Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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Die einflußreiche Dame war gerade in vertraulicher Beratung mit einer Schneiderin, sie überlegte, wie tief der Ausschnitt der Kleider eingerichtet werden dürfe, um die tadellose Büste ihrer Tochter im besten Lichte zu zeigen und doch wieder in der Tanzstunde keinen Anstoß zu erregen, als Fink, ihr Liebling, gemeldet wurde. Eilig schob sie die Tochter, die Schneiderin und die Kleider beiseite und erschien in dem Besuchszimmer mit der Gemütlichkeit einer Hausfrau, welche für sich selbst nicht mehr übermäßige Ansprüche macht.

Nach den einleitenden Bemerkungen über die Ereignisse der letzten Abendgesellschaft und die langen Hängelocken der Komtesse Pontak sagte Fink, indem er angelegentlich einen Fußschemel malträtierte, auf welchem ein schlafender Pinscher, von der Tochter des Hauses gestickt, unter den Fußbewegungen des Gastes stöhnte: «Ich habe Ihren Auftrag ausgerichtet, Lady Patroneß, und bringe Ihnen vorläufig drei Herren.»

«Und wer sind diese?» fragte die Dame vom Hause erwartungsvoll, vergaß die Leiden des gestickten Pinschers und rückte näher an ihren Verbündeten.

«Zuerst Leutnant von Zernitz», sagte Fink.

«Eine gute Akquisition», rief die gnädige Frau erfreut, denn der Leutnant war, was man einen geistreichen Offizier nennt, er machte niedliche Verse in Familienalbums und zu verlorenen Vielliebchen, war unübertrefflich im Arrangement von mimischen Darstellungen und stand in dem Ruf, irgendeinmal in ein Taschenbuch eine Novelle geschrieben zu haben. «Herr von Zernitz ist ein liebenswürdiger Gesellschafter.»

«Ja», sagte Fink, «aber Portwein kann er nicht vertragen. Der zweite ist Herr von Tönnchen.»

«Eine alte Familie», bemerkte die Frau vom Hause. «Ist er nicht etwas wild?» fügte sie schüchtern hinzu.

«Behüte», sagte Fink, «die Familie hat immer viel Grundsatz gehabt; er ist gar nicht wild, nur zuweilen hat er die Eigenschaft, andere wild zu machen.»

«Und der dritte?» fragte die Dame.

«Der dritte», sagte Fink, «ist ein Herr Wohlfart.»

«Wohlfart?» fragte die gnädige Frau befremdet und sah ihren Besuch unruhig an. «Die Familie kenne ich nicht.»

«Das ist sehr möglich», erwiderte Fink kaltblütig, «es gibt zu viele Leute mit und ohne Namen, als daß man sich um alle kümmern könnte. Herr Wohlfart ist vor einigen Jahren aus der Provinz hierhergekommen, um vorläufig die Geheimnisse des Handels durch eigene Anschauung kennenzulernen; er arbeitet im Geschäft des Kaufmanns Schröter, gerade wie ich.»

«Aber lieber Fink!» schaltete die Dame ein.

Fink ließ sich nicht stören, er legte sich in den Armstuhl zurück und blickte nach dem Grau der Arabesken an der Decke. «Herr Wohlfart ist ein merkwürdiger und interessanter Gesell. Es hat mit ihm eine eigene Bewandtnis. Er selbst ist der bescheidenste und bravste Mann, der mir je vorgekommen, er ist hier aus einer Ecke der Provinz, aus Ostrau, der Sohn eines verstorbenen Beamten. Aber es schwebt ein Geheimnis über ihm, von dem er selbst noch nichts weiß.»

«Aber Herr von Fink», versuchte die Dame wieder einzufallen.

Fink sah eifrig nach den Schnörkeln der Decke und fuhr fort: «Er ist bereits in diesem Augenblick Eigentümer eines Landgebiets in Amerika, die Besitzurkunde ist durch meine Hände gegangen, und im Vertrauen, er selbst hat keine Ahnung von diesem Besitz, und die Sache soll ihm vorläufig ein tiefes Geheimnis bleiben. Wie ich glaube, hat er alle Aussicht, in Zukunft mehr als Millionen zu besitzen. – Haben Sie den verstorbenen Großfürsten, hier nebenbei, gekannt?» Fink wies mit der Hand bedeutsam nach irgendeiner Himmelsgegend.

