Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Capitel.

Delphine saß in die Ecke ihres rothen Divans zurückgeworfen, den Arm graciös aufgestützt, das Haupt melancholisch gesenkt, mit den schwärmerischen grünen Augen das schwergoldene Armband, ein Geschenk des polnischen Grafen, nachdenklich betrachtend, das weiße Battistnegligée, in dem das Weiß der mattglänzenden Haut ruhte wie eine Perle im Schnee, mit seinen reichen Falten malerisch ausgebreitet, – Alles in Allem eine feenhafte Erscheinung, zu der nur zweierlei contrastirte: die zerrissenen, alten Schuhe an den kleinen Füßchen und die geistlos mürrischen Mienen, die beide aus der dritten Etage der Berliner Vorstadt mitgekommen waren. Heute gerade hatte Delphine eine Entschuldigung für ihre Abspannung: sie hatte die Nacht hindurch geschwärmt auf dem Balle bei Hermann's und der interessante, blonde Dichter mit der rothen Sammetweste hatte ihr eine sinnige Veranlassung zum Nachdenken gegeben. Er hatte seit dem ersten Zusammentreffen fortgefahren, ihr den Hof zu machen; seine Politik aber, die den Halt für sein Dichterherz in besserer Gesellschaft suchte, erlaubte ihm nicht, ein solches vieldeutiges Verhältniß fortzusetzen. Auch war es sein Grundsatz, für Umgang mit Weibern kein Geld auszugeben, – wodurch die Finanzen ruinirt werden, und da er bei Delphinens prächtiger Toilette und geringer Gage ohne Douceurs nicht wegzukommen fürchten mußte, so nahm er auf diesem Balle Gelegenheit, mit anmuthiger Sentimentalität sich zu empfehlen, indem er ihr seufzend zuflüsterte: »Schöne Dame, ich fürchte mich vor Ihnen. Wir müssen scheiden. Uns trennt – die Sünde!«

Diese mysteriöse Phrase war gut berechnet. Delphine mußte fortwährend darüber nachdenken, was für eine Sünde er meine, und dabei kam der Gedanke der Sünde ihr so poetisch, so romantisch mystisch vor, daß sie sich nicht, wie er, davor fürchtete, sondern von einer verführerisch lüsternen Neugier danach befallen war. Die seelisch sinnliche Koketterie des geistreichen Dichters hatte in ihr eine Leidenschaftlichkeit erregt, die keineswegs durch einen Kummer über seine Abtrünnigkeit ihre Seele trübte, sondern nur gereizt in ihr fortlebte, in dem lechzenden Verlangen, zu leben und zu lieben, zu glänzen und zu genießen. Daß sie dieses Verlangen im Umgange mit dem Manne, der ihr in diesem Augenblick Gesellschaft leistete, stets unerfüllt sah, war es, was den bleifarbenen Ton der Apathie wieder über ihre Züge deckte.

Ernst saß bereits eine halbe Stunde ihr gegenüber, ohne ein Wort zu reden. Seine Mienen waren von tiefer Sorge niedergedrückt. Endlich ergriff er ihre Hand, die sie ihm ließ, ohne sich ihm zuzuwenden, und sagte mit feierlicher Stimme: »Delphine, ich habe heute etwas mit dir zu reden, etwas Lebenentscheidendes. Willst du hören?«

Sie nickte mit dem Kopfe, bezeugte sonst aber keine große Neugier.

»Delphine«, sagte er und seine Stimme stockte, »Delphine, es kann mit uns beiden nicht so bleiben, wie es ist. Lieben wir uns denn noch? Wir wissen es wenigstens kaum. Meine Stimme stockt vor Verlegenheit, da ich mit dir vertraut reden will, so fremd sind wir einander geworden. Und sind wir denn glücklich so, wie wir mit einander leben? Ich bin es wahrhaftig nicht. Ewig werde ich hin- und hergerissen zwischen Entzücken und Unbefriedigtheit. Seit dem Weihnachtsabende, wie oft haben sich Verstimmungen, Misverständnisse zwischen uns wiederholt. Delphine, das darf nicht mehr sein, wir müssen es anders einrichten, unsere Liebe auf ein festes Verhältniß begründen, – Delphine, wir müssen uns vermählen!«

Durch das perlfarbig blasse Antlitz Delphinens leuchtete für einen Augenblick ein noch blasserer Schein. Mit den unbewegten, stolzen Mienen sah sie ihn groß an und schüttelte mit dem Kopfe.

»Erschrick nicht«, beruhigte er sie lächelnd; »wir wollen unseren Principien des freien Geistes ja nicht untreu werden! Nur – eine zweckmäßige, praktische Einrichtung wollen wir treffen. Wir lieben uns und werden uns ewig lieben, das wissen wir, das ist die freie Selbstbestimmung unserer freien Geister. Was wird es uns hindern, wenn die innere Vereinigung ein äußeres Band zu nagen hat? Sag, ist es gegen deine Principien?«

Sie schüttelte mit dem Kopfe.

»Also, du willigst ein –!«

Sie schüttelte wieder, es war eine Scene, ganz so, wie jene, die Horn's lebensentscheidende Katastrophe in Berlin herbeigeführt.

»Gegen deine Principien ist es nicht und doch willst du es nicht? Höre nur, Delphine, es ist kein aus der Luft gegriffener Wunsch, es ist eine unendliche Beruhigung für mich und noch ein theures Herz. Ich will dir erzählen, was mich zu dem Gedanken veranlaßt. Meine Mutter schreibt mir, – seit ich ihr treulos geworden bin, hat sie immer nur kurze, nichtssagende Briefe mir geschenkt, durch Verschweigen so viel klagend, – diesmal endlich schreibt sie mir einen innigeren Brief, inniger nur, um mich zu bitten, ich solle sie über das Verhältniß beruhigen, in dem ich mit dem Mädchen lebe, das ich entführt, – ich solle sie versichern, daß unser Bund durch die Sitte geheiligt sei, und sie wird wieder meine Mutter sein, wie sie es bisher gewesen! Delphine, laß diese äußere Ceremonie über uns ergehen, unsere freien Geister berührt und hindert sie nicht. Thus mir zu Gefallen, zu Gefallen meiner armen, kranken, guten Mutter! Ich frage dich nicht blos, ob du es willst; Delphine, ich bitte dich, daß du es thust.«

Auch jetzt noch das lautlos verneinende Kopfschütteln.

