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Siebentes Capitel.

Cesar lag langgestreckt auf dem sammetnen Divan seines prächtigen Zimmers. Er war kostbar eingerichtet und verschwendete solche Summen, daß man vielfach der Meinung war, hinter dem französischen Maler müsse irgend etwas Anderes stecken. Einige hielten ihn für einen incognito reisenden französischen Herzog, Andere für einen geheimen Polizeiagenten, den man sich, wie andere Modeartikel, aus Paris verschrieben habe.

Er hatte die Nacht hindurch getrunken und gespielt und war angegriffen und verstimmt. Die Zeitungen warf er gelangweilt fort, nachdem er wenige Blicke hineingethan. Der Bediente störte ihn in seinem far niente, das nach den Zerstreuungen der Nacht nicht gerade dolce zu sein schien, und brachte ein Packet Briefe herein.

»Wichtige Sachen«, sagte er, indem er sie dem Herrn übergab.

»Ah – Bah«, stöhnte dieser, als er die Postzeichen ansah und warf sie bei Seite. Er hatte heute keinen Sinn für wichtige Sachen. Da kam ihm ein kleines Billet in die Hände; er kannte die Handschrift; hastig erbrach er es – es war Delphinens Absagebrief.

»Folle, folle!« lachte er wild auf, biß sich in die Lippen und zerdrückte das leichte Papier in seiner kräftigen Hand. Feuer des Zornes flog plötzlich über sein blasirtes Gesicht; wie Blitze schossen seine Augen hin und her.

Der Diener stand noch im Zimmer und beobachtete seinen Herrn. »Du hier?« brüllte dieser ihn erblickend. »Marche, filou!« und damit war er aufgesprungen, packte den Menschen beim Kragen und ließ, wie ein wildgewordenes Thier, seine Wuth an ihm aus, indem er ihm rechts und links Ohrfeigen gab und ihn zur Thüre hinauswarf.

Dadurch hatte er sich abgekühlt. Sich sammelnd ging er mit heftigen Schritten im Zimmer auf und ab. Dann und wann stieß er einen Fluch von sich. Darauf sprach er in kurzen Ausrufen zu sich selbst: »Wie ist's möglich? – Was da passirt? – Louis? – O, non, non – pauvre folâtre! – Mais qui donc –? Qui donce? Mon dieu! Monsieur le candidate –? Le Portrait – sa visite – Vraiment, vraiment, monsieur le candidate! Eh bien, mon cher, vous êtes ma prise! vous êtes ma prise!«

So rief er triumphirend aus, und war seiner selbst wieder ganz mächtig, der berechnende Diplomat.

»Staschu!« rief er befehlend.

»Gnädiger Herr«, sprach dieser unterthänig mit ausländischem Accent, im Nu erschienen.

»Den braunen Reitfrack mit den echten Knöpfen kannst du verkaufen; was du dafür bekommst, behalte dir.«

Staschu ergriff den Saum seines Sammetcollets und küßte ihn.

»Du kennst das Dienstmädchen bei der kleinen Brünette in der Königsstadt, der du die Präsente gebracht hast –?«

»Zu befehlen.«

»Punkt zwölf Uhr geht das Mädchen mit dem Essen aus dem Hause. Du wirst sie vor der Thür erwarten und ausfragen, ob Monsieur Wagner bei ihrem Fräulein in der letzten Woche mehr als einmal gewesen ist und wie oft. Du kannst ihr von mir einen Thaler bringen, ich habe ihr das letzte mal kein Trinkgeld gegeben.«

»Zu befehlen.«

»Du fragst sie aus, was sie von Monsieur Wagner weiß, hörst du? Du kannst ihr auch zwei Thaler geben, und Punkt ein Uhr bist du wieder hier.«

»Zu befehlen«, sagte Staschu und war fort.

Cesar legte sich wieder auf das Sopha und in gespannter Erwartung wälzte er sich in unbehaglicher Faulheit hin und her. Endlich kam Staschu wieder. An seiner triumphirenden Miene sah der Herr, daß er recht geschlossen. Staschu wußte, wie oft Ernst Delphine besucht hatte, daß er allein mit ihr gewesen war und wie lange, daß er einmal einen Brief geschickt habe und sie nach seinem Weggehen geweint.

»Vous êtes ma prise! – Hier, Staschu, ein Douceur« und er warf ihm eine Anzahl Thalerstücke in den Hut.

»Heute Mittag beim Grafen Lonski«, so berechnete er sein Tagewerk, »nach Tische Conferenz, Abends Concert – Also nach dem Concert! – Staschu, du wirst zum Herrn Werther gehen und um jeden Preis noch ein Billet zum heutigen Concert kaufen; du bringst es dann an den Herrn Wagner mit diesem Zettel. Vous êtes ma prise! Et mademoiselle Delphine –? ma mignon? – Pas encore perdue pour moi!« rief er aus mit dem Lächeln zuversichtlicher Berechnung; dann gab er Staschu den Befehl: »Einer unserer Leute soll vor dem Hause der Demoisell aufpassen und mich avertiren, wer ihr Visiten macht«, und machte sich an die Toilette zum heutigen Diner.

*

Ernst war in tiefer Wehmuth mit den Vorbereitungen seiner morgigen Abreise beschäftigt, als Delphinens Brief bei ihm eintraf. »Der Doctor liebt sie?« Das war der nächste Gedanke, der ein plötzlicher Sonnenblick den düstern Nebelschleier über seinem Gemüthe durchbrach. Es fing an in seinem Innern zu tagen. Der Verdacht, zu dem er im Augenblick der Verzweiflung sich gedrängt gefühlt, den er aber nicht festzuhalten gewagt, lag jetzt als tatsächliche Gewißheit vor seiner Seele: Louis mußte ihn in jener Nacht betrogen haben. Wie Schuppen fiel es ihm von seinem innern Sinne, wie Fesseln von seiner Willenskraft; er fühlte sich plötzlich wieder so stolz, so muthig, so stark. Er hatte also doch Recht gegenüber dem Freunde, gegenüber dieser Welt; er hatte jetzt in sich den festen Punkt des Archimedes gewonnen, von dem aus er sich gegen sie und ihre Gesinnungslosigkeit anstemmen konnte; er hatte die Stelle gefunden, wo er dem Frivolen die Lüge aufweisen konnte.

