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Ma chère mignon! Ich will auf Ihr zum mindesten unverständliches Billet eine recht verständige Antwort schreiben. Verständig? Sie werden darüber spotten, daß ich verständig bin. Aber, bei Gott, danken Sie es meiner unverbrüchlichen Freundschaft, daß ich es Sie nicht wissen ließ, wie ich unverständig und toll sein kann; denn ich fürchtete, die Raserei, zu der Sie mich gebracht hatten, mein liebes Delphinchen, müßte ein Mädchen um den Verstand bringen, – wenn sie überhaupt einen zu verlieren hat. Ich bin jetzt darüber hinaus; zwar vernünftig zu sein, ist mir zu miserabel; aber toll bin ich auch nicht mehr. Und fragen Sie mich, wodurch ich so schnell gefaßt bin?– Durch meine und durch Ihre Größe, durch die Größe meines Stolzes und die Größe Ihres – ja, was soll ich sagen, Ihrer Liebenswürdigkeit, Herzlichkeit, Genialität, oder was sonst?
Ja, große Delphine, wundern Sie sich nicht, ich habe auch eine gewisse Größe, wenn auch nur im Stolze. Ich bin zu stolz, zusammenzubrechen durch affaires d'amour. Wer mit Gott gerungen, wird durch die Weiber nicht untergehen.
Die Größe dieses meines Stolzes hat mich meinen Schmerz überwinden lassen; was ihn geheilt hat, ist die Größe auf Ihrer Seite, die unerschöpfliche Liebenswürdigkeit, die mir diesen Todesschmerz so galant, so delicat beigebracht hat und mir darüber zugleich so cordialement condolirten. Ja, Sie besitzen eine unverwüstliche, unerklärliche Galanterie und Delicatesse, die selbst einen Franzosen in Erstaunen setzen kann. Ich, der ich mich für einen ausgebildeten Mann der Welt gehalten hatte, muß Sie bitten, zu meiner Vollendung an dem deutschen Mädchen studiren zu dürfen: zu lieben aus Complaisance, zu küssen aus Delicatesse, Liebe zu verschmähen mit solch condolirender Cordialität.
Dafür aber können Sie auch etwas von mir annehmen – es sieht das aus, wie eine Arroganz, Ihnen eine meiner Eigenschaften aufdringen zu wollen; aber ich meine eine so untergeordnete Eigenschaft, die sich gerade bei den ordinären Menschen findet, eine so deutsche Eigenschaft, daß man nicht stolz darauf sein kann – Aufrichtigkeit. Ja, theure Delphine, seien Sie aufrichtig gegen mich, lassen Sie uns aufrichtig sein gegen einander!
Ich dächte, wir stehen beide auf Einer Höhe, und zwar auf einer Höhe, erhaben über dem Urtheil der Welt, das nur Vorurtheil, und ihrem Glauben, der nur Aberglauben ist. Wir beide stehen über den Menschen und ihrem Verstande, dem Alles entweder gut oder schlecht, sittlich oder unsittlich sein soll. Was da, gut oder böse! Unsere Devise ist: schön oder häßlich, genial oder bornirt. Wir nennen genial, was Andere vielleicht schlecht, spielen, was sie betrügen nennen. Ein Philister würde p. ex. von Ihnen, liebes Delphinchen, vielleicht sagen: Sie spielen falsch; ich aber: Sie spielen großartig; oder er würde sagen: Sie sind ein Satan – Nun, und was weiter? Warum nicht Satan? Offen gestanden, ich halte Sie für einen kleinen Satan. Und warum nicht das? Wenn man einmal kein Engel sein kann, nicht groß und glücklich wie ein Gott, ehe man solch ein Thier von einem Menschen ist, lieber ein bischen Satan!
Sie sehen, meine geschätzte Freundin, Sie brauchen nicht zu erschrecken vor meiner Devise; Sie können getrost aufrichtig sein gegen mich; denn was könnten Sie nun verbergen, was nicht als magnifique Distinction Ihres Geistes brillirte!