»Aber, um meiner Seele willen, wenn es nicht gegen deine Principien ist, wenn du zwei Herzen so glücklich dadurch machen kannst, warum willst du es dann nicht thun? Sag mir das Warum! Kläre mich auf! Ich kann ja Alles begreifen. Nur öffne den Mund. Sei Mensch gegen Mensch; laß uns Vernunft um Vernunft austauschen, und aller Widerspruch ist ausgeglichen.«

Delphinens Lippen aber öffneten sich nicht; finster blickte sie vor sich hin; ihr Antlitz blieb todt und unbewegt wie eine Statue.

»O, um meiner Seele willen, was ist mit dir vorgegangen? Höre noch das Letzte! Ich bitte dich nicht blos, es zu thun: du mußt, du mußt es thun! Ich sehe es kommen, wir entfremden uns, deine Liebe geht mir verloren, o! und mit deiner Liebe bin ich selbst verloren! Alles bricht unter mir zusammen; von dem, was ich zu erlangen hoffte, als ich mit dir dem Zuge des freien Geistes mich hingab, habe ich nur noch dich. Laß mich nicht auch dich verlieren! Halte, halte mich, sonst stürz ich in das Wasser hinab, von dem ich in jener Nacht dich errettete!«

Er war vor Delphine auf die Knie gesunken. Wenn sie Gedächtniß hatte, mußte sie sich erinnern, daß es die Verzweiflung jener Nacht war, die sich jetzt auf seinen Mienen wieder malte. Sie aber hatte kein Wort für ihn. Ein dunkles Feuer leuchtete innerlichst in ihren Augen; um den Mund spielte ein diabolisches Lächeln: dadurch, daß sie ihn zu ihren Füßen leiden sah, fühlte sie sich endlich befriedigt. Wie es eine Erfahrung ist, daß Frauen oft aus Liebesraserei in völlig unzurechnungsfähigem Zustande Feuer anzulegen getrieben werden, so freute sich Delphine in grausamer Wollust, zum Ersatz für die Qualen der Entsagung, die sie erlitten, über die verzehrende Glut des Schmerzes, die sie in dem Busen des für sie verständnißlosen Geliebten entzündet hatte.

»So himmlisch schön und doch – so verständig!« fuhr Ernst in Wuth empor, als er diesen eisig kalten Hohn erblickte, und um zu beurtheilen, was ihm in dem »verständig« lag, muß man wissen, daß der nüchterne Verstand für den Philosophen das ist, was für den Religiösen der Teufel. Wie man das, wovor man sich am wenigsten zu vertheidigen vermag, zu höhnen pflegt, so verachten und hassen beide, der Fanatiker des Glaubens wie der des Gedankens, nichts mehr als die Skepsis des einfachen egoistischen Menschenverstandes.

Es war für Ernst ein fürchterlicher Schlag, in dieser Priesterin, die sich Einem Gotte mit ihm gewidmet zu haben schien, jetzt Nichts als das profane, weltliche Weib zu sehen. Die Berliner Delphine, das verlogene Kind, trat ihm wieder in Erinnerung. Er wollte in ihrem ganzen Verhalten gegen ihn jetzt nichts als falsche, kluge Berechnung sehen, die die Absicht verfolgte, ein Abenteuer zu bestehen, durch ihn aus den verhaßten Verhältnissen entführt zu werden. Und doch vermochte er es nicht zu begreifen: wie konnte hinter dieser Fülle glühender Leidenschaft, hinter diesem Aufgehn in schwärmerischer Begeisterung ein so nüchternes, selbstsüchtiges Ich verborgen sein, das sich nie vergißt und nie sich verliert, wenn es über sein Selbst auch in himmlische Höhen hinausgetragen scheint!

Wie damals in Berlin, als seine Vernunft sich abquälte, den Trug der groben Sinnlichkeit zusammenzureimen mit ihrem idealen Geiste, so suchte er jetzt die Einsamkeit und mühte sich vergeblich, diesen eisig kalten Egoismus neben jener glühenden Schwärmerei zu begreifen. Wie damals war sein ganzes Geistesleben niedergedrückt; seine Gedanken wühlten sich in ein Labyrinth von Räthseln hinein und verirrten sich so tief, daß er sie nicht wieder sammeln konnte. Alles wiederholt sich im Leben! Wie damals in diesem Zustande ein unerwarteter Schlag ihn an den Rand des Lebens stieß, so mußte auch jetzt ein erschütterndes Ereigniß ihn völlig zu Boden werfen.

Sein Glaubensgenosse und College in der Apostelschaft, der Schneider Krist, machte die Befürchtung wahr, die er durch sein neuliches sonderbares Betragen erweckt hatte. Wenige Tage darauf wurde ein nächtlicher Einbruch in die Casse des Regierungsgebäudes verhindert. Die dabei Verhafteten waren der Schneider Krist und fünf andere Mitglieder der freien Gemeinde. Man fand bei ihnen Pässe nach Amerika vor, wohin sie mit dem gestohlenen Gelde sich und ihre socialistischen Ideen flüchten wollten.

Welchen Eindruck dieses Ereigniß machte, wie es ausgebeutet wurde, um die freie Gemeinde mit Schmutz zu bewerfen, ist leicht zu begreifen. Niemand wurde dadurch so getroffen wie Ernst Wagner. Welche neue, vollendete Enttäuschung, welche Beschämung gegenüber Hermann und den bornirten Philistern! Er wagte vor Niemandem sich sehen zu lassen. Weit, weit ins schneeige Feld hinaus machte er einen einsamen Spaziergang. Einsam! wieder einsam! Er schrak vor sich selber zusammen, denn er fühlte sich erinnert an die Spaziergänge in Hansdorf, und mußte denken, daß er heute wieder und noch immer ganz so einsam war wie damals. Ganz so einsam, aber noch viel unglücklicher; denn damals war er schuldlos, heute lasteten die Schmerzen einer getäuschten Mutter, einer betrogenen Braut auf seiner Seele. Nein! er war heute so einsam wie in jener Verzweiflung, als er am Ufer der Spree bei dem Blute seines Freundes platt auf dem Boden rang zwischen Leben und Tod. Und doch war er heute noch verzweifelter; denn damals gab es noch ein großes Wagniß für ihn zu thun; jetzt hatte er auch dieses Wagniß vollbracht, nur Undank und Schmach hatte er geerntet, kein neuer Entschluß lag vor ihm, ein entsetzliches Gespenst, das er endlich gebannt zu haben meinte, umgarnte ihn von neuem, – der Gedanke an Selbstmord!