Doch kaum hatte er sich des Tages gefreut, der über seine Seele hereinbrach, so sah er auch die Verwirrung vor sich, in die er im Dunkel seiner Täuschung hineingetappt und aus der er sich jetzt befreien mußte. Was hatte er in der unglückseligen Verblendung im Herzen des reinen, schwärmerischen Mädchens angestiftet? Was sollte daraus werden? Was war schon daraus geworden? Und was begann in seinem eigenen Busen plötzlich aufzuflammen? War das Licht, das hineingefallen, ein Blitz, der das Gebäude all der schwer errungenen Grundsätze plötzlich auflodern ließ? Mit einem male war er aus seiner Ruhe herausgerissen; alle Macht über sich selbst hatte er wieder verloren; die fremden Gewalten in seinem Innern, deren er eben Herr geworden, hatten von neuem sein Wollen unterjocht. Seine Gedanken wollte er ihnen entgegenhalten, um ihre magische Bestrickung zu kennen. Aber was sagten ihm seine freien Gedanken? – Das ist ja das Weib, das du lieben mußt, das Ideal deines freien Geistes, das Weib, bei dem du dir beantworten kannst, warum du sie liebst! – Hoch jubelte sein Herz auf und drängte ihn hin zu ihr, in ihre Arme zu stürzen und auszurufen: ich hab's gefunden, das Glück meines Lebens. – Aber still, still, armes Herz; du bist nicht zum Glücke geboren. Diese Welt hat keinen Raum für das Verlangen nach Wahrheit und Freiheit. Es mußte entsagt sein. Er sank zur Erde nieder, die Hände ringend, mit gebrochenem Herzen. Und Delphine –? wird nicht auch ihr das Herz durch das unglückselige Misverständniß gebrochen sein? – Er raffte sich auf. Er war wieder Mann. Mit blutendem Herzen zwang er sich, stark zu sein, für sich und sie zugleich.

Aber nun ein Billet zum heutigen Concert! Er mußte sie sehen und hören, um auch den letzten Zweifel zu tilgen, um ihr hohes, edles Wesen in seiner ganzen Reinheit zu genießen und vor sich selber Abbitte zu thun für die Gedanken, deren er über sie fähig gewesen. Ernst begab sich zu Herrn Werther, bei dem er noch ein Billet zu erhalten hoffen durfte. Derselbe saß in seinem eleganten Salon am Comptoir hinter der Barrière. Er empfing Ernst, der ihm von Horn in der Hippel'schen Restauration vorgestellt war, wie einen intimen Freund, und freute sich außerordentlich, ihm mit einem Billet aushelfen zu können. Ernst war schon eine große Sorge vom Herzen genommen, als Herr Werther mit solcher Freundschaftlichkeit aus einem offenstehenden Fache das Billet hervorholte. Aber wie erschrak er, als dieser einen ganzen Ducaten mit derselben Freundschaftlichkeit dafür verlangte. Empört über diesen höflichen Gauner bedauerte Ernst, nicht so viel bei sich zu haben. Herr Werther ließ ihn gehen mit der noch immer freundlichen Bitte, bald wieder zu kommen, da die Billets von Stunde zu Stunde im Preise stiegen.

An der Wirthstafel erfuhr er, daß Herr Werther die Billets bereits für einen Louis'dor verkaufe.

Er überwand seine philiströse Genauigkeit und wollte heute einmal etwas drauf gehen lassen. Mit dem letzten Gelde, was ihm außer seinen Reisekosten noch blieb, stand er wieder an der Barrière vor Herrn Werther's Comptoir. »Sie kommen gerade zur rechten Zeit wieder«, empfing ihn dieser mit der ewig gleichen Höflichkeit; »es ist nur noch ein letztes Billet vorhanden. Der Bediente von Seigneur Cesar war so eben hier und bot einen Louis; ich aber sagte, ein anderer Herr hätte es bestellt und würde zwei Ducaten geben. Es steht Ihnen zu Diensten.«

Nun war es Ernst beim besten Willen unmöglich, seinem Leichtsinn zu folgen: sein Geld reichte nicht aus! Als er im Begriff ist, fortzugehen, tritt ein Lakai in das Zimmer.

»Hier sind zwei Ducaten«, sagte er, in Eile das Geld auf den Tisch werfend.

»Pardon, Monsieur Staschu, der Herr Doctor hier bietet so eben selbst zwei Ducaten; Sie können es nur für drei bekommen, wenn Sie ihn überbieten.«

»Ah, Herr Doctor Wagner!« rief der Lakai aus. »Verzeihen der Herr Werther, aber Monsieur Wagner werden das Billet nicht kaufen, da Monsieur Cesar sich bereits das Vergnügen gemacht haben, Ihnen ein Billet nebst einem Briefchen zuzusenden.« Mit diesen Worten, die er halb an Werther, halb an Ernst gerichtet, nahm der Lakai das Billet, ließ die zwei Ducaten liegen und war verschwunden, ehe der staunende Ernst die Einwendungen der Schicklichkeit machen konnte.

Nach Hause geeilt, erfuhr Ernst von seiner Bedienung, daß in demselben Augenblicke von einem Lakai ein Schreiben nebst einem Concertbillet an ihn abgegeben sei. Das Schreiben, auf duftendem Papier mit eleganter Vignette, enthielt in den freundschaftlichsten Ausdrücken eine Einladung, ihn im Concert zu erwarten und dann für den ferneren Theil des Abends sein Gast zu sein.

Das Rendezvous mit Delphinen hinderte ihn, der Einladung nachzukommen. Er eilte sogleich in Cesar's Wohnung, um sich zu entschuldigen. Da er ihn nicht antraf, hinterließ er seine Karte, pour prendre congé. Das Concertbillet zurückzunehmen, konnte er den Diener nicht bewegen.

Und nun – eine Pfarre zum Dritten und – Letzten! Zugeschlagen! und der Mensch ist verkauft! Es war drei Uhr. Um diese Zeit war Ernst zum Onkel Consistorialrath beschieden. Er zog wieder an der Nothglocke wie vor zehn Tagen. Wiederum einen schweren Kampf durchrungen, und doch wieder keinen Schritt weiter!