Also, gestehen Sie es ein, Sie haben mit mir gespielt, vortrefflich gespielt, – bis Sie mir das letzte Billet schickten. Da wollten Sie mich – dupiren. Erschrecken Sie nicht. Ich sage das ohne Malice. Was Sie durch Ihre Duperie an mir, dem bon homme, verbrochen haben, das haben Sie durch die Genialität Ihres Manoeuverirens zu Gute bei mir, dem Genialen. Und durch Eingeständniß dieser Ihrer Genialität können Sie mich erhalten als Ihren aufrichtigen, unverbrüchlichen Freund – bei Gott, ohne Duperie, ohne Genialität ist das gesagt, auf Philisterehre! Nicht wahr: mit einem Gelübde mag es seine Richtigkeit haben, aber Sie haben keiner todten Frau, sondern einem lebendigen Freunde gelobt, Sie sind verlobt mit Herrn Ernst Wagner!
Delphine, wir sind nicht zwei Menschen, die durch eine lettre de défi getrennt werden könnten. Wir sind beide so seltene Naturen und einander darum so eigenthümlich werth, daß wir zeitlebens miteinander leben werden. Wo wir einander treffen, begegnen wir uns ganz anders als andern Menschen; und wenn wir auch getrennt sind, leben wir doch bei einander. Sie haben mir als Liebhaber adieu gesagt, als Freund können Sie es nun und nimmermehr; und ich, mir des Bandes, das uns bindet, besser bewußt, als Sie es bei Abfassung jenes Briefes waren, strecke dreist die Hand aus und greife unaufgefodert in Ihr Leben ein. Ihr Schicksal liegt in meiner Hand. Zaudern Sie nicht, dem Helfer zu vertrauen! Ich fühle die Vocation in mir und habe die Ressourcen, das Lebensglück meiner Freundin mit dem Manne ihrer Wahl zu begründen. Wollen Sie mir vertrauen, so lassen Sie es mich wissen. Es ist mir bekannt, daß Ihnen jede Communication abgeschnitten ist. Treten Sie heut Abend präcise sieben Uhr an das Fenster, und ich werde wissen, daß Sie mich verstanden haben. Lassen Sie mich dann auf irgend eine Art erfahren, wo unser Ernst sich aufhält, und ich werde augenblicklich Schritte thun, für Ihre beiderseitige Zukunft zu sorgen und meiner Freundin den erwählten Gatten zuzuführen. Trösten Sie den Schmerz verschmähter Liebe durch erneute Freundschaft. Ihrer Entscheidung harrt …
Cesar.«
»Victoria! Vous êtes ma prise, Monsieur!« So triumphirte der französische Elegant, als zur bestimmten Stunde Delphinens Kopf hinter den blinden Fensterscheiben ihm schwermüthig zunickte. Zugleich erschien Juste, die den Brief für neuerdings verdoppeltes Trinkgeld trotz aller Präservativmaßregeln des Onkels besorgt hatte, in der Hausthüre, benachrichtigte den vornehmen Herrn, daß der Herr Wagner in der Hausvogtei gefangen sitze, und gab ihm ein Billet von Delphine, das er an diesen zu besorgen die Gefälligkeit haben solle.
»Tant mieux! So kann er mir nicht entwischen«, spottete Cesar mit befriedigtem Lächeln und am andern Morgen trat er zu Ernst's nicht geringem Entsetzen in dessen Zelle ein.
In die Schlingen des Spions zu fallen, das fehlte noch, um das Unglück des verzweifelten, gefangenen Candidaten vollständig zu machen. Er war stumm und bleich vor Schreck, wie ein armer Sünder, der sein Todesurtheil vernimmt. Noch mehr entsetzt war er, als der Eintretende ihn auf seine verbindliche Weise grüßte; er mußte fürchten, neuen Intriguen desselben entgegenzugehen, und hatte dennoch nicht den Muth, die ihm zum Gruße dargereichte Hand auszuschlagen.
»Aber was Teufel, haben Sie den Doctor wirklich todtgeschossen?« frug Cesar in einem Tone, der zeigen sollte, daß für ihn darin kein haarsträubendes Verbrechen läge.
»Nein«, antwortete Ernst kurz.
»Um so besser«, erwiderte der Franzose; »man wird Sie bald freilassen und wir können dann in die Beziehungen mit einander treten, die ich zwischen uns eröffnen möchte.«
Ernst wurde noch bleicher. Aber er raffte sich auf; er nahm allen Muth und allen Scharfsinn zusammen, der Intrigue zu entschlüpfen.