Nur Eins noch lockte ihn ins Leben zurück: jenes unheimliche Blitzen in Delphinens Auge, jenes diabolische Lächeln, mit dem sie sein Flehen der Verzweiflung beantwortete, ließ seinen Geist nicht ruhen. So ging es dem Denker: er wollte nur die Welt anerkennen und lieben, die er begriffen, und doch war es das Unbegreifliche, ein mystisches Naturspiel, was den letzten unwiderstehlichen Reiz auf ihn ausübte! Gott liebt man und verliebt sich in den Teufel. Für Delphinens erhabene Seele hatte der Philosoph geschwärmt; durch diese satanische Caprice war er von ihr verzaubert, und nie, so lange er für sie geschwärmt, hatte er eine solche Sehnsucht nach ihr getragen, als jetzt, hatte sie nie solche Macht auf ihn ausgeübt. Er fühlte sich ganz von ihr beherrscht, durch jenen Basiliskenblick, jedes anderen Willens unfähig, zu ihr hingezogen, sodaß er, von dem Spaziergange zurückgekehrt, unwillkürlich zu ihrer Wohnung seine Schritte lenkte.

Er wollte sie um Aufklärung, um Verzeihung flehen; arm und krank wie ein Bettler kam er sich an ihrer Thüre vor, als er sie im Zimmer mit dem übermüthigen Tone, den er lange an ihr nicht gehört hatte, lachen hörte, dann eine Melodie trillern; eine Männerstimme fiel in ihren Gesang ein, und beide brachen in ein neues Gelächter aus, – ganz wie er in einer verzweifelten Stunde in Berlin es erlebte. Eifersucht packte ihn; er mochte jetzt mit ihr nicht anders als allein zusammen sein; doch mußte er eintreten, da er bereits geschellt hatte.

»Ah, brav, tapferer, alter Freund, daß du kommst! Ich habe dich hier erwartet«, so fiel Graf Cesar mit seiner cavaliermäßigen Lebhaftigkeit ihm um den Hals, die noch feuriger war als sonst. An den stechenden Augen, den raschen, bestimmten Bewegungen sah es Ernst ihm an, daß er in nicht gewöhnlicher Stimmung war. Cesar's Worte überzeugten ihn bald, daß etwas Außerordentliches mit ihm vorgehe.

»Erlauben Sie nur ein paar Worte«, so bat er Delphine um Entschuldigung, als er Ernst bei Seite zog und mit frappant bestimmtem Tone ins Ohr flüsterte: »Ich konnte nicht in deine Wohnung kommen, man darf um keinen Preis uns beisammen sehen. Ich habe wichtige, entscheidende Dinge mit dir zu reden, – Alles steht auf dem Spiele, wir stehen am Vorabend gewaltiger Ereignisse! Ich gehe mit dir aus, sobald es völlig dunkel ist!«

Wagner imponirte der große Schwung, den Cesar's Wesen in diesen Worten genommen hatte, sodaß er fühlte, wie unbedeutend und ungewandt sein Aeußeres dagegen abstach. Er war nicht wenig überrascht, als derselbe eben so rasch in seine unbefangene heitere Weise umschlagen konnte. Vertraulich setzte er sich neben Delphine auf das Sopha, die den Kaffee auf dem vor ihr stehenden Tische servirte, und sagte: »A propos, nun erzählt mir von eurem Glücke. Aber – pardon, das ist indiscret zu fragen! Dafür erzählt mir von eurem Unglück, euern Zwistigkeiten. Sagen Sie einmal, Phinchen, wie oft haben Sie schon geschmollt?«

»O, was Sie sich denken! Bei uns ist keine polnische Wirtschaft. Sag einmal, Ernst, bin ich schon einmal böse gewesen?« So frug Delphine, die heute ihre lebensfrohe, kindliche Mime plötzlich wiedergewonnen hatte, mit einer anmuthig liebreichen Offenheit, die Ernst's erweichtes Gemüth eben so tief erbitterte, als der herzliche Empfang Cesar's ihm wohlgethan hatte.

Er war durchaus nicht Willens auf die Komödie einzugehen, kam aber mit einer Antwort in keine Verlegenheit, da Cesar ihm nicht Zeit dazu ließ. Dieser konnte nie das Gespräch eine Minute ruhen lassen und entfaltete sein Unterhaltungstalent wieder in einer fortreißenden Weise, die Wagnern bald durch die Theilnahme, die Delphine ihm schenkte, auch noch die Freude verbitterte, die das Wiedersehen des Freundes für ihn gehabt hatte.

»Wenn die Policei nicht um mich eifersüchtig auf Sie würde, so bliebe ich hier, bis ich Sie spielen gesehen. Aber ich kann es, – ich kann es jetzt nicht riskiren. Man kennt mich überall, Alles steht jetzt auf den Karten! Aber, bei Gott, wenn ich nur mein Leben dabei wagte, ich bliebe hier!« So fing er an und kam nun auf die Partien zu sprechen, die Delphine gespielt hatte.

Sie mußte ihm ihr Repertoir herzählen. »Die paßt für Sie vortrefflich«, sagte er bei der einen Rolle, bei der andern: »sie ist zu tief.« Dann ging er auf die Opern ein, trillerte eine Stelle und rief: »Das ist doch das Schönste, das je componirt ist«; sie fügte hinzu: »und das–« und sang eine andere. »Sie haben es so aufgefaßt?« ging Cesar darauf ein, »schön, eigenthümlich! Aber wissen Sie, wie die Garcia diese Arie gesungen?« Er sang ihr die Melodie vor und sie brach in Freude aus: »Herrlich! Nun geht mirs auf. So muß es sein!« So kamen sie von Arie auf Arie, von Oper auf Oper; Cesar trug ihr vor, wie die Garcia, die Schröder, die Malibran durch verschiedene Auffassungen ihre Wirkungen erreicht; Delphine war ganz hingerissen, Cesar wurde immer lebendiger, hastiger von diesem auf jenes überspringend, und – Ernst war ganz vergessen.