«Nein», sagte die gnädige Frau neugierig.

«Es gibt Leute», fuhr Fink fort, «welche behaupten, daß Anton ihm sprechend ähnlich sieht. Was ich Ihnen sage, ist übrigens mein Geheimnis, mein Freund selbst lebt in vollständiger Unkenntnis aller dieser Beziehungen, durch welche möglicherweise seine Zukunft bestimmt werden kann. Bekannt ist nur der Umstand, daß der verstorbene Kaiser bei seiner letzten Reise durch die Provinz in Ostrau angehalten und sich längere Zeit mit dem Geistlichen des Ortes leise und angelegentlich unterhalten hat.»

Diese letzte Mitteilung war in der Hauptsache richtig, denn Anton hatte dies vor einiger Zeit dem Jockei erzählt, wie man eine Erinnerung aus der Kinderzeit zu erwähnen pflegt. Er hatte sogar noch hinzugesetzt, daß der Geistliche seiner Heimat in dem letzten großen Krieg Feldprediger gewesen war und daß der Kaiser ihn gefragt: «Sie haben gedient?» und eine Weile darauf: «Bei welchem Korps?»

Fink hatte nicht für nötig gefunden, das kleine Ereignis so ausführlich darzustellen. Frau von Baldereck aber war durch diese perfiden Andeutungen in eine gewisse neugierige Stimmung gebracht, sie erklärte sich bereit, Herrn Wohlfart in ihrem Hause zu empfangen. «Und jetzt noch eine Bitte», sagte Fink sich erhebend. «Was ich Ihnen über meinen Freund mitgeteilt habe, gütige Fee» – die Fee wog über sieben Stein -, «das lassen Sie ein Geheimnis zwischen uns beiden sein. Ihrem Zartgefühl durfte ich anvertrauen, was ich in jedem fremden Mund als eine Indiskretion gegen mich und Herrn Wohlfart ahnden müßte.» Er sprach den Namen so ironisch aus, daß die Dame zu der Ansicht kam, der geheimnisvolle, in einem Kontor verpuppte Herr werde nächstens als Prinz der Alëuten und Kurilen oder in irgendeiner andern unerhörten Würde auftreten.

«Wie aber soll ich», fragte sie beim Abschied, «den Herrn bei unserer Bekanntschaft einführen?»

«Nur als meinen besten Freund; ich bürge in jeder Hinsicht für ihn und habe die Überzeugung, daß unser Kreis sich selbst den größten Gefallen tut, wenn er den Herrn mit Zuvorkommenheit aufnimmt.»

Als Fink auf der Straße war, murmelte er respektwidrig: «Diese alte Person fuhr wie eine Ente nach dem Köder und tauchte bis zum Steiß in meine Lügen unter. Als ehrlicher Leute Kind wäre der arme Junge von ihnen über die Achsel angesehen worden. Jetzt glauben sie zu wissen, daß irgendein fremder Potentat, vor dem zu kriechen sie für eine Ehre halten, an dem Jungen Anteil nimmt. Jetzt werden sie ihn mit einer Artigkeit behandeln, die meinen Kleinen bezaubern wird. Ich hätte nie gedacht, daß das alte Sandloch am Strande von Long-Island und die verfallene Vogelhütte darin mir je in meinem Leben zu einem solchen Spaß verhelfen würden.»

