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XXII

Als der junge Croom wieder hinausgefahren war in den Eisregen und Wind dieses trüben Tages, ließ er alle in ausgesprochen düsterer Stimmung zurück. Clare sagte, sie habe Kopfschmerzen und wolle sich niederlegen, dann ging sie auf ihr Zimmer. Die drei Übrigen saßen um den Teetisch und sprachen nur zu den Hunden, ein untrügliches Zeichen ihrer Verstörtheit.

Endlich stand Dinny auf: «Nun, meine Lieben, was nützt es, den Kopf hängenzulassen. Fassen wir doch die Lichtseite ins Auge! Die beiden sind weiß wie Schnee – wie erst, wenn sie schwarz wären wie Kohlenbrenner?»

Statt einer Antwort sprach der General mehr zu sich selbst:

«Sie müssen die Klage anfechten. Dieser Kerl darf nicht immer seinen Willen durchsetzen.»

«Aber Vater, wenn Clare mit völlig reinem Gewissen ihre Freiheit wieder bekäme, wäre das nicht nett und eine Ironie des Schicksals und würde weit weniger Staub aufwirbeln?»

«Eine solche Anklage soll man ruhig hinnehmen?»

«Clares guter Ruf ist ja doch dahin, auch wenn sie gewinnt. Man verbringt nicht ungestraft eine Nacht mit einem jungen Mann im Auto. Nicht wahr, Mutter?»

Lady Cherrell lächelte matt.

«Ich gebe deinem Vater recht, Dinny. Mir scheint der Gedanke empörend, daß Clares Ehe aus ihrem Verschulden geschieden werden soll. Sie hat doch nichts verbrochen, war nur ein wenig unbesonnen. Übrigens, hieße das nicht dem Gesetz ins Gesicht schlagen?»

«Liebe Mutter, das Gesetz wird es schon aushalten. Ach was!» Dinny schwieg und blickte prüfend in die kummervollen Mienen ihrer Eltern – offenbar maßen Vater und Mutter der Ehe und Scheidung eine geheimnisvolle Bedeutung bei, die sie in Dinnys Augen nicht besaßen. Aber was sie auch sagen mochte, es würde nichts dran ändern.

«Dieser junge Mann scheint ein netter Kerl zu sein», meinte der General. «Er wird nach London kommen und mit uns den Rechtsanwalt besuchen müssen.»

«Vater, ich fahre lieber mit Clare morgen abend in die Stadt und rede mit Onkel Lawrence; er soll dir für Montag nach dem Lunch eine Besprechung mit dem Anwalt vereinbaren. Ich rufe dich und Tony Croom am Vormittag aus der Mount Street an.»

Der General nickte und erhob sich. «Scheußlicher Tag!» rief er und legte seiner Frau die Hand auf die Schulter. «Nimm dir's nicht so sehr zu Herzen, Lizzy! Die beiden müssen eben die Wahrheit sagen. Ich geh jetzt in mein Arbeitszimmer und werfe dann einen Blick auf den neuen Schweinestall. Du könntest später hereinschaun, Dinny …»

 

In kritischen Zeiten fühlte sich Dinny in der Mount Street stets mehr zu Hause als in Condaford. Sir Lawrence hatte ein viel lebhafteres Temperament als ihr Vater, und Tante Emilys sprunghaftes Wesen wirkte zugleich anregender und beruhigender als das stille, maßvolle Mitgefühl ihrer Mutter. War die Krise erst im Anzug oder schon überwunden, dann fühlte sie sich nirgends so wohl wie in Condaford, doch für Nervenkrisen und schwerwiegende Entschlüsse war es dort gar zu ruhig. Im Vergleich mit andern Herrenhäusern war es wirklich altmodisch, dieses Schloß der einzigen Adelsfamilie, die seit mehr als drei oder vier Generationen in der Grafschaft wohnte. Schloß Condaford genoß beinahe den Ruf einer altehrwürdigen Institution. Man sprach von ‹Condaford Grange› und den ‹Cherrells auf Condaford› wie von Raritäten. Das gesellige Wochenende und der laute Sportbetrieb der großen Herrenhäuser waren ihnen fremd. Die zahlreichen Familien der kleineren Besitzungen erhoben das Landleben zu einer Art Kult, veranstalteten Tennis- und Bridgepartien, ländliche Unterhaltungen und machten Besuche in der Runde; hier und dort fanden sie sich zur Jagd ein, zum Golfspiel und so weiter. Die Cherrells, die viel tiefer im Land verwurzelt waren, bekam man am wenigsten zu Gesicht. Wären sie fortgezogen, man hätte sie freilich arg vermißt, doch außer den Dorfbewohnern schien niemand sie für wirklich zu halten.