Cesar war an den Flügel gegangen, sie sangen zusammen. Als sie auf das Duett zwischen Don Juan und Zerline kamen, das sie in Berlin an dem alten Klapperkasten so oft zusammen gesungen, und – gespielt hatten, da wußte sie sich nicht zu halten; hingerissen von Cesar's Gegenwart und der Erinnerung an heitere Stunden, die ihr jetzt in einem rosig-poetischen Lichte erschienen, ließ sie sich ganz gehen, umfaßte Cesar's Kopf und küßte ihn leicht auf seine dunkeln Locken. In dem Augenblicke erst, als sie es gethan, dachte sie an Ernst. Sie wandte sich nach ihm um und sah es an seinen Mienen, wie sehr er sich vernachlässigt fühlte. Sie ging zu ihm heran; während Cesar eine Arie sang, stellte sie sich hinter Ernst's Stuhl nahm seinen Kopf jetzt in die zarten Hände und ließ gegen ihn die Zärtlichkeit aus, die sie Cesar nicht schicklich bezeigen konnte, – wobei sie wol daran dachte, welche Empfindungen sie zugleich in diesem dadurch erregte. Ernst durchschaute diese Komödie sehr wohl. »So verständig! so verständig!« rief es über die Falschheit in ihm; ihre Liebkosungen waren ihm Marterqualen, sein Kopf brannte ihm zwischen ihren Händen; er konnte diese entwürdigende Rolle nicht länger tragen, und wollte eben zornig aufspringen, als Delphine, seine Unruhe durch ihre Fingerspitzen merkend, ihm zuvorkam, und sowie Cesar die Arie schloß, der Unterhaltung noch zur rechten Zeit eine andere Wendung gab.

»Was Ihnen noch wichtiger sein sollte, als mich singen zu hören, ist, Wagner predigen zu hören«, sagte sie zu Cesar. »Sie glauben nicht, wie wunderschön er redet.«

»O, ich habe davon gehört«, so ging dieser rasch darauf ein. »Dein Ruf ist bis nach Berlin gedrungen. Auch hier habe ich schon davon gehört, zum Exempel, höre nur, quibus facetiis nocturnis gloriam tuam expertus sum!« So verfiel er plötzlich ins Lateinische und erzählte Ernst in drolligem Sermone, in dem oft ein französisches Wort das fehlende lateinische ersetzen mußte, wie eine junge Dame, venusina mente et facie, die er noch gestern Abend nach seiner Ankunft per larfari kennen gelernt habe, ihm mit Schwärmerei von dem schönen Geistlichen erzählt habe; sie gehöre auch zur freien Gemeinde, habe sie gesagt, denn Herr Wagner sei ein reizender Mann und predige himmlisch, die Versammlungen seien so heilig; endlich bezeichnete er die Dame noch mit dem Namen »die blonde Elise«, mit dem sie der Kellner des Gasthauses ihm benannt habe.

Indem Ernst verschämt und erschreckt war über den Hohn, mit dem er seinen Stolz auf die »herrlichen Früchte« seines Evangeliums beantwortet sah, entschuldigte sich der Graf bei seiner Nachbarin, daß er in einer ihr unverständlichen Sprache in ihrer Gegenwart geredet habe. »Ich hatte eine kleine Replique aus einer Fachwissenschaft gegen Wagner, die sich nur in der Sprache der Gelehrtheit ausdrücken ließ, – etwas von der Propagationstheorie! – Aber, bei Gott, Wagner«, fuhr er schnell fort, »ich weiß nicht recht, was du mit dieser freien Gemeinde willst. Du scheinst eine wahre Aristokratie des Lumpengesindels concentrirt zu haben. Politisch ist es gewiß nicht, so exclusiv zu sein.«

»Lumpengesindel – die unteren Classen? Seid ihr polnischen Edelleute wirklich alle Aristokraten, wie die Herren der Praxis euch nachsagen? Sprecht nur zu euren Bauern von Lumpengesindel und ihr werdet sehen, wie weit ihr kommt!« So antwortete Ernst in gereiztem Tone.

»Ja, du lieber Himmel, wir brauchen den Bauer, die unterste Classe. Bei uns ist das etwas Anderes; wir haben keinen Mittelstand. Ihr aber müßt eure Revolution durch den Bürger machen, und durch das Aufhetzen des armen Volkes schreckst du ihn zurück.«

»Ich muß Ihnen auch Recht geben, lieber Cesar, mir kann diese freie Gemeinde nicht gefallen. Du hast mich auch gar nicht gefragt, lieber Ernst, was ich dazu sagte, und wenn du mir hättest einen Gefallen thun wollen, so hättest du es lieber bleiben lassen und wärst in der deutsch-katholischen Gemeinde geblieben. Was sind das für liebenswürdige Menschen!«

So sprachen Cesar und Delphine zu Wagner mit dem wohlwollendsten Tone, und sie ahnten beide nicht, was sie, er mit dem: »die unterste Classe brauchen«, und sie mit dem: » lieber bleiben lassen«, bei ihm verbrochen hatten. Daß Delphine ihn nicht begriff und nur seiner Verachtung würdig war, hatte er längst gemerkt und es freute ihn nur, sicherer darin bestärkt zu werden; daß aber auch Cesar, dieser letzte Freund, von dem er verstanden zu sein glaubte, in so gemein verständigem Standpunkte befangen sein konnte, das ließ ihn völlig am Menschengeschlechte verzweifeln. Grollend zog er sich in sich selbst zurück, und wollte nichts mehr von Cesar, nichts mehr von der Welt wissen.

Da sprang Cesar plötzlich auf: »Ach, mon dieu, es ist dunkel genug. Ernst, laß uns gehen. Meine Stunde ist abgelaufen, ich muß meine Rechnung machen mit – diesem Himmel. Schöne Delphine«, sagte er und verfiel plötzlich in einen wehmüthig düstern Ton, »leben Sie wohl! leben Sie wohl – vielleicht auf Nimmerwiedersehen! Jeder Tag kann meine letzte Stunde bringen. Ich spiele ein großes, ein gewagtes Spiel. Aber – va banque!« so schlug er eben so schnell wieder um in jene sorglos kecke Ritterlichkeit, die ihm so schön stand: »Kann ich Alles verlieren, kann ich auch Alles gewinnen. Ich lieb mir's so, das ganze Leben auf der Degenspitze schweben sehn. Die That ist mir des Lebens Werth, und ein ganzes Dasein voll Ruhe und Behaglichkeit geb ich gern um ein einziges, wenn auch mislungenes Reiterwagniß! Und wenn es mislingt, wenn der Reiter den Hals bricht, nicht wahr, theure Delphine, dann weinen Sie ihm ein paar Thränen, aber nicht mehr, bitte ich, als sie Ihre Augen verschönen, denn – ich liebe die Schönheit mehr als das Mitleid um mich. Und nun, adieu, schöne, schöne Delphine! Lassen Sie den Abschied so herzlich als kurz sein!«

Bei den letzten Worten küßte er sie mit chevaleresker Sicherheit auf den Mund, nach polnischer Art mit doppeltem Kusse. Sie wurde blaß. Mit verwirrten Mienen frug Sie: »wann reisen Sie?«

»Noch diese Nacht«, antwortete er, und sie entließ ihn, ohne adieu zu sagen, – ohne ihm den Abschied zu geben!

