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Drittes Capitel.

Die Woche vom Montag zum Sonntag war vergangen. Am Sonntag trat Ernst zum ersten mal wieder auf die Kanzel. Die Mutter hatte ihn mit den welken Lippen geküßt, als sie ihm die weißen Schläppchen umband; des Vaters Segen entließ ihn zur Kirche. Er predigte mit einer so reinen dialektlosen Aussprache und so pathetischem Vortrage, wie man es in Hansdorf noch nicht gehört hatte; die ganze Gemeinde war gerührt: hatte man auch nicht verstanden was er predigte, es war doch gut gepredigt! Aennchen und die Mutter weinten, zu Hause empfing ihn der Vater mit neuem Segen und es flossen wieder Thränen. Aber Ernst's Augen blieben bei alledem trocken und seine Mienen waren gleichmäßig düster.

Auch der Sonntag verging und der Montag, und der Dienstag kam heran, an dem der bewußte Polterabend sein sollte, der Aennchens Herz so schwer drückte. Schon seit Monaten hatte sie an dieses Fest gedacht, seit Wochen Vorbereitungen dazu gemacht; der »neue Doctor« aus der Kreisstadt hatte ihr ein Gelegenheitsgedicht gemacht, und allen Freundinnen hatte sie eine große Ueberraschung versprochen. Sie hatte damit den Vetter gemeint, aber jetzt konnte sie gar nicht denken, daß er mitkommen werde; er hatte noch kein Wort davon gesprochen, und sein ganzes Wesen erschien ihr so absonderlich verehrungswürdig, daß sie ihm die Theilnahme an dieser weltlichen Gesellschaft nicht zutraute. Ohne den Vetter aber wollte sie nicht erscheinen, vor Niemandem konnte sie mit ihrem getäuschten Herzen sich sehen lassen.

Die Tante, die mit ihrer Milde stets auszugleichen suchte, hatte die Verwandlung an dem Kinde wohl bemerkt. Sie frug Aennchen, warum sie ihre Steifröckchen zum Feste nicht bügele; und als diese mit einem Gesichte, dem es schwer wurde, nicht zu weinen, antwortete: »Ach, ich gehe nicht!« da stellte sie sich erstaunt und frug: »Du wirst doch Ernst nicht allein gehen lassen?«

»Ernst?« frug Aennchen zweifelnd, mit einem Lächeln, das schon die auflebende Hoffnung verrieth; »wird der denn hingehen?«

»Wenn seine erste Jugendflamme Polterabend hat, wird er doch nicht fehlen?« So antwortete die Tante und versprach, ihn dazu zu bewegen.

Nun wurde Aennchen wieder froh. Sie hantirte mit dem Bügeleisen, und sprach das auswendig gelernte Gedicht vor sich hin.

Nach Tische mußte Ernst, auf Veranlassung der Mutter, bei seiner Cousine sich für das herzhafte Zugemüse von Stachelbeeren bedanken und ihr eine Gefälligkeit versprechen, ohne zu wissen welche. Als Aennchen, ihn schelmisch spannend, den Inhalt des Gelöbnisses, sie auf den Polterabend zu begleiten, wortweise herausgebracht hatte, machte er zwar ein bemerklich langes Gesicht, aber er mußte sich fügen.

Bald war Aennchen fix und fertig, in ihrem weißen Kleide mit rothen Schleifen und einem frischen Blumensträußchen am Busen. Ernst hatte die schwarzen Beinkleider und den Sonntagsfrack angezogen und erschien Aennchen bewundernswürdig stattlich. Sie gab ihm die große Plundertasche und das karirte Umschlagetuch zu tragen, denn diese Dienste, meinte sie, gehörten mit zum Versprechen der Begleitung; und unter dem rothen Familienregenschirme gegen die stechenden Sonnenstrahlen geschützt, wanderten sie Arm in Arm der eine Stunde weit entlegenen Wassermühle zu. Aennchens genügsame Seele war überglücklich; sie hatte für den Augenblick was sie wünschte, und durch Gedanken an die ferne Zukunft sich trüben zu lassen, war nicht ihre Art. Auch Ernst wurde ganz zutraulich; er bezeigte ihr zwar keine Zärtlichkeit weder in Wort noch Blick, aber er war so gefällig und zuvorkommend, daß sie seine freundliche Gesinnung wohl erkannte. Was sie aber am meisten freute, war, daß er beim Gehen ein Liedchen zu pfeifen anfing, wie er es früher mit den Bauerjungen gewohnt war. Aennchen klang dieser Gassenhauer wie ätherische Seelenharmonie; das Herz klopfte ihr vor Freude, den Vetter so menschlich zu finden. Stolz vor Erwartung, wie alle ihre Jugendfreundinnen ihren Begleiter bewundern und um ihn sich reißen würden, näherte sie sich dem hochzeitlichen Hause.