»Monsieur«, fuhr der Andere vertraulich fort, indem er geheimnißvoll an ihn herantrat und leise redete. »Sie erinnern sich unseres Gespräches vor acht Tagen, wo wir in der Controverse über eine gewisse politische Taktik uns trennten. Sie haben indessen Erfahrungen gemacht; Sie haben das öffentliche Leben kennen gelernt; Sie haben vielleicht, – hoffentlich die Erbärmlichkeit der Partei, der Sie bis dahin aus der Ferne angehört hatten, beim ersten Augenschein durchschaut; Sie haben – ich weiß es – für ihre Zukunft andere Pläne gefaßt, Sie haben die Beziehungen zu Ihrer Familie geändert, Sie haben sich mit meiner achtungswerthen Freundin Delphine verlobt. Mit einem Wort, Sie denken heute anders als damals, vielleicht denken Sie heute so, daß ein Vergleich zwischen uns zu Stande kommen könnte.«
»Nein, mein Herr!« fuhr Ernst entsetzt auf.
»Sie denken heute nicht anders?«
»Und wenn ich anders denke, Sie erfahren es nicht; Sie sollen es nie erfahren, wie ich denke.«
»Mon dieu! Was ist mit Ihnen vorgegangen?«
»Sie sollen es wissen, mein Herr, was vorgegangen ist. Sie sind entlarvt; wir wissen, Sie sind ein Spion, ein geheimer Policist.«
»Vortrefflich!« sagte der Fremde, mit einer heitern Ruhe, die von Verlegenheit nichts an sich hatte. »Ein allerliebstes Mährchen!«
»Und doch kein Mährchen. Leugnen Sie immerhin. Ich habe Beweise, und damit Sie daran nicht zweifeln und ich mich Ihrer für immer entledige, will ich Ihnen meine Beweise zeigen. Wollen Sie leugnen, diesen Denunciantenbrief geschrieben zu haben?« frug er, indem er ihm den anonymen Brief vor die Augen hielt, den der Onkel ihm anvertraut hatte.
Ein wenig kam der Weltmann dadurch doch außer Fassung und Ernst fühlte sich schon erleichtert, ihn überführt zu haben. Allein schnell hatte jener sich wieder gesammelt. »Zwischen Freunden«, sagte er mit freundlicher Zuversicht, »und das werden wir nun einmal werden, wie sehr Sie sich auch dagegen sträuben, ist die größte Offenheit immer die beste Politik. Also: der Denunciantenbrief ist von mir, das leugne ich nicht. Aber Policeispion, wie Sie mich nennen, bin ich nicht. Hören Sie. Der Brief ist im Interesse der Freiheit geschrieben. Ja, ich habe Sie denuncirt, aber wer war der Verräther, der Denunciant oder der Denuncirte? Sie, der Sie die Wahrheit verlassen und Ihre Ueberzeugung verkauft haben, oder ich, der Sie bei der Tyrannei compromittirte, um Sie der Freiheit zu retten? Sehen Sie, mein Herr, das war meine Absicht bei der Denunciation; ich wollte Ihnen die Carrière im Dienste des Staates, im Dienste der Reaction unmöglich machen, um Ihre Talente, Ihr Genie, Ihre Ideen der guten Sache zu erhalten, derselben Sache, der ich diene und die uns beide jetzt verbinden soll. Erfahren Sie, wer ich bin. Ich bin nicht Franzose, sondern Pole, nicht der Maler Cesar, sondern Cesar Graf Potucke, Chef der polnisch-patriotischen Propaganda.«
Trotz der so imponirenden Sicherheit und der so einnehmenden Offenheit des Fremden, fühlte Ernst sich fest genug, kein Wort davon zu glauben. Bei der letzten Entdeckung aber schreckte er zusammen vor der neuen, gefährlichen Schlinge, die der Intrigant ihm legte, und so hörte er mit dem Bewußtsein, die Täuschung zu durchschauen, ruhig und unberührt an, was der räthselhafte Mann ihm über die große, polnische Adelsconspiration für Eröffnungen machte, – Eröffnungen, die wir hier nicht mitzutheilen wagen, weil dadurch manche, bisher unverdächtige Person compromittirt werden und die Taktik einer patriotischen Partei verrathen werden könnte, die man vielleicht wiederum