Ernst war durch Cesar's bedeutsamen Worte aus seiner mürrischen Verschlossenheit völlig herausgerissen. Er hatte, wie es abgemacht war, die Correspondenzen der Propaganda zwischen Polen und Frankreich durch seine Hände gehen lassen, und in der letzten Zeit hatte er an der steigenden Lebhaftigkeit des Parteiverkehrs gemerkt, daß etwas Außergewöhnliches vor sich gehen müsse. Er war durch Cesar's Worte in hohem Grade wißbegierig gemacht und jetzt ganz wieder dessen Mann, als er ihm sagte, »es bereiten sich große Dinge für ganz Europa vor. Die Entscheidung unseres Unternehmens wird in den nächsten Wochen mit Waffen vor sich gehen. Du sollst unsere Hauptstütze werden, – ich werde dir Alles enthüllen!«

Ernst lebte wieder auf, als er sich so mit einem male im Mittelpunkte der Geschichte sah und ihre Pulse schlagen hörte. Er fühlte plötzlich, wie ihm jetzt erst der wahre Begriff der That aufging und wie er bisher immer noch im Sumpfe der Theorie herumgewatet sei. Damit wußte er auch, warum er bisher aus dem Schmerze des Daseins noch nicht hinausgekommen sei, und daß er jetzt endlich das Land der Erlösung vor sich sah. Mit blinder Leidenschaftlichkeit, ähnlich wie Delphine in die Arme des Geliebten sich stürzte, lechzte er danach, auf das Feld der Schlachten zu stürmen. Er hatte nichts mehr, auch sich selbst nicht mehr zu verlieren; um dem Selbstmorde zu entgehen, gehörte er der Geschichte an.

Er konnte Cesar's Offenbarungen kaum erwarten, als dieser sich von ihm zu einem Banquier führen ließ, um eine ungeheure Summe zu erheben. Säcke mit Gold und Packete von Bankscheinen wurden durch eine Hinterthüre in Cesar's Hotel geschafft. Dann wurde nach Speis- und Weinkarte die Tagesordnung festgesetzt, und erst als der Tisch mit den Schüsseln eines reichen Soupers und mannigfachen Flaschen besetzt war, schloß Cesar die Thüre und kam an sein Geschäft.

Der Leser kann auch hier, weil wir die Jugendsünden des Patriotismus mancher Personen, die sie längst bereut haben, nicht verrathen dürfen, nur das Aeußerlichste der Verabredung erfahren. Bei der Bouillon entdeckte Cesar den bevorstehenden Ausbruch einer allgemeinen polnischen Insurrection; beim englischen Beefsteak sprach er von den Blutbädern, Schlachtplänen, Guillotinen u. s. w.; dann aß er, – der nichts ohne Absicht that! – ein Rührei und kam auf die Principien der allgemeinen Menschenliebe, des Humanismus, um auseinanderzusetzen, daß die Revolution der Polen allein nicht gelingen könne, daß es sich nicht mehr um bornirtes Racenbewußtsein, sondern um allgemeine Principien handele, und daß mit der polnischen Erhebung eine allgemeine Insurrection der ganzen Partei der Freiheit erzielt werden müsse. Indem er dann ein Rebhuhn delicat tranchirte, gestand er, mit forschenden Blicken seinen Nachbar durchbohrend, er suche für Deutschland den Dictator, den Mann, der die Agitation zur Zeit des polnischen Aufstandes betreibe und die Revolution leite. Als Wagner's Augen bei diesen Worten funkelten, ließ er den Champagner knallen und rief aus: »Nun, und du, Wagner, – willst du ein Danton des neunzehnten Jahrhunderts werden?«

Dem Philosophen, der alle »Verständigkeit« verachtete, war die Erwägung der Mittel und Zwecke, die Berechnung der politischen Bedingungen eines Unternehmens etwas ganz Fremdes. Sobald er sich auf dem Gebiete der Geschichte glaubte, kannte er nur vernünftige Notwendigkeit, die unaufhaltsame Entwicklung des geschichtlichen Bewußtseins. Diese drängte ihn zur That, zur Revolution und er warf sich dem Polen mit der ganzen Blindheit des philosophischen Idealismus in die Arme.

Von Cesar's Blicken war jedes Lauern, jedes seiner Worte Berechnung. Er trank Wagnern tüchtig Champagner zu, der ihn selbst kalt ließ, diesem aber Blut und Begeisterung in den Kopf trieb. Als Ernst sich zu der ihm zugedachten, weltgeschichtlichen Rolle bereit erklärt hatte, setzte Cesar ihm seine Aufgabe dahin auseinander, daß er zunächst die Aufregung in der Stadt zu steigern und seine Partei für die Polen zu interessiren, möglicher Weise zu einem Aufstande zu organisiren habe; dann solle er ein Packet wichtiger Papiere bei sich aufbewahren, die um keinen Preis verloren gehen oder vernichtet werden dürften; um dieser willen solle er seinen Posten in der Stadt bewahren, bis Cesar, und bei dessen Tode oder Gefangenschaft andere legitimirte Personen sie abholen würden.

Wagner schlug mit hingebender Begeisterung, froh, etwas Gefährliches für das große Unternehmen thun zu können, in Cesar's Hand ein.

Der Pole aß jetzt Austern, ließ eine neue Flasche Champagner knallen und rief: »es lebe deine Dreieinigkeit!«

»Was meinst du?«

»Nun, Freiheit, Schönheit, Wahrheit, ist das nicht die Trinität des Humanismus? Wir haben jetzt der Freiheit gedient durch die Propaganda, der Schönheit bei deiner – Dame, – nun laß uns der Wahrheit dienen. In vino veritas! Laß uns die Gläser leeren!«

Der Intrigant meinte unter der Wahrheit nicht den Wein, sondern eine delicate Thatsache, der er durch denselben auf den Grund kommen wollte. Er begann, mit unbetheiligter Kennermiene, Delphinens Schönheit zu loben; ihre Reize hätten sich erst entfaltet, seit er sie nicht gesehen. »Es ist doch nicht wahr«, sagte er, »was die jungen Mädchen zu fürchten pflegen, wenn sie erst heirathen, sei es mit der Schönheit vorbei. Nein, die Frau entfaltet erst die ganze volle Schönheit!«