Aber schon beim Empfange fing sie an enttäuscht zu werden. Der alte Wassermüller, ein mürrischer konfuser Kauz, der heute den glücklichen Gastgeber machen mußte, schnitt bei der Bewillkommnung ein fürchterlich freundliches Gesicht, schien aber durch Ernst's vornehm kaltes Benehmen, in dem er den fremdgewordenen Stadtherrn nicht verkennen konnte, verletzt. Die Braut und ihre Mutter waren außer sich vor Freude, Wagner's Ernst, den sie anfangs kaum erkannten, wiederzusehen. Auch Riekchens Bräutigam, der immer lustige Gruber-Christian, begrüßte ihn mit seinem von Gesundheit und Glück strahlenden dicken Gesichte, indem er sich bemühte, die Fidelität eines alten Studenten gegen seinen frühern Spielkameraden anzunehmen. Ernst aber wurde plötzlich, wie Aennchen bemerkte, durch den Anblick der Braut finster und vermochte nur mit sichtbarem Zwange die Begrüßung zu erwidern, so daß Aennchen alle ihre gute Laune wieder verlor. Woran sie nicht und kein Mensch seit Jahren gedacht hatte: sollte Ernst noch in Riekchen verliebt sein? Aengstlich erfüllte sie diese Sorge, aber sie konnte sich ihr nicht hingeben. Sie war trotz ihrer Jugend das Haupt des Mädchenkreises ihrer Gegend und konnte sich am wenigsten heute dem Treiben ihrer Gespielinnen entziehen. Der alte Wassermüller war ein solcher Brummbär, daß er Niemandem ein Glück gönnte; so hatte Riekchen es anfangs nicht einmal wagen dürfen, ihm von Christian's erklärter Liebe zu sagen, um die sie alle Mädchen beneideten, weil er reich und gesellig war. Damals mußte Aennchen die Zwischenträgerin in den Hinterlisten des heimlichen Paares machen, wofür sie den Beinamen der »Geheimeräthin« erhielt und heute als die wichtigste Person des Polterabends angesehen wurde.

Sobald die Festgeber begrüßt waren, drängte sich das Dutzend junger Mädchen, das schon versammelt war und Ernst mit großen Augen angestaunt hatte, um die Geheimeräthin, und es entstand ein Geflüster und Gekicher, in dem keine Etwas hörte, da jede das Wichtigste zu sagen hatte. Nur die lange Jette, die von allen Andern schon seit zehn Jahren zu den alten Jungfern, von sich selbst aber noch immer zu den jungen Mädchen gerechnet wurde, hatte den Vortheil, daß sie, über die Andern hervorragend, von Allen gehört werden mußte; und auf dem Absatze sich herumdrehend, sagte sie spöttisch zu Aennchen, so daß man es in der ganzen Stube vernahm: »Ich gratulire, Jungfer Braut!«

Aennchen wurde so unendlich weh zu Muthe, wie wenn ihr eine offene Wunde mit spitzen Nadeln berührt würde. Zu ihren getäuschten Hoffnungen noch dieser Hohn! Sie hätte vor Scham in die Erde sinken mögen. Glühend heiß fühlte sie wie der Purpur ihre Wangen überlief. Während ihre Mundwinkel sich zum Weinen verzogen und das Herz ihr hätte brechen mögen, mußte sie sich zum Lachen zwingen.

Die Gesellschaft war fast vollzählig versammelt. Der neue Doctor aus der Kreisstadt trat an Ernst heran und begrüßte ihn höflich mit gewandter Zuvorkommenheit, indem er seine Freude äußerte, einen aufgeklärten Meinungsgenossen zu finden.

Der junge Mann mit dem großen dunklen Barte und struppigem Haare, der mit zusammengekniffenen, grimmigen Mienen immer allein stand, war der Verwalter Kilian, der, wie alle Leute wußten, sterblich in Aennchen verliebt war. Er war ein solider Mensch, von einem ansehnlichen Vermögen, und trotz seiner verbissenen Physiognomie eine so gutmüthige Seele, daß er den Spott, den alle Welt mit seiner Ungeschicklichkeit trieb, die ihm den Namen »Taper-Kilian« zugezogen hatte, nicht wehren konnte, sondern statt dessen in einen stets verlegenen Trotz sich zurückzog und fast menschenscheu geworden war. Als er den ihm unbekannten Ernst betrachtete, ging die boshafte Jette auf ihn zu, und, indem die andern Mädchen mit neugieriger Schadenfreude zusahen, flüsterte sie ihm zu, das sei der glückliche Bräutigam seiner unglücklichen Liebe. Sichtbar ging das Blut ihm ins Gesicht; er konnte kein Wort hervorbringen. Das Fest war ihm nun verdorben. Er zog sich an einen Fensterpfosten zurück und postirte sich stumm und unbeweglich wie eine Bildsäule.