Trotz ihres stets tätigen Lebens in Condaford ging Dinny hier oft die tiefe Ruhe auf die Nerven, wie einem Wachenden die Stille der Nacht. Bei so aufregenden Erlebnissen wie Huberts Angelegenheit vor drei Jahren, ihrem eignen Kummer vor zwei Jahren und jetzt der Affäre ihrer Schwester, empfand sie sogleich heftige Sehnsucht nach einem Ort, wo der Strom des Lebens rascher floß.

Sie setzte Clare in der Mews ab, fuhr im Auto weiter und traf noch vor dem Dinner in der Mount Street ein.

Michael und Fleur waren zugegen, das Tischgespräch drehte sich bald um Literatur, bald um Politik. Michael war der Ansicht, die Zeitungen hätten sich dran gewöhnt, das Land allzusehr in Ruhe und Sicherheit zu wiegen, die Regierung werde darüber noch einschlafen. Sir Lawrence dagegen gab seiner Freude Ausdruck, daß sie, sicherem Vernehmen zufolge, doch noch die Augen offenhalte.

Plötzlich fragte Lady Mont: «Und das Baby, Dinny?»

«Danke, Tante Emily, dem geht es ausgezeichnet. Es kann schon laufen.»

«Ich hab den Stammbaum nachgezählt, er ist der vierundzwanzigste Cherrell auf Condaford. Vorher waren sie Franzosen. Wird Jeanne noch weitere kriegen?»

«Ich möchte wetten», meinte Fleur, «ich hab nicht so bald eine junge Frau gesehn, der es soviel Vergnügen macht.»

«Sie werden aber nichts zu beißen haben.»

«Oh, die beißen sich schon durch.»

«Sonderbarer Ausdruck!» bemerkte Lady Mont.

«Dinny, wie geht es Clare?»

«Ganz gut.»

«Ist die Affäre weitergediehn?» Dinny war's, als dränge ihr Fleurs klarer Blick bis ins Hirn.

«Ja, aber –»

Michaels Stimme brach das Schweigen.

«Dornford hat eine ausgezeichnete Idee, Vater, er meint –»

Dornfords ausgezeichnete Idee ging für Dinny verloren, sie sann angestrengt darüber nach, ob sie Fleur ins Vertrauen ziehn solle. Keine andere Frau unter allen ihren Bekannten dachte so rasch und klar wie Fleur, besaß in sozialen Dingen solch zynisch gesundes Urteil. Auch wußte sie ein Geheimnis zu wahren. Doch es war ja nicht Dinnys eigenes Geheimnis, sondern Clares, daher beschloß sie, zunächst nur Sir Lawrence zu befragen.

Spät am Abend erstattete sie ihm Bericht. Er zog dabei die Brauen hoch.

«Die ganze Nacht in einem Auto, Dinny? Etwas stark. Morgen um zehn geh ich zu den Anwälten. Da ist jetzt der ‹ganz junge› Roger Forsyte, Fleurs Vetter, will trachten, daß ich den erwische, vielleicht schenkt er uns eher Glauben als seine ältern, hartgesottnen Partner. Wir gehn dann beide auch mit und bezeugen, daß wir ihr glauben.»

«Ich bin noch nie in der City gewesen.»

«Ein seltsamer Fleck Erde. Sozusagen das Herz der Welt. Banken und Romantik. Mach dich auf einen leichten Schock gefaßt.»

«Was meinst du, sollen sie die Klage anfechten?»

Sir Lawrences lebhafter Blick ruhte auf Dinnys Gesicht.

«Wenn du mich fragst, ob man ihnen glauben wird – ich sage nein. Aber wir könnten uns wenigstens darüber auseinandersetzen.»

« Du glaubst ihnen doch, gelt?»

«Deinetwegen, Dinny. Clare würde es sonst nicht wagen, dich hineinzuziehn.»

Dinny entsann sich der Mienen ihrer Schwester und des jungen Croom. «Sie sagen bestimmt die Wahrheit», rief sie ehrlich entrüstet, «und man sieht es ihnen an. Es wäre wirklich gemein, ihnen nicht zu glauben.»

