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XXXII

Dinny schlug alle Einladungen zum Lunch aus, nahm ihre Schwester beim Arm und führte sie in die Carey Street. Schweigend gingen sie um den Lincoln's Inn Fields-Platz herum.

«Fast überstanden, Liebste», sagte sie endlich. «Hast dich prächtig gehalten. Er hat deine Aussagen in keinem einzigen Punkt erschüttern können, das fühlt, glaub ich, auch der Richter. Mir ist der Richter übrigens viel sympathischer als die Geschwornen.»

«Ach Dinny, ich bin so müde. Dieser ewige Verdacht, daß ich lüge, martert mich – ich könnte heulen!»

«Das ist ja Broughs Absicht. Mach ihm doch nicht diese Freude!»

«Und der arme Tony! Ich komme mir schändlich vor.»

«Wie wär's mit einer Tasse guten, heißen Tee? Wir hätten grade noch Zeit.»

Sie schritten die Chancery Lane hinab zum ‹Strand›.

«Bestell nichts dazu, Liebling. Ich bring keinen Bissen hinunter.»

Auch Dinny konnte nichts essen. Die beiden rührten den Tee um, tranken ihn, so stark sie nur konnten, und begaben sich dann schweigend ins Gerichtsgebäude zurück. Clare beachtete nicht einmal den ängstlichen Blick ihres Vaters, ließ sich wieder auf ihrem alten Platz in der ersten Bankreihe nieder, hielt die Hände im Schoß und den Blick gesenkt.

Dinny bemerkte, daß Jerry Corven in ein lebhaftes Gespräch mit seinem Anwalt und dem Klagevertreter vertieft war. Der ‹ganz junge› Roger äußerte im Vorbeigehn:

«Man wird Corven wieder auf die Zeugenbank rufen!»

«Warum?»

«Ich weiß nicht.»

Wie ein Schlafwandler trat der Richter ein, verneigte sich leicht vor dem Gerichtshof und nahm Platz. ‹Heute sitzt er noch tiefer›, fuhr es Dinny durch den Sinn.

«Mylord, ehe ich das Verhör mit der Beklagten wieder aufnehme, möchte ich mit Ihrer Erlaubnis den Kläger noch über einen Punkt befragen, auf den mein Kollege vorhin so großes Gewicht legte. Wie sich Eure Lordschaft wohl noch entsinnen dürfte, schob mein Kollege dem Kläger die Absicht unter, er habe sofort nach der Abreise seiner Frau die Scheidung seiner Ehe angestrebt. Der Kläger möchte diesen Punkt durch eine Aussage ergänzen und mir scheint es angebracht, ihn gleich jetzt zu vernehmen. Ich werde mich ganz kurz fassen, Mylord.»

Dinny sah, wie Clare ihr Antlitz hob und dem Richter zuwandte – ihr Gesichtsausdruck war so eigen, daß Dinnys Herz wild zu pochen anhob.

«Gut, Mr. Brough.»

«Sir Gerald Corven.»

Dinny sah den Schwager in selbstsicherer Haltung zur Zeugenbank schreiten, sah, daß Clare ihn so scharf ins Auge faßte, als wollte sie seinem Blick begegnen.

«Nach Ihrer Aussage, Sir Gerald, sprachen Sie Ihre Gattin bei der vorletzten Zusammenkunft vor Ihrer Abreise nach Ceylon – am ersten November war es – in ihrer Wohnung in der Melton Mews?»

«Jawohl.»

Dinny stockte der Atem. Nun war es heraus!

«Abgesehen von Ihrer Unterredung – was geschah denn noch bei dieser Gelegenheit?»

«Wir waren Mann und Frau.»

«Wollen Sie damit sagen, daß Sie die ehelichen Beziehungen wieder aufnahmen?»

«Jawohl, Mylord.»

«Danke, Sir Gerald. Durch diese Antwort scheint die Vermutung meines Kollegen wohl endgültig erledigt. Weiter habe ich Sie nichts zu fragen.»

