Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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Da der Freiherr durch diese wortreiche Rede um nichts klüger geworden war, so ging er in seine Wohnung und erwartete mit Ungeduld die Ankunft des fremden Geschäftsmannes. Dieser ließ nicht lange auf sich warten. Diesmal war es ein Herr Löwenberg, in seiner Erscheinung ein Seitenstück zu Ehrenthal und Pinkus. Nur war er etwas hagerer und trug als Mann aus der Provinz ein schweres spanisches Rohr und in der Hand eine Mütze. Er gab sich als Weinkaufmann zu erkennen und zeigte sich über die betreffenden Güter und die Verhältnisse des Grafen sehr gut unterrichtet. Er erzählte, daß der gegenwärtige Besitzer noch jung sei und im Auslande lebe, daß dessen verstorbener Vater etwas bunt gewirtschaftet habe; dagegen sei jetzt bessere Ordnung eingeführt, man erzähle Gutes von dem Erben, und wenn auch Kapitalien auf den Gütern ständen, so habe die Familie doch so viel Mittel, daß an eine Gefährdung ihres Besitzes gar nicht zu denken sei. Die Güter seien noch nicht auf hoher Kulturstufe, jedenfalls sei aber viel daraus zu machen, und er hoffe, der junge Graf werde der Mann dazu sein. Alles, was er sagte, war nicht übertrieben, es klang recht nüchtern und verständig. Das Ganze war entschieden günstig, und als der Fremde den Baron verließ, war dieser fest entschlossen, das Geschäft zu machen. Um nichts zu versäumen, ging er noch zu einem seiner Bekannten und zog Erkundigungen ein. Was er erfuhr, war nicht viel, aber auch nicht ungünstig. Die Hauptsache war, daß die Familie eine sehr alte und in ihrer Provinz angesehene Familie war und daß der verstorbene Graf Zaminsky wild gewirtschaftet hatte. Bevor er nach Hause fuhr, erhielt er einen Gegenbesuch des Herrn Ehrenthal, welcher ihn benachrichtigte, daß die Wolle der Schafe auf diesen Gütern allerdings nicht fein sei, und dagegen vom Freiherrn erfuhr, daß er vor allem noch das Gutachten seines Rechtsfreundes abwarten wolle, bevor er sich entschließe.

Das kleine Kontor Ehrenthals lag im Wohnhaus zu ebener Erde und hatte seinen einzigen Eingang von dem Hausflur. Es war gegen Abend, als Herr Ehrenthal in das Kontor trat, wo Itzig gelangweilt vor einem Buch weißen Briefpapiers saß und die Ankunft seines Meisters erwartete. Ehrenthal war in großer Aufregung, er legte seinen Stock auf den Tisch, vergaß aber seinen Hut abzunehmen und schritt unruhig in dem Raume auf und ab.

Itzig dachte: Was tut der Mann? Was hat er, daß er so in Sorgen ist? Da trat Ehrenthal vor Itzig und sagte mit Eifer: «Itzig, heut werden Sie zeigen, ob Sie verdienen, daß Sie Brot bei mir haben und den Mittagstisch, den ich ihnen gebe wegen Ihrer Bildung.»

«Was soll ich tun?» sprach Veitel und erhob sich von seinem Sitz.

«Erst werden Sie mir rufen den Löbel Pinkus, dann werden Sie mir bestellen eine Flasche Wein und zwei Gläser, und dann gehen Sie fort, ich brauche Sie heute nicht mehr. Sie sollen mir aber gehen und herausbringen, an wen der Justizrat Horn, welcher wohnt am Markte, heut geschrieben hat nach Rosmin außerhalb der Provinz, und wenn er heut nicht geschrieben hat, an wen er morgen schreibt. Ich werde Ihnen geben fünf Talerstücke, damit Sie das können erfahren. Wenn Sie mir heut abend noch Antwort bringen, so sollen Sie außerdem haben einen Dukaten.»

Veitel erglühte innerlich, entgegnete aber mit dem Schein von Kälte: «Ich kenne keinen von den Schreibern des Justizrats und brauche Zeit, bis ich machen kann ihre Bekanntschaft. Morgen abend sollen Sie Antwort haben, Sie können mir aufheben den Dukaten auf morgen.»