«Diese Gemeinheit triffst du überall in unsrer gemeinen Welt. Du siehst übrigens müde aus, meine Liebe. Geh doch schlafen.»

In diesem Schlafzimmer, wo sie in den Tagen ihres Kummers so viele Nächte verbracht hatte, kam Dinny wieder im Halbschlaf jener Angsttraum, in dem sie sich Wilfrid ganz nah fühlte und ihn doch nicht erreichen konnte; und unablässig ging jener Kehrreim durch ihren müden Kopf: ‹Noch ein Strom, noch ein Strom, den ich queren muß› …

 

Am folgenden Tag um vier Uhr drang fast ein ganzer Stamm in die Anwaltskanzlei von Kingson, Cuthcott & Forsyte ein, die in der Old Jewry, jener stillen, gelben Hintergasse lag.

«Was ist denn aus dem alten Gradman geworden, Mr. Forsyte?» hörte Dinny ihren Onkel fragen. «Ist er noch hier?»

Der ‹ganz junge› Roger Forsyte, der zweiundvierzig war, erwiderte mit einer Stimme, die zu seinem Kinn gar nicht zu passen schien: «Mir scheint, er lebt noch in Pinner auf dem Land oder in London in Highgate, oder sonstwo.»

«Sollt mich freuen», murmelte Sir Lawrence. «Der alte Fors– äh, Ihr Vetter hielt viel auf ihn. Ein Erbstück aus der viktorianischen Ära.»

Der ‹ganz junge› Roger lächelte. «Wollen Sie nicht alle Platz nehmen?»

Dinny, die noch nie in der Kanzlei eines Rechtsanwalts gewesen war, besah sich die Gesetzbücher an den Wänden, die Aktenbündel, die vergilbten Rollvorhänge, den häßlichen pechschwarzen Kamin, in dem ein kleines Kohlenfeuer brannte, das nicht zu wärmen schien, die Karte eines Grundbesitzes, die bei der Tür an der Wand hing, den niedrigen Korb auf dem Tisch, die Federhalter, das Siegellack und endlich den ‹ganz jungen› Roger selbst. Er gemahnte sie irgendwie an ein Album mit gepreßten Pflanzen, wie sie ihre erste Erzieherin gesammelt hatte. Sie sah, daß der Vater sich erhob und dem Anwalt ein Dokument übergab.

«Wir kommen wegen dieser Sache.»

Der Blick des ‹ganz jungen› Roger glitt von der Überschrift des Dokuments zu Clare hinüber.

‹Wie weiß er nur, wen von uns beiden das angeht?› dachte Dinny.

«An diesen Beschuldigungen ist kein wahres Wort», erklärte der General.

Der ‹ganz junge› Roger strich sich übers Kinn und begann zu lesen. Dinny sah, wie seine Züge einen scharfen, vogelartigen Ausdruck annahmen.

Als er Dinnys beobachtenden Blick gewahrte, ließ er das Papier sinken und bemerkte: «Die scheinen es sehr eilig zu haben. Der Kläger hat, wie ich sehe, in Ägypten die Vollmacht ausgestellt. Er muß eigens ausgestiegen sein, um nur Zeit zu gewinnen. Mr. Croom?»

«Jawohl.»

«Wünschen Sie, daß wir auch Sie vertreten?»

«Ja.»

«Also Lady Corven und Sie. Bitte vielleicht später wieder hereinzukommen, Sir Conway.»

«Könnte meine Schwester nicht hier bleiben?» fragte Clare.

Dinnys Blick traf den des Advokaten. «Gewiß.» Sie wußte nicht recht, ob das aufrichtig gemeint war.

Der General und Sir Lawrence verließen die Kanzlei, Schweigen trat ein. Der ‹ganz junge› Roger lehnte sich an den Kamin und nahm unerwartet eine Prise. Wie Dinny sah, war er hager und ziemlich hoch gewachsen und hatte ein vorspringendes Kinn. Sein Haar war gelbgrau getönt, die hohlen Wangen gerötet.

«Lady Corven, Ihr Vater erklärt diese – äh – Beschuldigungen für unwahr.»

«Die Tatsachen stimmen, die Schlüsse sind falsch. Zwischen Mr. Croom und mir ist nichts vorgefallen, nur zwei Küsse gab er mir auf die Wange.»

«Aha! Und jene Nacht im Auto?»

«Nichts», versicherte Clare, «nicht einmal ein Kuß.»