einzuschlagen sich genöthigt sieht. Der fragliche Graf erzählte Erstaunenswerthes und fast Unglaubliches von der Ausbreitung der Verschwörung, ihren Mitteln und ihren Hoffnungen, ihren Verzweigungen über ganz Europa, ihren Verbindungen mit den Revolutionsparteien aller Länder. Ernst konnte in seiner Ueberraschung nicht unterlassen, wenigstens aufmerksam zuzuhören. Endlich kam der Fremde auf sich selbst zu sprechen. Er sagte mit jenem Stolze, der sich den Schein der Berechtigung zu geben weiß: »Sie werden sich wundern, daß ich Sie, den Kosmopoliten, mit dieser Angelegenheit polnischer Nationalität unterhalte, und wenn Sie mich recht kennen, noch mehr darüber, daß ich überhaupt für das bornirte Racenbewußtsein einen Kampf aufnehme. Aber meine Ideen gehen weiter; ich bin nicht stolz, aber ich habe das Recht es von mir zu sagen, da es wahr ist; ich habe mir eine Aufgabe gestellt, wie sie theoretisch zwar von den Chefs eurer philosophischen Schule schon erfaßt, aber noch von keinem Helden der Zeit mit solcher Energie verfolgt ist, – mein Lebenszweck ist die Demokratisirung der ganzen Menschheit. Ich kenne keine Freiheit Polens, nur die Freiheit der Welt; ich gebrauche die polnische Propaganda für meine Ideen, um die allgemeine Revolution, um die Revolution Polens, Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Ungarns herbeizuführen. Sehen Sie, mein Bruder, das ist meine Tendenz; in diese Bahn will ich die bornirten Nationalitätsbestrebungen meines Volkes hineinleiten, und dazu brauche ich Köpfe, offene, denkende, hingebungsvolle Köpfe, und Sie sind es, den ich mir längst zu meinem nächsten Freunde, meinem rechten Arme ausgewählt habe. Schenken Sie Ihr Genie, Ihre Feder, Ihre Thätigkeit mir und meinen großen Plänen. Treten Sie in den Sold der Freiheit. Ich werde für Sie sorgen; helfen Sie mir für die Menschheit sorgen!«
Ernst war es nicht möglich bei solchem Anerbieten, seinem Vorsatze des Unglaubens treu zu bleiben. Die Beredtsamkeit des räthselhaften Mannes, das lodernde Naturfeuer, das dessen sonstige kalte Glätte durchbrach, und der Gedanke, mit einem male einen Wirkungskreis sich geöffnet zu sehen, der so ganz seine idealischen Wünsche erfüllte, ein Leben in der Geschichte der Menschheit, das Alles erschütterte ihn so, daß er aufsprang, sich in die Arme zu werfen, die der Fremde ihm entgegenstreckte. Doch kam ihm noch zu rechter Zeit der Verdacht eines neuen Verrathes ein; er faßte nur die eine ihm entgegengehaltene Hand und sagte mit Zurückhaltung: »Herr Graf, wenn Sie das sind, wofür Sie sich mir jetzt ausgeben, so muß die erste Probe, die Sie von mir für die Befähigung zu einem Amte, wie Sie es mir zutrauen wollen, das sein, daß ich auf Ihre Worte nicht eher die geringste Rücksicht nehme, als bis Sie mir die unleugbaren Beweise gegeben haben, daß ich Ihnen trauen darf. Sie dürfen von mir in Ihrem eigenen Interesse nicht eher eine Antwort verlangen, als bis ich die genügende Bürgschaft habe, sie dem Rechten zu geben.«
Cesar fand das natürlich. Er schied mit Freundschaftsversicherungen und dem Versprechen, diese Bürgschaft durch eine vertrauenerweckende Person zu geben, nachdem er Ernst den Brief Delphinens überreicht hatte.
Ernst schwebte zwischen ausschweifender Besorgniß und Hoffnung um den zweideutigen Fremden, als dieser am andern Tage, mit einer zweiten Person in die Zelle trat. Dieser Begleiter war der christkatholische Apostel aus Danzig, dessen wir bereits Erwähnung gethan haben und dessen Bekanntschaft Ernst in der Gesellschaft Cesar's und des seligen Horn gemacht hatte.