Ernst, dem der Scherz des Grafen in dieser feierlichen Stunde durchaus unangemessen schien, mußte doch lächeln, wie delicat er diesen delicaten Punkt zu berühren verstand. Bei dem Enthusiasmus dieses Kenners vergaß er seinen Groll gegen Delphine und fühlte, welcher Stolz es sei, diesen Schatz den seinigen zu nennen. Mit halbgefälliger Miene sagte er: »dann hätten wir Aussicht, Delphine noch viel schöner zu sehn!«

»So?« erwiderte der Andere mit ganz gleichgültiger Miene, indem er in den Zähnen stocherte. Dann stieß er, wie um eine Ceremonie zu erfüllen, mit Ernst an: »deine Braut«, und führte das Gespräch auf das politische Gebiet über. Er hatte das Terrain sondirt, und so trennte er sich bald von Wagner unter dem Vorwande, heute noch eine Conferenz mit andern Emissären zu haben. Er erinnerte ihn nochmals an sein gegebenes Wort, übergab ihm die versiegelten Papiere und verabschiedete sich mit heroisch pathetischem Schwunge.

Es thut unendlich wohl, ins Leben, von dem man sich abgesondert hat, wieder hineingezogen zu werden. Ernst war in seiner heroischen Begeisterung mit der Welt wieder einmal versöhnt. Der ungewohnte Wein war ihm in den Kopf gestiegen; seine Wangen brannten; sein Herz war wehmüthig geschwellt; er dachte an Delphine, und dachte wieder mit Liebe an sie. Cesar's Worte, die Erinnerung an jenes diabolische Lächeln hatten ihn wieder gefesselt; er konnte sich nicht denken, daß sie ihn nicht liebe; er dachte an die Lorbeerkränze, die er sich verdienen, die sie ihm auf das Haupt setzen sollte – o, es mußte noch Alles gut werden. Mit solchen üppig aufkeimenden Gefühlen schlenderte Ernst an dem schönen Frühjahrsabende durch die Straßen. Ein sanfter Frost hatte den Boden, der bereits aufgethaut war, getrocknet und heller Mondschein glitt von den Dächern hinab. Magnetisch fühlte sich Ernst vor Delphinens Thür gezogen. Sie hatte, des Anstandes wegen, ihm streng verboten, sie so spät zu besuchen. Aber wie gern hätte er sie heute noch gesprochen! Seine Aufgeregtheit ließ ihn nicht mehr studiren, aber sie mußte ihm die Worte geben, die Zweifel, die er auf der Seele trug, vor ihr auszuschütten, ihr zu Herzen zu reden; er fühlte sich so recht in emphatisch schönrednerischer Stimmung, und nach der Zutraulichkeit, mit der sie heute seinen Kopf in den Händen gehalten und die ihm jetzt plötzlich als zärtliche Liebkosung erschien, – er konnte es sich gar nicht anders denken, sie mußte ihn heute verstehn. Er entschloß sich die Uebertretung des Gebotes zu wagen. In dem Augenblicke, wo er im Schatten quer über die Straße auf ihre Thüre zuschritt, sah er im Mondlicht einen Mann, tief in den Mantel gehüllt, in das Haus gehen. Er kannte den Mantel und den Mann; er hatte ihn eben erst verlassen, – es war Cesar.

»Und du lügst doch, du himmlisch schönes, teuflisch falsches Weib!« rief er in Ernst wieder einmal über Delphine aus. Er stürmte fort in sein Zimmer. Eifersucht tobte mit der dämonischen Naturgewalt der Leidenschaft in ihm; seine Principien suchten sie zu überwinden; sein Denken und sein Fühlen kämpften fürchterlich in seinem Busen. Zu der Begeisterung für das Allgemeine schwang er sich aus diesem Kampfe empor; er gehörte nicht mehr der Welt, nicht mehr dem Leben, nur noch den Thaten an, denen er sich geweiht.

Stundenlang hatte er so mit sich gerungen, es war bereits längst Nacht, als er noch im Hause Geräusch vernahm. Man kam die Treppe hinauf. Man suchte seine Thüre. Er öffnete. Fremde Männer traten herein. Sie frugen nach ihm. Als er sich zu erkennen gegeben, erkundigten sie sich hastig nach Cesar. Am polnischen Dialecte erkannte er dessen Freunde. Aber er zauderte, ihn und die Dame zu verrathen.

»Mon dieu! Wir müssen den Herrn Grafen sprechen. Wir dachten ihn hier zu finden: o, großes Malheur! Denken Sie, Herr, die Explosion ist zu früh losgebrochen, – in Krakau ist Revolte! Jede Minute verdirbt uns. Wo ist Herr Graf?«

Wagner sah ein, daß er bei so dringenden Umständen alle Scheu außer Augen setzen mußte. Er versprach Cesar aufzusuchen. Nach einer Viertelstunde schellte er um Mitternacht an Delphinens Klingel,

Ihre Fenster waren noch erleuchtet; der Graf war noch bei ihr. Cesar hatte Veranlassung genommen, in ihr Haus zu gehen, um der Frau Generalin die Miethe für ihre und Delphinens Wohnung zu zahlen. Delphine, die, auf jeden Tritt lauschend, ihn kommen gehört, sprang, schon im Negligée, unbefangen heiter wie ein Reh in das Zimmer der »gnädigen Frau«, und war zum Tode erschreckt, als sie den Grafen fand.

»Also doch nicht auf Nimmerwiedersehen!« sagte sie, als sie sich hatte begütigen lassen, mit einer Schelmerei, die ihm zeigen sollte, daß sie nicht zürnte, ihn wiederzusehen. »Aber sagen Sie nur, bester Cesar, was haben Sie denn vor? Sie waren ja impertinent sentimental!«

Cesar bedauerte, es sei ein politisches Geheimniß, das er ihr nicht sagen konnte, da sie nicht allein seien. »Nun so kommen Sie in mein Zimmer«, sagte sie kurz entschlossen, und – die beiden waren allein.

