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Achtes Capitel.

Der andere Morgen fand Aennchen in der Wirthschaft regsam wie sonst; nur rascher und bestimmter waren ihre Bewegungen und ein gereifter Ernst lag auf ihren bläßlichen Zügen. Aus ihrem ganzen Wesen sprach die Entschlossenheit, zu der sie mit dem Erwachen gelangt war; sie war entschieden, muthig und offen Ernst entgegenzutreten und Aufklärung und Bestimmtheit von ihm zu verlangen. Doch ein unerwarteter Vorfall trat zwischen ihren Willen und seine Ausführung.

Als Ernst spät erwachte, sah er sich wieder in der unleugbaren Wirklichkeit, die ihm heute verhaßter war als je. Wie wild im Rausche seiner Gefühle die Verzweiflung auch in ihm getobt hatte, sie war doch immer ein Kampf des Geistes und noch Wonne der Freiheit gegen die unvermeidliche Berührung mit dieser prosaischen, anwidernden Welt. Er konnte sich nur noch unklar erinnern, was er zu Anna gestern Abend gesprochen, aber er fühlte eine tiefe Beschämung, ihr wieder vor die Augen kommen zu müssen. Er wußte nicht, wie es ihm heute möglich sein würde, in den friedlichen und ihm so verhaßten Kreis der liebevollen Seinen zu treten. Heimlich stahl er sich, wie ein Dieb, die Treppe hinunter und ohne von Jemandem bemerkt zu sein, schlich er sich aus dem Hause.

Er ging das Dorf entlang. Als er vor dem Wirthshause vorbeikam, sah er eine ausgespannte Kutsche, die ihn an den Schreck erinnerte, den die Ankunft der Fremden gestern seiner liederlichen Gesellschaft verursacht hatte.

Die Anwesenheit der Fremden selbst gab sich ihm kund, indem er aus den geöffneten Fenstern des obern Gastzimmers lautes, heftiges Reden vernahm, den Streit einer männlichen und einer weiblichen Stimme, der wie ein ehelicher Zwist sich anhörte. Es war ihm, als müsse er die Stimmen kennen; allein er irrte sich wol: sie waren frei vom ländlichen Dialekt der Gegend und kamen ihm nur deshalb bekannt vor.

Er setzte seinen Spaziergang fort bis an das Ende des Dorfes; kehrte dann aber um, weil sein Leibliches des Frühstücks bedurfte und seine geniale Laune überwand.

Auf dem Rückwege sah er von ferne vor dem Kruge einen vornehm gekleideten Herrn stehen, welchem der Wirth in tiefster Untertänigkeit den Weg zeigte. Der Fremde zog sich noch ein mal die Manschetten und die Cravatte zurecht und in geziertem Gange, mit seinem biegsamen Polkastöckchen spielend, trat er dann seinen Weg an.

Sowie der Wirth des jungen Pastors ansichtig wurde, rief er ihm entgegen: »Ah, junger Herr Pastor, der Herr will zu Ihnen. Herr –!« rief er dem Fremden nach, wußte ihn aber nicht zu tituliren und rief wiederholt: »Herr –! mein verehrtester Herr! Warten Sie, mein Herr!«

Der »Herr« hörte endlich darauf, kehrte sich um, kniff ein Lorgnon in das rechte Auge und zeigte Ernst, der verwundert und erwartungsvoll auf ihn zuging, eine bunte, modische Kleidung und ein lionmäßig umbartetes Gesicht.

»Ah, sieh da! Prost, alter Junge«, rief der vornehme Mann, ohne irgend eine Bewegung zu verrathen, in näselndem Tone ihm entgegen.

»Wie? Was in aller Welt? Ists möglich? Louis, du hier? Theurer, alter Freund!« So brach Ernst von seiner Verwunderung in Entzücken aus und fiel ihm stürmisch um den Hals. Trotz der Veränderung hatte er ihn erkannt und sah jetzt auch durch die neue Erscheinung den Universitätsfreund Dr. Horn hindurchblicken.

»Ja, alter Freund! alt ist dein Freund geworden und häng dich nur nicht so fest an ihn, sonst bricht das morsche Horn zusammen«, empfing Louis den maßlos erfreuten Freund, mit einer blasirten Ruhe in den Mienen, die sich über nichts verwundern zu können schien.