«Wenn Sie Bescheid bringen, kommen Sie zu jeder Zeit, und wenn es wäre nach Mitternacht», rief ihm Ehrenthal nach.

Itzig sprang die Treppe hinauf, bestellte in der Küche eine Flasche Wein und lief dann als Spürhund auf die Straßen.

Unterdes schritt Herr Ehrenthal, den Hut auf dem Kopfe, die Hände auf dem Rücken, immer noch in dem Kontor auf und ab und nickte dabei mit dem Haupt wie eine Pagode. So sah er in dem Halbdunkel des Zimmers aus wie ein dickes schwarzes Gespenst, das seinen abgeschlagenen Kopf nicht fest auf den Schultern halten kann.

Veitel führte auf seinem Gange lebhafte Unterhaltung mit sich selbst. ‹Was ist los?› fragte er. ‹Es muß ein großes Geschäft sein und soll mir bleiben ein Geheimnis. Ich soll den Pinkus holen. Der Pinkus ist gewesen vor einigen Tagen beim Ehrenthal, und den Tag darauf ist er gefahren aufs Land zum Baron Rothsattel. Das Geschäft ist also über den Baron. Und der Ehrenthal will einem vorsetzen ein Glas Wein, der Pinkus bekommt keinen Wein, es muß sein ein anderer, es wird nicht sein der Baron selbst, denn den Edelmann führt er nicht aufs Kontor, der muß oben hinauf zum roten Plüsch. – Wenn der Pinkus zu tun hat bei dem Geschäft mit dem Baron, so kann er nur haben gestellt das Sprenkel für den Rotschwanz, und der jetzt abends kommt, den ich nicht sehen soll, der muß sein der Treiber – und der Ehrenthal selber? Als er heut herunterging mit dem Baron, habe ich gehört, wie er sagte: ‹Seien Sie vorsichtig!› Folglich ist der Alte der Scheucher. Wenn der Ehrenthal scheucht, so muß es sein ein großes und delikates Geschäft.› Bei diesem Punkte seines Monologs war Veitel vor der Herberge angekommen, er bestellte seinem Wirt, der eilig aus dem Laden in seine Stube lief, sich einen besseren Rock anzuziehen, und ging dann im Selbstgespräch weiter. ‹Wenn der Schreiber, der die Briefe aus dem Geschäft des Justizrats trägt, um sieben Uhr zur Post geht und ich die Adresse von den Briefen lesen könnte, so würde ich mir ersparen die fünf Taler›, überlegte er weiter. ‹Es geht nicht›, setzte er bekümmert hinzu, ‹er gibt die Briefe in einem Haufen in das Postloch hinein, der Postmann ist zu schnell, ich werde nicht lesen können die verkehrten Adressen. – Vielleicht kann ich's doch möglich machen; der die Briefe auf die Post trägt, ist gewöhnlich ein junger Mensch; vielleicht kann ich über ihn kommen. Und geht's nicht so, so geht's anders, ich kenne einen Schreiber von einem Justizmann, welcher schon manchen Groschen von mir verdient hat. Die Schreiber kennen einander alle. Wenn ich ihm zwei Taler gebe, besorgt er mir das Verzeichnis der Briefe von seinem Kollegen, drei Taler will ich sparen.›

Nachdem Veitel diesen Entschluß gefaßt hatte, ging er in das Haus des Rechtsanwalts und stellte sich, wie jemand erwartend, so auf, daß er das Amtslokal im Auge hatte; es war kurz vor dem Schluß der Sprechstunde; mehrere Menschen, welche den vielbesuchten Notar konsultiert hatten, kamen die Treppen herab. Endlich polterte ein eiliger Schritt, ein junger Mann stürzte mit einem Paket Briefe hinaus. Veitel setzte ihm in langen Schritten nach, machte an der nächsten Ecke eine Schwenkung und stand vor dem Schreiber. Er berührte seinen Hut: «Sie sind aus dem Geschäft des Justizrats Horn?» – «Ja», sagte der Schreiber eilig und wollte weitergehen.

«Ich bin aus der Provinz und warte seit drei Tagen auf einen dringenden Brief vom Herrn Justizrat, ich bin heut gekommen, um ihn zu sprechen, vielleicht haben Sie selbst einen Brief an mich aufzugeben an der Post.»