Der Same, welchen Fink ausgestreut hatte, war auf empfänglichen Boden gefallen. Frau von Baldereck hatte als kluge Frau bei der Tanzstunde auch ihre kleinen Privatinteressen im Auge. Sie war doch einmal vor allem Mutter und hatte es in der Tat auf niemand Geringeren als Herrn von Fink selbst abgesehen. Ihre Tochter war fünfzehn Jahre alt, und Fink besaß alle Eigenschaften, welche ihr an dem künftigen Gemahl ihrer Tochter wünschenswert erscheinen mußten; er war eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Partie, und sie war deshalb überzeugt, daß er ihre Tochter glücklich machen würde. Aus langer Erfahrung wußte sie, daß solche Privattanzstunden ein vortreffliches Mittel sind, erfahrenen, etwas blasierten Herren sehr junge Damen im besten Lichte zu zeigen; die Hauptschwierigkeit dabei ist nur, diese Art Herren überhaupt zur Teilnahme an solchen Vergnügungen heranzuziehen. Sie hatte eine durchaus nicht unnatürliche Angst, daß Fink für die Tanzstunde kein Herz haben würde. Zu ihrer Überraschung hatte er sich mit ziemlicher Wärme bereit erklärt, einen ganzen Winter lang in ihrem Hause zu walzen, ja er hatte sogar zur Bedingung gemacht, daß Fräulein Eugenie ihn zum bevorzugten Tänzer im voraus annehmen solle. Und deshalb hatte die triumphierende Mutter sich gerade so sorgfältig mit dem Schnitt der Tanzkleider beschäftigt, als Fink seinen Schützling Anton bei ihr empfahl. Vielleicht hätte sie auch ohne seine ungewöhnliche Empfehlung ein Opfer gebracht und das Geschöpf des Kontors in ihrer Tanzstunde zu verantworten gesucht, indes waren ihr die Andeutungen des Schelms doch sehr willkommen. Zuverlässig hegte sie selbst einige Zweifel über die abenteuerlichen Verhältnisse, denn Finks Weise war so, daß man ihm niemals recht trauen konnte; aber ihre Mutterliebe trieb sie, auch auf das Dunkle und Ungenügende Gewicht zu legen. Sie eilte in die befreundeten Familien, den Gewinn an Herren mitzuteilen und Herrn Wohlfart durch einige geheimnisvolle Andeutungen auszuschmücken. Als das wenige, was sie sagen konnte, auf einmal von anderer Seite durch ebenso geheimnisvolle Andeutungen zweier Herren von Charakter Bestätigung erhielt, wurde sie selbst in dem Glauben fest, daß hier ein ungewöhnlicher Fall vorliege. Nach wenig Tagen ging ein Summen durch die gute Gesellschaft, daß in der Tanzstunde ein bürgerlicher Herr von ungeheurem Vermögen auftreten werde, für den der Kaiser von Rußland in Amerika unermeßliche Besitzungen gekauft habe.

Einige Tage darauf wurde Anton durch Fink in das Haus der gnädigen Frau geführt, im neuen Frack, in regelrechten Glacéhandschuhen, ein Opferlamm finsterer Mächte, welche im Begriff waren, den Frieden seines Inneren zu zerstören. Sie lauerten in dem Hause der gnädigen Frau und schnürten dem eintretenden Anton schon im Haustor die Brust zusammen. Sie saßen auf der viereckigen Laterne, welche am Gewölbe des Hausflurs baumelte, sie hingen mit ausgebreiteten Händen an dem Holzgeländer der Treppe und steckten durch die großen Bogenlöcher des Geländers ihre Geisterzungen mit höhnischem Lachen gegen ihn aus. Fink sah mit unwilligem Blick, wie sein Opfer den rötlichen Schimmer der Beklommenheit erhielt, er raunte ihm noch zu: «Unterstehe dich nicht, vor diesem Volk rot zu werden!», warf dem Diener herablassend seinen Überrock zu und führte den Freund unter die Augen der gnädigen Frau. Diese war wirklich, wie Fink prophezeit hatte, eitel Zuvorkommenheit. Mit Neugierde und einem gewissen menschlichen Anteil sah sie auf den hübschen schüchternen Jungen, der mit seinem treuherzigen Gesicht vor ihr stand und vollständig geneigt schien, ihre Macht auf sich wirken zu lassen.

Anton sagte ihr mit einer tiefen Verbeugung: «Nur die Versicherung meines Freundes, daß Sie, gnädige Frau, mir nicht zürnen werden, hat mir den Mut gegeben, Ihnen persönlich meine Ehrfurcht zu bezeigen.» Und die Dame lächelte holdselig, oder, wie der Unhold Fink diese Tatsache auffaßte, sie grinste und entgegnete: «Herr von Fink hat mir die Hoffnung gemacht, daß Sie diesen Winter ein regelmäßiger Gast bei unsern kleinen Tanzübungen sein werden.»