Der Diener öffnete. Der Neffe stand vor dem Onkel. Ernst erschrak, in dem Bruder seines Vaters, den er seit Jahren nicht gesehen, ein Bild diesem so ähnlich und doch so entgegengesetzt zu finden. Die eingedrückte Nase, die bei jenem beschränkte Unbedeutendheit ausgedrückt hatte, war hier in stupidem Hochmuth aufgestülpt; die Lippen, die bei dem Verstorbenen wie in angstvoller Demuth über den Mund hervorgehangen, zeigten sich hier in bäurischem Trotze aufgeworfen, den ein feines Lächeln der Schlauheit umspielte, das Zeugniß der bureaukratischen Civilisation. Sein Vater hatte die weißen Haare schlicht unter dem Sammetkäppchen herabhängen lassen; der Onkel trug sie als borstenartigen Heiligenschein aus Stirn und Schläfen emporgekämmt. Seine kleine Gestalt war nicht schwächlich zusammengesunken, sondern steif aufgerichtet und aufgeblasen. Wie wenn er friere, rieb er sich die Hände, als er dem Neffen entgegentrat, und dieser selbst wurde angefröstelt von der lieblosen und absprechenden Erscheinung des orthodoxen Onkels. Er war so schüchtern, daß er in den Mienen des Gegenüberstehenden nur sein Schicksal zu lesen suchte, anstatt wie er gegen ihn zu intriguiren habe; und was er in diesen zusammengezogenen Augenbrauen las, war nichts, was sein Herz zu ermuthigen vermocht hätte.

Wie äußerlich, so wiederholte der Consistorialrath innerlich seinem Wesen und seinen gesammten Lebensverhältnissen nach den Charakter des Bruders in seiner entgegengesetzten Art. Er war der gesinnungslose Philister aus dem armseligen Dorfpfarrer übersetzt in den herrschsüchtigen Bureaukraten. Was bei jenem Theilnahmlosigkeit und Unfähigkeit gewesen, war hier Selbstsucht und Despotismus. Er kannte nur einen Zweck, den Vorgesetzten zu gefallen, aber nicht wie der Pfarrer aus beschränktem Pflichtgefühl, sondern aus Ehrgeiz und Habsucht. In seiner Familie herrschte – nicht wie in Hansdorf gegenseitige Gleichgültigkeit, sondern seine eigenwillige Tyrannei. Die Frau Consistorialräthin, eine vornehme, schwächliche Dame, bekam nach jeder Familienscene Nervenzufälle, ließ den Arzt kommen und pflegte jeden Sommer in ein Bad zu reisen, um vom Familienleben sich zu erholen. Der Herr Sohn, das einzige Kind, das ihnen am Leben geblieben, floh gleichfalls von frühen Jahren an die Gesellschaft der Eltern; trotz der Strenge des Vaters war er liederlich geworden; er bekümmerte sich um Niemand in der Familie, kehrte regelmäßig Abends spät nach Hause und kam zuletzt nicht einmal mehr zum Tische der Eltern. Er hatte es bis zum Referendarius gebracht; war aber im Augenblicke von seinen vielfachen Zerstreuungen und vom zweiten Examen so erschöpft, daß er mit einem sechsmonatlichen Urlaube nach Gräfenberg gegangen war.

So befand sich der Consistorialrath jetzt – wenn er überhaupt sich wohlbefinden konnte – sehr wohl in seinem Hause: der Bediente konnte ihm nicht hinterbringen, wie spät Abends oder früh Morgens der Herr Sohn nach Hause gekommen, und seine Frau bekam keine Nervenzufälle, wenn er ihren steten Widerspruch nicht dulden wollte.

Aber gerade weil er sich so selbstständig fühlte, konnte er heute seinem verdorbenen Neffen mit rücksichtsloser Strenge entgegentreten. Er war eine von den Naturen, die von vornherein gegen Jeden glauben fremd und unhöflich sein zu müssen, und nur bei besonderer Veranlassung freundlich und wohlwollend. Die nahe Verwandtschaft war für ihn keine solche Veranlassung. Stehend, als der Vorgesetzte, empfing er den Neffen und reichte ihm nicht die Hand. Erst als er aus Ernst's Erzählung vernahm, daß er selbst durch sein rücksichtsloses Verfahren die Veranlassung zum Tode des Bruders gegeben haben könne, wurde er weich gestimmt. Er ließ Ernst niedersitzen und weinte dem Verstorbenen eine Thräne. »Der gute Bruder!« klagte er, »der gute Bruder! – Ja, er hätte es in der Welt weiter bringen können. Aber es war das von jeher sein Fehler, er war zu träumerisch, immer ein bischen confus, nicht recht dahinter her. Der gute Bruder!«

»Und was wird aus dir und euch Allen nun werden?« sagte er plötzlich, indem er die eine Thräne abwischte. Wie wenn er eine Fascikel aus dem Actenstoße holte und die andere weglegte, so ließ er die nutzlose, wehmüthige Stimmung fahren und wandte seinen Geist den praktischen Verhältnissen zu. »Wirst du nun ausgetobt haben?« so redete er Ernst in der kurzen, bestimmten Art eines Würdenträgers an. »Es wäre endlich Zeit, daß du gesetzt wirst. Was hast du dich mit diesem Literatengesindel einzulassen! Es kommt nichts dabei heraus. Ich sage dir, es wird euch noch schlecht gehen; wir haben energische Maßregeln vor; wir werden sie noch alle unterbringen, diese Schreier, diese räsonnirenden Judenjungens, die das Volk verführen, weil wir sie nicht anstellen wollen. Laß die hochmüthigen Flausen fahren. Vielleicht wird sich dann in deinen Angelegenheiten noch Alles machen lassen. Die Haussuchung mußte ich vornehmen, man hatte mir durch einen anonymen Brief die Nachricht zukommen lassen, ein höchst misfälliger Artikel über Staat und Kirche rühre von dir her. Ob du wirklich nicht der Verfasser bist, ich will es nicht wissen. Man hat nichts bei dir entdeckt. Gott sei Dank! Man soll nichts gegen dich haben! Ich will dich ins Amt bringen. Aber laß mir die Schriftstellerei sein. Das bitte ich mir aus. Untersteh dich nicht, irgend ein misfälliges Wort aus deiner Feder drucken zu lassen. Ich werde dich streng überwachen. Nimm dich in deinen Predigten in Acht. Beim ersten ungehörigen Worte wirst du bei Seite geschafft. Hörst du, das sind die Bedingungen, die ich von dir erwarte. Nun mach nach Hause. Du schlägst hier nur das Geld todt. Sehr theuer hier, nicht wahr? Kaum durchzukommen, kaum durchzukommen.«

»Noch eins«, sagte er aufstehend und ging an sein Schreibbureau. Mit einem Briefe in der Hand kehrte er zurück, das civilisirte Lächeln der Schlauheit um den Mund. Er redete leiser und, soweit ihm möglich, vertraulich: »Hier ist das Schreiben, das dich denuncirt hat. Sieh aus der Handschrift, wer der Verfasser ist und hüte dich vor ihm. Du siehst, ich meine es gut mit dir. Ich kenne die Collegenschaft.«

Er trug ihm noch Grüße an die Schwägerin und die Nichte auf; sagte ihm noch einmal: »Mach, daß du nach Hause kommst; nicht gut für junge Leute die große Stadt«, und indem er mit handwerksmäßiger Weise ihm den Segen ertheilte, entließ er den Neffen.

