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XX

Und drei weitere Wochen verstrichen; während der ganzen Zeit sah Clare den jungen Croom nur vier Mal. Eben packte sie den Koffer, um mit dem Abendzug nach Condaford zu fahren, da rief das Bimmeln der Schafglocke sie die Wendeltreppe hinab.

Draußen stand ein gedrungener Mann mit Hornbrille, der sie entfernt an einen Gelehrten erinnerte. Er zog den Hut.

«Lady Corven?»

«Jawohl.»

«Gestatten Sie, ich habe Ihnen das da zu überbringen.»

Er holte aus dem blauen Mantel ein Schriftstück von länglichem Format und übergab es ihr.

Clare las die Worte:

‹Zivilgericht

Abteilung: Ehescheidungsangelegenheiten.

 

Am 26. Februar 1932

In Sachen des Scheidungsbegehrens von Sir Gerald Corven.›

 

Ein Gefühl der Schwäche durchrieselte ihre Beine, sie hob den Blick zu den Augen des Mannes mit der Hornbrille.

«Oh!» rief sie.

Der gedrungene Mann machte ihr eine leichte Verbeugung. Sie hatte den Eindruck, er bemitleide sie, und schloß hastig die Tür vor seiner Nase. Dann stieg sie die Wendeltreppe empor, ließ sich auf dem Sofa nieder und steckte eine Zigarette an. Hierauf entfaltete sie das Dokument auf ihrem Schoß. ‹Das ist ja Wahnwitz – ich hab doch nichts verbrochen!› war ihr erster Gedanke. Ihr zweiter: ‹Ich muß diesen verdammten Wisch doch lesen!›

Kaum hatte sie die Worte gelesen: ‹Sir Gerald Corven, Ritter des Bath-Ordens, stellt an den hohen Gerichtshof das Ansuchen –›, da schoß ihr ein neuer Gedanke durch den Kopf: ‹Aber das will ich ja gerade. Ich werd wieder frei!›

Etwas beruhigt las sie weiter: ‹Der Kläger beansprucht von dem obgenannten James Bernard Croom als Schadenersatz für den obgenannten, in obbemeldeter Weise erfolgten Ehebruch die Summe von zweitausend Pfund.›

Tony! Wenn er zweitausend Shilling besaß, so war es viel! Dieses Biest! Dieses rachsüchtige Scheusal! Also auf eine nackte Geldforderung lief die Sache hinaus! Unerhört! Das verletzte nicht allein ihr Gefühl, es jagte ihr panischen Schreck ein. Tony sollte, durfte nicht ihretwegen ruiniert werden! Sie mußte ihn sprechen! Hatte man auch ihm – aber natürlich hatte man auch ihm so was ins Haus geschickt.

Sie las das Klagebegehren zu Ende, tat einen langen Zug an ihrer Zigarette und erhob sich.

Dann trat sie ans Telephon, verlangte Fernamt und gab die Nummer seines Gasthofes an.

«Kann ich Mr. Croom sprechen? – Nach London gefahren? – In seinem Auto? – Wann?»

Vor einer Stunde! Das konnte nur bedeuten, daß er auf dem Weg zu ihr war!

Ein wenig besänftigt, überlegte sie rasch, was zunächst zu tun sei. Jetzt konnte sie nicht mehr mit dem Abendzug nach Hause fahren; sie verlangte Fernruf nach Condaford.

«Dinny? Hier Clare. Heut abend kann ich unmöglich kommen – morgen vormittag … Nein! Bin ganz wohlauf. Ein wenig verstimmt. Leb wohl!»

Ein wenig verstimmt! Sie nahm wieder Platz und las ‹den verdammten Wisch› nochmals durch. Man wußte anscheinend alles, nur nicht die Wahrheit. Weder sie noch Tony hatten die leiseste Ahnung gehabt, daß sie beobachtet wurden. Jener Mann mit der Hornbrille, zum Beispiel, schien sie offenbar zu kennen, sie aber hatte ihn noch nie zuvor gesehn! Sie ging ins Badezimmer und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. An den ‹Müller von Dee› denken! Die Situation war jetzt ungemein verzwickt.

‹Er wird noch nichts gegessen haben›, fuhr es ihr durch den Sinn.

