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XXVIII

Die Mühlen des Gesetzes mahlen langsam. Der Fall Corven contra Corven und Croom ergötzte bisher noch kein Auge, das über die Liste der Scheidungsprozesse in der ‹Times› glitt. Den Richter Covell nahm noch immer die große Zahl der Fälle in Anspruch, bei denen die Klage unangefochten blieb. Auf Dornfords Einladung kamen Dinny und Clare fünf Minuten in seinen Gerichtssaal und blieben an der Tür stehn, so etwa wie die Teilnehmer eines Kricket-Teams den Spielplatz besichtigen, ehe sie zum Match antreten. Der Richter saß so tief, daß außer seinem Gesicht fast nichts von ihm zu sehn war. Dinny stellte jedoch fest, während des Verhörs würde sich über Clares Haupt eine Art Baldachin oder Regendach spannen.

«Clare», sagte Dornford beim Hinausgehn, «wenn Sie während des Verhörs ziemlich weit hinten stehn, wird Ihr Gesicht kaum zu sehn sein. Aber Sie müssen laut sprechen, damit Ihre Stimme bis zum Richter dringt; wenn er nicht recht versteht, wird er verdrießlich.»

Tags darauf erhielt Dinny einen Brief, der bei Fleur von einem Boten abgegeben wurde.

Burton-Club, 13. IV. 32

‹Liebe Dinny!

Es wäre mir sehr erwünscht, wenn ich Dich einige Minuten sprechen könnte. Gib mir Ort und Stunde bekannt, ich werde pünktlich erscheinen. Ich brauche wohl nicht zu bemerken, daß es sich um Clare handelt.

Dein aufrichtig ergebener
Gerald Corven›

Michael war nicht zu Hause, sie beriet sich mit Fleur.

«An deiner Stelle würd ich es ihm nicht abschlagen, Dinny. Vielleicht ein Fall von später Reue. Laß ihn doch herkommen, wenn Clare fort ist.»

«Eine Begegnung der beiden möcht ich lieber nicht riskieren. Lieber treff ich ihn irgendwo im Freien.»

«Bei der Achilles-Statue oder beim Vogelasyl im Hydepark.»

«Beim Vogelasyl», entgegnete Dinny. «Wir können dann ein Stück zusammen gehn.»

Sie bestellte ihn für drei Uhr am nächsten Nachmittag und fragte sich die ganze Zeit, was er eigentlich im Schilde führe.

Es war ein selten schöner, warmer Tag in diesem rauhen April. Als sie zum Vogelasyl kam, sah sie ihn sofort am Gitter jenes Kunstwerks lehnen. Er rauchte eine Zigarette in einer kurzen, hübschen Meerschaumspitze und sah genauso aus wie bei ihrer letzten Begegnung – ihr lief es fast kalt über den Rücken.

Er bot ihr nicht die Hand.

«Sehr lieb von dir, Dinny, daß du gekommen bist. Wollen wir nicht ein wenig herumschlendern und dabei sprechen?»

Sie schritten auf den ‹Serpentine›-Teich zu.

«Ich bin ganz und gar nicht darauf versessen», erklärte Corven unvermittelt, «daß der Fall zur Verhandlung kommt.»

Dinny streifte ihn mit einem Seitenblick.

«Warum hast du dann die Klage eingebracht? Die Beschuldigungen sind unwahr.»

«Man hat mir gesagt, sie seien wahr.»

«Die Prämissen vielleicht, der Schluß nicht.»

«Wird Clare mit mir nach Ceylon fahren, wenn ich die Klage zurückziehe? Sie kann ihre Bedingungen stellen.»

«Ich kann sie ja fragen, ich glaub aber nicht, daß sie es tun wird. Ich selbst tät es auch nicht.»

«Eine unversöhnliche Familie!»

Dinny gab keine Antwort.

«Liebt sie diesen jungen Croom?»

«Über die Gefühle der beiden kann ich mit dir nicht sprechen, wenn überhaupt von Gefühlen die Rede sein kann.»

«Dinny, können wir nicht ganz offen miteinander sprechen? Hier hört uns niemand, nur die Enten.»

«Deine Forderung nach Schadenersatz hat uns nicht gerade für dich eingenommen.»

«Ach das! Ich bin bereit, alles zurückzuziehn. Wenn sie auch über die Schnur gehaut hat, ich werd ein Auge zudrücken, falls sie zurückkommt.»