Ernst überstürzte sich nun mit Fragen, wie es ihm ginge, was ihn in diese Gegend geführt, ob er allein komme, wie lange er bleiben wolle. Der Doctor antwortete mit überlegener Fassung ihn beschwichtigend: »Soll ich dir das Alles auf ein mal beantworten? Nur Geduld! Eins nach dem Andern.« Er erzählte nun, wie er jetzt Ferien in der Schulanstalt habe und seine Frau mit »ihren« drei Kindern auf das fünf Meilen von Hansdorf gelegene Gut ihrer Eltern bringe, damit sie dort der Landluft und er in der Stadt der Ruhe genießen könne; er habe den Umweg von wenigen Stunden gemacht, um seinen Freund zu besuchen. »Die Meinen«, so schloß er, »machen oben im Zimmer noch Toilette; ich wollte eben zu dir, um sie anzumelden.«

In dem Augenblicke erschallte von oben herab wieder lauter Familienlärm. Die kreischende Frauenstimme wurde diesmal mit Kindergeschrei begleitet, und dazwischen klappte es laut, wie wenn eine gewisse Züchtigung mit der bloßen Hand vorgenommen wird.

Der Doctor lachte hämisch: »Hörst du? Sie melden sich schon selber an. Meine alte Hexe denkt, ich bin fort, und nun gehts auch gleich los. Komm mit hinauf, wir wollen die Beschützer der Unschuld und Engel des Friedens werden.«

Auf Ernst's Frage erzählte ihm sein Freund, wie seine Frau, durch den kleinen Umweg und den gestrigen Unfall verdrießlich, den Kindern gute Lehren gegeben habe, sie sollten bei den fremden Leuten heute recht bescheiden sein; er aber könne diese alte Weibermoral, dieses ewige Einschüchterungssystem nicht leiden und habe seinem vierjährigen Jungen gesagt, das solle er hübsch bleiben lassen, mit Bescheidenheit käme man nicht durch die Welt, wer sich nichts nähme, dem werde auch nichts gegeben; das habe dem Buben besser gefallen und er habe der »Alten« keck ins Gesicht gesagt, der Papa sei klüger als sie. »So lange ich dabei war, mußte sie schweigen; sowie ich aber den Rücken drehe, das wußte ich schon, prügelt sie auf den armen Jungen los.«

Sie standen oben vor dem Gastzimmer. Louis klopfte an. Plötzlich ward es still und eine Frauenstimme frug, wer da sei. Als Louis sich zu erkennen gab, hörte man von innen aufschließen. Er ließ den Freund voran treten und schob ihn vor die Thüre, um seine Frau zu erschrecken. In dem Augenblicke öffnete sich hastig die Thüre; ein in weißen Pique gekleideter Arm reichte zur Oeffnung hinaus und Ernst fühlte erschrocken eine Ohrfeige von zarter Frauenhand auf seiner Wange brennen. Die Thüre wollte sich wieder schließen, aber Louis sprang mit dem Fuß dazwischen und hielt sie offen. Unter lachender Schadenfreude drang er in die Stube und führte den Fremden hinein, auf dessen Wange das Ziel der Ohrfeige feurig bezeichnet stand.

Ernst und die gnädige Frau waren beide in gleicher Verlegenheit. Letztere war bleich vor Schreck und dann wieder roth vor Wuth, als ihr Gatte ihr mit hämischer Artigkeit seinen Freund vorstellte. Aber in den Lebensformen gewandt, sammelte sie sich bald, verbarg mit liebenswürdiger Schüchternheit ihr Negligé unter einer seidenen Mantille und entschuldigte sich bei dem Fremden tausendfach unter lachender Heiterkeit, sie habe sich eben mit ihrem lieben Männchen geneckt und geglaubt, er setze den Spaß fort.

»Ja, lieber Freund«, sagte Louis, indem er seine Frau auf die Schulter klopfte mit Zärtlichkeit, auf die sie trotz ihres Ingrimms eingehen mußte; »du glaubst nicht, was für ein neckisches Leben wir führen. Alle Tage haben wir solch einen Spaß. Nicht wahr, Jeanettchen? O, wir sind ein spaßhaftes Völkchen!« Dabei kniff er sie so maliciös in den magern Nacken, daß sie hätte aufschreien mögen; aber sie mußte sich zu freundlichem Lächeln zwingen.

Er schwieg mit Absicht und weidete sich in der entstandenen Pause an ihrem verbissenen Zorne, bis endlich der weichmüthige Ernst, dem die Situation, eine Frau in solcher Beschämung zu sehen, peinlich war, seiner eigenen Verlegenheit sich bemeisterte und mit Louis aufbrach, indem er die Frau Doctorin bat, recht bald in die Wohnung und Gesellschaft der Seinigen nachzufolgen.