«Warum sagten Sie uns das nicht gleich beim ersten Verhör?» fragte Instone.

«Ich erfaßte die Bedeutung dieses Punktes erst nach Ihrem Verhör.»

«Können Sie beeiden, daß Sie das nicht frei erfunden haben?»

«Ganz gewiß kann ich es beeiden.»

Dinny schloß die Augen, lehnte sich fest an die Bank und dachte an den jungen Mann, der drei Reihen hinter ihr saß. Grausam! Wer aber sah das hier ein? Man riß hier den Menschen die Brust auf, legte alle Nerven bloß, prüfte sie kaltblütig, fast mit Freude, und schob sie dann zerlegt und zerschnitten wieder zurück.

«Lady Corven, wollen Sie sich zur Zeugenbank begeben?»

Als Dinny die Augen wieder aufschlug, stand Clare erhobenen Haupts nahe der Brüstung; ihr Blick hing fest an dem Fragesteller.

«Nun, Lady Corven», hob die bedächtige, vollklingende Stimme wieder an, «haben Sie diese Aussage gehört?»

«Ja.»

«Ist sie wahr?»

«Ich möchte die Antwort verweigern.»

«Warum?»

Dinny sah, wie sich die Schwester wieder dem Richter zuwandte.

«Mylord, als mein Rechtsbeistand mich aufforderte, über mein Eheleben zu sprechen, schlug ich es ab und an diesem Entschluß will ich auch jetzt festhalten.»

Einen Moment lang glitt der Blick des Richters zur Zeugenbank hinüber; dann schien er wieder an einem unsichtbaren Punkt zu hangen.

«Eine Aussage des Klägers, die einen von Ihrem Rechtsbeistand geäußerten Verdacht entkräften will, zwingt uns zu dieser Frage. Sie müssen darauf antworten!»

Es kam keine Antwort.

«Wiederholen Sie Ihre Frage, Mr. Brough.»

«Ist es wahr, daß bei jener Gelegenheit, von der Ihr Gatte spricht, die ehelichen Beziehungen zwischen Ihnen wieder aufgenommen wurden?»

«Nein, es ist nicht wahr.»

Dinny, die das Gegenteil wußte, sah empor. Der Blick des Richters hing noch immer starr an einem Punkt über ihrem Haupt, doch sah sie, wie er leicht die Lippen aufwarf. Er glaubte diese Antwort nicht.

Die bedächtige, volltönende Stimme sprach wieder, verriet heimlichen Triumph.

«Sie können das beschwören?»

«Ja.»

«Ihr Gatte vergaß sich also bei dieser Aussage soweit, daß er einen Meineid beging?»

«Sein Wort steht gegen das meine.»

«Und ich zweifle kaum daran, wem von Ihnen beiden man Glauben schenken wird. Vermutlich sagen Sie das nur deshalb aus, um die Gefühle des Mitbeklagten zu schonen. Nicht wahr?»

«Nein.»

«Kurz und gut, können wir auch nur einer Ihrer frühern Angaben mehr Glauben schenken als dieser letzten?»

«Mr. Brough, diese Frage scheint mir nicht fair. Die Beklagte weiß nicht, welche Bedeutung wir diesem Punkt beimessen.»

«Gut, Mylord, ich will meine Frage anders formulieren. Lady Corven, Sie haben also in allen Punkten die Wahrheit gesagt, die volle, lautere Wahrheit?»

«Ja.»

«Ausgezeichnet! Weiter habe ich nichts zu fragen.»

Dann wurde Clare nochmals um einige Einzelheiten befragt, wobei man es absichtlich vermied, nochmals den letzten Punkt zu berühren; doch während all dieser Reden mußte Dinny unablässig an den jungen Croom denken. Sie gab den Fall bereits verloren. Hätte doch dieser Mann hinter ihr lieber nicht versucht, Corven anzuschwärzen und allzuviel zu beweisen, dann wäre diese letzte Mine nicht aufgeflogen! Und doch – war dieses Anschwärzen der Gegenpartei denn nicht die Quintessenz des ganzen Verfahrens?

