Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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Fink sah ihr nach und rief: «Beim Zeus, sie ist eine Schönheit geworden, die Haltung ist tadellos, sie versteht sogar zu gehen. Ich bezweifle nicht mehr, daß sie Verstand hat.» Er griff Antons Arm und lenkte den Freund von dem Schießplatz ab bis untern den wilden Birnbaum. Dort schüttelte er ihm herzhaft die Hand und rief: «Noch einmal sei mir gegrüßt, du Treuer. Laß dir sagen, daß ich vor Erstaunen noch nicht zu mir kommen kann. Wenn mir jemand gesagt hätte, daß ich dich als rot und schwarz bemalten Indianer, eine Streitaxt in der Hand und Skalplocken an der Hosennaht, wiederfinden würde, ich hätte den Mann für wahnsinnig erklärt. Dich, den Ruhigen, Bedächtigen, geboren, eine Berlocke zu tragen, dich sehe ich hier auf wüstem Heideland mit Mordgedanken im Busen und, bei meiner Seele, ohne Halsbinde. Wenn wir uns verändert haben, du hast's nicht am wenigsten getan. Nun, du kannst dir die Veränderung gefallen lassen.»

«Du weißt; wie ich hierhergekommen bin», erwiderte Anton.

«Ich denke mir's», sagte Fink, «ich habe die Tanzstunde nicht vergessen.»

Antons Auge umwölkte sich. «Verzeih», fuhr Fink lachend fort, «und halte einem alten Freund etwas zugut.»

«Du irrst», entgegnete Anton ernst, «wenn du glaubst, daß mich leidenschaftliches Gefühl hierhergetrieben hat. Durch eine Reihe von Zufällen bin ich mit der Familie des Freiherrn in Verbindung gekommen.» – Fink lächelte. – «Ich gestehe dir, daß sie an mir vorübergegangen wären, wenn nicht mein Gemüt sehr empfänglich für die Eindrücke von dort gewesen wäre. Doch darf ich mit Recht sagen, daß ich durch Zufall in die Lage geraten bin, ein großes Vertrauen zu erhalten. In einer Zeit, wo der Freiherr in schwierigen Verhältnissen war, wurde ich von seinen Angehörigen für den Mann angesehen, der wenigstens den guten Willen hatte, ihnen zu nützen. Sie sprachen gegen mich den Wunsch aus, ich möchte eine Zeitlang für ihr Interesse tätig sein. Als ich ihren Vorschlag annahm, ist es erst nach einem inneren Kampf geschehen, den ich selbst dir zu enthüllen kein Recht habe.»

«Das ist alles recht schön», entgegnete Fink, «aber wenn der Kaufmann sich ein Feuergewehr und einen Säbel kauft, so muß er doch wissen, weshalb er diese Ausgaben macht. Und deshalb verzeihe mir die runde Frage: Was willst du hier?»

«Hierbleiben, solange ich das Gefühl habe, daß ich hier nötig bin, und mir dann einen Platz in einem Kontor suchen», erwiderte Anton.

«Bei unserm alten Prinzipal?» fragte Fink schnell.

«Oder woanders.»

«Teufel!» rief Fink aus. «Das sieht nicht aus wie ein gerader Weg und auch nicht wie ein offenes Geständnis; indes muß man von dir in der ersten Stunde nicht zuviel verlangen. Ich will ehrlicher gegen dich sein. Ich habe mich dort drüben frei gemacht. Und ich danke dir für deinen Brief und den Rat, welchen deine Weisheit mir gegeben. Ich habe, wie du vorschriebst, die Zeitungspresse benutzt, um meine Westlandkompanie in die Luft zu sprengen. Natürlich flog ich mit in die Luft. Für einige tausend Dollar erkaufte ich ein halbes Dutzend Federn und ließ die Blätter von New York und mehrere andere unaufhörlich mit haarsträubenden Berichten über die Nichtswürdigkeit der Gesellschaft anfüllen. Aus jeder Tonart ließ ich gegen mich und meine Leute klagen und fluchen. Die Sache machte Aufsehen. Bruder Jonathan wurde aufmerksam, alle unsere Nebenbuhler und Konkurrenten stießen in mein Horn. Und ich hatte das Vergnügen, mich selbst und meine Gesellschaft als blutdürstige Schwindler und Schinder täglich in einem Dutzend Blätter porträtiert zu sehen. Alles für mein schweres Geld. Es war eine tolle Hetzjagd. Nach vier Wochen war die Westlandkompanie so herunter, daß kein Hund ein Stück Brot von ihr genommen hätte. Da kamen meine Mitdirektoren von selbst zu mir und boten mir an, mich auszuzahlen und von ihrer Gesellschaft zu befreien. Du kannst dir denken, wie froh ich war. Übrigens habe ich die Freiheit teuer erkauft und habe, nebenbei bemerkt, dort drüben das Renommee hinterlassen, der leibhaftige Teufel zu sein. Bah, es tut nichts, bin ich doch frei! – Jetzt aber habe ich dich aufgesucht aus zwei Gründen: erstens, um dich wiederzusehen und mit dir zu plaudern, und zweitens, um mit dir einiges von meiner Zukunft ernsthaft zu besprechen. Und, gerade herausgesagt, ich wünsche dich dafür zu werben. Du hast mir gefehlt die ganze Zeit. Ich weiß nicht, was ich in dir finde, denn im Grunde bist du ein trockner Bursch und widerspenstiger, als mir manchmal recht ist. Aber trotz alledem empfand ich in der Fremde eine gewisse Sehnsucht nach dir. Ich habe mich auch mit meinem Vater auseinandergesetzt, es ist nicht ohne heiße Kämpfe und darauffolgende Kälte abgegangen. Darum wiederhole ich dir den alten Antrag: komm mit mir. An die See, nach England, über das Wasser, je nachdem. Wir wollen uns zusammensetzen und überlegen, was wir anfangen. Wir sind jetzt beide frei, und die Welt steht uns offen.»