Das war ein Mann, dem die Leitung der höchsten Herzensangelegenheit der Nation anvertraut war! Der Diener des Cultus kam dem jungen Philosophen vor wie ein Fels, der mit seinen jähen Klippen in die Welt des wechselnd fluchenden Geisteslebens schroff zerreißend hineinragte. Als der Onkel zum Abschiede seine Hand erfaßt hatte, hielt er sich für den Prometheus, der an diesen Fels gekettet sei.

Nur noch einmal wollte er von ferne die Fülle des Lebens anschaun, den Werth und die Schönheit seiner herrlichsten Blüthe mit trunkenen Blicken der Bewunderung genießen, und dann entschlossen sich abwenden für immer in die öde Einsamkeit eines todesgleichen Daseins.

Als Ernst in den Concertsaal trat, fand er die Stuhlreihen bereits von eleganten Damen besetzt. In den Mittel- und Seitengängen drängten sich die Dandys, Künstler, Recensenten. Bald kam auch Horn. Er sah blaß und verstört aus; seine Mienen hatten einen Ausdruck, nicht leidender Trauer, sondern von Verdruß und Bosheit; mistrauisch lugten die kleinen Augen unter der Brille hervor seinen Freund an. Ernst hatte nicht den Muth, bei diesem Aussehn mit ihm von dem entdeckten Verrathe zu sprechen; er wollte erst Delphinen gegenüber sich unwiderlegliche Zeugnisse erwerben. Um ein Gespräch anzuknüpfen, erzählte er ihm den Erfolg, den der Besuch bei seinem Onkel gehabt hatte. Als er von dem Denunciantenbillet sprach, verlangte Horn, es zu sehen. Kaum hatte dieser einen aufmerksamen Blick hineingethan, so nahm er sein Portefeuille aus der Tasche und holte ein Billet hervor. Beide nebeneinander hielt er Ernst vor Augen und frug: »Was meinst du dazu?«

»Beides dieselbe Handschrift.«

»Hier sieh die Unterschrift!«

»Cesar?« rief Ernst ungläubig aus.

»Cesar!« zischelte Horn mit Zuversicht ihm ins Ohr. »Ich ahnte längst was Falsches hinter dem Menschen. Seine ganze Existenz hier ist so räthselhaft, seine Malerwirthschaft nur Spielerei, nur Maske. Er kann ja keinen fehlerlosen Kopf zu Stande bringen. Jetzt sehen wir's, er ist Spion. Nimm dich in Acht vor ihm.«

Sie brachen das Gespräch ab; der »werdende Liszt« aus der Hippel'schen Restauration trat an sie heran. »Par bleu!« rief er gegen Horn aus, »Doctor, wie sehen Sie aus? Haben Sie die Bleichsucht?«

»Auch nicht den Schnupfen!« sagte er, und warf sich, um die beiden los zu werden, an einen vorübergehenden Bekannten, als habe er sehr nöthig mit ihm zu reden.