Als man eben ans Kaffeetrinken und Kuchenessen gehen wollte, erschien noch mit festem anspruchsvollen Auftreten eine lange feierliche Gestalt, in Begleitung dreier Buben, die man an der gleichen Derbheit der Manieren für die hoffnungsvollen Söhne erkennen mußte. Das ganze Wesen des Mannes war aus dem Groben gearbeitet. Stark traten die Knochen im Gesicht hervor; auf der heraufgezogenen Oberlippe lag eine gewaltige Selbstschätzung; hinter den buschigen, zusammengezogenen Augenbrauen schien rechthaberische Strenge ihren Sitz zu haben. Die borstigen Stoppel des schlecht rasirten Kinnes rieben sich fast hörbar an der weißen Binde des langen Halses. Die Hosen und der lange Ueberrock von schwarzem Tuch hatten nicht durch das geringste Stäubchen ihren Glanz verdeckt, vielmehr waren sie, wahrscheinlich in Folge des eifrigen Bürstens der »Jungens«, durch einen weißlichen Schimmer verherrlicht, der die preußisch-patriotische Färbung seiner Gesinnung wiederspiegelte; an andern Stellen offenbarten sich durch starken Zwirn die conservativen Bestrebungen der »Mutter«. Es war das der Pastor Striegnitz Ehrwürden, der Nachbar des Pastor Wagner. Er hatte auf dessen bessere Pfründe gerechnet, so lange Ernst für das verlorengegangne Schäflein galt; jetzt wurde er sein Nebenbuhler, und dieser konnte ihn deshalb nicht als seinen besten Freund vermuthen.

Als Ernst ihn begrüßte, that er als erkenne er ihn nicht; endlich besann er sich auf ihn. Ernst, der den Grund dieser Verstellung fühlte, entschuldigte sich, daß er dem Herrn Pastor noch keinen Besuch abgestattet habe.

»Bitte, bitte«, erwiderte dieser. »Müssen wol sehr fleißig sein? Erste Predigten kosten viel Zeit, viel Zeit! Mir auch so gegangen, als ich Anfänger war.«

Als Ernst ihm sagte, daß er seine Predigten in zwei bis drei Stunden niederschrieb, sagte er: »Sie schriftstellern viel, Herr Candidat, nicht wahr? schriftstellern viel?«

Ernst wußte sehr wohl, welcher Hohn und welcher Haß für den Herrn Collegen in dem Worte »Schriftstellern« lag. Diese Begegnung hatte ihn tief verletzt und verstimmt; er zog sich von Herrn Striegnitz und von der ganzen Gesellschaft zurück. Er stellte sich dem Taper-Kilian gegenüber an den andern Fensterpfosten und half ihm – stumm sein.

Die andern Gäste waren nicht wenig verwundert, in dem Herrn aus der großen Stadt einen so schlechten Gesellschafter zu finden. Der junge Arzt, der sich jetzt bei Herrn Striegnitz liebenswürdig machte, erklärte ihn für einen abgelebten Roué. Von den Mädchen nannte eine ihn einen »stolzen Herrn«, die andre einen »Frommen« die dritte sah in ihm einen »Menschenfeind«; die lange Jette endlich gab der Sache den Ausschlag und nannte ihn: »Taper-Kilian der Zweite.«

Diese Gerichtssprechung ward in Aennchens Abwesenheit vorgenommen. Plötzlich wurde den Gästen vom Doctor Ruhe geboten. Es öffnete sich die Thür und eine sonderbare Figur trat in das Zimmer. Eine kleine, schmächtige Gestalt in weißen Beinkleidern und einem alten Invalidenrock, eine weiße Perrücke mit langem Zopf auf dem Haupte, einen dicken, schwarzen Schnurrbart auf der Oberlippe und daneben die muntersten, blauen Augen und die zartesten, rosenrothen Wangen – es war Niemand anders als Aennchen, zum Guckkastenmann verkleidet. Sie stellte ihr Bilderhaus auf den Tisch und sang:

»Hier, meine Herren, ist zu sehn,
Wie die Geschichte ist geschehn.
Daß Müllers Rieke hat gekriegt
Den Christian mit dem Mopsgesicht.«

Ein schallendes Gelächter folgte auf diese Verse. Manche der Gäste, denen Verkleidungen etwas Ungewohntes waren, konnten ihr Graun kaum jetzt bei der überraschenden Erkennung loswerden.

Der alte Invalide öffnete nun den Guckkasten und zeigte Bild für Bild ein Ereigniß aus der Liebesgeschichte des neuen Paares, und zu jedem sang er mit seiner sanften Stimme einen passenden Reim. Neues Gelächter lohnte jeden Vers und der Bräutigam Christian selbst lachte am meisten; er konnte sich gar nicht zufrieden geben vor Ueberraschung, abgemalt und besungen zu sein, er konnte seine Freude nicht aussprechen, sondern nur seine Braut unter den Arm nehmen und bei jedem neuen Bilde in wieherndes Lachen ausbrechen. Es war geschildert, wie sie sich zum ersten mal auf der Kirmeß sehn, dann in der Kirche, wie er sie zum Jahrmarkt beim Conditor tractirt, wie sie sich Brieftauben senden u. s. w. Unter Anderm hieß es: »Prrr! ein ander Bild!«

»Auf diesem Bilde ist zu sehn.
Wie er und sie zum Tanze gehn;
Er holt sie bei dem Scheunthor ab.
Wofür sie einen Kuß ihm gab.