Als Clare bleich und erschöpft wieder auf ihrem Platz saß, flüsterte Dinny:

«Möchtest du nicht fortgehn, Liebling?»

Clare schüttelte den Kopf.

«James Bernard Croom.»

Zum ersten Mal seit dem Beginn der Verhandlung sah Dinny ihm voll ins Gesicht und erkannte ihn kaum wieder. Aus seinem sonngebräunten, gequälten Antlitz war alle Farbe gewichen, er kam ihr hager vor wie noch nie. Die grauen Augen schienen sich unter den Brauen zu verbergen, um die zusammengepreßten Lippen lag ein bitterer Zug. Er sah zumindest fünf Jahre älter aus. Dinny wußte sofort, Clares Leugnen habe ihn nicht getäuscht.

«Sie heißen James Bernard Croom, leben in Bablock Hythe, leiten dort ein Gestüt? Haben Sie Privatvermögen?»

«Nicht das geringste.»

Jetzt stellte nicht Instone die Fragen, sondern ein jüngerer Mann mit scharf geschnittener Nase, der gerade hinter ihm saß.

«Bis zum September des vorigen Jahres waren Sie Verwalter einer Teeplantage in Ceylon? Sind Sie der Beklagten jemals in Ceylon begegnet?»

«Nie.»

«Sie hielten sich nie in ihrem Hause auf?»

«Nein.»

«Sie hörten doch von einem gewissen Polo-Match, bei dem Sie mitspielten? Die Beklagte hat die Spieler nachher bewirtet.»

«Mag sein, aber ich ging nicht mit. Ich mußte auf die Plantage zurück.»

«Sie trafen die Beklagte also zum ersten Mal auf dem Schiff?»

«Ja.»

«Sie machen kein Hehl daraus, daß Sie sich in die Dame verliebten?»

«Nein.»

«Abgesehen davon – bestanden jemals sträfliche Beziehungen zwischen Ihnen beiden?»

«Niemals.»

Während Croom Frage um Frage dem Gerichtshof beantwortete, hing Dinnys Blick unentwegt an seinem Antlitz, sie schien ganz gebannt von seinem beherrschten, aber bitter leidenden Ausdruck.

«Nun zu meiner letzten Frage, Mr. Croom. Wenn diese Schuld, die Ihnen die Klage zur Last legt, auf Wahrheit beruht, dann sind Sie als Mann entlarvt, der eine Ehefrau während der Abwesenheit ihres Gatten verführt hat. Sind Sie sich dessen bewußt? Was haben Sie darauf zu entgegnen?»

«Nur Folgendes: Wenn Lady Corven meine Gefühle auch nur einigermaßen erwidert hätte, dann hätte ich ihren Gatten sofort über den Stand der Dinge unterrichtet.»

«Sie behaupten also, Sie hätten ihn gewarnt, noch ehe etwas zwischen Ihnen beiden vorfiel?»

«Das möchte ich nicht behaupten, doch so bald wie möglich.»

«Die Beklagte hat demnach Ihre Gefühle nicht erwidert?»

«Leider nein.»

«Es war also nie ein Anlaß vorhanden, den Gatten zu unterrichten?»

«Nein.»

«Danke!»

Die Gestalt des jungen Croom straffte sich ein wenig, als Mr. Broughs bedächtige, vollklingende Stimme neuerlich anhob:

«So weit Sie es aus eigener Erfahrung wissen – ändern sich die Gefühle Liebender zueinander denn niemals?»

«Ich habe keine Erfahrung.»

«Keine Erfahrung? Sie kennen doch das französische Sprichwort: ‹Zum Küssen gehören zwei, einer der küßt, und der andere, der sich küssen läßt›?»

«Vom Hörensagen.»

«Und stimmt das, was meinen Sie?»

«Ungefähr ebenso wie jedes andre Sprichwort.»

«Nach Ihrer beider Aussage haben Sie also in Abwesenheit des Gatten einer Ehefrau nachgestellt, der diese Nachstellungen unerwünscht waren? Nicht besonders ehrenhaft von Ihnen, wie? Nicht gerade das, was man ‹fair play› nennt?»