Der Saal war indeß gedrängt voll geworden. Nach Cesar sah Ernst sich vergeblich um, und er freute sich, ihm nicht wieder in die Hände zu fallen. Im Orchester wurde das A angegeben; Geige und Contrabaß antworteten und stimmten. Der Dirigent tritt an das Pult. Eine Ouverture beginnt. Darauf folgt eine Pièce des Concertgebers und dann Delphinens erste Nummer. Sie stand da vor den Augen Aller, weiß gekleidet, bleich und leblos, wie eine Leiche. Keine Miene der Freude und Begeisterung, auch nicht der Schüchternheit und Angst belebte diese kalten, unbewegten Züge. Selbst die Augen waren verdeckt, die Lider tief gesenkt. Nur die langen, schwarzen Wimpern, die einen dunkeln Schatten rings um die Augen warfen, verliehen dem Marmorbilde einen Ausdruck düsteren Ernstes, heiliger Schwermuth, – der einzige Zug der Empfindung, den es verrieth. Die farblosen Lippen öffneten sich und die ersten Töne, die ihnen entschwebten, so sanft und doch so voll, so klar und rein wie eine Engelsstimme, bezeugten offen die reine, hohe Seele, die jener Zug nur leise verrathen. Verschlossene Gemüther sind für die Rührung durch Musik stets empfänglich, in Stunden der Wehmuth am empfänglichsten. Als Delphinens Gesang klagend anschwellte zu der unbeschreiblich weichen Fülle des Schmerzes, die ihr eigenthümlich war und so schnell ihr die Bewunderung der Kunstfreunde zugezogen, da wurde die Empfindung des bescheidenen, fremden Zuhörers aus der Dorfpfarre zu augenblicklichem Jubel emporgerissen. Der beängstigende Nebel, durch den ihm schon einmal ein Lichtblick gedrungen war, zerriß nun vollends; ungetrübt und klar sah er seine Sonne sich entgegenstrahlen. Es stand jetzt unwandelbar fest vor seinem Geiste: du bist so rein wie eine Seele des Himmels. Die Qual des Widerspruchs löste sich auf in wonnigen Frieden der Gewißheit. Welches Glück des freien Geistes, sich dem Entzücken über das hohe Mädchen in seiner ganzen geahnten Reinheit hingeben zu können! Er fühlte sich auf den Schwingen ihres Gesanges emporgetragen in unendlicher Leichtigkeit und Freiheit, wie der gefangene Adler, gewohnt auf dem freiesten Felsen zu horsten, zu schweben in den reinsten Lüften, von den Banden befreit, sich der Sonne zu emporschwingt. Aber eben fühlt er sich wieder in seinem Elemente, entgegensteigend der Erfüllung lang ersehnter Freiheit, da sitzt auch schon der Todespfeil ihm im Herzen; seine Flügel sind gelähmt; statt aufwärts reißt es ihn abwärts; er schlägt den harten Boden mit den Fittigen statt des freien Aethers: der freie Geist kann sich der Täuschung des Lebens, der Herrschaft der Wirklichkeit nicht entringen; er ist gefesselt an diese falsche, rauhe Welt! Es war ein Adagio, was Delphine sang. Ernst verstand nicht den Text, er kannte nicht die Oper, aus der die Arie war; aber mit den Stimmungen ihres Gesanges fühlte er sein Gemüth gehoben und gesenkt. Fortgerissen von ihren Tönen hatte er seine ganze Umgebung vergessen. Aus der Welt seiner Gedanken heraus, sah er nichts, als den düstern Mädchenkopf. Noch immer stand sie da, wie sie aufgetreten war, bleich und regungslos, die Augen tief niedergeschlagen. Er fühlte sich ihr plötzlich so verwandt. Lebte sie nicht auch in der Geisteswelt, aus der heraus er sie und sie allein erblickte? Verstand er nicht und nur er allein die Gedanken dieses ernst nachdenklichen Hauptes? Und doch von ihr getrennt auf immer! Plötzlich folgte ein heller Schmerzensschrei in den höchsten Regionen der Töne, als flackre noch einmal die Lebenskraft der um die Freiheit ringenden Seele auf, aber nur, um in die Oede des Todes zu versinken, und mit einem in den tiefsten Tönen wühlenden Seufzer endete das Adagio. Delphine schloß zum ersten male die großen, schwermüthig dunkeln Augen auf. Ein Beifallssturm überschallte das Orchester. Auch Doctor Horn klatschte mit. Ernst vergaß den Applaus zu vermehren, Delphine, sich zu bedanken. Durch den veränderten Charakter der Begleitung wurde Ernst aus seinen Träumen geweckt. Unmittelbar an das Adagio schloß sich ein Allegro. Tact und Tonart wechselten. Die schweren, schleppenden Melodien lösten sich auf in leichtere und lebendigere, sich steigernd in dem Muthe heiterer Begeisterung. Als Delphine wieder einsetzte, waren mit einem male ihr Gesang wie ihre Erscheinung ganz andere. Sie heftete die Blicke nicht mehr auf das Notenblatt; das Auge, klar und ruhig, als wenn es das Ewige erschaue, sah weit geöffnet empor. Die Wangen überflog leises Roth; alle Züge belebten sich; begeisterte Andacht schwebte um den wie zum Gebete geöffneten Mund. Als wären durch ein Wunder die Fesseln gelöst, die den Schwung ihres Geistes gelähmt hatten, so war jeder Ton jetzt frische Lebenskraft, heilige Hoffnung. Von Vers zu Vers wurde ihre Stimmung herrlicher, gewaltiger. Als träte an ihn, den Niedergeschmetterten, ein Engel göttlicher Kraft und durchströme ihn durch seine Berührung mit neuem Leben, so fühlte der entsagende Ernst von dieser Kunst sich gehoben und erbaut. Auf, auf! so hörte er die Engelsstimme sich zurufen, uns trennt keine Schranke, fesselt keine Bande; stoße von dir die Welt, die dich gefangen hält, und sie liegt in Trümmern zu den Füßen des allvermögenden Geistes. Lockend liegt das weite, reiche Menschenleben vor uns. Laß uns freien Raum erringen, die eigene Größe entfalten; ewig weiter kämpfen für Wahrheit und Freiheit, stark und heiter leben dem Gotte in uns –!

Das war ja die Andacht, die der starkgeistige Theologe in allen religiösen Ceremonien, im Rauschen der Orgeltöne, am Grabe des Vaters, in sehnender Verzweiflung vermißt hatte. Sie erfüllte mit mächtig erhebendem Zuge jetzt sein Herz. Alles, was er bei ihrem Gesange dachte, meinte er, das wolle sie dadurch für ihn ausdrücken. Es war ihm jetzt klar mit aller seiner Vernunft und stand in seinem Gemüthe ewig fest: Delphine war das große, freie Weib, das für die Idee lebte und die Idee in ihr; sie war das einzige Weib, das ihn verstand, und, Hand in Hand mit ihr durch das Leben gehend, wäre seine unverstandene Verschlossenheit in liebreiche Mittheilung eröffnet; nicht mehr einsam hätte er neben dieser ebenbürtigen Königin auf der Höhe des freien Bewußtseins gethront. Er sah in ihr die Erfüllung seiner Bestimmung, und – dem todten Vater, der kränkelnden Mutter und dem Aennchen, das so viel kochte, strickte und ihm so gut war, mußte er gehorchen! Schwebe du vorwärts, große, freie Seele, ich – muß auf die Pfarre!

Auch das Allegro war zu Ende. Neuer gesteigerter Beifall. Delphine entschwand seinen Blicken. Ernst's Auge fiel auf Horn, der ihn scharf fixirte. Ernst erröthete über die brutale Wirklichkeit, an die ihn die satanischen Blicke seines Busenfreundes erinnerten.

Einer Bestätigung des Betruges bedurfte Ernst nicht mehr; nur einige Aufklärung wollte er suchen. Er frug, wie zufällig, den jungen Liszt: »Sie kennen ja wol die Geliebte des Herrn Cesar, mit der man ihn aufzieht?«

»O, ich kenne alle seine Liaisons.«

»Diese Sängerin ist es doch nicht?«

»Gott bewahre!« erwiderte der Gefragte und selbst er mußte erröthen. »Cesar's Geliebte ist, – was dieses Mädchen hoffentlich nicht werden wird.«

Von den folgenden Piècen hörte Ernst in seinem hoffnungslosen Dahinbrüten nichts, als was ihn an die Stimmungen beim Gesange Delphinens erinnerte. Endlich sah er sie wieder erscheinen, aber wiederum war sie eine ganz andere als die, welche vor einer Viertelstunde seinen Augen entschwunden war. Mit schalkhafter Anmuth dankte sie zutraulich dem schwarzgekleideten Herrn, der sie vor den Flügel führte und mußte sichtlich das übermüthige Lächeln sich verbeißen, das die Erinnerung an die eben geführte Unterhaltung nicht wollte zurücktreten lassen. Beim ersten Auftreten erschien sie die Melancholie selbst, dann der Heroismus, jetzt war sie die liebenswürdigste Frivolität. Sie sang ein heiteres Lied und ein unbeschreiblich reizender Humor sprach aus ihrem ganzen Wesen. War sie früher kalt und unbeweglich wie eine Statue gewesen, jetzt schien sie die Wärme und Lebendigkeit ihrer Empfindung kaum mäßigen zu können. Das leise, aber doch merkliche, dem Tacte folgende Wiegen des Kopfes und der ganzen Gestalt zeigte, wie ihr ganzes Sein von der Musik getragen war. Das übermüthige Lächeln schlüpfte wieder und wieder einmal um den verführerischen Mund, und als sie im zweiten und letzten Liede sang:

»Ich liebe dich, du süße.
Ich liebe dich und grüße
Dich tausendmal,«

da machte sie, wie unwillkürlich fortgerissen von der Lust an ihrer Kunst, mit der Hand eine grüßende Geste, bemerkte aber sogleich selbst diese für den Concertsaal unpassende Ueberschreitung mit allerliebster Verlegenheit. Die Hände vor den Busen drückend verbeugte sie sich diesmal tief vor dem stürmisch applaudirenden Publicum.

Ernst konnte ihr in dieser Stimmung nicht folgen. Sie blieb ihm unverständlich, ja, er fühlte sich verletzt durch diese übersprudelnde Ausgelassenheit.

Ernst entfernte sich nun aus dem Saale. Er sah Cesar jetzt in der Ferne und es gelang ihm, unvermerkt ihm zu entkommen. Zu Hause kam Delphine ihm entgegen, noch ganz dieselbe, als die sie den letzten Applaus des Publicums empfangen, voll Leben und Glück, strahlend, hinreißend.

»Warten Sie«, sagte sie schelmisch mit dem Finger drohend. »Jetzt sollen Sie es büßen. Ich habe es wol gemerkt. Auch nicht ein einziges mal haben Sie applaudirt.«

»Ich war betrübt, daß ich nicht da capo rufen konnte, sondern das fine unwiderruflich ist«, antwortete er kalt und fremd. Er schloß sie nicht in seine Arme; er küßte ihr nicht die Hand; er sah sie nicht einmal mit einem Blicke an, der den Triumph dieses Abends ihr bestätigt hätte. Sie mußte es ihm ansehen, dieses Benehmen war nicht Schüchternheit, es war absichtliche Zurückhaltung. In ihren beweglichen Mienen malte sich der Schreck, ihn plötzlich so anders zu finden, als sie erwartet hatte. Sie wurde sichtbar verlegen, in dem zu wenig verhüllenden Ballkleide – es war ein Geschenk Cesar's –, in welchem sie soeben einem ganzen Publicum sich gezeigt hatte, nun vor die Augen des einen, des geliebten Mannes zu treten. Sie schlug die Augen nieder; die Scham hauchte ihre Wangen an und hob beängstigend ihren Busen. So stand sie bezaubernd vor ihm in mädchenhafter Schönheit, wie seine unkünstlerische Phantasie sie sich nicht vorzustellen vermocht hatte, stolz und doch schüchtern, geistvoll und doch jungfräulich. Mit wie anderen Augen konnte er sie nun ansehen als bisher! Aller jener quälende Widerspruch war gelöst. Die Leidenschaft, die er als eine fremde Naturgewalt mit so schmerzvoller Anstrengung zu bekämpfen gesucht, wurde jetzt der Zug des freien Geistes, der mit vollstem Rechte, mit aller sittlichen Kraft der Erfüllung seines Wesens entgegenstreben durfte. Und doch – sei stark! Es muß entsagt sein.

»Ich komme, mein Fräulein«, so sagte er im Tone fremder Höflichkeit und war stolz, schon so viel Weltbildung sich angeeignet zu haben, »ich komme in Folge Ihres lieben Briefes. Ich fühle mich geehrt durch Ihr Vertrauen, Aber – Sie wollen mich aufklären? Ich weiß Alles, ich weiß, daß Sie keine Schuld haben und wenn ich es nicht wüßte, so würde ich es glauben, weil Sie es sagen. Ich sollte kommen, um Sie zu trösten; aber, wie ich sehe, Ihre Kunst hat es schon gethan, und wie kann ich da noch sprechen, wo eine solche Stimme gesprochen hat!« Das letzte Compliment hatte die Geistesgegenwart des diplomatisirenden Candidaten so in Anspruch genommen, daß er jetzt stockte. Delphine ergriff die Gelegenheit, ihn zu unterbrechen: »Sie haben mir nicht gezürnt, daß ich – daß ich Ihnen gut war und Ihnen nicht sagte, daß – Ihr Freund mich liebt? Aber bei Allem was mir heilig ist, ich habe ihm nie ein Recht darauf gegeben.« So betheuerte das Mädchen mit einer Heftigkeit, die ihm zeigen mußte, wie werth ihr seine Meinung war.

Trotzdem daß ein solches Berühren intimer Verhältnisse so unwiderstehlich lockend ist, blieb Ernst fest in seiner charaktervollen Stellung und sagte eisig kalt: »Ich zweifle nicht daran, und, wenn Sie es gethan hätten, lag darin eine Schuld für Sie?«

Delphine biß sich schweigend auf die Lippen. Ernst unterbrach die Pause: »Ich wäre übrigens, verehrtestes Fräulein, auch ohne Ihr Verlangen zu Ihnen gekommen; ich mußte kommen, mich Ihnen zu empfehlen. Ich reise morgen fort.«

»Morgen fort?«

»Allerdings und mit der Aussicht und der Absicht, nicht so bald wieder nach Berlin zu kommen. Ich muß zu meiner Familie zurückkehren; ich hoffe, nächstens Pfarrer zu werden und meine Braut zur Pfarrerin zu machen.«

Wieder eine lange Pause, die für Ernst peinlich war, weil er fürchtete, sie könne ihr Verhältnis berühren und ihn zur Offenheit zwingen. Er suchte aber vergeblich nach einem Worte, um das Gespräch abzuleiten. Die Weiberklugheit Delphinens kam ihm zuvor und fragte kaum hörbar: »Ernst, auf Ihr Gewissen, Sie glauben Schlechtes von mir!«

»Aber, bestes Fräulein, wenn Sie wirklich ein Verhältniß zu Horn hätten, wie könnte Jemand Ihnen daraus einen Vorwurf machen! Sie sind ja freie Herrin Ihrer selbst!«

»Jemand –? Wollen Sie mir nichts sein, als Jemand? als Jedermann? Ernst, Sie zürnen mir! Gewiß, Sie zürnen mir!«

»Nein, nein, ich zürne Ihnen nicht. Ich schätze Sie, ich achte Sie, ich –«

»Nichts weiter?«

»Ich werde stets mit Vergnügen an Sie denken –«

»Aber um des Himmels willen, Ernst, so haben Sie vor zwei Tagen nicht zu mir geredet! Was soll denn das Alles? O, es ist nicht anders möglich, Horn hat Sie belogen; er muß Ihnen ein schönes Bild von mir gemacht haben! Nun reden Sie, damit ich Sie über Alles aufklären kann. Lieber das bitterste Wort, nur nicht dieses Schweigen, dieser Hohn!« So brach ihre Empfindung heraus und schluchzend hielt sie ihr Tuch vor das Gesicht.