Cesar war leichtsinnig genug, der Schauspielerin so viel von seinen Unternehmungen mitzutheilen, daß er sich ihr durch seinen Heroismus unendlich interessant machte. »Dem Polen«, so declamirte er weiter, »ist das Vaterland das Höchste. Wer kann's länger so ansehen? Sei's wiederum einmal gewagt! Wen noch irgend etwas Theures, ein geliebtes Herz ans Leben fesselt, der mag es dulden. Aber ich, – ich habe nur zu vergessen! Sie glauben nicht, wie schwer es ist zu vergessen! Lernen kann man Alles, vergessen – nichts! Ich kann's sagen, ich freue mich darauf, die Kugel pfeifen zu hören, die mich vergessen lehren wird.«

Er versank in melancholisches Nachdenken, – in den Fauteuil zurückgesunken, den Kopf in die Hand gestützt, bildete er eine malerische Figur. Die Schauspielerin fand dieses Pathos eines ersten Helden würdig; sie fand es der Heldin angemessen, gerührt zu sein und Gewissensbisse zu verrathen. Mit niedergeschlagenen Augen und leiser Stimme that sie an ihn nach einer Pause die Frage: »Was haben Sie zu vergessen?«

Indem er sein leuchtendes Auge auf sie richtete, antwortete er mit sanft drohendem Tone: »Fragen Sie mich nicht danach! Ich kann es Ihnen nicht sagen. Denn wenn mich jetzt um des Vergessens willen ein Unglück träfe, könnte es Ihnen noch viel schwerer werden, – zu vergessen!«

Es trat eine Pause ein. Delphine, um sich ihm zu nähern, ließ Verlegenheit wahrnehmen; ihr Auge, das dem seinen begegnete, fuhr verwirrt zurück. Dann versank sie in ihre rührende Trauer.

Nachdem Cesar eine Weile an ihrer Verlegenheit sich geweidet hatte, in der ihr Auge mehrere mal und jedes mal verwirrter dem seinen begegnete, ergriff er ihre Hand und sagte mit hinreißend vergebender Milde: »Sie werden traurig, meine schöne Freundin? O, ich hoffe, daß ich nicht die Ursache davon bin. Ich will nicht die Schuld auf mir tragen, je einen Ihrer schönen Züge getrübt zu haben. Seien Sie heiter! Das Bild, das ich heute von Ihnen nehme, wird vielleicht vor meiner Seele stehen, wenn mein letzter Seufzer Ihren Namen nennt, – o, lassen Sie dies Bild mich mit Allem versöhnen, um was ich mit dem Schicksal oder – den Menschen zu zürnen hätte!«

Mit dem Gefühle, das er dadurch in Delphinen angeregt, hatte er den Boden für die folgende Situation gewonnen, auf dem er die Sicherheit gewann, die sie verlor. Er hatte ihr gezeigt, was sie an ihm gut zu machen habe, und begann jetzt ihr zu zeigen, was er an ihr – besser machen könne.

»Wie leben Sie mit Wagner?« begann er, mit seinem Gefühle eine schnelle Schwenkung machend, »macht er Ihnen tüchtig den Hof? Ist er ein galanter oder feuriger, sentimentaler oder frivoler Liebhaber?«

Delphine merkte an diesen Fragen, was Ernst Alles nicht war. Sie blieb in die Melancholie versunken, von der sie wußte, daß sie ihr beim Lampenlicht besonders gut stand.

Cesar fuhr fort: »Hat er Sie in die beau monde eingeführt? – Sorgt er für Ihre Toilette? – bei einer Schauspielerin so wichtig wie Andern das Seelenheil! – Schreibt er Ihnen, – einem alten Freunde, wie ich, können Sie es eingestehen – schreibt er Ihnen galante Recensionen? – Hat er für Sie den Krieg mit der Direction geführt? – o, ein amusantes Geschäft! eine Diplomatie im Kleinen! Welcher Triumph, wenn man seiner Großmacht sich bewußt ist, durch eine Malice, einen coketten Blick diese ganze große, kleine Welt im Schach halten kann!«

Aus diesen Fragen merkte Delphine, was ein Liebhaber ihr sein könne. Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln um die äußersten Mundwinkel; ein entzückender Blitz leuchtete aus ihren Augen. Sie wollte sich aber nicht verrathen; sie schüttelte auf seine Zumuthungen abweichend mit dem Kopfe.

»Wie? Haben Sie noch immer nicht cokettiren gelernt?«

Sie verstand ihn nicht.

»Ich will nicht sagen, daß Sie früher nicht cokettirt hätten, aber sie trieben es damals zu sehr con amore, zu ernst, zu pedantisch; es fehlte Ihnen der Humor, die künstlerische Objectivität, – Sie wußten manchmal selbst nicht, daß Sie cokettirten!«

Delphine mußte jetzt wider Willen erröthen. Sie war alles Ernstes im Begriff, böse zu werden.

»Aber, mon dieu, liebes Phinchen, was ist denn da böse zu werden? Ich denke ja nicht daran Ihnen einen Vorwurf zu machen. Coketterie ist das nothwendige Substrat des Geistes, ist die Virtuosität der Schönheit, ist die Kunst, sich selbst geliebt und das Leben interessant zu machen!«

Delphine wollte seinen Paradoxen gegenüber, die ihr imponirten, nicht unbeholfen erscheinen; sie ging darauf lächelnd ein und sagte: »Lehren Sie mich diese Kunst!«

»Diese Kunst, wie jede, ist lang, das Leben nur kurz. Ich müßte das ganze Leben hindurch mit Ihnen zusammen sein, und Sie hätten noch nicht ausgelernt! Nur eine kleine Lection erlauben Sie! Wenn ich Ihnen eine Lehre geben dürfte, z. B. was Toilette betrifft: Ihr Profil verlangt, daß Sie Locken tragen. Hier am Ohre, verzeihen Sie, sind die Contouren zu gerade; das ist keine Schönheitslinie; die Locken bedecken diese Partie und heben zugleich Auge und Stirn hervor. Und dann – erlauben Sie, daß ich in meiner Aesthetik der Coketterie fortfahre – Ihre serieusen Züge werden von den hüpfenden lockenden Locken originell contrastiren. Das lassen Sie sich lieb sein, das können Sie im Leben wie auf der Bühne mit glänzendem Effecte anwenden; aber – es will jeder Contrast dann doch auch seine schöne Lösung haben! Sie müssen selbst mit Ihren Locken verschmelzen, selbst ganz Locken werden, – so schwebend, schmiegend, schmeichelnd, kosend – kosend! Ja, da komme ich auf ein neues Capitel. Meine Kunst hat ein weites Gebiet. Die Kunst des Cokettirens ist die Kunst des Lebens. Und diese, liebe Delphine, ist Ihnen fremd, ganz fremd«, sagte er plötzlich in seine scherzende Weise Ernst mischend, und mit steigendem Enthusiasmus fuhr er fort: »Das Leben will, daß wir mit ihm kosen, wenn es uns beschenken soll; wir müssen alle seine Genüsse uns von ihm erschmeicheln. Dazu, meine theure Freundin, lassen Sie sich herab! Hören Sie auf, so überirdisch, engelhaft zu sein; versuchen Sie es mit der Dame, mit der Künstlerin! Das ist der Werth der Kunst, daß sie das Leben in der Quintessenz darbietet, daß sie die Poesie des Lebens genießen lehrt. Lassen Sie sich das die schönste Bedeutung Ihrer Kunst sein: die Mühen Ihrer Studien, die Schmerzen Ihrer Seele geben Ihnen das Recht dazu, nach den höchsten Preisen des Glückes zu haschen, das Leben in seiner vollsten Poesie zu erfassen! Auch das ist eine Kunst, zu der Genie gehört, das Genie, frei zu leben, frei zu lieben!«