So wie die beiden aus dem Hause getreten waren, fiel Ernst der Brief ein, den er am Tage vorher an Horn auf die Post gegeben hatte. Er theilte ihm den gewichtvollen Inhalt desselben mit und äußerte seine Besorgniß, ob er nun auch nicht in unrechte Hände gerathen werde.

»Da kannst du vollkommen ruhig sein«, beschwichtigte ihn der Andere. »Dein Brief kommt in die allerbesten Hände, in die Hände eines Mannes, der dafür schwärmt, Briefe und Aufsätze von dir zu lesen und dir durch irgend etwas dienlich zu sein. Ein Freund von mir, ein junger, französischer Maler, – er heißt Cesar und hält sich bei uns auf, um deutsche Bildung kennen zu lernen, eine interessante, talentvolle Persönlichkeit, in allen Verhältnissen des Lebens und Wissens bewandert, von etwas dunkler, abenteuerlicher Existenz – der hat sich mir erboten, meine ausgedehnte Correspondenz während meiner Abwesenheit zu übernehmen. In seine Hände wird deine Arbeit kommen und er wird jedenfalls nicht anstehen, seinen eigenen Namen für die Veröffentlichung herzugeben.«

Als Ernst in seiner Aengstlichkeit noch Besorgnisse hegte, ob der Ausländer auch ein sicherer Mann sei und Vorsicht genug anwenden werde, sagte Horn mit Bestimmtheit: »Mein Cesar wird deine Sache für die seinige ansehen. Er ist dein Freund, ohne daß du es weißt. Er ist ein Strudelkopf, echt französisches Blut, und da haben deine himmelsstürmenden Briefe, die ich ihm gezeigt, ihn so für dich enthusiasmirt, daß er längst deine Bekanntschaft wünscht. Ich habe ihm deine Chiffre in den Journalen gezeigt, und er hat sich die Mühe genommen deine Aufsätze überall nachzuschlagen, um dich daraus kennen zu lernen.«

Zu Hause angekommen, verkündete Ernst die Ankunft der Gäste, die versprochen hatten, über Mittag dazubleiben. Das gab große Bewegung in der kleinen Familie, wo Gäste etwas so Seltenes waren. Auf dem Herde und vor dem Spiegel wurden rasche Vorkehrungen getroffen. Der alte Papa gerieth in große Bewegung, wie er die Frau Doctorin empfangen solle; anfangs wollte er sich in Galla werfen und den Leibrock anziehen; allein am Ende wagte er es weder den Schafpelz noch die Filzstiefel auszuziehen und begnügte sich, das neue Sammetkäppchen und ein weißes Halstuch angelegt zu haben.

Ernst führte indeß seinen Freund in den Garten, und sie tranken auf dem Plätzchen am Fliederbusche den Kaffee. Der Flieder war verblüht und der Jasmin verbreitete seinen starken Duft. Ein Regen vor Sonnenaufgang hatte die ganze Natur belebt; der Erdboden war noch feucht und von den Regenwürmern durchbrochen; die Luft war erquickend frisch.

Als die beiden Freunde einander gegenüber Platz genommen, hatten sie Zeit sich gegenseitig zu betrachten, um am Aeußern zu erkennen, wie weit das Innere sich geändert. Der Theologe fand seinen Jugendgenossen sehr gealtert; mit Sorgfalt hatte er bereits die kahle Platte verbergen müssen; dagegen hatte er sich, der früher häßlich und unsauber gewesen war, gewaltig herausstaffirt. Die schlaffen, magern Züge des häßlichen Gesichts hatten den Ausdruck vornehmer Blasirtheit angenommen, der durch den wohlgepflegten Bocksbart einen interessanten Anstrich erhielt. Seine Gliedmaßen, die sonst haltungslos an der schwächlichen Figur herumschlenkerten, schienen sich jetzt in der modernen Kleidung mit dandymäßiger Nachlässigkeit zu bewegen.

Horn, obgleich er die zwanziger Jahre noch nicht vollendet hatte, war bereits von siechem, greisenhaftem Wesen; sein Gesicht sah altklug aus, und war eine von jenen Physiognomien, die nie jung ausgesehen haben. Die Ruhe, mit der er seinen Freund empfangen, war der beleidigende Ausdruck von Sättigung und Ironie, die sich über nichts mehr wundern oder freuen kann, für die Alles schon dagewesen. Der achtundzwanzigjährige Greis war das wahrhaftigste Urbild des abgelebten »jungen Berliners.«

Ernst konnte sich nicht denken, wie er in dieser Erscheinung und nach dem Blicke, den er in das Familienleben dieses Mannes gethan, seinen Jugendfreund Titan wiederfinden werde. Mit gespannter Aufmerksamkeit hing er an jeder seiner Mienen und Aeußerungen.