Weiberklugheit, Weiberthränen gegenüber – was sollte der angehende Weltmann nun thun? Das war zuviel für ein Debüt. Er fühlte seine Stellung schwanken. Unruhig stand er auf und ging im Zimmer auf und ab, indem er noch ein mal sich zu sammeln suchte, aber vergeblich. Sein Gefühl übermannte ihn; seine Stellung war verloren. Er blieb vor ihr stehen; in abgebrochenen Sätzen, zwischen kürzeren und immer kürzeren Pausen, in denen er sich auf die Lippen biß und den Athem unterdrückte, als wage er noch immer nicht den Ausbruch seiner Empfindung frei zu geben, warf er endlich seine Verstellung von sich und machte seinem Herzen Luft. »Nichts hat er gesagt! – Nichts! – Und was er auch sagen möge – o! er kann lügen, entsetzlich lügen. – Und doch – ja, du sollst es wissen. Er hat mich belogen, schändlich belogen. Zwischen vernünftigen Menschen wie wir, Delphine, ist die Offenheit die beste Verständigung. Höre nur, was er gethan! Als ich dich gesehen hatte und ihm sagte, daß ich dich liebe, und ihn bat, mich dich kennen zu lassen, da sagte er, du – du wärest eines Ehrenmannes nicht werth, du wärst – du verschenktest deine Liebe für Geld. Und als ich es nicht glauben wollte, da – doch nein! Es ist genug von seiner Schändlichkeit. Kurz, ich mußte es endlich glauben, und da – O! verzeih Delphine, du großes, reines Mädchen, daß ich zu dir von Liebe sprach, von solcher Liebe, die die Ruhe deines Herzens aufs Spiel setzte. Ich wußte ja nicht, wer du warst, welch ein Engel von Unschuld, welch eine Göttin von Geist und Hoheit! Und nun ich es weiß, wo ich dich erst zu lieben anfangen kann, so zu lieben, wie es deines, wie es meines Geistes würdig ist, jetzt muß ich fort von dir; jetzt darf ich dir nicht von Liebe sprechen.«

Delphine hatte bei seinem Geständnisse über Horn's Betrug ihr Gesicht an der Lehne des Sophas verborgen. Als Ernst ausgeredet, trat eine Stille ein. Sie mußten beide jetzt in einem ganz neuen Verhältniß sich einander gegenüber fühlen. Endlich erhob sich Delphine, erfaßte seine Hand, und mit einer Sicherheit des Blickes und der Bewegungen, die ihm bei einem Mädchen imponirte, frug sie ihn: »Aber du liebst mich? Nicht wahr, Ernst, in deinem Herzen da liebst du mich?«

»Still, still! Das habe ich ja kein Recht dir zu sagen. Wenn ich ehrlich sein will gegen dich, so muß ich lügen und dir sagen: ich liebe dich nicht!«

»Nein, nein!« sagte sie, indem sie ihn, den Abgewendeten, heranzog: »Wenn du mich nicht liebst, so belüge und sage mir: ich liebe dich!«

»O, du weißt es ja, Delphine, ich liebe dich! Aber um unsertwillen laß uns davon nicht reden. Was soll denn daraus werden? Ich bin verlobt, ich bin gebunden, ich muß fort, morgen früh muß ich fort! Laß uns kein Wort von Liebe mit einander reden! Ich kann dich nicht heirathen, drum darf ich dich nicht lieben. Du bist ein ehrliches Mädchen, und ich muß ehrlich gegen dich sein; wir kennen uns nicht mehr.«

»O, Ernst! Warum das? Weil wir nicht immer einander gehören können, drum sollten wir uns gar nicht kennen lernen? Nein, unsere Liebe steht über der Welt. Du bist der Mann, den ich kennen lernen, den ich lieben mußte, und wenn die Welt mir darüber das Herz zerbrechen sollte! Ernst, und wenn ich mein Leben verlieren sollte, ohne dich hätte ich es nie gehabt. Ernst, Ernst, mein Ernst, wir mußten uns lieben und lieben uns noch, wir lieben uns ewig.«

»Große, starke Mädchenseele!« rief er aus, indem er, von ihren Händen herangezogen, ihr zu Füßen sank: »Ja, ich muß dich lieben, dich, du einzig wahres, freies Weib!«

»Und du, mein Freund«, sagte sie mit freudiger Trauer, sein Haupt in ihren Händen haltend und den vollen Zauber ihrer bedeutungsvollen Schönheit zu ihm niederlächelnd; »wenn du wüßtest, was du mir bist! Von jeher war ich so unstet, so hin- und hergeschleudert, so namenlos unglücklich, denn ich wußte nichts, warum ich lebte und litt. Aber als ich dich kennen lernte, du einziger, großer, edler Mann, von allen Menschen die ich kenne, da war es mir, als wenn ich mich endlich sammeln könnte, als wenn du der Zweck sein solltest, zu dem sich mein zerrissenes Leben aufraffen müßte. Du bist mir der Gott, den ich verloren hatte; du gibst mir wieder Glück, Leben, Liebe –«

»Hör auf, hör auf«, rief Ernst, sie unterbrechend, aus, indem er, des zerknitternden Ballkleides nicht achtend, ihre Knie umfaßte und sein Gesicht in den Falten verbarg.