Der Apostel kam, um dem Bruder in Christo die Bürgschaft für die Wahrheit von Cesar's Eröffnungen zu leisten. Er selbst erklärte sich als eingeweiht in die Machinationen der »großen demokratischen Propaganda« und foderte Ernst auf, im Namen der Menschheit ihr ebenfalls seine Kräfte, sein Leben mit Gut und Blut zu weihen.
Ernst konnte an den Aussagen dieses, öffentlich als Parteiführer bekannten Mannes nicht zweifeln. Er überließ sich frei dem aufflammenden Enthusiasmus seiner thatenersehnenden Jugend. Er schlug ein in die Hände, die die Männer der revolutionairen Agitation ihm darboten, und schloß den Bund, mit Leib und Seele ihnen und ihrer großen Sache anzugehören.
Ueber Ernst's Zukunft wurde von den Dreien nun beschlossen, daß er sich der christkatholischen Bewegung anschließen solle, denn die religiöse Agitation sei es, in welche die Intention auf die politische Revolution sich für den Augenblick kleiden müsse. Der Danziger Apostel versprach ihm die Stelle als Prediger bei einer bedeutenden Provincialgemeinde zu verschaffen. Graf Cesar übertrug ihm die Aufgabe, von dort aus seine Correspondenz zwischen Polen, Frankreich und England theils selbst zu leiten, theils durch seine Hände gehen zu lassen, um die aufmerksame Policei von der wahren Adresse abzuleiten, und ferner durch Übersetzung französischer und die Abfassung eigener Parteischriften die Idee der Alliance aller unterdrückten Völker auf das deutsche Publicum zu verbreiten. Er versprach ihm dabei aus den Mitteln der Propaganda so viel, als er nur neben seinem Predigereinkommen für sich und zur Unterstützung seiner Mutter verlangen werde.
Ernst sah sich jetzt auf dem Gipfel seines Glückes angelangt.
Cesar – in der That, wofür er sich ausgab, polnischer Graf und einer der Chefs der Revolutionspropaganda – war jedenfalls ein außergewöhnlicher Mensch. Er stammte aus einer der polnischen Adelsfamilien, die aus sich nach eigener Wahl den Thron ihres Reiches besetzten und deren Sprößlinge noch jetzt als geborene Könige sich ansehen. Jetzt war seine Familie flüchtig, ihrer Güter beraubt. Der junge Graf war nichts als ein armer Edelmann und ein fähiger Kopf. Die Erinnerung an alte Größe, alten Glanz war es, die seinen Ehrgeiz wach rief und ihm den Antrieb gab, sich über das Gewöhnliche zu erheben. Schon sein Aeußeres trug das Bewußtsein seiner Abstammung an sich; er wußte in seine Erscheinung stets etwas Königliches zu legen. Da er keine Aussicht hatte, seine angestammten, aristokratischen Vorzüge geltend zu machen, so warf sich sein Drang nach Außerordentlichem, nach großen Thaten, in die demokratische Bewegung. Er wollte idealisch sein, und so schrieb er sich die Rolle eines modernen Helden vor.