Doch der Papa steht vor dem Haus
Und denkt: »Sie will gewiß heut aus,
Doch warte, Rieke, ich krieg dir schon«,
Indessen sind sie längst davon.«

Da sprang Christian vor Lust in die Höhe, daß der Brummbär, der alte Wassermüller, nun zu all den verbotenen Streichen nicht mehr brummen könne, und gab seiner Braut einen Kuß, daß der Alte es mußte schmatzen hören.

Der alte Wassermüller mußte selbst in den Guckkasten sehen, wie er mit langer Nase und wüthender Fratze als der Geprellte dastand, und mußte auch dazu noch sein fürchterlich freundliches Gesicht grinsen.

Nachdem nun alle möglichen komischen Begebnisse aufgetischt waren und die Gesellschaft sich tüchtig ausgelacht hatte, sagte der zarte Invalide noch einmal: »Prrr! ein ander Bild!« Aber jetzt schloß er den Kasten, stellte sich davor und, mit einer freien Handbewegung auf die Gesellschaft weisend, sang er mit langsamerem Tacte:

»Hier endlich ist das letzte Bild,
Wo manche Freundesthräne quillt.
Weil sie von uns jetzt Abschied nimmt,
Wozu wohl dieses Liedchen stimmt.«

– und nun sang sie mit rührend einfacher Stimme in wehmüthigem Tone ein Gedicht nach der Melodie des schönen Abschiedsliedes mit dem wiederkehrenden Schlusse:

»Ade nun, ihr Lieben, du väterlich Haus,
Es führt sie die Liebe zum Glücke hinaus!
Juvivallera, juvivallera …«

Und Aennchens Lied paßte gut zu dem lebenden Bilde: ein Auge nach dem andern wurde feucht. Am meisten weinte die Braut, und auch der immer lustige »Christiäne« konnte sich der Thränen nicht enthalten; er war ihrer so ungewohnt, daß er ein entsetzlich saueres Gesicht dabei machte und, um seine Pein loszuwerden, Aennchen ein mal unterbrach: »Nein, hör auf, du machst es zu schön, zu schön!«

Am schwersten von Allen wurde es Aennchen, ihrer Gefühle Herr zu werden. Sie fühlte heute zum ersten male, daß der Mensch ein doppeltes Wesen sein könne, das, was er ist, und das, was er scheinen muß. Während sie lustig erschien, hätte sie weinen mögen, darüber weinen, daß die Menschen so glücklich sein können und sie es so gar nicht war. Wie wohl wurde ihr, als sie in dem wehmüthigen Abschiedsliede endlich ihre eigne Stimmung ausdrücken konnte. Der sanfte Gesang klagte ihren Schmerz so natürlich und einfach, wie ihr Gemüth war, und aus den ernst leuchtenden Augen blickte dieselbe Empfindung, welche die zitternde Stimme aussprach. Manchmal zuckte es ihr in den Lippen und das Wasser stand ihr am Rande der Augen, aber sie vermochte sich zu beherrschen. Als sie den letzten Vers beendet hatte und in der ungewohnten Kleidung verlegen um sich blickte, klatschte der Christiäne übermäßig laut in die Hände; indem ihm die Thränen über das verzogene Gesicht rollten, machte er seinem aufgerührten Gefühle in wieherndem Lachen Luft, küßte seine Braut und umarmte dann Aennchen, indem er sie scherzhaft laut abküßte. Da, von der Berührung der männlichen Lippen erschüttert, brach sich ihre zurückgedrängte Empfindung Bahn; die Thränen stürzten ihr aus den Augen, heftiges Schluchzen drang aus ihrer Brust; sie war einen Augenblick ihrer selbst nicht mächtig, es war ihr so unendlich wohl, wieder ganz einig, ganz Schmerz zu sein. Aber sie war ein starkes Mädchen und im nächsten Augenblick hatte sie sich auch wieder gesammelt. Noch unter Thränen auflachend, riß sie sich aus Christian's Armen; in schelmischem Uebermuth gab sie ihm für seine spaßhafte Zärtlichkeit einen Backenstreich, der bei ihrer heftigen Bewegung derber ausfiel, als sie beabsichtigt hatte und durch das ganze Zimmer schallte. Dann fiel sie Riekchen um den Hals, gab ihr einen tüchtigen Kuß und der alte Invalide war mit seinem Guckkasten leichtfüßig wie ein Reh aus dem Zimmer entsprungen.