«Mit andern Worten», erwiderte Dinny und sah starr vor sich hin, «dein Klagebegehren – so nennt man's doch wohl? – ist eine Art Erpressung.»

Er kniff die Augen zusammen und sah sie an.

«Wie scharfsinnig! Das kam mir gar nicht zum Bewußtsein. Doch offen gestanden: Weil ich Clare besser kenne als meine Anwälte und Detektive, bin ich im Zweifel, ob der Schein nicht am Ende doch trügt.»

«Danke!»

«Na ja. Aber entsinne dich, ich hab dir oder Clare schon einmal gesagt, ich reise nicht fort, ohne die Sache irgendwie ins Reine gebracht zu haben. Wenn sie zurückkommt, will ich alles vergessen, kommt sie nicht, dann soll die Sache ihren Lauf nehmen. Das ist nicht ganz unbillig und auch keine Erpressung.»

«Gesetzt den Fall, sie gewinnt, wirst du die Sache dann noch weiter treiben?»

«Nein.»

«Wenn du nur wolltest, könntest du sie und dich jederzeit freimachen.»

«Um einen Preis, den ich aber nicht zahle. Übrigens sieht das einer Intrige verflucht ähnlich. Auch kein angenehmes Wort, Dinny.»

Sie blieb stehn.

«Ich weiß jetzt, was du willst, und werde Clare fragen. Also lebwohl! Weiteres Reden führt wohl zu nichts.»

Er sah sie an und seine Miene rührte sie. Die starre Maske seines wie aus Holz geschnitzten Gesichtes konnte seine Qual und Verwirrung nicht verbergen.

«Es tut mir aufrichtig leid, daß alles so gekommen ist», sagte sie impulsiv.

«Dinny, des Menschen Charakter ist seine Hölle und den wird er nicht los. Lebwohl! Viel Glück!»

Sie streckte ihm die Hand hin, er drückte sie, machte kehrt und ging.

Dinny blieb neben einer kleinen Birke stehn, deren krause Blätter der Sonne entgegenbebten; ein paar Augenblicke fühlte sie sich ganz unglücklich. Seltsam! Mit ihm Mitleid zu empfinden, mit Clare, mit dem jungen Croom, und dennoch keinem helfen zu können!

So rasch sie nur konnte, schritt sie zum South Square zurück.

Fleur kam ihr entgegen und fragte: «Nun?»

«Ich fürchte, ich kann nur mit Clare darüber sprechen.»

«Vermutlich ein Angebot, die Sache fallenzulassen, wenn Clare zurückkehrt. Ist sie klug, dann geht sie drauf ein.»

Dinny preßte entschlossen die Lippen zusammen.

Sie wartete bis zum Schlafengehen und betrat dann das Zimmer ihrer Schwester. Clare war eben zu Bett gegangen, Dinny ließ sich an seinem Fußende nieder und begann unvermittelt:

«Jerry bat mich um eine Unterredung. Wir trafen uns im Hydepark. Er erklärt, er wolle die Sache fallen lassen, wenn du zu ihm zurückgehst; du kannst die Bedingungen stellen.»

Clare zog die Knie empor und umschlang sie mit der Hand.

«So! Und was hast du erwidert?»

«Ich würde dich fragen.»

«Ahnst du seine Gründe?»

«Teils sehnt er sich wirklich nach dir, teils glaubt er die Beschuldigungen nicht recht.»

«Ah!» sagte Clare trocken, «ich glaub sie auch nicht, aber ich kehr nicht mehr zurück.»

«Ich hab ihm ja gesagt, du würdest kaum drauf eingehn; wir seien unversöhnlich, sagte er.»

Clare stieß ein leises Lachen aus.

«Nein, Dinny. Jetzt muß ich diesen ganzen scheußlichen Prozeß über mich ergehn lassen. Alles prallt an mir ab, mir ist es egal, ob wir verlieren oder gewinnen. Fast möcht ich lieber verlieren!»

Dinny packte Clares Fuß, der unter der Bettdecke lag. Sie schwankte, ob sie von dem Gefühl sprechen sollte, das Corvens Miene in ihr wachgerufen.