»Gott! dies Aroma!« unterbrach der Gast das Schweigen, indem er mit weitgeöffneten Nasenlöchern den Jasminduft einzog. »Ah, deliciös, diese Landluft! Und dieser Azur des Himmels! Bei Gott, superbe! superbe!«

Die Pause, die eintrat, unterbrach Aennchen, die den beiden Herren das Frühstück auftrug. Sie hatte schnell ihren Sonntagsstaat angelegt. Das Rosakleidchen und ein schwarzseidenes Halstuch; die schmerzvolle Nacht hatte ihr Gesicht verklärt, und mit einem sanften Ernste übergossen, der Eifer, für die Gäste zu sorgen, hatte ihren Kummer ein wenig zerstreut, und als der Herr Doctor ihr einige Galanterien sagte, lächelte sie wieder ganz allerliebst; ihre verschleierte Munterkeit leuchtete durch ihren Ernst hindurch und stand ihr dadurch um so reizender.

Der Doctor kostete sachverständig den rothen Schinken und sein Glas Wein, das sie ihm eingeschenkt hatte, und sagte dann schmunzelnd: »Ein wahres Götterleben hier! Die reizendste Hebe, ein delicates Frühstück und diese Landluft, diese superbe Landluft! Auf Ehre, hier muß sichs leben wie im Paradies! Aber, schönstes Fräulein Aennchen, sparen Sie Ihre Fürsorge und Liebenswürdigkeit nur für Ihre Gäste und bekommt Ihr werthester Herr Vetter nichts davon? Er scheint an das Paradies hier nicht zu glauben und sieht fast aus, wie ein verstoßener Engel.«

Anna, die noch nicht so verwöhnt war, daß alle Schmeicheleien ihr gleichgültig gewesen wären, war hoch erfreut, in dem Fremden Aufmerksamkeit und Geschmack für sich und ihr Landleben zu finden, da sie schon geglaubt hatte, die gelehrten Herren aus den großen Städten müßten alle so steif und mürrisch wie ihr Vetter sein. Das Herz ging ihr fast auf vor dieser Freundlichkeit des vornehmen Fremden und sie sagte ihm im Tone des Scherzes, worin für sie tiefer Ernst lag: »Also kann sich ein großstädtischer Herr hier doch auch gefallen. Dann weiß ich nicht, was wir an dem Herrn Brummbär versehen haben. Dem kann man ja keinen andern Gefallen thun, als wenn man sich gar nicht um ihn bekümmert. Setzen Sie ihm nur tüchtig den Kopf zurecht, Herr Doctor. Wir haben nicht den Muth dazu und auf uns hört er doch nicht!«

»Gott! Ein reizendes Kind!« rief der Doctor entzückt aus, als sie fortging.

»Ja – ein Kind!« sagte Ernst kurz.

»Aber zum Entzücken anmuthig und lebhaft! Und du nennst sie deine Braut, du bist der Eigenthümer ihrer Liebkosungen, und klagst über Langeweile? – klagst nach drei, vier Wochen schon über Langeweile? Wenns noch so viel Monate wären! aber so –! parbleu, du bist in der That ein Brummbär. Du willst dich einmal ennuyiren; da kanns freilich nicht anders sein, aber dann darfst du über die Langeweile auch nicht klagen!«

»Du willst mir wol noch einreden, daß es ein beneidenswerthes Loos ist, zeitlebens an diese Pfarre und diese Frau Pfarrerin gefesselt zu sein!« erwiderte Ernst verdrießlich.

»Zeitlebens! ja, zeitlebens! da hast du recht, das ist bedenklich. Indeß woraus besteht die Lebenszeit? Aus Tagen, Wochen, Monaten! Der Mensch muß sich tageweise, wochen- und monatweise amüsiren! und wenn du das verschmähst, so mußt du dich dein ganzes Leben ennuyiren. Wir müssen nehmen, was der Tag uns bietet; und glaube nur, es ist gesorgt, daß jeden Tag etwas kommt. Sieh nur, wenn du kein Trotzkopf, kein Pedant wärst, einen Frühling und einen Sommer lang hättest du dich mit ihr als Bräutigam sehr wohl amüsiren können; dann kam der trauliche Winter, wo man sich so gern ins Warme zusammenhockt, und den verbrachtest du mit ihr als Ehemann; wäre das nicht auch ein Amüsement? So wäre schon ein Jahr hintergebracht, und für das nächste und die nächsten Jahre hätte sich dann auch schon was gefunden. Ein hübscher, gesunder Bube, oder ein gelungenes, Aufsehn machendes Buch, und fürs Honorar eine Reise nach Berlin, ein ander mal nach Paris – ei! da findet sich schon immer was, und – Freundchen, wenn sichs nirgends anders findet, findet sichs bei dir. Glaub nur, das legt sich, das macht sich mit der Zeit; man gewöhnt sich, man accommodirt sich, kurz – man wird älter. Bleiben wir auch zeitlebens Junghegelianer, wir bleiben nicht immer junge Strudelköpfe!«