«Vermutlich nicht.»

«Ich darf wohl annehmen, Mr. Croom, daß Sie nicht ganz so unehrenhaft handelten und daß die Beklagte ungeachtet des französischen Sprichwortes Ihre Aufmerksamkeiten ganz gern hinnahm?»

«Nein, das war nicht der Fall.»

«Und das behaupten Sie angesichts jenes Vorfalls in der Kajüte! Angesichts der Tatsache, daß die Beklagte Sie zum Tünchen ihrer Wohnung einlud! Angesichts jener Einladung zum Tee und der Tatsache, daß Sie knapp vor Mitternacht über eine halbe Stunde in jenen behaglichen Räumen mit ihr verbrachten! Angesichts ihres Vorschlags, mit ihr die Nacht im Auto zu verbringen und am nächsten Morgen zum Frühstück mitzukommen! Na wissen Sie, Mr. Croom, das heißt aber die Ritterlichkeit gar zu weit treiben. Ihre Aussage soll doch welterfahrene Männer und Frauen überzeugen!»

«Wenn sie meine Gefühle erwidert hätte, wären wir sofort auf und davon gegangen, mehr kann ich nicht sagen. Die Schuld trifft ganz allein mich, sie hat mich nur deshalb gütig behandelt, weil ich ihr leid tat.»

«Wenn Ihre und der Beklagten Aussagen wahr sind, dann hat Sie ja die Beklagte im Auto auf die Folter gespannt, wie? War das vielleicht gütig?»

«Wer nicht selbst liebt, kann die Gefühle eines Liebenden nicht ermessen.»

«Sind Sie eine kalte Natur?»

«Nein.»

«Aber sie ist es?»

«Mr. Brough, wie soll der Mitbeklagte das wissen?»

«Mylord, ich hätte die Frage so formulieren sollen: ‹Halten Sie die Beklagte für eine kalte Natur?›»

«Ich glaube nicht.»

«Dennoch wollen Sie uns weismachen, sie habe Ihnen nur aus purer Güte erlaubt, die Nacht mit ihr zu verbringen, aus purer Güte den Kopf an Ihre Schulter gelehnt? Na schön! Wenn sie Ihre Gefühle erwidert hätte, behaupten Sie, dann wären Sie augenblicklich mit ihr auf und davon. Wie hätten Sie die Mittel dazu aufgebracht? Besaßen Sie Geld?»

«Zweihundert Pfund.»

«Und sie?»

«Zweihundert jährlich, abgesehn von ihrem Gehalt.»

«Da wären Sie also auf und davon und hätten von der Luft gelebt, wie?»

«Ich hätte schon irgendeinen Posten gefunden.»

«Ihren gegenwärtigen wohl nicht?»

«Wahrscheinlich nicht.»

«Vermutlich sahn Sie beide ein, daß es heller Wahnsinn gewesen wäre, so alle Brücken hinter sich abzubrechen?»

« Ich empfand es nie so.»

«Was bestimmte Sie eigentlich dazu, die Klage anzufechten?»

«Ich wollte, wir hätten es unterlassen!»

«Warum fochten Sie die Klage dennoch an?»

«Sie und ihre Familie waren der Ansicht, wir müßten es tun, da wir ja unschuldig sind.»

« Sie aber waren andrer Meinung?»

«Ich dachte, man werde uns ja doch nicht glauben, und wollte, daß sie frei werde.»

«An ihre Ehre dachten Sie gar nicht?»

«Doch, natürlich. Aber wenn wir gewinnen, bleibt sie ja an ihn gebunden. Und das wäre ein teuer bezahlter Sieg.»

«Sie waren also der Meinung, man würde Ihnen beiden nicht Glauben schenken? Die Geschichte klingt Ihnen wohl selbst zu unwahrscheinlich, wie?»

«Nein. Doch je strenger man sich an die Wahrheit hält, um so weniger kann man hoffen, Glauben zu finden.»