Sie deckte unten den Tisch, stellte hin, was sie im Hause hatte, braute etwas Kaffee und nahm dann wieder Platz, um zu warten und eine Zigarette zu rauchen. Sie dachte an Condaford, die Gesichter ihrer Familie zogen an ihrem Blick vorüber, Tante Emilys Antlitz und das Jack Muskhams. Vor allem aber das Gesicht ihres Gatten mit seinem leisen, verbissenen, katzenhaften Lächeln. Sollte sie sich das bieten lassen? Ihm kampflos den Triumph gönnen? – Von seiner Schadenersatzforderung ganz zu schweigen. Hätte sie doch nur den Rat des Sir Lawrence und ihres Vaters befolgt und Jerry einen Detektiv auf die Fersen gehetzt! Jetzt war's zu spät – er würde bestimmt auf der Hut sein, bis der Fall erledigt war.

Noch immer saß sie gedankenverloren an dem elektrischen Ofen, da hörte sie draußen ein Auto halten und die Klingel gehn.

Der junge Croom sah blaß und verfroren aus. Verlegen stand er da, offenbar im Zweifel, ob sie ihn willkommen heißen würde; da nahm sie ihn an beiden Händen.

«Nette Geschichte das, gelt, Tony?»

«Ach Liebstes!»

«Du siehst ganz verfroren aus. Nimm doch einen Schluck Kognak!»

Während er trank, sagte sie:

«Reden wir nicht davon, was wir hätten tun sollen, nur darüber, was jetzt zu tun ist.»

Er stöhnte.

«Die müssen uns für fabelhaft grün gehalten haben. Nie hätt ich mir träumen lassen –»

«Ich auch nicht. Aber warum kann es denn nicht so gewesen sein, wie es wirklich war? Unschuld ist doch nicht verboten.»

Er ließ sich nieder und stützte die Stirn in die Hände. «Gott weiß, wie sehnlich ich es immer gewünscht hab, daß du von ihm loskommst; doch dieser Gefahr durfte ich dich nicht aussetzen. Wenn du mich so lieben könntest wie ich dich, stünde es freilich anders.»

Clare sah mit leisem Lächeln zu ihm nieder.

«Sei kein Kind, Tony! Schwatz nicht über unsere Gefühle, das hilft uns nicht weiter. Und quatsch nicht, es sei deine Schuld. Wir sind unschuldig, darum dreht sich's. Was tun wir also?»

«Ich werd natürlich alles tun, was du willst.»

«Wenn mich mein Gefühl nicht trügt», sagte Clare langsam, «werd ich tun müssen, was meine Familie von mir verlangt.»

«Herrgott!» rief der junge Croom und stand auf, «wenn wir uns verteidigen und gewinnen, bleibst du weiter an ihn gebunden. Scheußlich!»

«Und wenn wir uns nicht verteidigen und nicht gewinnen», murmelte Clare, «bist du ruiniert. Scheußlich!»

«Pah! Hol's der Teufel – höchstens werd ich bankrott.»

«Und deine Stellung?»

«Ich weiß nicht – weiß wirklich nicht – warum sollte –»

«Neulich traf ich Jack Muskham. Ich zweifle sehr, ob der einen Mitarbeiter mag, der ihn über seine Absichten dem Kläger gegenüber im unklaren ließ. Wie du siehst, ist mir die Juristensprache schon geläufig.»

«Wenn wir tatsächlich ein Liebespaar wären, hätt ich ihm sofort reinen Wein eingeschenkt.»

«Wirklich?»

«Natürlich!»

«Auch wenn ich dich gebeten hätte, es nicht zu tun?»

«Du hättest mich nicht gebeten.»

«Das weiß ich nicht.»

«Na, schließlich kommt das nicht in Frage.»

«Aber wenn wir die Klage nicht anfechten, wirst du dir wie ein Feigling vorkommen.»

«Herrgott! Eine schöne Geschichte!»

«Setz dich doch lieber und iß etwas. Ich hab nur diesen Schinken zu Hause, aber nichts geht über Schinken, wenn man sich angegriffen fühlt.»

Sie nahmen Platz; bald klapperten die Gabeln.

«Clare, weiß es deine Familie schon?»

«Ich hab es doch selbst erst vor einer Stunde erfahren. Ist dir auch so ein reizendes Dokument ins Haus geflattert?»

«Jawohl.»

«Noch eine Scheibe?»

Schweigend aßen sie eine oder zwei Minuten. Dann erhob sich der junge Croom.

«Ich kann wirklich nichts mehr essen.»

«Na, dann rauche!»