»Ha! Ha! Louis! Titan!« lachte Ernst laut auf und konnte sich in sein Staunen nicht finden. »Du –? Darf ich auch meinen Ohren trauen? Bist du's oder bist du dein Großpapa!«

»Ich bin Ich – du kannst mirs glauben – und weder mein Großpapa, noch der Narr von irgend welchen Menschheiterlösungs- und Weltbeglückungsprojecten, in denen du noch bis über die Ohren drin zu stecken scheinst.«

»Du hast dich sehr verändert!« erwiderte Ernst mit Traurigkeit, und fuhr bestimmt fort: »ich habe die Vorzüge der Jugend mir nicht durch das Leben rauben lassen; ich habe allerdings die Ideale des Geistes und die Begeisterung des Herzens mir bewahrt.«

»Und was hast du daran? Hat eines deiner Ideale auch nur Anlauf genommen, wirklich zu werden? Macht deine Begeisterung dich glücklich? Ich meine, sie könnte dir kaum noch Spaß machen.«

»Glücklich? Ich frage nicht nach dem Glücke, sondern nach der Wahrheit.«

»Und was ist wahr? Die Wirklichkeit ist die Wahrheit. Und was ist wirklich? Sind deine Ideale wirklich? Ist der Geist, auf den du dich berufst, wirklich? Bist du auch nicht mehr feucht hinter den Ohren, so bist du's in den Augen. Wisch dir die Thränen von den Wimpern und sieh die Welt dir an, wie sie ist. Du schwärmst für die Menschheit zu wirken. Menschheit! Kennst du die Menschheit? Meinst du, daß sie es werth ist, daß wir uns für sie aufopfern? meinst du, daß sie unser Opfer überhaupt will? Ich sage dir, Herzensjunge, diese Menschheit ist so erbärmlich und niederträchtig, daß unsereins eher Werth ist, sie ginge um unsertwillen zu Grunde, als daß wir uns um sie nur ein einziges graues Haar wachsen lassen. Um dieser Menschen willen sollen wir uns opfern? Narren sind wir, wenn wir uns zu schlecht dünken, sie für uns zu gebrauchen, die wir besser und klüger sind. Was werden wir uns scheuen, die Gauner zu begaunern, die Niederträchtigen niederträchtig zu behandeln? List gegen List, Trug gegen Trug, um so viel Gutes aus der Welt herauszuschlagen, als es noch gibt, und dieses Hundeleben uns einigermaßen passabel zu machen! Wozu den Kopf sich an der Welt einrennen? Duck dich ein wenig und du kommst ungeschunden hindurch.«

Der Berliner sprach das nicht mit der liebenswürdig ironischen Jovialität eines leichtsinnigen Bonvivants, sondern mit dem grämlichen, bissigen Ernste des Pedanten. Wo sein Mund sich zum Lächeln verzog, war es nicht Humor, sondern Freude über eine gelungene, paradoxe Wendung seiner Rede.

Wegwerfend erwiderte Ernst nur: »Weil die andern Menschen gemein sind, deshalb mußt du es auch sein?«

»O, pardon! Ich bin nicht so wie sie. Sie wissen nicht, was sie sind; ich aber kenne sie und mich.«

»Um so unverantwortlicher von dir! Ich sehe es, Louis, wie du dich verändert hast: du hast den Glauben an die Menschheit, an den Geist der Geschichte verloren.«