Dinny gewahrte, wie der Richter sich ihm zuwandte und ihn ansah.

«Sprechen Sie im allgemeinen?»

«Nein, Mylord, ich meinte, vor Gericht.»

Der Richter wandte das Gesicht wieder ab, sein Blick hing neuerlich an der unsichtbaren Stelle über Dinnys Kopf.

«Ich überlege, ob ich gegen Sie ein Verfahren wegen Beleidigung des Gerichts anhängig machen soll, verstanden?»

«Verzeihung, Mylord! Ich wollte ja nur sagen, daß jedes Wort, das man hier äußert, am Ende doch nur gegen einen selbst gebraucht wird.»

«Sie sprechen aus Unerfahrenheit. Ich will es diesmal noch hingehn lassen. Doch hüten Sie sich davor, derartige Äußerungen zu wiederholen. Mr. Brough, fahren Sie fort.»

«Die Forderung von Schadenersatz war also nicht das Hauptmotiv für Ihren Entschluß, die Klage anzufechten?»

«Nein.»

«Sie erklärten doch vorhin, Sie besäßen kein Privatvermögen. Stimmt das?»

«Gewiß.»

«Wie können Sie dann behaupten, diese Forderung habe bei Ihrem Entschluß keine Rolle gespielt?»

«Ich hatte an so viel anderes zu denken, daß mir mein Bankrott belanglos schien.»

«Sie haben vorhin erklärt, Sie hätten von Lady Corvens Existenz erst bei der Heimreise auf dem Dampfer erfahren. Kennen Sie nicht einen Ort in Ceylon namens Neuralýa?»

«Nein.»

«Was?»

Dinny sah ein mattes Lächeln über die Falten und Krähenfüße auf dem Antlitz des Richters huschen.

«Formulieren Sie die Frage etwas anders, Mr. Brough. Wir sprechen jenen Ort gewöhnlich Neurálya aus.»

«Neurálya kenn ich, Mylord.»

«Waren Sie im vergangenen Juni dort?»

«Ja.»

«Und Lady Corven befand sich gleichfalls dort?»

«Mag sein.»

«Wohnte sie nicht in demselben Hotel wie Sie?»

«Nein. Ich habe überhaupt nicht im Hotel gewohnt. Bei einem Freund.»

«Und Sie trafen Lady Corven nicht beim Golf- oder Tennisspiel oder auf einem Spazierritt?»

«Nein.»

«Oder sonstwo?»

«Nein.»

«Neurálya ist kein großer Ort, wie?»

«Nicht besonders groß.»

«Und sie ist eine auffallende Erscheinung, nicht wahr?»

«In meinen Augen gewiß.»

«Sie trafen sie also zum ersten Mal auf dem Schiff? Vorher nie?»

«Nein.»

«Wann wurden Sie sich zum ersten Mal der Liebe zu ihr bewußt?»

«Am zweiten oder dritten Tag auf See.»

«Also fast Liebe auf den ersten Blick?»

«Ja.»

«Und es kam Ihnen gar nicht in den Sinn, sie als die Gattin eines andern zu meiden?»

«Allerdings, aber ich brachte es nicht über mich.»

«Sie brachten es nicht über sich? Hätte die Beklagte Sie entmutigt, dann hätten Sie es doch über sich gebracht.»

«Ich weiß nicht.»

« Hat sie Sie entmutigt?»

«N–nein. Anfangs ahnte sie wohl kaum etwas von meinen Gefühlen.»

«Aber Frauen merken so etwas sehr rasch, Mr. Croom. Sie meinen also allen Ernstes, die Beklagte habe nichts geahnt?»

«Ich weiß nicht.»

«Gaben Sie sich Mühe, Ihre Gefühle zu verbergen?»

«Ob ich ihr auf dem Schiff Liebesbezeigungen erwies, meinen Sie? Nein.»

«Wann geschah das zum ersten Mal?»

«Ich sprach von meinen Gefühlen zu ihr erst knapp vor der Landung.»