Schnell hatte sie das weiße Kleid wieder angelegt. Mit glühenden Wangen kam sie ins Zimmer zurück. Sie sah Ernst mit übereinandergeschlagenen Armen am Fenster stehen, die Brauen böse zusammengezogen, aber darunter den wehmuthvollen Blick seines tiefen, dunkeln Auges. Unaussprechliches Mitgefühl ergriff sie für den unverständlichen Geliebten. Sie vergaß sich einen Augenblick bei dem Wunsche, ihr Leben ihm opfern zu können, um seine Leiden zu beschwichtigen, und ließ ihr Auge unwillkürlich nachdenkend an ihm haften, als die lange Jette ihr schadenfroh ins Ohr flüsterte: »Taper-Kilian der Zweite.« Da schien es ihr, als müsse sie bei Ernst ihre Gespielinnen, die ganze Welt, die sie umgab, vergessen lernen; sie hätte gleich ihm von etwas unendlich höher Geahntem träumen mögen; aber sie durfte sich um des Himmels willen Nichts merken lassen; dieser neue Stich ins Herz stachelte sie nur zur Ausgelassenheit auf. Während sie sonst bei den Spielen die Zügelnde war, ging sie heute in den Tollheiten voran. »Wie heiß ist es!« klagte sie und floh in den Garten, die Schaar der Mädchen ihr nach. Alle Spiele und Scherze der Kindheit wurden heute noch einmal mitgemacht, so wild wie je. Oft war es ihr mitten in den ausgelassensten Neckereien, als müßte sie den Flitterstaat von sich werfen und fliehen einsam in ihr Kämmerchen, um zu Gott zu beten und sich so recht auszuweinen.

Indeß war es im Garten zu dunkel und zu kühl geworden, und die jungen Mädchen kehrten in die Stube zurück. Herr Pastor Striegnitz entfernte sich mit seinen »Jungens«, die sich heute für die drei vorhergehenden Tage, die sie gehungert hatten, und auf die drei folgenden, die sie zu fasten hofften, zu seiner eigenen sehr großen Zufriedenheit satt gegessen hatten. Nun fand sich der Herr Doctor nicht mehr veranlaßt, von den Spielen der jungen Damen abzustehen. Der Bräutigam, Verwalter Kilian und die andern ländlichen Cavaliere schlossen sich gern an, und Ernst konnte sich auch nicht zurückziehen.

Das ausgelassene Aennchen versprach, ein Spiel einzurichten. Es wurden so viel Stühle, als Mitspielende waren, dicht neben einander in einen Kreis gerückt, die Lehnen nach innen gekehrt. Nach außen zu setzten sich die Spielenden, nur ein Stuhl blieb leer und ein Mitspielender blieb ohne Stuhl; derselbe mußte es nun darauf absehen, den unbesetzten Platz einzunehmen, indem die Sitzenden immer nach rechts hinüberrückten, um ihn zu besetzen. Das Spiel fand vielen Beifall. Wie zart waren oft die Berührungen, indem man nachbarlich dicht neben einander herrückte! Wie süß war der Irrthum, wenn der Suchende sich verspätete und auf einen Schoos statt auf den Stuhl sank. Alles jubelte dann auf bei solchen komischen Mißgriffen; Aennchen war am wildesten, und selbst Kilian wurde heiter und lachte tüchtig mit. Mit einem mal, indem er sich recht über das Spiel freut, ist der leere Stuhl zu seiner Rechten, ehe er es sich versieht, von dem Suchenden besetzt und Taper-Kilian ist »dran.« Er machte seinem Namen alle Ehre und taperte hin und her, ohne den bald hier bald dort auftauchenden und gleich auch verschwundnen Platz erwischen zu können. Lief er nach rechts der Richtung des Nachrückens nach, so konnte er ihn nicht ereilen, lief er nach links der Richtung entgegen, so war er bei ihm vorbei, ehe er es sich versah. Kilian gereichte der jungen Gesellschaft zum Gelächter; um so unbeholfener und verwirrter wurde er; gab er das Spiel auf, so machte er sich nur mehr lächerlich, und blieb er dabei, so wurde er fort und fort verhöhnt. Die alte Jette machte sich die Schadenfreude, sich mitleidig zu stellen, den Stuhl neben sich offen zu lassen, Kilian freundlich zu rufen, und im Augenblick, wo er sich setzen will, selbst nachzurücken, so daß er sich auf ihren Schoos setzte und sie ihn zum Gelächter der Gesellschaft streichelte. Nun sah man es ihm an, daß er böse wurde. Wie wüthend rannte er hin und her, die Gesellschaft lachte nur um so toller und Aennchen am tollsten mit. Plötzlich sieht er den Stuhl sich ganz nahe freistehen, Aennchen hat ihn leer gelassen; er denkt, es ist Gutmüthigkeit von ihr, er stürzt darauf los, setzt sich nieder, aber – er sinkt auf den Boden: das wilde Mädchen hat den Stuhl hinter ihm fortgezogen. Der Scherz war ebenso unschuldig, wie die andern, aber er lief unglücklicher ab; Kilian stieß sich den Hinterkopf an der Kante des Stuhles, so daß es durch das Zimmer dröhnte. Ein »Ach!« entfuhr aus jedem Munde. Blaß vor Schreck sprang Aennchen zu Hülfe. Der Kopf war blutig. Im Augenblick war sie zur Thür hinaus, frisches Wasser zu holen. Der junge Doctor untersuchte die Wunde; er fand sie ganz ungefährlich. Aennchen schlug ein nasses Tuch darüber. Kilian versicherte, es sei Nichts und wollte selber weiterspielen; aber die Lust war vorbei. Aennchen war wie niedergedonnert; aus ungemessener Ausgelassenheit verfiel sie in trostlose Niedergeschlagenheit; sie machte sich Gewissensbisse wegen ihrer Schadenfreude gegen den bedauernswürdigen, herzensguten Menschen und ein tiefes Weh zog in ihr Gemüth ein.