Anton schlug den Arm um den Hals des Freundes. «Mein lieber Fritz», rief er, «nimm an, daß alles Herzliche gesagt sei, was ich bei deinem edelmütigen Antrag fühle. Aber du siehst, ich habe vorläufig hier Verpflichtungen.»

«Nach dem, was du mir soeben offiziell mitgeteilt hast, schließe ich, daß sie nicht ewig dauern werden», entgegnete Fink.

«Das ist wahr, aber wir stehen doch nicht gleich. Sieh», sagte Anton, die Hand ausstreckend, «so reizlos diese Landschaft ist und so unangenehm ein großer Teil der Menschen, welche hier leben, so sehe ich sie doch mit andern Augen an als du. Du bist viel mehr Weltbürger als ich, du wirst kein großes Interesse haben an dem Leben des Staates, von welchem diese Fläche und dein Freund Teile, wenn auch kleine, sind.»

«Nein», sagte Fink, verwundert auf Anton blickend, «ein großes Interesse habe ich nicht, und was ich jetzt von der Wirtschaft hier bei euch höre und sehe, das macht mir den Staat, als dessen Bruchteil du so viel Selbstgefühl empfindest, durchaus nicht respektabel.»

«Ich aber denke anders», unterbrach ihn Anton. «Wer nicht gezwungen wird, soll gerade jetzt nicht das Land verlassen.»

«Was höre ich?» rief Fink.

«In einer wilden Stunde habe ich erkannt», fuhr Anton fort, «wie sehr mein Herz an dem Lande hängt, dessen Bürger ich bin. Seit der Zeit weiß ich, weshalb ich in der Landschaft stehe. Um uns herum ist für den Augenblick alle gesetzliche Ordnung aufgelöst, ich trage Waffen zur Verteidigung meines Lebens, und wie ich hundert andere mitten in einem fremden Stamm. Welches Geschäft auch mich, den einzelnen, hierhergeführt hat, ich stehe jetzt hier als einer von den Eroberern, welche für freie Arbeit und menschliche Kultur einer schwächeren Rasse die Herrschaft über diesen Boden abgenommen haben. Wir und die Slawen, es ist ein alter Kampf. Und mit Stolz empfinden wir: auf unserer Seite ist die Bildung, die Arbeitslust, der Kredit. Was die polnischen Gutsbesitzer hier in der Nähe geworden sind – und es sind viele reiche und intelligente Männer darunter -, jeder Taler, den sie ausgeben können, ist ihnen auf die eine oder andere Weise durch deutsche Tüchtigkeit erworben. Durch unsere Schafe sind ihre wilden Herden veredelt, wir bauen die Maschinen, wodurch sie ihre Spiritusfässer füllen; auf deutschem Kredit und deutschem Vertrauen beruht die Geltung, welche ihre Pfandbriefe und ihre Güter bis jetzt gehabt haben. Selbst die Gewehre, mit denen sie uns zu töten suchen, sind in unsern Gewehrfabriken gemacht oder durch unsere Firmen ihnen geliefert. Nicht durch eine ränkevolle Politik, sondern auf friedlichem Wege, durch unsere Arbeit, haben wir die wirkliche Herrschaft über dieses Land gewonnen. Und darum, wer als ein Mann aus dem Volk der Eroberer hier steht, der handelt feig, wenn er jetzt seinen Posten verläßt.»

«Du sprichst so stolz auf fremdem Grund», erwiderte Fink, «und daheim bei euch bebt der eigene Boden.»