»Getroffen, alter Junge, getroffen! Ich habe den Glauben an die sogenannte Menschheit fortgeworfen, weil er – Glaube ist. – Ja, du schüttelst den Kopf und denkst: Freund meiner Seele, wie bist du gesunken! Nicht wahr? Aber erinnerst du dich noch? als du ein krasser Fuchs warst und ich dich auslachte, daß du mir die heilige Dreieinigkeit philosophisch construiren wolltest, da schütteltest du auch den Kopf und nanntest mich gottlos. Nachher hast du gefunden, daß gottlos noch nicht unmenschlich ist; du machtest dich frei von dem Glauben an die Gespenster des Himmels und wurdest – gottlos. Sieh, ich bin nun wieder einen Standpunkt weitergegangen und habe entdeckt, daß wir, wenn wir uns auch vor keinem Gespenst im Himmel und auf Erden mehr fürchten, doch noch ein wimmelndes Nest von Gespenstern in uns selber tragen. Da fuhr ich nun mit dem Kehrbesen der Kritik in dieses Nest hinein und siehe da! hinausfuhren unzählige Geister, die mich besessen hatten, als da sind: Geist, Menschheit, Pflicht, Sittlichkeit, Tugend, Wahrheit, Freiheit, Idee, und wie das Schmarotzervolk weiter heißt! – ›Unmensch!‹ sagst du jetzt, indem du den Kopf schüttelst, nicht wahr? Aber bedenke nur, wenn ich auch ein Unmensch bin, bin ich noch immer Ich, und Ich ist doch das, was ich zuerst und in Wahrheit bin. Versuchs auch einmal, stich in das Gespensternest deines eigenen Innern, mach dich frei von dem Geist und den Geistern, die dein Ich besessen haben, und wenn du auch ein Unmensch bist, wirst du doch Du selber sein – das Höchste, was du sein kannst – und dir werden die Augen aufgehen und du wirst sehen, daß du jetzt erst frei und glücklich bist.«

»Ob du glücklich bist, – Louis, ich wagte nicht dich danach zu fragen.«

»Meinst du etwa, ich sei es nicht? Auf Ehre, ich bin so glücklich, als ich es in dieser schlechten Welt nur werden konnte.«

»Und die Scene mit deiner Frau –?«

»Pah, Lappalie! Darüber muß man allerdings hinweg sein. Ich will davon frei sein und ich bin's. Uebrigens auch so Etwas macht Einem Spaß, wenn man nur den richtigen Humor dabei hat. Und am Ende muß ich meine Ehe eine vollkommen glückliche nennen, denn sie hat mich noch keinen Augenblick gereut. Bis jetzt wenigstens ist mir noch keine Partie begegnet, die mir lieber gewesen wäre, die mir mehr Vermögen und Connexionen –«

»Das ist Freiheit?« unterbrach ihn Ernst, »das ist verzweifelte Resignation!«

»Resignation? Ja und nein, wie du es nimmst, und ich komme doch gut dabei weg. Ich habe resignirt auf eine schöne Frau und habe dafür eine reiche. Ich habe resignirt auf eine geistreiche Frau im Hause und habe dafür die Mittel, sie außer Hause zu finden. Umsonst bekommt man nichts; aber ich weiß aus Papier mir Geld zu machen. Ich reiche dem Satan der Welt die eine Hand, um ihm mit der andern die Taschen zu leeren und – bei Gelegenheit das Genick umzudrehen.«

»Louis, ich bedaure dich. Du betrügst dich selbst. Du bist glücklich, nicht weil du Etwas erreicht hast, sondern weil du nach nichts mehr strebst. Dein Leben ist das öde Nichts.«

»Lieber Candidat, wie willst du darüber urtheilen! Du kennst ja mein Leben nicht, du weißt ja nicht, wie viel Spaß, wie viel Reiz, wie viel Geist es mir bietet. Vergänglicher Tant und Sinnenlust, des Geistes unwürdig, wirst du sagen. Vorurtheil! Hast du's geschmeckt? Da haben wir dir in Berlin eine Clique – Gott, du mußt davon in Zeitungen gelesen haben, bei Hippel die Zusammenkunft der ›Freien‹, der ersten Köpfe des Jahrhunderts, die geistreichsten, emancipirten Frauen – ich sage dir, es ist eine weltgeschichtliche Clique! Und dann – wie kann ich dir allen den Genuß aufzählen, den mir Kunst, Künstler und Künstlerinnen gewähren! So stehe ich im Verhältniß zu einer Dame – nein, ich will nicht lügen, zu einem halben Dutzend Mädchen und Frauen, aber unter Anderm zu einem Mädchen, das mir allein, bei Gott! deine Liebe zur ganzen Menschheit hundertfach aufwiegt. Ich weiß nicht, ob du schon viel schöne und viel geniale Weiber gesehen hast; aber denke dir die schönste und genialste zugleich, ein Kunstwerk der durchgeisteten Natur! Der brünette Kopf von leichter, kühner Haltung, die ganze Büste mehr stolz als üppig, die Züge länglich edel, der Teint interessant, die Augen, die Augen! groß, leuchtend, schwärmerisch, sinnlich und übersinnlich zugleich, wie – ja, sie sind nur mit ihrem Geiste zu vergleichen, der selbst wieder so eigenthümlich und unvergleichlich ist. Er ist nicht blos tiefsinnig und nicht blos leichtsinnig, sondern beides zusammen, zugleich prüde und keck, melancholisch und frivol. Dazu denke dir eine volle, glockenhelle Stimme und einen Gesang von wahrhaft classischer Sicherheit und Reinheit, und denke dir endlich zu all diesen großen, glänzenden Vorzügen die vielen kleinen, stillen, im Dunkeln schimmernden Reize, die nur der traulichste Umgang entdeckt, und dann sage mir, ob deine verhimmelten Ideale eine solche inhaltsvolle Persönlichkeit aufwiegen können? Das ist lebendiges, wirkliches Fleisch und Blut, Sinne, Seele und Geist. Und einen solchen reichen, weiblichen Charakter bis in seinen Grund kennen zu lernen, das ist auch ein Forschen des Geistes im Geiste, aber ein Genuß, der vollste Befriedigung des Geistes ist und auch – des Fleisches.«