Man versuchte noch zu spielen; aber es kam nicht mehr zu Stande, weil Aennchen es nicht mehr leitete. Es war gegen elf Uhr und man brach auf. Aennchen wollte Kilian um Verzeihung bitten, aber sie mochte nicht zu ihm treten, denn er saß mit einigen jungen Burschen und leerte den kalten Rest des Punsches. Herzlicher Abschied wurde genommen, wozu der alte Müller zum ersten mal am ganzen Abend ein aufrichtig vergnügtes Gesicht machte. Ernst war auch dabei kalt; er reichte seiner Gespielin nicht die Hand und fügte keinen Glückwunsch für ihren neuen Lebensweg zu denen der Andern, wie man es von einem Geistlichen am meisten erwartet und geschätzt hätte; er blieb der fremde städtische Herr und sagte kurz: »Ich empfehle mich, Fräulein Riekchen.« Diesmal fühlte Aennchen über seine zurückhaltende Kälte keinen Verdruß.

Vor der Thüre bot Ernst ihr den Arm, die sonst gewohnt war, ihn selbst von ihm zu fodern. Er nahm ihr freiwillig die »Plundertasche« ab, die jetzt nur den mitgenommenen Kuchen enthielt, und trug die Laterne. Auf dem Wege sprach er anfangs ein paar Worte zu seiner Begleiterin; dann schritt er wieder stumm vor sich. Sein Gang wurde rascher und rascher, und er schien an das mitschreitende Mädchen nicht zu denken. Anna war todtmüde von den Empfindungen des Tages; Leib und Seele waren so matt; sie hätte sich auf das platte Feld schlafen legen mögen und nie wieder erwachen, wie ein todtes Vögelchen. Aber fort und fort mußte sie den ungestümen Schritten des Mannes folgen, der ihre Liebe nicht kennen wollte, wie er jetzt ihre Begleitung zu vergessen schien. Das rasche Gehen schien ihm selbst schwer zu werden, denn er athmete tief auf, und jetzt seufzte er und jetzt noch einmal. Zitternd hing Anna an seinem Arm; sie wagte kein Wort zu ihm zu reden; als er aber seufzte, blickte sie ihm von der Seite ins Gesicht; der Schein der Lampe flog darauf hin und wieder. Ach! so böse und finster hatte sie ihn noch nicht gesehen. Ein Schauer fuhr durch ihre Seele. In dem Augenblicke blitzte es; sie schrak zusammen und mußte ihre ganze Kraft anwenden, um ihm folgen zu können. Es donnerte und einzelne große Regentropfen fielen auf ihre Hand und schlugen an die Glasscheiben der Laterne. Sie wurden von Augenblick zu Augenblick häufiger. Ernst schien sie nicht zu bemerken und dachte nicht daran, den Regenschirm aufzuspannen. Endlich als sie fürchtete durchnäßt zu werden, gewann Aennchen den Muth, ihren Begleiter zu erinnern: »Ernst, es regnet.«

»Ja, willst du nicht den Schirm aufspannen? Wo hast du ihn?« frug er und war so zerstreut, daß er vergaß, wie er selbst ihn in der Hand trug.

»Geh nicht so rasch«, bat das Mädchen, als sie den Muth, zu sprechen, gewonnen hatte. Sogleich mäßigte Ernst seinen Schritt und bat sie um Entschuldigung.

Es regnete immer heftiger. »Hier sind wir an den großen Kastanienbäumen«, sagte Aennchen, »wir wollen untertreten, bis der Gewitterschauer vorüber ist.«

Er war gern dazu bereit. Sie traten unter die Bäume, Ernst stellte die Laterne an die Erde; ihr Schein fiel in Aennchens Gesicht; sie war blaß und zitterte vor Frost. »Dir ist kalt?« frug er theilnehmend.

»Nicht sehr«, antwortete sie, um ihn nicht besorgt zu machen.

Das Gewitter brach nun mit allen seinen Schrecken über sie herein. Der Regen goß stromweise vom Himmel; der ganze Himmel stand oft in Flammen und rings lag das Feld Augenblicke lang hell am am Tage; der Donner folgte krachend unmittelbar auf den Blitz.