Wodurch er sich von dem deutschen Theologen äußerlich hauptsächlich unterschied und was diesen am meisten bestach, war das stets lebendige, accentvolle Aeußern seiner Empfindungen. Er besaß ein rasches, zungenfertiges Denken, einen aus sich herausgehenden, renommirenden Enthusiasmus, der dem schüchternen Philosophen ganz fehlte. »Ich fühle es«, sagte er diesem, »ich trage die Ideen in mir, die unsere Aera zu realisiren hat. Suchen Sie diese Ideen nicht in der Philosophie – ich habe nie an der Philosophie, am wenigsten an der deutschen, Geschmack finden können; und Politik kann man jetzt gar nicht studiren, das hieße, die Chicane, die Niederträchtigkeit studiren. Die Ideen unserer Zeit liegen gleichsam in der Luft; man braucht nur ein warmes Herz, einen offenen Kopf zu haben, nur Alles, par tout Alles zu vergessen, was man uns gelehrt hat, und das Räthsel hat man gelöst, die Aufgabe des Jahrhunderts erfaßt. Und das, mein Freund, das kann ich von mir sagen. Es ist das keine Eitelkeit, – mon dieu, wie könnte ich auch eitel sein, auf das, was man nothwendig sein muß, um nur ein Mensch, – Sie wissen, was ich damit sage, ein Mensch zu sein! Das aber, worauf ich in der That stolz bin, weil ich das Recht dazu habe, das ist die Energie, mit der ich für diese Ideen wirke, der Enthusiasmus, mit dem ich ihnen Alles zu opfern vermag. O, ich sage Ihnen, ich bin begeistert, der Menschheit etwas Großes zu thun, eine That zu vollbringen, die ein helles Meteor die öde Dunkelheit unseres Jahrhunderts durchbricht. Bis zum Wahnsinn geht meine Sehnsucht, dieses thatenlose Leben aufzuschrecken durch ein Wagniß, den ersten Schuß zu thun, das erste Blut für die Menschheit zu verspritzen – –.«
Der schüchterne Candidat hatte gar nicht geglaubt, daß es in seiner Zeit so thatkräftige Charaktere gebe. Er fing an einzusehen, daß die Geschichte noch nicht abgestorben sei; der enthusiastische Pole kam ihm vor wie der Held derselben, ein verklärter Danton, ein menschlicher Messias. Dieser war es, der ihn aus seinem gleichgültigen Einzeldasein in den mächtigen Strom der Geschichte gerissen hatte, mit dem Hand in Hand er Geschichte machen sollte. Mit der ganzen Hingebung und Treue seines deutschen, jugendlichen Gemüthes gehörte er dem neuen Freunde und seiner großen Sache. Hand in Hand mit ihm wollte er, die deutsche Theorie vereinigend mit der Praxis französischer Bildung, die ganze Welt in die Schranken fodern.
Um seine überschwenglichsten Wünsche erfüllt, alle seine Ideale ihrer vollen Verwirklichung entgegengehen zu sehen, fehlte ihm nur noch seine Befreiung aus dem Gefängnisse und die Delphinens aus dem ihren. Noch hatte Delphine sich ihm nicht versprochen, ihm in die weite Welt zu folgen, ja vielmehr, als Cesar ihr die Mittheilung zukommen ließ, Ernst werde von Berlin fortgehen und er selbst wolle ihr seine Unterstützung schenken, ihn zu begleiten, hatte sie den Geliebten in einem durch Cesar besorgten Briefe um ihrer Seele Heil beschworen, nichts mehr von ihr wissen zu wollen, durch keines seiner verführerischen Worte mehr die Ruhe ihres Herzens, die sie endlich erkämpft habe, von neuem zu erschüttern; sie könne und wolle nicht glücklich sein auf Erden, denn sie müsse die Schuld eines Mordes abbüßen; sie wolle leben gehorsam dem Schwur, den sie der seligen Mutter am Todtenbette gethan, und nicht mit dem Bruche dieses Eides ihre Sünden durch eine neue vermehren.
Erfüllt von den Gedanken, die ihn in gottähnlicher Seligkeit bewegten, schrieb Ernst:
»Komm zu mir, Delphine, laß mich dein Beichtvater sein, und dir sollen alle deine Sünden vergeben werden. Komm zu mir, mein geliebtes Mädchen, und lerne: Denken! Denke, was du fühlst. Laß kein Gefühl Macht haben über dich, das nicht der Gedanke geprüft, und du wirst erlöst sein von allen Sünden.
Dich drückt die Schuld, daß ein Freund aus Liebesgram um dich gestorben ist. Aber denke! Denke, was du wirklich gethan hast und thun wolltest. Hast du so gegen ihn gehandelt, daß er zum Aeußersten getrieben werden mußte? Bist du daran Schuld, daß er deine Freundschaft anders verstand, als er sie verstehen sollte? Nein, sei getrost, mein Kind, was du nicht wolltest, kann deine Schuld nicht sein. Nun du aber wirklich durch ein Vergehen die Veranlassung dessen geworden bist, was ohne dich vielleicht nicht geschehen wäre, – wir sind einmal nicht vollkommen, wir müssen alle irren. Wer aber nicht unvollkommen sein, nie irren und fehlen wollte, der könnte gar nicht leben. Ohne Irren gibt es kein Wissen, ohne Schuld keine That.