Als habe Clare ihre Gedanken erraten, sagte sie:

«Mir macht es immer Spaß, wenn die Leute sich einbilden, sie könnten Mann und Weib ihr gegenseitiges Verhalten vorschreiben. Fleur erzählte mir von ihrem Vater und seiner ersten Gattin. Sie scheint der Ansicht, die Frau habe viel Lärm über eine kleine Sache geschlagen. Nur ein rechthaberischer Idiot kann sich einbilden, er könne den Fall eines andern beurteilen. Dazu hat man doch nie die erforderlichen Grundlagen, wird sie auch nie haben, solange man nicht Filmkameras in den Schlafzimmern aufstellt. Du kannst ihm mitteilen, Dinny, daß alles vergebens ist.»

Dinny erhob sich.

«Gut! Wenn das Ganze nur schon vorüber wäre!»

«Ja», sagte Clare und warf das Haar zurück, «wenn nur –! Doch wenn der Prozeß auch überstanden ist, was dann? Gott segne den Gerichtshof!»

Auch Dinny sandte täglich diesen Stoßseufzer zum Himmel empor, besonders während der letzten vierzehn Tage, als die nicht angefochtenen Scheidungsklagen sacht und still, eine um die andre, erledigt wurden. Wäre doch auch Clares Fall darunter gewesen! Sie schrieb Corven nur, ihre Schwester habe nein gesagt. Sie erhielt keine Antwort.

Auf Dornfords Bitte besichtigte sie mit Clare sein neues Haus auf dem Campden Hill. Das Bewußtsein, er habe es gekauft, um ihr ein Heim zu bieten, wenn sie einwillige, es mit ihm zu teilen, machte sie verschlossen. Sie bemerkte nur, alles sei recht hübsch, und gab den Rat, im Garten ein Schutzdach für Vögel aufzustellen. Das Haus lag abgeschieden, war geräumig und luftig, der Garten fiel sanft gegen Süden ab. Ihr gleichgültiges Wesen berührte sie selbst peinlich, so daß sie froh war fortzukommen. Als sie jedoch Abschied nahm, machte sie Dornfords niedergeschlagener, verwirrter Blick ganz traurig. Während sie im Autobus nach Hause fuhren, sagte Clare:

«Dinny, je mehr ich mit Dornford zu tun habe, um so mehr neige ich zur Ansicht, du könntest mit ihm auskommen. Er hat sehr leichte Hände, würde dir bestimmt die Zügel locker lassen. Ein halber Engel, wahrhaftig!»

«Ich bin überzeugt davon.» Und während der Omnibus sie schüttelte und rüttelte, gingen ihr immer wieder die vier Verszeilen durch den Sinn:

‹Vom steilen Ufer seh den Strom ich blauen,
Soll meine Herde durch die Furt ich treiben?
Gibt's drüben fette Fluren, grüne Auen?
Muß ewig ich auf dürrer Heide bleiben?›

Doch ihre Züge hatten jenen verschloßnen Ausdruck, den Clare nur zu gut kannte. Sie wagte daher nicht den Versuch, weiter in die Schwester zu dringen.

Das Warten auf ein Ereignis, selbst wenn es in erster Linie andere betrifft, ist nie besonders erfreulich. Für Dinny hatte es immerhin das Gute, daß es ihre Gedanken von ihrem eigenen Geschick ablenkte und ganz auf ihre Familie konzentrierte.

Zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, drohte dem Namen Cherrell ein wirklich schmutziger Skandal. Und ihr schüttete jeder von der ganzen Sippe das Herz aus! Sie war froh, daß Hubert nicht in England weilte. Es hätte ihn so ungeduldig gemacht, so aufgeregt. Bei der öffentlichen Verhandlung seines eigenen Falles vor vier Jahren hatte vielleicht ein größeres Unglück, aber weit weniger Schande gedroht. Mochte man auch behaupten, die Scheidung sei heute bedeutungslos, sie brandmarkte einen trotz allem noch immer. England war ja keineswegs so modern, wie es sich einbildete. Jedenfalls hatten die Cherrells auf Condaford ihren Stolz und ihre Vorurteile, vor allem haßten sie es, öffentliches Aufsehen zu erregen.

Als Dinny zum Beispiel in die Pfarre St. Augustin im Grünen zum Lunch kam, herrschte dort eine ganz eigenartige Atmosphäre. Ihr war's, als hätten Onkel und Tante zu einander gesagt: ‹Wir können die Sache ja nicht ändern, aber verstehn oder billigen können wir sie auch nicht.› Sie sprachen zwar kein schroffes, nüchternes Verdammungsurteil aus, stellten sich nicht auf den streng kirchlichen Standpunkt, trugen keine moralische Entrüstung zur Schau, ließen aber dennoch durchblicken, ihrer Meinung nach hätte Clare etwas Gescheiteres tun können, als sich in solche Situation verwickeln.