Bei dieser Schilderung hatte sich das arrogante Wichtigthun, mit dem der Doctor immer sprach, gesteigert; er hatte den Mund so recht voll genommen, geschmunzelt und sich den Bart gestrichen. Jetzt fiel er mit derselben Eifrigkeit und Kennermiene über den delikaten Schinken her, den er im Laufe des Gespräches vernachlässigt hatte.

»Du scheinst doch auch noch zu schwärmen und zu lieben«, sagte Ernst lächelnd über das prahlerische Wesen seines Freundes.

»Liebster Junge, warum dieses nicht?« erwiderte der Dandy mit kauenden Kinnbacken »Warum nicht auch schwärmen, wenn es Einem Spaß macht? Ja, ich liebe, aber die Art, wie ich meine emancipirte Delphine liebe – – Doch ich höre meine Frau kommen! Der Rest ist Schweigen«, unterbrach er sich plötzlich, als er im Hause die Fremden ankommen hörte.

Indem kam auch sein kleiner Sohn an ihn herangesprungen, sorgfältig mit einem schwarzen Sammetröckchen und rothen Höschen geputzt, übrigens kein schönes Kind, sondern durch Spuren skrophulöser Geschwülste im Gesichte entstellt.

»Papa, gibst mir Zuckerbrod, ich dir sag, was Mama sagt. Mama sagt, Papa ist ein Rabenpapa!«

Louis lachte laut auf und frug ihn, wohin die Mutter ihn geschlagen habe. »Tüchtig gewichst«, antwortete der Kleine mit schlauer, trotziger Miene, »aber ich nicht bescheiden bin.«

»Recht so«, sagte der Vater und wandte sich an Ernst: »ich kann es nicht leiden, wenn man die Natur schon im Kinde durch alberne Moral unterdrücken will; die Menschen werden erst besser werden, wenn Jeder seine Individualität dreist hervortreten läßt.«

Damit stand er auf und eilte seiner Frau und den Kindern entgegen, um sie zu empfangen und vorzustellen und sich als den liebevollsten Ehemann zu zeigen.

Da die Frau Doctorin behauptete, sie müßten leider ihre Reise möglichst früh wieder antreten, um ihre Eltern nicht noch länger warten zu lassen, so wurde bald zu Tische gegangen. Die gnädige Frau sah leidend und schmachtend aus und kokettirte mit einer Melancholie, die sie über ihr Wesen ergossen hatte. Sie setzte sich beim Essen neben den alten Herrn Pastor und erzeigte ihm eine wahrhaft kindliche Aufmerksamkeit; sie legte ihm die Speisen vor, schenkte ihm Wasser ein und machte sich auf jede Weise niedlich, um sich bei ihm und der Familie einzuschmeicheln, damit man ihr eheliches Verhältniß, wenn man es kennen lerne, nicht ihr, sondern dem Manne zur Last lege.

Dieselbe Anstrengung machte er, der Doctor; er war gegen den alten Herrn achtungsvoll, gegen Aennchen galant und gegen die Mutter höchst aufmerksam. Diese wußte er durch liebenswürdige Heiterkeit für sich einzunehmen, indem er ihr aus seinen Studentenjahren und seinem Zusammenleben mit Ernst allerlei erzählte. Auch gegeneinander waren die beiden Eheleute so wohlwollend, daß die Pastorfamilie darüber einig war, sie seien doch ganz charmante Leute und ein glückliches Paar, und namentlich Aennchen konnte nur wünschen, ihr Ernst sei ein so liebenswürdiger und offener Mann wie der Herr Doctor.