Darum: erkenne deine Schuld, und sie ist gesühnt. Denke, und du bist erlöst. Erhebe dich in das Reich der Ideen, und du stehst über aller Verantwortlichkeit.
Siehe, so bleibt von deiner Schuld nichts übrig, als der Schmerz, daß ein Unglück geschehen ist. Für uns ist das Unglück wol noch groß genug, einen theuren Freund verloren zu haben; aber der Tod des Freundes soll nicht unser eigenes Leben ertödten. Er soll uns vielmehr ein Beispiel sein, wohin das Leben führt, das dieser Welt sich ergibt, und uns zu neuem Muthe aufrufen, daß wir uns einen eigenen Weg bahnen, ein freies, reines Leben!
Und nun zögerst du, Delphine, und willst nicht mit mir auf diese Bahn, willst untergehen in der Alltäglichkeit, – weil du einen Schwur gethan. Einen Schwur! Um einen Schwur deine Liebe, dein Leben opfern! Kind, es ist eine Thorheit, einen Schwur abzulegen, es ist eine Sünde, ihm sein besseres Bewußtsein zu opfern. Denke, und du brauchst keine Eide zu schwören! Denke, und du brauchst vor keinem geschworenen Eide zu erschrecken! Deine Vernunft sagt dir, was du thun sollst in jedem Augenblicke deines Lebens. Schwörst du zu thun, was deiner Vernunft fremd ist, so ist dein Schwur eine Sünde; aber auch, schwörst du, was vernünftig ist, so kann er eine Sünde werden. Denn ist dir das, was du jetzt vernünftig findest, Vernunft für immer? Leben wir nicht, um zu lernen, und schreiten wir in der Vernunft und die Vernunft in uns nicht ewig fort?
Ja, Delphine, wirf deine Eide von dir! Das sind Gängelbänder, die für schwache Seelen passen; die starken gehen frei. Auch wir beide wollen uns keine Eide schwören. Wir denken, und das ist genug. Wozu bedarf es des Schwurs, daß du mich liebst? – ich weiß es ja; wozu des Schwurs, daß du ewig lieben willst? – wenn ich es verdiene, wirst du es thun; verdiene ich's nicht, so ist es meine Schuld; und du bist frei in jedem Augenblicke, frei, wenn du mich einzig, ewig liebst, denn du willst es nicht anders, frei, wenn ich deiner unwerth bin, denn du kannst mich verlassen.
So, Delphine, laß uns denken, aber – denken und handeln! Der Gedanke ohne That ist todt und tödtet; wenn er aber lebendig wird in uns und heraustritt in der That, dann erschließt er uns die vollkommenste Freiheit und Glückseligkeit. Lassen wir von dem freien Gedanken eine freie Bahn uns leiten, lassen wir von ihm uns herausreißen aus dem Leben, in dem Natur und Unnatur, Zufall und Zwang über uns bestimmen; schaffen wir uns ein neues, freies aus der Idee unsers göttlichen Wesens heraus!
Habe Muth, mein großes Mädchen, und wage dich an diese Aufgabe, die Erfüllung deiner Bestimmung. Sieh, das ist die Emancipation des Weibes in ihrer Wahrheit, daß es nicht gehorchen will wie ein Kind, dienen wie eine Magd, sondern daß es sich selbst besitzt als sein heiliges, ewig unantastbares Eigenthum, über das es selbst nur zu bestimmen hat. Und du, Delphine, du hast einen so reichen, bevorzugten Geist, der dich selbstständig machen kann wie einen Mann. Gebrauche deine Talente, werde eine Künstlerin, und du wirst dir eine freie Stellung schaffen, in der du Niemanden etwas dankst, für keinen Andern dienstbar zu arbeiten brauchst, sondern leben kannst den Wünschen deines Herzens, den Foderungen deines Geistes, – das Ideal eines Weibes, ein Beispiel für dein Geschlecht.