«Hatten Sie einen zwingenden Grund, sie in ihrer Kajüte aufzusuchen, um die Photographien zu besehn?»

«Eigentlich nicht.»

«Besichtigten Sie bei dieser Gelegenheit überhaupt Photographien?»

«Gewiß.»

«Und was taten Sie außerdem?»

«Wenn ich nicht irre, plauderten wir.»

«Da bot sich Ihnen doch eine Gelegenheit, sehn Sie das nicht ein? Oder war das nur eine von vielen Gelegenheiten, die Sie uns hier verschweigen?»

«Ich war damals das einzige Mal in ihrer Kajüte.»

«Und Sie erinnern sich des Hergangs noch genau?»

«Wir saßen dort und plauderten nur.»

«Aha, jetzt kommt Ihnen die Erinnerung zurück? Wo saßen Sie?»

«Auf einem Stuhl.»

«Und Lady Corven?»

«Auf dem Bett. Es war eine kleine Kajüte – kein zweiter Stuhl.»

«Eine Kajüte aufs Meer hinaus?»

«Ja.»

«Sie liefen also nicht Gefahr, gesehn zu werden?»

«Nein, aber es gab nichts zu sehn.»

«Das behaupten Sie beide. Bei dieser Gelegenheit wurde Ihnen wohl heiß und kalt, wie?»

Dinny sah den Kopf des Richters vorschnellen.

«Ich möchte Sie nicht unterbrechen, Mr. Brough, aber bedenken Sie, der Mitbeklagte macht ja kein Hehl aus seinen Gefühlen.»

«Bitte, Mylord. Dann stelle ich die Frage direkt. Wie ich vermute, Sir, kam es bei dieser Gelegenheit zwischen Ihnen zu sträflichen Beziehungen, stimmt das?»

«Nein.»

«Hm! Dann erklären Sie doch den Geschwornen, warum Sie nicht gleich nach Sir Gerald Corvens Ankunft in London sich zu ihm begaben und Ihre Beziehungen zu seiner Gattin offen bekannten?»

«Was für Beziehungen?»

«Sir, machen Sie doch keine Umstände! Sie selbst geben ja die Tatsache zu, daß Sie so oft wie möglich die Gesellschaft seiner Frau suchten, daß Sie sie lieben und mit ihr auf und davon wollten.»

« Sie wollte nicht mit mir auf und davon. Ich wäre ja gern zu ihrem Gatten gegangen, doch ohne ihre Erlaubnis hatte ich kein Recht dazu.»

«Baten Sie Lady Corven um diese Erlaubnis?»

«Nein.»

«Warum nicht?»

«Weil sie erklärt hatte, wir dürften einander nur als Freunde treffen.»

«Ich vermute, sie hat Ihnen nichts derartiges erklärt.»

«Mylord, man will mich Lügen strafen!»

«Beantworten Sie die Frage!»

«Ich bin kein Lügner.»

«Ich glaube, das ist die Antwort, Mr. Brough.»

«Sagen Sie mir doch, Sir: Sie hörten eben die Aussage der Beklagten. Scheint sie Ihnen vollkommen der Wahrheit entsprechend?»

Dinny sah, wie ein Beben über sein Gesicht lief – wenn das nur die andern nicht merkten!

«Jawohl, soweit ich es beurteilen kann.»

«Vielleicht war diese Frage nicht ganz fair. Ich möchte sie lieber folgendermaßen formulieren: Wenn die Beklagte dies oder jenes behauptet oder in Abrede stellt, fühlen Sie sich wohl ehrenhalber verpflichtet, ihre Behauptungen nach besten Kräften zu erhärten und wenn Sie das nicht können, gläubig als Tatsache hinzustellen?»

«Mr. Brough, ich bin nicht überzeugt, daß diese Frage vollkommen fair ist.»

«Mylord, für meine Sache ist es von fundamentaler Bedeutung, den Geschwornen die Denkweise des Mitbeklagten in allen Stadien dieser Angelegenheit vor Augen zu führen.»