»Nein, nein! Du mußt es wissen, wie ich dich liebe, wie du mir so Alles, Alles bist –«

»O, ich weiß es ja! Sieh, Delphine«, sprach er, indem er sich aufrichtete und mit vollster Hingebung sie anblickte, »als ich dich sah, da faßte es mich wie mit ahnungsvoller Raserei, zu dir hin zog es mein ganzes Sein, in dir meinte ich mein Ideal zu finden, aber – o! du ahnst nicht, wie mir dein Bild verzerrt, der Gedanke an dich vergiftet wurde. Alle Gewalt meines Bewußtseins nahm ich zusammen, um mich von meinem eigenen Gefühle loszureißen und in dem Augenblicke, wo es mir zu gelingen scheint, wo ich meine wahnsinnige Liebe von mir stoßen will, da geht die ganze Hoheit und Reinheit dieser schönen, edlen Delphine vor mir auf, da sehe ich dich an und du bist das Ideal des Weibes, das ich suchte; meine unvernünftige Leidenschaft wird der freie Schwung, in dem mein Geist seine ganze Bestimmung finden will, aber – aber – O, Delphine, nun uns trennen!«

»Müssen wir uns denn trennen?« frug sie, liebkosend sich zu ihm niederbeugend.

»Zwischen uns ist nichts mehr als Trennung«, sagte er entschlossen, nachdenkend, düster.

»Aber noch bist du ja bei mir, mein Geliebter!« sagte sie, und, seinen Hals umschlingend, strich sie ihm die starren Locken aus der markigen Stirn, und küßte die finsteren Falten und die trotzigen Lippen, und gab ihm süße Namen und schmiegte kosend Wange an Wange. Als er sie wieder küßte auf den heißen Mund, erschrak er, wie seine Zärtlichkeit ihr das Bewußtsein zu rauben schien; wie eine Lilie von der Mittagssonne verglüht, sank ihr Haupt matt an seine Stirne; in endlosem Kusse hing ihr Mund an seinem Munde. Ernst war so kindlich unerfahren, daß er nicht daran zu denken wagte, wie sie seit jenem Abende jetzt die Rollen gewechselt hatten. Mit ängstlicher Sorge beugte er ihr Haupt zurück an die Seitenlehne ihres Sitzes und sagte ihr tröstend: »wir werden ewige Freunde bleiben«; da traf ihn ein Blick, wie er ihn noch nie gesehen, durch Mark und Bein; Stolz, Feuer, Geist waren plötzlich aus diesen Augen gebannt, blumenhaftes Traumempfinden schwamm in mattem Glanze über diesen halbverdeckten Sternen. Wie von Basiliskenblicken fühlte der Denker mit dämonischer Naturgewalt sich getroffen. Gelähmt an Geist und Körper zog es ihn in wonniges Vergehen des Bewußtseins hinein. Nur ein Verlangen lechzte in ihm, mit dieser empfindenden Blume in bewußtloses Träumen dahin zu sinken. Aber Ernst liebte zum ersten male und die erste Liebe ist so gewissenhaft. Er wollte als Mann stark sein für sie und sich zugleich. Selbst die Verzweiflung im Herzen, suchte er die Geliebte zu ermuntern und ihr Trost einzureden. Er schwur ihr ewige Freundschaft, versprach ihr Briefe zu schreiben, küßte sie auf die Stirn und sagte: »Lebewohl.« Da raffte sie sich empor, leidenschaftlich fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn von neuem heftiger, glühender. »Der Augenblick ist noch unser. Laß uns versinken in das Meer –!« So sprach sie unsicheren Tones, wie im Traume. Der Basiliskenblick hatte sich zu ihm herabgeneigt, weit geöffnet, als solle er wonnevoll darin vergehen. Er aber widerstand dem Zauber und blieb gewissenhaft.

Da schlug es drei Viertel auf zehn Uhr. Ein Seufzer, hervorgestoßen wie ein Angstgeschrei, entrang sich ihren Lippen. Mit zurückkehrendem Bewußtsein, ihrer selbst wieder mächtig, schlug sie die Hände vor das Gesicht, in Schluchzen und Thränen ausbrechend. Wie zu einem plötzlichen Entschlusse, richtete sie sich auf. Ihr Antlitz war krankhaft blaß, von Schmerz verstört, um die Augen dunkele Schatten. »Sag mir, sehen wir uns nach dem Tode wieder?« So frug sie ihn mit schauderndem Ernst.

»Bleibe doch stark, Delphine! Wir wollen kein Wiedersehen nach diesem Leben. Lebe für diese Welt.«

»Ich habe nichts mehr zu leben. Ohne Gemeinschaft mit dir in dieser Welt, ohne Hoffnung auf eine andere, wie soll ich da leben? Nein, ich will diesem ewigen Schmerze endlich ein Ende machen, ich will das Leben von mir werfen!«

Krampfhaft hatte sie sich an ihn angeklammert. Er ahnte nicht, welchen bestimmten Gedanken sie mit diesem Schmerzensschrei verband, und sagte gefaßt: »Laß mich, Kind, jetzt gehen!«

Da richtete sie sich auf, bleich wie das Bild der Verzweiflung, starrte sie ihn an mit aufgerissenen, thränenvollen Augen, ihren Dolch riß sie aus dem Busen, und vor ihm zusammenbrechend stieß sie in furchtbarer Entschlossenheit die Worte aus: »Thu eine gute That! Ich selbst bin zu schwach. Thu du's für mich. Kannst du mir deine Liebe nicht geben, hilf mir mein Leben nehmen!«

Lautlos sank sie in seine Arme – der süße Leib mit der hohen Seele. Das Herz wollte ihm brechen. Entzücken und Verzweiflung zerrten an seiner Seele.

Ohne Thränen, ohne Worte sah er sie lange, lange so an. Er konnte nicht hinweg. Sein Herz hätte er sich aus dem Busen reißen und zernichten müssen, ehe er aus dem Zimmer zu gehen vermochte.

Endlich hörte er die Uhr schlagen. Die Wächter auf der Straße riefen die zehnte Stunde aus. Jeden Augenblick konnte der brutale Onkel ihn überraschen. Es muß geschieden sein. Bewußtlos, wie sie schien, legte er sie auf das Sopha nieder und wollte still von dannen, ohne Abschiedsgruß, ohne Abschiedskuß. Aber sie hatte sich aufgerafft; indem er zur Thür hinauswollte, lag sie noch ein mal an seinem Busen. »Und so soll ich leben?«

»Leb in deiner Kunst, sie ist so lebensvoll. Ich habe nichts als meine todten, tödtenden Gedanken!«

*


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