Mißtrauisch sah der Schreiber ihn an und fragte: «Wie heißen Sie?» Veitel griff in die Tasche, holte schnell ein Achtgroschenstück hervor und sagte: «Ich will nichts Unrechtes von Ihnen, junger Mann, ich will nur, daß Sie die Gefälligkeit haben und mich lassen nachsehen, ob ein Brief für mich da ist.»

«Ich kann Ihr Geld nicht nehmen», erwiderte der Schreiber kurz, im Begriff weiterzugehen. «Wie heißen Sie denn?»

«Bernhard Magdeburg aus Ostrau», sagte Veitel schnell, «es kann aber der Brief auch sein an meinen Onkel.»

«Es ist kein Brief für Sie darunter», antwortete der Schreiber, flüchtig die Adressen auseinanderhaltend.

Veitels Augen starrten auf die Briefe, als wollten sie das Papier durchbrennen, es war ihm aber nicht möglich, mit den Augen der Handbewegung des Schreibers zu folgen. Er faßte daher mit schnellem Griff das Bündel Briefe, und während der erzürnte Schreiber ihn von der andern Seite packte und rief: «Was fällt Ihnen ein, Herr, wie können Sie sich unterstehen!», las er mit fliegender Eile die Aufschriften, gab die Briefe in einer verzweifelten Ruhe zurück und sagte, an den Hut greifend: «Ich danke ihnen, es ist nichts für mich darunter.» Der empörte Schreiber wollte ihn halten: «Herr, wie können Sie diese Unverschämtheit haben!»

«Versäumen Sie nicht die Post», sagte Veitel gutmütig, «ich gehe jetzt selbst zum Herrn Justizrat.» Damit drehte er sich schnell auf das Haus zu und entkam dem Schreiber, welcher einen Augenblick ganz erstarrt über die Frechheit dastand und endlich nach der Post stürzte, um die versäumte Zeit nachzuholen.

Veitel hatte nur wenig Adressen in seinem Gedächtnis behalten trotz seiner schnellen Beobachtungsgabe. «Vielleicht ist damit der Dukaten verdient», sagte er, «wo nicht, so schadet's auch nichts.» Er schlich langsam auf Umwegen nach seinem Kontor zurück, stellte sich an die Tür und horchte. Der würdige Pinkus sprach, aber es wurde leise geredet, und Veitel konnte nur wenig verstehen. Endlich wurden die Stimmen lauter, und es klang wie Zank zwischen den beiden Herren.

«Wie können Sie fordern eine so große Summe für den einen Weg?» rief Ehrenthal zornig. «Ich habe mich in Ihnen getäuscht, wenn ich Sie habe gehalten für einen zuverlässigen Mann.»

«Ich will zuverlässig sein», klang die Stimme des Pinkus dazwischen, «aber ich muß vierhundert Taler haben, oder es wird nichts aus dem Geschäft.»

«Wie können Sie sagen, daß nichts aus dem Geschäft wird? Was wissen Sie von dem ganzen Geschäft? Wer sind Sie, daß Sie etwas davon wissen können?»

«Ich weiß so viel, daß ich mir kann die vierhundert Taler geben lassen von dem Baron, wenn ich zu ihm gehe und ihm sage, was ich weiß», schrie Pinkus mit lauter Stimme.

«Sie sind ein schlechter Mensch», rief Ehrenthal im Zorn. «Sie sind mir verächtlich wie eine Maus, welche piept in ihrem Loch. Wissen Sie, wen Sie so behandeln? Mich behandeln Sie so», fuhr er immer zorniger fort. «Ich kann Ihnen nehmen Ihren Kredit und werde Sie bekannt machen als ein schlechtes Subjekt bei allen Geschäftsleuten.»

«Und ich will Sie bekannt machen dem Baron, was Sie sind für ein schlechter Mann», rief seinerseits Pinkus erzürnt.

Bei diesen Worten öffnete sich die Tür, Veitel tauchte mit einem Sprung in den Schatten der Treppe.

«Ich will Ihnen Zeit lassen zur Überlegung bis morgen früh», schrie der abgehende Pinkus ins Kontor zurück und rannte hinaus.


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