«Wer hat diese Provinz zu Deutschland gebracht?» fragte Anton, die Hand ausstreckend.

«Die Fürsten eures Geschlechts, ich leugne es nicht», sagte Fink.

«Und wer hat die große Landschaft erobert, in der ich geboren bin?» fragte Anton weiter.

«Einer, der ein Mann war.»

«Ein trotziger Landwirt war's», rief Anton, «er und andere seines Hauses. Mit dem Schwert oder durch List, durch Vertrag oder mit Überfall, auf jede Weise haben sie den Boden an sich gezogen, in einer Zeit, wo im übrigen Deutschland fast alles tot und erbärmlich war. Als kühne Männer und gute Wirtschaftler, die sie waren, haben sie ihren Boden verwaltet. Sie haben Gräben gezogen durch das Moor, haben Menschen hingepflanzt in leeres Gebiet und haben sich ein Geschlecht gezogen, hart, arbeitsam, begehrlich, wie sie selbst waren. Sie haben einen Staat gebildet aus verkommenen oder zertrümmerten Stämmen, sie haben mit großem Sinn ihr Haus als Mittelpunkt für viele Millionen gesetzt und haben aus dem Brei unzähliger nichtiger Souveränitäten eine lebendige Macht geschaffen.»

«Das war», sagte Fink, «das taten die Ahnen.»

«Sie haben für sich gearbeitet, als sie uns schufen», fuhr Anton beistimmend fort, «aber wir haben jetzt Leben gewonnen, und ein neues deutsches Volk ist erstanden. Jetzt fordern wir von ihnen, daß sie unser junges Leben anerkennen. Es wird ihnen schwer werden, gerade ihnen, die gewöhnt sind, ihr zusammengebrachtes Land als eine Domäne ihres Schwertes zu betrachten. Wer mag sagen, wann der Kampf zwischen ihnen und uns beendigt sein wird, lange vielleicht werden wir den häßlichen Erscheinungen fluchen, welche dieser Streit hervorruft. Wie er aber auch enden mag, davon bin ich überzeugt wie von dem Lichte dieses Tages, der Staat, den sie geschaffen, wird nicht wieder in Trümmer zerschlagen werden, aus denen er herausgewachsen. Wenn du gelebt hättest wie ich in den letzten Jahren, in verschiedener Tätigkeit, viel unter den kleinen Leuten, du würdest mir glauben. Noch sind wir als Volk arm, noch ist unsere Kraft schwach, aber wir arbeiten uns herauf, mit jedem Jahr wächst mit unserer Arbeit Intelligenz, Wohlstand und das Gefühl, daß einer zum andern gehört. Und in diesem Augenblick fühlen wir in dem Grenzlande uns zueinander wie Brüder. Wenn die weiter drinnen ärgerlich miteinander streiten, wir sind einig, und unser Kampf ist rein.»

«Wohlan», sagte Fink, Beifall nickend, «das war gesprochen, wie ein Deutscher immer sprechen wird. Je dürrer die Zeit, desto grüner die Hoffnung. Aus allem sehe ich, Master Wohlfart, du hast keine Lust, jetzt mit mir zu gehen.»

«Ich darf nicht», antwortete Anton bewegt; «du zürne mir deshalb nicht.»

Fink sah finster vor sich hin. «Höre», begann er endlich, «wir haben seit unserer Trennung die Rollen getauscht. Als ich vor Jahren von dir fortging, war ich wie ein Gaul in der Wüste, der eine Quelle riecht, ich hoffte aus dem langweiligen Leben bei euch herauszukommen in fröhliches Grün, und was ich fand, war ein garstiger Sumpf. Und jetzt komme ich ermüdet zu dir und sehe dich keck mit Tod und Teufel Karten spielen. Du bist frischer, als du warst. Das kann ich von mir nicht rühmen. Vielleicht kam's deshalb so, weil du eine Heimat hast und ich keine. – Jetzt aber genug der Weisheit, komm, belehre mich, auf welche Weise du hier deinen Krieg führst. Stelle mich den Ansiedlern vor und zeige mir womöglich einen Quadratfuß Land auf dieser reizenden Besitzung, wo man nicht bis an die Knöchel in dem Sand versinkt.»

Anton führte den Freund zu den Landleuten, dann durch den Wald bis zu den ausgestellten Posten der Nachbardörfer, er zeigte ihm die Reihe der Lärmstangen und die Alarmhäuser und erklärte ihm die Maßregeln, welche getroffen waren, das Schloß vor einem plötzlichen Überfall zu schützen. Fink ging mit Feuer in die Einzelheiten ein und sagte endlich: «Die Hauptsache habt ihr doch durchgesetzt, ihr erhaltet Ordnung unter euren Leuten und guten Mut.»


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