Schweißtropfen auf die Stirne trieb. Das freie Sprechen wird ihm noch schwer; über den ersten Worten druckst und druckst er, bis es endlich zum Vorschein kommt, daß er ein Hoch bringen will, dem fernen Freunde, dem treuesten Manne der Partei, dem Märtyrer für die Freiheit, dem Papierfabrikanten aus dem Hochgebirge, der in der Berliner Hausvogtei seit unverzeihlich langer Zeit in Untersuchungshaft festgehalten wird. Als er diesen Passus herausgedrückt hat, ruht er eine Weile, um Athem zu holen, und ein aus tiefster Brust unwillkürlich aufsteigender Seufzer verräth, wie schwer dem dicken Manne das Ausdrücken wird. Aber er rafft sich von neuem zu der Arbeit auf; auch das Letzte muß noch heraus; mit zur höchsten Höhe gespannter Stimme und wahrhaft theatralischen Tremulo's schreit er seine Empörung heraus über diese asiatische Barbarei und droht, der Mann der Gesinnung werde seine Freiheit wieder erhalten, so wahr die Sonne, die des Abends untergeht, des Morgens wieder aufersteht, denn, so schließt er mit dem Dichter:

»Es ist keine Krone so hehr und so hoch,
Der muthige Springer erreichet sie doch!«

– Dabei sagte er, um den Reim hervorzuheben, das »hoch« kurz und das »doch« lang mit einem drohenden Triller, indem er die Nase keck emporwarf, die Kühnheit des muthigen Springers auszudrücken, und machte, als das letzte Wort heraus war, ein Gesicht, in dem sich die ganze Seligkeit der überstandenen Herzenserleichterung malte.

Er wurde für seine Anstrengung vollkommen entschädigt durch den donnernden Beifall, mit dem die Versammlung in sein Hoch einstimmte. Nur Wagner fand dieses Aufrufen der Rache um eine Person für beschränkt; er wollte nur den Kampf für Ideen durch Ideen. Dennoch wurde er zum lauten Einstimmen in das Hoch fortgerissen, als der Impertinente, in Wahrheit ein muthiger Springer, die Zuversicht keck aussprach, daß die Ideen der Zeit sich Bahn brechen werden, und den Gefühlen Aller Worte zu geben meinte, indem er ausrief: »Es lebe die Revolution!«

Ernst merkte nicht, wie bei diesem Worte seinem Nachbar, dem corpulenten Probste, ein Fasanenflügel – man war bereits beim Braten – fast in den Schlund gefahren wäre, wenn er – nämlich der Probst – sich nicht schnell gefaßt und den dadurch erregten Hustenreiz schnell durch ein ganzes Glas Burgunder hinuntergespült hätte. Er gewann dadurch die Fassung wieder, den Flügel und zwei Schenkel des Fasans auf kunstgerechte Weise abzuthun, ein neues Glas als Schornsteinfeger in seinen Schlund herabzujagen, und alsdann, nachdem er durch kurzes Husten die genügende Wirkung desselben geprüft hatte, ergriff er das Wort. Mit seiner salbungsreichen Stimme sprach er es aus, wie die Idee der Zeit sei das Reich der allgemeinen Bruderliebe, und das Reich der allgemeinen Bruderliebe war es, was er leben ließ.

Dabei knallte der Champagner los – der Wirth, der dem Probst eine kleine Verlegenheit bei der Auszeichnung des christkatholischen Collegen angesehen hatte, wollte ihn jetzt ehren, indem er den Moment seines Toastes dadurch zum Gipfelpunkte der Feierlichkeit machte. Um die exaltirte Aeußerung des Impertinenten möglichst in den Hintergrund treten zu lassen, ging er bei diesem Toaste auf den Probst zu und umarmte ihn. Der dicke Stadtrath, der eben auf die Revolution mit angestoßen hatte, machte einen kühnen Sprung und umarmte den Probst, den drei Männer kaum umspannten, von der anderen Seite. Das gab die Veranlassung zu einer Scene der allgemeinen Bruderliebe.

Auch Wagner war ganz in Enthusiasmus aufgelöst. Er glaubte mit dem köstlichen Champagner den reinen Geist zu trinken; er schwante ins Allgemeine hinüber; und, da er sein bischen Beobachtungsgabe ganz vergessen hatte, bemerkte er nicht mehr, wie der Toast des Corpulenten die weiße Salbe auf die Wunde sein sollte, die der Toast des Impertinenten zu reißen drohte. Auch er wollte den Probst umarmen; aber dieser war so belagert, daß er nicht dazu kommen konnte. Träumerisch schweifte sein Auge nach Delphine hinüber; sie lachte wieder: der Poet hatte ihr so eben den Heine'schen Vers von den Tendenzbären recitirt: »waldursprünglich, schlecht zwar tanzend, jedoch Gesinnung tragend in der zottigen Hochbrust.« Ernst wandte sich gekränkt von ihr und sah zu Constanze. Diese sah ihn wieder an mit ihrem übermüthig neckischen Blicke. Also auch sie war ohne Andacht? Worüber lacht sie? Mit einem Blicke auf den umarmten Probst sagte sie zu Ernst: »Caesar comicus!«