Sie ließ sich von ihm eine Zigarette geben und fuhr fort:

«Paß auf! Ich fahre morgen nach Condaford hinaus und wäre dafür, daß du auch hinkommst. Die Meinen sollen dich kennenlernen, denn wir müssen uns jetzt jeden weitern Schritt gründlich überlegen. Hast du schon einen Anwalt?»

«Nein.»

«Ich auch nicht. Wir werden aber vermutlich einen nehmen müssen.»

«Ich werd das schon besorgen. Hätt ich nur Geld!»

Clare zuckte zusammen.

«Ich schäme mich eines Gatten, der imstande ist, Schadenersatz zu beanspruchen.»

Der junge Croom ergriff ihre Hand. «Liebstes, ich dachte ja nur an den Rechtsanwalt.»

«Erinnerst du dich noch, wie ich dir auf dem Schiff sagte: ‹Noch blöder, daß manches in der Welt einen Anfang nimmt!›»

«Nein, das geb ich nie und nimmer zu.»

«Ich bezog das auf meine Ehe, nicht auf dich.»

«Clare, wäre es nicht am Ende das beste, wir verteidigen uns überhaupt nicht – lassen die Dinge einfach treiben? Dann wirst du frei. Und dann – hast du ja mich, wenn du mich später magst; und wenn nicht, dann verschwinde ich vom Schauplatz.»

«Tony, du bist wirklich ein lieber Kerl, doch ich muß mit den Meinen sprechen. Und dann – oh, da gibt es noch allerlei zu bedenken.»

Er begann auf- und abzuschreiten.

«Und wenn wir uns verteidigen, wird man uns Glauben schenken? Meinst du? Ich nicht.»

«Wir werden nur die reine Wahrheit sagen. Aber gerade die reine Wahrheit will die Welt nie glauben. Mit welchem Zug fährst du?»

«Um zehn Uhr fünfzig.»

«Soll ich mitfahren oder am Nachmittag von Bablock Hythe kommen?»

«Das wäre am besten. Dann hab ich's meinen Leuten schon beigebracht.»

«Werden sie sich arg aufregen?»

«Angenehm wird es ihnen gewiß nicht sein.»

«Ist deine Schwester zu Hause?»

«Ja.»

«Das trifft sich gut.»

«Tony, die Meinen sind zwar nicht ausgesprochen altmodisch, aber modern denken sie auch nicht. Das tun überhaupt nur sehr wenige Menschen, wenn etwas sie persönlich angeht. Anwälte, Richter und Geschworene wohl keinesfalls. Jetzt geh lieber! Und versprich mir, nicht wieder wie der Teufel zu fahren.»

«Darf ich dir einen Kuß geben?»

«Da müßten wir noch einen bekennen. Drei haben wir ohnedies auf dem Kerbholz. Küß mir die Hand, das zählt nicht.»

Er küßte ihr die Hand, murmelte: «Behüt dich Gott», packte den Hut und ging.

Clare drehte den Stuhl dem nicht flackernden elektrischen Feuer zu und saß gedankenverloren da. Die trockene Hitze brannte ihr in den Augen, bis sie das Gefühl hatte, sie habe keine Lider und keine Tränen. Langsam, doch unaufhaltsam geriet sie in Zorn. Alle Gefühle, die sie vor jenem Morgen in Ceylon empfunden, als sie den Entschluß zur Trennung gefaßt hatte, kehrten mit verdoppelter Wucht zurück. Wie durfte er es wagen, sie wie ein leichtfertiges Frauenzimmer zu behandeln – nein, schlimmer! Ein leichtfertiges Frauenzimmer hätte nie so viel ertragen! Wie durfte er es wagen, sie mit jener Peitsche zu berühren? Und jetzt, wie durfte er sich erfrechen, sie beobachten zu lassen und diese Klage zu erheben? Nein, das ließ sie sich nie und nimmer bieten!

Sie begann, das Eßgeschirr zu spülen und fortzuräumen. Sie öffnete weit die Tür und ließ den Wind eindringen. Eine unangenehme Nacht, leichte Windstöße fegten in der engen Gasse auf und nieder.

‹Paßt ganz zu meiner Stimmung›, fuhr es ihr durch den Sinn; sie warf die Tür wieder zu und nahm den Handspiegel hervor. Ihr Gesicht schien ihr jetzt so natürlich, so ungeschützt, daß sie erschauerte. Sie barg es unter einer Puderschicht und bestrich die Lippen mit ein wenig Rouge. Dann holte sie tief Atem, zuckte die Achseln, steckte sich eine Zigarette an und stieg die Treppe empor. Ein heißes Bad!


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