«Nichts», wiederholte der junge Croom, «nicht das mindeste.»

Der ‹ganz junge› Roger fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

«Bitte, es nicht mißzuverstehen, aber ich möchte gern erfahren, was Sie füreinander fühlen – wenn von Gefühlen überhaupt die Rede sein kann.»

«Wir sprechen die volle Wahrheit», sagte Clare mit heller Stimme, «wie ich es meiner Familie versicherte; drum bat ich ja meine Schwester zu bleiben. Nun, Tony?»

Die Lippen des ‹ganz jungen› Roger zuckten. Dinny gewann den Eindruck, als feßle ihn die Sache nicht nur vom Standpunkt des Anwalts; auch seine Kleidung wirkte ein wenig befremdend – war es die Weste oder die Krawatte? Und jene Prise – am Ende war gar ein Künstler an ihm verlorengegangen?

«Nun, Mr. Croom?» fragte er.

Der junge Croom war feuerrot geworden und streifte Clare mit fast zornigem Blick.

«Ich liebe sie.»

«Verstehe», sagte der ‹ganz junge› Roger und öffnete wieder die Schnupftabaksdose. «Und Sie, Lady Corven, betrachten ihn als Ihren Freund?»

Clare nickte mit ein wenig überraschter Miene.

Dinny empfand dem Befrager gegenüber beinahe etwas wie Dank – er führte jetzt ein buntseidenes Taschentuch an die Nase.

«Das Übernachten im Auto war reiner Zufall», fiel Clare rasch ein. «Es war stockfinster im Wald, die Scheinwerfer waren ausgebrannt, und wir wollten es nicht riskieren, so spät in der Nacht miteinander gesehn zu werden.»

«Begreiflich! Verzeihn Sie meine Frage: Sie sind also beide bereit, vor Gericht zu treten und unter Ihrem Eid zu erklären, zwischen Ihnen sei nicht das Geringste vorgefallen, weder in jener Nacht, noch bei irgendeiner andern Gelegenheit, abgesehn von – wie sagten Sie doch – drei Küssen?»

«Auf meine Wange», sagte Clare; «den einen gab er mir auf der Straße – ich saß im Auto, er nicht, die andern – wann bekam ich denn die andern, Tony?»

«In deiner Wohnung, ich hatte dich vierzehn Tage lang nicht gesehn», stieß der junge Croom zwischen den aufeinander gepreßten Zähnen hervor.

«Und Sie ahnten beide nicht, daß Sie – äh – bespitzelt wurden?»

«Mein Gatte hatte es mir angedroht, das wußte ich, doch hatten wir beide nichts davon bemerkt.»

«Lady Corven, Sie haben also Ihren Gatten verlassen. Möchten Sie mir den Grund dafür angeben?»

Clare schüttelte den Kopf.

«Ich mag auf die Einzelheiten meiner Ehe nicht eingehn, weder hier noch irgendwo anders. Und ich kehre nicht zu ihm zurück.»

«Unstimmigkeiten – oder Schlimmeres?»

«Schlimmeres, denk ich.»

«Also kein konkretes Belastungsmoment. Sind Sie sich auch klar, wie wichtig das ist?»

«Jawohl, doch ich mag darüber nicht sprechen, nicht einmal vertraulich.»

«Brutal war er zu ihr, natürlich», stieß der junge Croom hervor.

«Sie kennen ihn, Mr. Croom?»

«Hab ihn nie im Leben gesehn.»

«Wie können Sie dann –?»

«Er bildet sich das nur ein, weil ich Jerry so plötzlich verließ. Gar nichts weiß er.»

Dinny sah den Blick des ‹ganz jungen› Roger auf sich ruhn. ‹ Du› weißt etwas›, schien dieser Blick zu sagen. ‹Der läßt sich kein X für ein U vormachen!› schoß es ihr durch den Kopf.

Er war vom Kamin zurückgekehrt, trat ein wenig hinkenden Schritts wieder an seinen Schreibtisch und ließ sich dort nieder. Dann langte er nach dem Dokument und las es mit zusammengekniffnen Augen nochmals durch.