Delphinens Augen flammten auf. Die leidende Nonne war zum wonnelechzenden Weibe geworden. Sie begann sogleich die Koketterie mit Absicht, als ehrliche Kunst, zu betreiben. Mit sehnsuchttrunkenen Blicken sah sie den schönen Polen an; sie hinderte nicht, daß ihr Busen merklich wogte. Und doch war sie ihrer selbst nicht mehr ganz mächtig. So hatte noch Niemand ihr aus dem Herzen gesprochen. Alle ihre Ahnungen wollten wirklich werden. Das war das Evangelium, das sie dunkel vorausempfunden.

»Sie hängen zu sehr an Ihren Träumen«; sagte Cesar, als er lange genug mit dem wohlgefälligen Lächeln kritischer Beobachtung ihre Bewegung gemustert. »Die Träume sind Sünden; nur die Wirklichkeit führt zum seligen Leben. Sie dürfen den Mondschein, die einsame Nacht nicht mehr lieben!«

Delphine war stark, wo es ihr Seelenheil galt. Mit Entschlossenheit unterbrach sie ihn: »Ich liebe nicht die Nacht. Ich hasse sie. Sie ist so qualvoll –«

»Ihnen fehlen die Sterne –!« lispelte Cesar plötzlich zu ihren Füßen. Seine glühenden Augen drängten sich ihren Blicken entgegen; sie mußte sie mit den Sternen vergleichen! Sie fühlte sich durchbohrt von den Strahlen derselben; ein Schmerz durchzuckte sie, daß sie hätte aufschreien mögen; aber er war so wonnig zugleich, daß sie die Kraft nicht besaß, sich ihm zu entziehen. Wie zauberisch umspinnend, zart und fest zugleich, erfaßte er ihre bloßen Arme und küßte den durchsichtig weißen Battist, der ihren Hals bedeckte. Ihrer selbst nicht mächtig, und mit bewußtem Behagen ihrer Ohnmacht wie längst ersehnter Erlösung von herzdrückender Pein sich hingebend, sank sie wie leblos in seine Arme.

Aber so liebte Cesar seine Eroberungen nicht, – nicht todt, sondern lebend wollte er den Gegner überwunden sehn. Er wußte sie zu wecken. Er machte den einen Arm frei aus ihrer Umarmung, suchte nach dem unteren Saum ihres Kleides, hatte im Nu das zarte Knöchel des Fußes umfaßt und ihr den Schuh vom Strumpfe gezogen. Cesar zu Ehren hatte sie statt der alten zerrissenen neue Atlasschuhe angelegt, und dieser hielt ihn mit triumphirendem Lächeln, wobei der dunkele Bart von den weißen Zähnen so interessant abstach, hoch in die Höhe.

Delphine raffte sich erschreckt auf und wollte zürnen. Der geschmeidige Pole aber bat sie flehend um Verzeihung, wobei er spielend Gelegenheit hatte, ihr Entzücken durch seine einschmeichelnde Liebenswürdigkeit noch zu erhöhen. Er sagte: »Lassen Sie nur den Schuh! Es ist das bei uns eine patriotische Sitte, der Schuh der Geliebten ist uns ein Amulet, das in der Schlacht das Herz gegen die Kugel schützt, und nach der Schlacht als Becher beim Siegesschmause dient. O, seien Sie nicht pedantisch! Soll ich auch bei Ihnen das Vaterland noch vermissen?«

Wie gelehrig die Frauennatur doch ist! Die große, erhabene Delphine verstand augenblicklich in diesen leichten Scherz einzugehen. Mit schelmisch cokettem Lächeln sagte sie: »Pedantisch will ich sein, aber nicht zu Ihrem Nachtheil. Sie haben mich erschreckt, Sie sind unartig gewesen, deshalb sollen Sie mir den Schuh wiedergeben. Wenn Sie aber artig sind und folgen, so sollen Sie doch ein Andenken haben und sollen – den anderen bekommen.«

Cesar fügte sich gern in diese Pedanterie. Er erfaßte sie wieder beim Knöchel, das er mit einer Hand umspannte und dessen warme Haut er durch den dünnen Strumpf aufmerksam hindurchzufühlen strebte. Delphine aber behauptete, es anders gemeint zu haben, und wollte selbst sich den Schuh an- und den anderen ausziehen; sie sträubte sich mit schelmischem Stolze. Er rang mit ihr; sie war von Natur der Sache die Schwächere und – glitt mit dem Fuße aus. Ungeschickt und doch sehr geschickt stürzte sie, noch immer widerstrebend, von neuem in seine Arme.

Dem moralischen Leser zur Beruhigung entstand in diesem Augenblicke an der Thüre des Hauses Geräusch. Man begehrte um Einlaß. Delphine zürnte, erschreckt zu werden; doch beruhigte sie sich, denn das Begehren konnte ihr nicht gelten. Und dennoch galt es ihr. Nach wenigen Augenblicken trat Ernst in das Zimmer.

Cesar, wüthend wie ein wildes Thier der Tropenlande, riß einen Dolch aus dem Rocke und sprang auf ihn los; aber er war wie zum Steinbilde erstarrt, als er die blassen Gesichter der polnischen Agenten durch die Thür sah.

»Mon dieu! Qu' est ce qu'il y a?« rief er hastig aus, jetzt ganz der Emissär; und als sie ihm ins Ohr flüsterten: »A Krakau la révolte est éclatée«, – ohne sich zu besinnen, ohne von Delphine Abschied zu nehmen, eilte er mit den Andern fort.

Eine halbe Stunde darauf war er mit Courierpferden nach Krakau abgereist, nachdem er Ernst noch einmal an sein Wort erinnert hatte.

*


 << zurück weiter >>