Tiefer konnte Constanze in Wagner's Achtung nicht sinken, als sie es bei ihm verdiente durch den Scherz über diesen Ehrenmann. Mit eisiger Kälte wandte er sich ab von ihr dem Probste zu. Dieser kam ihm mit zwei vollen Champagnergläsern entgegen. »Mein junger College, mein Bruder in Christo, – auf das Reich der allgemeinen Bruderliebe! Die Bibel soll Gesetz, das Gesetz soll Bibel werden! Die Liebe über Alles! Dafür wollen wir stehn und fallen!« So rief er ihm entgegen mit dem seelenvollsten Tremulo, dessen seine Stimme fähig war. Ernst war entzückt, mit diesem Luther eine Bahn zu wandeln, und als er, von ihm umarmt, das Zittern an ihm fühlte, das ihn nach einem starken Souper zu befallen pflegte und das Ernst der Aufgeregtheit seiner Seele zuschrieb, da traten vor Rührung die Thränen ihm in die Augen. Er fühlte sich auf dem Gipfelpunkte seines Glückes. Was er erlangen wollte, als er Mutter und Braut verließ, das hatte er erlangt: das Leben, das ihm als eine Versammlung von Philosophen erschien, die über den Zweck der Geschichte debattirten; nicht nur er hatte den Schritt auf das Gebiet des Geistes gewagt; gleich ihm schien ihm die ganze Menschheit erwacht, von ihrem Zuge ward er die ewige Bahn der Geschichte seinem Ziele entgegengetragen. Die Thränen, die er vergoß, galten dem Schmerz seiner Mutter und den Gewissensbissen um Aennchen; aber auch diese Empfindungen gingen auf in seiner Begeisterung; sie waren nur der Hintergrund, von dem er den Glanz seines Glückes niederstrahlen sah. Um seine Glückseligkeit in Worten ausströmen zu lassen, riß er sich los aus den Armen des starken Mannes, schlug klingelnd an das leere Römerglas, und, nachdem allgemeines Schweigen eingetreten, rief er, indem eine Thräne ihm in den Champagnerbecher entfiel: »Ja, die Würfel sind geworfen, ich hab's gewagt, und – zählt die hellen Augen: die Freiheit hat gesiegt! Die Zeit ist erfüllt – das Himmelreich ist nahe herbeigekommen, das Himmelreich der Wahrheit, Freiheit, Liebe! Oeffnen wir unsere Herzen dem neuen Evangelium – der heilige Geist, der Geist der Zeit ist über uns gekommen; lassen wir uns von ihm in Alles opfernder, Alles überwindender Begeisterung mit der Leidenschaft der Geschichte, mit dem Bewußtsein unserer göttlichen Bestimmung« – hier stockte seine Stimme; vor überwältigender Rührung hatte er den Zusammenhang der einzelnen Worte verloren. Er sammelt sich nur noch, um zu schließen: »Ich trinke meine Seele der ganzen Menschheit zu!« – und mit dem erschallenden Hoch begannen die Umarmungen von neuem.

Der Probst umarmte Wagner, um ein neues Glas Champagner zu verschlucken; Hermann, um die Freundschaft des liebenswürdigen Schwärmers sich zu bewahren, mit der Hoffnung, ihn dadurch zu leiten; der dicke Stadtrath endlich, um sich und Anderen sagen zu können, daß er an seine Brust den Reformator des neunzehnten Jahrhunderts gedrückt habe, – worüber ihn die stattliche, jüdische Banquiersfrau nicht wenig beneidete!

Mit den knallenden Champagnerflaschen, mit diesem dröhnenden Beifall und diesen stürmischen Liebkosungen verlor Ernst sein individuelles Bewußtsein, seine Seele glitt ganz hinüber in das Gefühl des Allgemeinen; der rauhe Boden der Wirklichkeit schwand unter seinen Füßen, er fühlte sich schwimmend in dem Meer unendlicher Begeisterung. Eine Weile noch hörte er die Wogen plättschern, und fühlte sich von ihnen gehoben und gesenkt; bald aber war er ganz niedergetaucht in ihre ewig unbewegte Tiefe, versenkt in dem göttlichen Gefühle des geschichtlichen Enthusiasmus – er war noch nie so glückselig gewesen wie heute, und konnte sich nicht denken, daß er von jetzt ab es nicht immer sein sollte.

Constanze indeß, ermattet von der Aufmerksamkeit, mit der sie von ihrem Platze aus das ganze Souper übersehen und durch Winke und Worte an das Dienstpersonal, ohne aufzufallen, geleitet hatte, zog sich in ihr nur halb erleuchtetes Boudoir zurück. Als sie sich in ihre Causeuse niedergelassen und den Lockenkopf in die schlanke Hand gestützt hatte, wie anders war ihr da zu Muthe, als sonst, wenn sie von diesem kleinen Throne aus ihre Verehrer durch witzige Bemerkungen anzog und fern hielt. Statt des Uebermuthes empfand sie jetzt Gewissensbisse über ihre witzigen Worte; sie hatte wohl die Verachtung gemerkt, mit der Ernst sich von ihr wandte, als sie über den schwärmerischen Pfaffen spöttelte; als sie eine helle Thräne über seine Wange perlen sah, war ihr unendlich weh geworden. Sie schwor es ab, je wieder leichtsinnig zu spötteln, aber sie schwor es auch ihrem Mädchenstolze, daß der spröde Geistliche sie schätzen lernen und der Zahl ihrer Verehrer sich anreihen sollte.

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