«Von einer derartigen Beweisführung ist der Gerichtshof meist nicht sonderlich erbaut; ich bezweifle sogar, ob hier überhaupt von Beweisführung die Rede sein kann. Dennoch sind die Aussichten nicht eben glänzend. Wenn Sie nur einen gewichtigen Grund dafür angeben könnten, warum Sie Ihren Gatten verließen! Und wenn wir über die Nacht im Auto rasch hinweggleiten könnten!» Sein Vogelblick glitt zuerst zu Clare, dann zum jungen Croom hinüber. «Aber Sie werden sich doch nicht in contumaciam verurteilen lassen und so hohen Schadenersatz und die Prozeßkosten tragen, wenn Sie – äh – schuldlos sind.» Er senkte den Blick.

‹Na, viel merkt man von seiner Leichtgläubigkeit nicht!› fuhr es Dinny durch den Sinn.

Der ‹ganz junge› Roger zückte ein Papiermesser.

«Wenn Sie die Klagepunkte bestreiten und dann nicht zur Verhandlung erscheinen, können wir vielleicht eine Herabsetzung der Schadensumme erwirken. Darf ich Sie nach Ihren finanziellen Verhältnissen fragen, Mr. Croom?»

«Ich habe keinen roten Heller, doch das spielt hier keine Rolle.»

«Wenn wir die Klage anfechten – was bedeutet das eigentlich?» fragte Clare.

«Sie erscheinen beide vor Gericht und stellen die Beschuldigungen in Abrede. Sie werden dann einem Verhör unterzogen, und wir verhören den Kläger und seine Detektive. Offen gestanden, wenn Sie keinen gewichtigen Grund beibringen, warum Sie Ihren Gatten verließen, ist der Richter fast sicher gegen Sie. Und dann», fügte er beinahe jovial hinzu, «eine Nacht ist eine Nacht, besonders vor dem Scheidungsgericht. Auch wenn man sie im Auto verbracht hat, auch wenn das Gericht, wie gesagt, meist noch striktere Beweise verlangt.»

«Mein Onkel ist der Meinung», erklärte Dinny ruhig, «einige von den Geschworenen dürften ihnen doch glauben und die Ersatzsumme könnte jedenfalls ermäßigt werden.»

Der ‹ganz junge› Roger nickte.

«Hören wir einmal, was Mr. Kingson dazu sagt. Nun möchte ich noch gern einige Worte mit Ihrem Vater und Sir Lawrence sprechen.»

Dinny schritt zur Tür und hielt sie für ihre Schwester und den jungen Croom offen. Dann glitt ihr Blick zu dem ‹ganz jungen› Roger zurück. Ihr war's, als suche er seine nüchterne Denkart zurückzudrängen. Er fing ihren Blick auf, erwiderte ihn durch eine komische leichte Kopfbewegung und holte die Schnupftabaksdose hervor. Sie schloß die Tür und trat auf ihn zu.

«Sie tun Unrecht daran, den beiden nicht zu glauben. Sie sprechen die volle Wahrheit.»

«Miss Cherrell, warum hat sie ihren Gatten verlassen?»

«Wenn sie selbst es nicht sagen will, darf ich es auch nicht, doch ich bin überzeugt, sie war im Recht.»

Er sah sie einen Augenblick durchdringend an.

«Ich wollte, Sie wären an ihrer Stelle», erklärte er unvermittelt. Dann nahm er eine Prise und wandte sich dem General und Sir Lawrence zu.

«Nun?» fragte der General.

Der ‹ganz junge› Roger wirkte auf einmal noch gelbgrauer als früher.

«Wenn sie guten Grund hatte, ihren Gatten zu verlassen –»

«Jawohl, den hatte sie!»

«Vater!» rief Dinny warnend.

«Sie scheint keine Auskunft darüber geben zu wollen.»

«Tät ich auch nicht», erklärte Dinny.

«Gerade das aber gäbe vielleicht den Ausschlag», murmelte der ‹ganz junge› Roger.

«Mr. Forsyte, für den jungen Croom ist das eine ernste Sache», warf Sir Lawrence ein.

«Für alle Fälle eine ernste Sache, Sir Lawrence, ob sie die Klage bestreiten oder nicht. Ich möchte lieber beide einzeln sprechen. Dann werd ich Mr. Kingson um seine Meinung befragen und Ihnen morgen Bescheid geben. Würde Ihnen das passen, General?»

«Ich bin empört», rief der General, «wenn ich an diesen Burschen, diesen Corven, nur denke!»

«Begreiflich!» sagte der ‹ganz junge› Roger, und Dinny war's, als habe sie noch nie eine Äußerung gehört, die so viel Zweifel verriet.


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