Kaum war das Mittagsessen eingenommen, so trieb die gnädige Frau, der der angelegte Zwang doch unangenehm sein mußte, zur schleunigen Abreise. Ihr Gemahl war dazu bereit und ging ins Gasthaus, um anspannen und aufpacken zu lassen. Ernst begleitete ihn. Auf dem Wege hatten sie die letzte Gelegenheit, sich offen auszusprechen. Die Frau Pastorin hatte es dem Doctor geklagt, daß ihr Sohn sich so wenig im älterlichen Hause zu behagen scheine. Er wollte ihn deshalb freundschaftlichst zur Rede stellen und seinen frivolen Ton bei Seite lassend, redete er ihm zu, mit seinen Verhältnissen sich zu versöhnen.

»Du kannst gut reden«, warf ihm Ernst unwillig ein, »der du in einem weiten Leben dich bewegst. Aber ich – zur ewigen Lüge verdammt, zeitlebens an dieser Scholle haftend!«

»Wer sagt denn das? Warum hast du denn die Grille, nicht weiter zu wollen? Du mit deinen Fähigkeiten, deiner Rednergabe, deiner Sicherheit des Geistes solltest nicht über diese Dorfpfarre hinauskommen? Es ist eine Thorheit, daß die fähigen Köpfe Staat und Kirche immer von außen angreifen wollen; macht es wie die englischen Staatsmänner: dränge dich in den Staatsdienst, laß alle Minen springen, um Carrière zu machen, und wenn du dich hineingearbeitet hast, und fest drinnen sitzest, dann tritt hervor mit dem, was du bist und willst!«

»Ich in den Staatsdienst? mich zur Carrière drängen? Ich mag kein Diener sein. Muß ich hier meine Ueberzeugung verheimlichen, so will ich doch nie und nimmer eine fremde erheucheln. Ich kann einmal kein Lügner, kein Speichellecker sein.«

Durch Ernst's Schroffheit wurde der Doctor, aus dem gemüthvollen Ernste, den er anzustimmen sich bemühte, wieder in seine bissige Frivolität gedrängt. »Ja, Junge, das ist Eigensinn, und Eigensinn läßt sich nicht widerlegen. Du nützest dadurch der Menschheit nicht und schadest dir nur. Thor, der du auf die christkatholische Bewegung hoffst, warten willst, bis diese spießbürgerliche Aufklärung für unsere Principien reif wird! Uns wird die Welt nie nachkommen, denn die Masse kann nie zu Genies werden. Was werde ich mich da einer Sache opfern, die ich doch nur als Philisterei durchschaue! Glaub mir, in dieser Welt ist nichts zu bessern. Die Gesellschaft ist faul im Innern; was hilft es, sie äußerlich zu übertünchen? Gänzlich verwesen muß sie, damit Platz für eine neue wird. Für die Menschheit wirken, heißt jetzt, die Fäulniß zum Aeußersten bringen. Ein Thor, wer in halben Ausbesserungsversuchen sich opfert. Ich schreibe dann und wann einmal einen Artikel im Sinne der Regierung, mache ein patriotisches Festgedicht und siehe da! ich habe mich dem Ministerium bereits als einen sehr brauchbaren Kopf empfohlen und habe nahe Aussicht, durch die unablässigen Bemühungen meines Schwiegerpapa Staatsrathes das lästige Schulkatheder los zu sein und die höhere Carrière einzuschlagen. Consistorial-Assessor! Schulrath! Mitarbeiter im Ministerium. Ha, ha! der frivole Atheist – Gehülfe im christlich germanischen Ministerium! Nun, und wer weiß, man kann Alles werden, wenn man ein offener Kopf ist und – den Spaß versteht; Sieh, das ist ein freier Geist

Ernst hielt es nicht für werth, darauf zu antworten, sondern zog sich in sein höheres Bewußtsein zurück. Sie kamen vor dem Gasthause schweigend an. Die Anstalten zur Reise wurden getroffen. Auf dem Rückwege zum Pastorhause knüpften sie kein Gespräch mehr an.

Der Doctor, der seinen Plan, in wenigen Tagen zurückzureisen, erzählt hatte, versprach beim Einsteigen in den reisefertigen Wagen auf dem Rückwege wieder anzusprechen. Ohne auffallende Herzlichkeit nahm Ernst von seinem Jugendfreunde Abschied. Als er den Wagen fortrollen sah, mußte er sich sagen, daß er heute um eine Enttäuschung reicher und um den Glauben an einen Freund ärmer geworden war. Die größte Freude in seiner Einsamkeit, die er sich hätte ersinnen können, wäre gewesen, gegen den Busenfreund ein paar Stunden sich aussprechen zu können; und nun schieden sie kalt als fremde Menschen.

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