«Na, ich will Ihr Verhör nicht unterbrechen, aber derlei Verallgemeinerungen haben schließlich eine Grenze.»

Dinny sah zum ersten Mal ein Lächeln über die Züge des jungen Croom huschen.

«Mylord, ich sträube mich durchaus nicht gegen die Beantwortung dieser Frage. Ganz im allgemeinen weiß ich nicht, wozu ich mich ehrenhalber verpflichtet fühlen würde.»

«Schön, lassen Sie uns zum Besondern kommen. Lady Corven hat uns erklärt, sie habe Ihnen vertrauen können, daß Sie alle Liebesbezeigungen unterlassen würden. Sagen Sie uns, stimmt das?»

Dinny sah, wie seine Miene düster wurde.

«Nicht ganz, aber sie wußte, ich gab mir redlich Mühe.»

«Doch ab und zu konnten Sie sich eben nicht helfen?»

«Ich weiß nicht genau, worauf Sie jetzt hinauswollen; doch ab und zu verriet ich meine Gefühle.»

«Ab und zu? Mr. Croom, verrieten Sie denn nicht immer Ihre Gefühle?»

«Sie meinen, ob ich meine Liebe zu ihr stets irgendwie verriet? – natürlich, so etwas läßt sich doch nicht verbergen.»

«Anständig von Ihnen, daß Sie das zugeben. Ich will Ihnen keine Falle stellen. Ich meine etwas mehr als ein bloßes Verraten der Gefühle durch Miene und Blick. Gerade heraus: ich meine physisches Liebeswerben.»

«Nein, nur –»

«Nun?»

«Dreimal im ganzen hab ich sie auf die Wange geküßt und manchmal ihre Hand gehalten.»

«Das hat sie ja zugegeben. Sind Sie bereit zu beschwören, daß weiter nichts vorgefallen ist?»

«Das kann ich beschwören.»

«Sagen Sie doch, haben Sie in jener Nacht im Auto, als ihr Kopf auf Ihrer Schulter lag, überhaupt geschlafen?»

«Ja.»

«War das nicht seltsam, wenn man Ihre Gefühle bedenkt?»

«Allerdings. Doch war ich um fünf Uhr morgens aufgestanden und zweihundertdreißig Kilometer gefahren.»

«Sie meinen also allen Ernstes, wir ließen uns weismachen, Sie hätten nach fünf Monate langem Sehnen diese wunderbare Gelegenheit, die sich Ihnen bot, nicht beim Schopf gepackt, sondern seien nur eben eingeschlafen?»

«Ich nützte die Gelegenheit nicht aus. Doch sagte ich Ihnen schon, ich erwartete gar nicht, daß man mir glauben werde.»

«Nur zu begreiflich!»

Noch lange Zeit fuhr die bedächtige, vollklingende Stimme zu fragen fort, noch lange hing Dinnys Blick wie gebannt an dem traurigen, gequälten Antlitz des jungen Croom. Endlich versank sie in eine Art von Betäubung und erwachte erst wieder, als der Anwalt fortfuhr:

«Wie ich vermute, Sir, ließen Sie sich bei Ihrer Aussage vom ersten bis zum letzten Wort durchaus von dem Gefühl leiten, Sie müßten dieser Dame nach besten Kräften beistehen und darüber die Wahrheit und Ihr Gewissen außer Acht lassen. Ihr Verhalten entspringt wohl nur übertriebener Ritterlichkeit?»

«Nein.»

«Also gut. Ich bin zu Ende.»

Daran schloß sich eine kurze Wiederholung des Verhörs und zuletzt sprach der Richter die erlösende Schlußformel.

Dinny und Clare erhoben sich, traten, vom Vater gefolgt, auf den Gang und dann so rasch wie möglich ins Freie hinaus.

«Das hat uns Instone eingebrockt», erklärte der General, «was mußte der Bursche sich so auf jenen Punkt versteifen?»

Clare gab keine Antwort.

«Ich bin froh, daß du jetzt geschieden wirst», meinte Dinny.


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