Aennchen, ermattet zugleich und aufgeregt, wurde von der Macht überwältigt, die diese Naturerscheinung auf den Menschen ausübt; sie wurde durchschüttelt von Angst und Frost.

»Du zitterst ja am ganzen Leibe, lehne dich an mich, damit du dich stützest«, sagte er sorglich, indem er sie bescheiden mit seinem Arm umschlang und an seine Brust drückte.

Das Gefühl, dem unglücklich geliebten Manne so nahe zu sein, erhöhte noch den Krampf ihrer Empfindung; sie zuckte zusammen, daß Ernst es fühlte. Da widerfuhr ihr noch ein Schreck, der sie der Ohnmacht nahe brachte. Jenseits des Weges sah sie plötzlich im Leuchten des Blitzes eine dunkle, gespenstige Gestalt stehen, mitten im Gusse des Regens mit entblößtem Kopfe. Laut mußte sie aufschreien, und sich fest an ihren Begleiter anklammern.

»Wer da!« rief Ernst in männlicher Entschlossenheit mit starker Stimme. Es antwortete nicht, und das eingetretene Dunkel ließ Nichts erkennen. »Wer da!« rief er noch einmal und drohte mit dem Arm hinüber. Sie hörten einen Seufzer über den Weg stöhnen. Neue Helle des Blitzes zeigte ihnen die räthselhafte Gestalt querfeldein entfliehen.

Ernst wandte jetzt zärtliche Sorgfalt auf Aennchen, die krampfhaft bebend sich an ihn klammerte. »O, fürchte dich doch nicht, mein Kind; ich schütze dich ja, ich bin ja bei dir, mein liebes Aennchen;« so bat er sie beruhigend in einem liebevoll milden Ton, den sie gar nicht an ihm kannte.

Sie richtete ihre angstvollen Augen zu ihm empor und sah, wie er mit leuchtendem Blicke an ihr hing, hinter dem eine zärtliche Unruhe wohnte, die sie ihm gar nicht zugetraut hatte.

Mehreremale begegneten sich ihre Blicke. Sie sah, daß er die Lippen öffnete, als habe er etwas auf dem Herzen, wozu er nicht die Worte finden konnte.

»Schmiege dich fest an mich, liebes Kind, damit du dich wärmst«, sagte er mit bebender Stimme und drückte sie fester an sich.

Ruhig ließ sie es geschehen. Gewaltig pochte ihr das Herz. Was war das plötzlich für eine neue Sprache von ihm!

Wieder nach einer Pause küßte er sie auf die Stirn, preßte sie heftig an sich und stammelte: »Anna, Anna!« Sein Blick war finster, aber voll tiefer, weicher Empfindung.

Vor Freude und Angst zugleich war sie nahe daran, die Besinnung zu verlieren. »O Gott! – Was thust du! – Das ist nicht recht von dir!« mehr konnte sie nicht sagen; vor Beben schlugen ihr die Zähne zusammen. Matt wie eine geknickte Blume ließ sie den Kopf an seinen Busen sinken.

»Was ist nicht recht von mir? Soll ich nicht dein Beschützer sein? Kannst du dich nicht in meinen Armen sicher fühlen? Anna, willst du dich mir anvertrauen, willst du mich lieben?«

»Hast du's nicht längst errathen? Ach, guter Ernst!« sprach sie und schmiegte sich innig an ihn an.

»Anna! Anna!« rief er laut mit bewegter Stimme. Sie schlossen einander in die Arme. »Sei meine Braut! O, ich brauche viel, viel Liebe!« bat er sie.

Sie beantwortete seine Bitte, indem sie sich fest an ihn klammerte. Im Nu war ihre Todesmüdigkeit verschwunden; starke, glückliche Empfindung richtete die Blume erfrischt empor. Herzhaft küßte sie den geliebten Mann; sie ward seine Braut.

Es hatte aufgehört zu regnen. Das junge Paar konnte seinen Gang beenden. Ernst war wieder stumm, aber er drückte ihren Arm zärtlich an sich. Er ließ sie jetzt Schritt nehmen, so langsam sie wollte, und richtete sich nach ihr. Ungestört gelangten sie vor dem Pfarrhause an.

Bevor Ernst an die Thür pochte, drückte er die süße Braut noch einmal an seine Brust. »Anna«, sprach er in wehmuthsvollem Tone, »Anna, du bist mein einziges Glück. Ich habe außer dir Nichts – Nichts auf der Welt!«

Sie blickte mit überglücklichem Lächeln ihm in die ernsten, blassen Züge. Was sie noch nie empfunden, daß ein Mann schön sein könne, das fühlte sie heute mit entzückter Glückseligkeit.

Noch einmal küßten sie sich, dann pochte er an die Hausthür. Hanne, die sie erwartet, öffnete ihnen und gab Ernst ein Licht. Er reichte seiner Braut die Hand. »Gut Nacht, Anna« – »Gut Nacht, Ernst« sagten sie sich und er ging die Treppe hinan.