Als Dinny mit Hilary fortging, um am Euston-Bahnhof von einer Reihe junger Leute Abschied zu nehmen, die nach Kanada auswanderten, fühlte sie sich recht unbehaglich, denn sie empfand für ihren überarbeiteten, selbstlosen Onkel aufrichtige Achtung und Liebe. Unter allen Mitgliedern ihrer pflichttreuen Familie gab sich keiner so selbstvergessen dem Dienst für den Nächsten hin. Zwar legte sich Dinny oft die Frage vor, ob die Leute, für die er arbeitete, nicht am Ende glücklicher lebten als er selbst, aber in ihren Augen lebte er dennoch in einer Welt des Unechten und des Scheins ein wahres, echtes Leben. Als er sich mit ihr allein sah, lieh er seinen Gefühlen deutlicheren Ausdruck.

«Weißt du, Dinny, was mich an Clares Affäre am meisten verdrießt? Die Welt wird sie jetzt zu jenen müßigen jungen Frauenzimmern zählen, die nichts Besseres anzufangen wissen, als sich in eheliche Konflikte zu verwickeln. Offen gestanden: Da zög ich es fast vor, sie liebte leidenschaftlich und setzte alles auf eine Karte.»

«Tröste dich, Onkel», murmelte Dinny, «du mußt ihr Zeit lassen, was nicht ist, kann noch werden.»

Hilary lächelte.

«Schön, schön! Aber du verstehst doch, was ich meine. Das Publikum ist gemein, kalt, schwatzhaft wie ein Papagei und pflegt von jedem das Schlechteste zu glauben. Wo es sich um echte Liebe handelt, kann ich mich mit dem meisten abfinden. Aber dieses Herumspielen mit erotischen Dingen ist mir in der Seele verhaßt. Es wirkt so abstoßend.»

«Du bist nicht ganz gerecht gegen Clare», erwiderte Dinny seufzend, «sie ist aus guten Gründen ausgebrochen. Und anziehende junge Frauen bleiben selten ohne Anbeter, das solltest du doch wissen, Onkel.»

«Na», bemerkte Hilary listig, «ich sehe schon, du könntest so manches enthüllen, wovon meine Pfarrerweisheit sich nichts träumen läßt. Da sind wir schon am Bahnhof. Du hast keine Ahnung, wieviel Mühe es gekostet hat, diese Jungen zur Auswanderung und die Behörden zur Einwanderungserlaubnis zu bewegen. Manchmal wünschte ich, ich wäre ein Champignon, der über Nacht aufschießt und frisch zum Frühstück verzehrt wird.»

Inzwischen hatten sie den Bahnhof betreten und begaben sich zu dem Zug, der nach Liverpool abgehn sollte. Eine kleine Gruppe von sieben Jungen in Stoffmützen stand vor einem Wagen dritter Klasse, andere waren schon drin; in echt englischer Art suchten sie sich gegenseitig in Stimmung zu erhalten, tauschten lustige Bemerkungen über ihr Aussehn und riefen ab und zu: «Bangemachen gilt nicht!» Sie grüßten Hilary mit den Worten:

«Hallo, Padre! … Abschied! Also los! … Zigarette gefällig, Sir?»

Hilary nahm die Zigarette. Dinny stand ein wenig abseits und stellte bewundernd fest, wie gut er sich gleich in die Gruppe fügte.

«Ich wollte, Sie kämen mit, Sir.»

«Ich wollt es auch gern, Jack.»

«Und ließen das alte England für immer zurück.»

«Das liebe alte England.»

«Sir?»

«Nun, Tommy?»

Die nächsten Bemerkungen entgingen ihr, das Interesse, das sie offenbar wachrief, machte sie etwas verlegen.

«Dinny!»

Sie schritt an den Waggon heran.

«Drück diesen jungen Männern die Hand. Meine Nichte.» Seltsames Schweigen herrschte, sie drückte sieben Hände von sieben bloßköpfigen Jungen und rief siebenmal: «Viel Glück!»

Dann eilten alle in den Wagen, Lärmen rauher Stimmen erscholl, laute Zurufe, und der Zug setzte sich in Bewegung. Sie stand neben Hilary, es würgte sie ein wenig in der Kehle, sie winkte mit der Hand den Mützen und Gesichtern, die sich zum Fenster hinausstreckten.