Auch ich emancipire mich, um ein Mann, ein Mensch zu sein, im wahren Sinne des Wortes, ein Mitglied der Menschheit. Nicht nur mein Leben will ich befreien, das Leben der Menschheit will ich aus seiner Unvollkommenheit herausreißen und der Vollendung der Idee entgegenfahren. Was das Gelöbniß meines Herzens war in den muthvollsten, heiligsten Stunden meiner unverdorbenen Jugend, das kann ich jetzt halten, – ein Priester der Freiheit zu werden, ein Apostel des heiligen Geistes, des Geistes der Zeit. Die Zeit ist erfüllt. Eine allgemeine Bewegung hat die Gemüther ergriffen. Die Geister sind erwacht, das Wissen wird zum Leben; o, Jahrhundert, es ist eine Freude zu leben!
Das, Geliebte meiner Seele, soll unsere Religion sein, das Evangelium für alle Wechselfälle des Schicksals, daß wir nicht nur leben in unseren eigenen, kleinlichen Absichten, in dem Wohl und Wehe unseres Herzens, sondern leben im Allgemeinen, im Ganzen unseres Geschlechts. Ein Nichts ist, wer nur an seinem Einzeldasein haftet, unendlich gleich Gott, wer lebt das Leben der Menschheit, in sich trägt das Bewußtsein der Geschichte. Leb im Ganzen, und das Ganze lebt in dir. Damit sind alle Widersprüche gelöst, alle Fragen beantwortet, alle Schmerzen überwunden. Das Leben des Einzelnen ist ein bewußtloser Pulsschlag in dem Leben der Menschheit, ein Vers, sinnlos herausgerissen aus dem Drama der Weltgeschichte; du findest keinen Zweck, keinen Anfang und kein Ende darin; aber überschaue das Ganze, schließe ihn an das Vorausgehende und knüpfe das Kommende daran, und der Vers wird sich selbst in rhythmischer Einheit zusammenschließen und die reimende Harmonie im Ganzen finden. Ob wir der Idee leben in der Wahrheit oder in der Schönheit, im Geiste oder in der Natur; ob wir ihr dienen im ernsten Dome der Religion oder im heitern Tempel der Kunst, es ist die eine göttliche Idee, die in uns Allen lebt. Nur leben muß sie in uns, heraustreten aus uns in schöpferischer That, das Ideal der Wahrheit und Schönheit gestaltend. Dann sind wir erhaben über allem endlichen Schicksal; es ist gleich, ob Sieg oder Untergang unseres Strebens Frucht wird; im Ganzen ist es nicht verloren; unaufhaltsam fließt unser Leben dahin in dem Strome des ewigen Werdens der Gottheit. Freude und Schmerz sind nur verschiedene Färbungen derselben Glückseligkeit, das Auf und Nieder des einen Pulsschlages. Wir wissen, warum wir leben, und darum sind wir an das Leben gefesselt, sodaß selbst der Schmerz uns lieber ist als das Nichtsein, nur eine andere Stufe der Wonne des Daseins.
Als wir nicht wußten, warum wir lebten, wollten wir das Leben von uns werfen; o, laß uns tapferer an das Wagniß gehen, ein solches Leben uns zu erschaffen, in dem wir die Frage nach dem Warum beantworten können. Jene Verzweiflung hatte uns zusammengeführt am Rande des Grabes; dieser Sieg wird uns ewig verbinden in der Fülle des Lebens. Derselbe Gedanke erfüllt unser beider Leben; wird er uns nicht in lebenslänglicher Liebe an einander knüpfen? Ich konnte bisher nicht lieben, weil ich vergeblich fragte, warum ich liebte; nun ich dich kenne, kann ich die Frage mir beantworten; ich liebe dich darum, du großes, herrliches Mädchen, weil dieser eine Gedanke in uns beiden lebt, der uns beide zugleich unendlich glücklich machen wird. O, komm zu mir, laß dieses Glück sich erfüllen! Fasse den Muth, den ersten Schritt zu thun, in das weite Leben hinein. Ich kann dir im Augenblicke die Hand nicht reichen. Ein eigensinniger Zufall hält mich gefangen. Doch kannst du nicht länger zögern; vertraue dich unserm Cesar; er hat schon den Plan gefaßt, wie er dich für deine Freiheit rauben und mir bewahren will. Folge ganz seinem Rathe; er ist unser treuster Freund wie es ist der deinige
Ernst.«
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