Bald ging auch Anna hinauf. Als sie in ihrem Zimmer angekommen war und die Thür verriegelt hatte, warf sie Tuch und Hut ab. Sie breitete die Arme aus, als wolle sie die leere Luft umfangen; gefaltet preßte sie dann die Hände vor ihr Herz; sie mußte beten, aber sie konnte ihren weiten Gefühlen keine andern Worte geben, als: »Lieber, lieber Gott! Du guter, lieber Gott!« Sie hörte draußen im Garten die Nachtigall singen und öffnete das Fenster. Das Gewitter hatte sich verzogen und eine erfrischende, stille Nacht war über die Erde ausgebreitet; der Mond und die Sterne blickten durch die Wolken. Wieder streckte das entzückte Mädchen die Arme verlangend vor sich aus; sie hätte die Nacht umarmen mögen. Dann faltete sie wieder still die Hände und betete: »Süße, heilige Nacht!« Träumend schaute sie in das gestaltenlose Dunkel und lauschte auf den Klang der Nachtigall. Süße Ahnung umfing sie, wie hold die Nacht ihr sein werde. Mit heiterem Gleichmuth konnte ihre Seele von der Vergangenheit und von der Zukunft träumen; sie fühlte sich in ihrem Glücke über die Zeit hinweggesetzt und empfand einen Augenblick der Ewigkeit. Ein kühles Lüftchen, das an ihrem Busen vorüberhuschte, weckte sie aus dem Sinnen. »Gut' Nacht, süße, heilige Nacht«, flüsterte sie in feierlicher Entzückung und wollte das Fenster schließen; da vernahm sie ein Geräusch von unten her. Sie horchte auf und hörte deutlich dasselbe Seufzen, wie auf dem Wege unter den Kastanien. Sie blickte aus dem Fenster. Ha! klammert sich dort nicht eine Gestalt an den Stacketenzaun? Das Gesicht ist nach dem Fenster gerichtet und der Mond scheint in die unbeweglichen Züge.

»Wer ist da?« hat sie den Muth, hinabzurufen. Es antwortet nicht. Noch einmal ruft sie und immer keine Antwort. Entsetzen erfaßt sie: ruft sie einem todten Angesichte zu?

Sie weckt Hanne, die neben ihr schläft. Sowie diese aus dem Fenster blickt, fährt sie erschreckt zurück: »ein Dieb! ein Dieb!«

Sie wecken Ernst; halb angekleidet tritt er hinzu. Er ruft von neuem aus dem Fenster, wieder und immer wieder keine Antwort. Aber die Gestalt und das blasse, gespenstig starrende Gesicht ist deutlich zu sehen. Hanne muß die Laterne anstecken. Ernst holt seinen Reisestock und will hinausgehen; Anna gibt es nicht eher zu, bis er sie mitgehen und die Laterne tragen läßt.

Sie treten vor die Hausthür. Sie sehen deutlich von hinten die Figur mit den Armen an die Stacketen angeklammert. Ernst ruft noch einmal und wieder vergeblich. Entschlossen tritt er an den Mann heran, packt ihn und eisiges Grauen fährt ihm durch die Glieder: er schüttelt einen leblosen Körper. Durch die Bewegung sinkt der Kopf des Mannes zur Seite. Anna, die muthig gefolgt ist, leuchtet in das Todtengesicht.

»Kilian!« schreit sie entsetzt auf. Ernst, schnell entschlossen, macht die Hände von dem Zaune los, den sie krampfhaft umkrallten, und schleppt den leblosen Mann in das Haus.

Als er näher untersucht wird, finden sie ihn noch warm; sein Puls schlägt noch; er ist nicht todt, nur erstarrt. Die Frau Pastorin wird geweckt, der Bader geholt. Durch Reiben und starke Essenz ist der Besinnungslose nach einer Viertelstunde ins Leben zurückgerufen.

Scham über sich selbst war sein erstes Gefühl, als Kilian erwachte und über seinen Zustand klar wurde. Man wollte ihn in ein Bett legen; er litt es durchaus nicht. Schnell raffte seine starke Natur sich wieder auf, nur warme Kleidung nahm er von den Hülfeleistenden an; dann ließ er sich von Ernst und dem Bader nach Hause geleiten.

Endlich kam nun Aennchen zur Ruhe. Sie war durch den Vorfall tief erschüttert; die süße Glückseligkeit war durch einen leisen Gewissenszweifel getrübt. So stark liebt dich dieser Mann, so ganz und so offen gibt er sich dir hin, mußte sie denken, und Ernst –? wie sonderbar, wie fremd und unverständlich ist er dir! Spät, spät erst schlief sie ein; sie konnte nicht wieder ganz ruhig werden. Es war ihr, als habe sie kein ganz gutes Gewissen; und dennoch, daß sie den Vetter liebte, das konnte doch keine Sünde sein!

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