«Heute nacht werden alle seekrank sein», sagte Hilary leise, «wenigstens ein Trost. Das beste Mittel, das ungesunde Grübeln über Vergangenheit und Zukunft zu bannen.»

Als sie ihn verlassen hatte, ging sie zu Adrian und traf dort zu ihrer Bestürzung auch Onkel Lionel. Bei ihrem Eintritt verstummten beide plötzlich. Dann fragte der Richter:

«Kannst du uns nicht vielleicht sagen, Dinny, besteht irgendeine Aussicht, zwischen den beiden zu vermitteln, ehe es zu dieser unerquicklichen Sache kommt?»

«Keine, Onkel.»

«So! Als alter Praktikus beim Gericht kann ich Clare nur raten, nicht zu erscheinen und die Klage gar nicht anzufechten. Wenn keine Aussicht besteht, die Ehe wieder zu leimen, wozu die Geschichte noch länger hinausziehn?»

«Ganz meine Meinung, Onkel Lionel. Aber du weißt doch wohl, die Beschuldigungen sind unwahr.»

Der Richter zog eine Grimasse.

«Ich spreche als Mann, Dinny. Das Aufsehn, das die Affäre in der Öffentlichkeit erregt, wird Clares Ruf vernichten, mag sie nun gewinnen oder verlieren. Wenn aber sie und dieser junge Mann sich gar nicht verteidigen, wird die Sache keinen Staub aufwirbeln. Wie mir Adrian sagt, weigert sie sich, von Corven Alimente anzunehmen, dieser Punkt fällt also nicht ins Gewicht. Was war denn eigentlich zwischen den beiden los? Du weißt es natürlich.»

«Nur ganz vage und nur im Vertrauen.»

«Jammerschade!» bemerkte der Richter, «wenn die Leute von solchen Prozessen soviel wüßten wie ich, sie würden nie einen austragen.»

«Es handelt sich doch auch um den Anspruch auf Schadenersatz.»

«Jawohl, Adrian hat mir davon erzählt. Geradezu mittelalterlich.»

«War man denn nur im Mittelalter rachsüchtig, Onkel Lionel?»

«Möchte ich nicht behaupten», erklärte der Richter mit seinem schiefen Lächeln. «Ich bin nur überrascht, daß sich ein Mann in Corvens Stellung diesen Luxus leistet. Seine Gattin auf die Anklagebank zu zerren! Peinliche Geschichte, das!»

Adrian schlang den Arm um Dinnys Schultern.

«Dinny fühlt das stärker als sonst jemand.»

«Vermutlich», murmelte der Richter, «läßt Corven die Schadenersatzsumme wenigstens ihr zuschreiben.»

«Clare nimmt keinen Heller. Doch warum sollen sie nicht gewinnen? Onkel Lionel, ich dachte doch, das Gesetz sei dazu da, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.»

«Ich mag Geschwornengerichte nicht», meinte der Richter unvermittelt.

Dinny sah ihn neugierig an. Wie überraschend offenherzig! Er fügte hinzu:

«Sag Clare, sie soll deutlich sprechen, sich bei den Antworten kurz fassen und ja nicht geistreich sein. Lachen darf man nur über Witze des Richters.»

Bei diesen Worten verzog er wieder den Mund zu einem Lächeln, drückte ihr die Hand und trollte sich.

«Ist Onkel Lionel ein guter Richter?»

«Er soll unparteiisch und höflich sein. Ich hab ihn nie vor Gericht gesehn, aber soweit ich ihn als Bruder kenne, ist er gewissenhaft und gründlich, manchmal etwas sarkastisch. Diesen Fall beurteilt er ganz richtig, Dinny.»

«Auf dem ganzen Weg zu dir hatte ich denselben Gedanken, aber Vater läßt nicht locker, und dazu kommt noch dieser Anspruch auf Schadenersatz.»

«Wahrscheinlich bedauert die Gegenpartei diese Forderung schon jetzt. Seine Advokaten müssen bedenkenlose Subjekte sein, zerren alles Mögliche herbei, ihre Position zu stärken.»

«Ist das nicht die Pflicht der Advokaten?»

Adrian lachte. «Da kommt der Tee. Ertränken wir unsere Sorgen und gehn wir dann ins Kino. Jetzt läuft ein deutscher Film, der soll ganz großartig sein. Denk mal, Dinny, echte Größe auf der Leinwand!»


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