Darauf konnte sich Anton nicht enthalten zu erröten, sehr glücklich auszusehen und zu versichern: «Ich würde mit Vergnügen teilnehmen, wenn ich die Meinung haben könnte, in der fremden Gesellschaft nicht lästig zu werden.»

Nachdem dies mit Eifer verneint worden war, trat Fräulein Eugenie herein, Anton wurde auch dieser vorgestellt, erhielt einen so schnippischen Knicks, als fünfzehnjährige Damen fremden Herren zu machen pflegen, und stieg nach einer Viertelstunde, ganz entzückt über die Anmut der Familie, mit seinem Mentor Fink die Treppe herab. Der unschuldige Junge hing sich vergnügt an den Arm des Freundes und versicherte diesem auf der Straße ernsthaft: «Ich habe mir nicht vorgestellt, daß es so leicht ist, mit eleganten Leuten zu verkehren.»

Fink brummte etwas in sich hinein, was ebensogut eine Bestätigung dieser Ansicht als das Gegenteil ausdrücken konnte, und sagte: «Im ganzen bin ich mit dir zufrieden. Du hast trotz deines neuen Fracks dagesessen wie ein nackter kleiner Engel in einem durchsichtigen Batistkleide. Indessen das nackte Wesen steht dir nicht ganz schlecht. Nur das verfluchte Erröten wirst du dir diesen Winter abgewöhnen müssen, bei einer schwarzen Krawatte ist es bekanntlich allenfalls noch zu ertragen, aber über einer weißen Halsbinde sieht es abscheulich aus. Du siehst dann aus wie ein apoplektischer Amor.»

Frau von Baldereck dagegen fand von ihrem Standpunkt die Anspruchslosigkeit des geheimnisvollen Jünglings wahrhaft rührend, und als ihre Tochter mit Bestimmtheit aussprach: «Fink ist ein ganz anderer Mann und gefällt mir viel besser», da schüttelte sie den Kopf und sagte lächelnd: «Das verstehst du nicht, mein Kind, es ist ein Adel und eine natürliche Grazie in den Bewegungen des Fremden, ein gewisser Scharm, der ganz bezaubernd ist.»

Der große Tag, an welchem die Tanzstunde feierlich eröffnet werden sollte, war gekommen. Hastig kleidete sich Anton nach dem Schluß des Kontors an und trat in Finks Zimmer, diesen abzuholen. Der Mentor untersuchte mit prüfendem Blick den Anzug des Novizen. «Zeige dein Taschentuch», sagte er. «Bunte Seide? Schäm dich. Hier ist eines von den meinen. Gieß dir etwas Parfüm darauf. Wo sind deine Handschuhe?»

Mit solchen Lehren führte er den Freund vor das erleuchtete Haus der Baronin.

Als Anton die Treppe des Hinterhauses hinabschritt, öffnete sich die Tür von Jordans Zimmer, und Herr Specht steckte seinen Kopf am Ende eines langen Halses über die Treppe und sandte dem Kollegen seinen neugierigsten Blick nach.

«Er geht», rief er in die Stube zurück, «es ist unerhört. So etwas hat sich noch nicht ereignet, solange die Welt steht. Es sind lauter Adlige dort. Das wird eine schöne Geschichte werden.»

«Zuletzt, warum soll er nicht gehen, wenn sie ihn einladen?» sprach der gutmütige Herr Jordan, um den stummen Vorwürfen der Kollegen zu begegnen. Keiner wußte etwas dagegen zu sagen, nur Herr Pix rief ärgerlich vom Sofa: «Mir aber gefällt's nicht, daß er eine solche Einladung annimmt. Er gehört in das Kontor und zu uns. Etwas Gutes wird er unter den Schwadronierern nicht lernen. Fensterglas ins Auge kneifen und Süßholz raspeln, und das wird noch nicht das Schlechteste sein.»

«Es soll merkwürdig bei diesen Tanzgesellschaften zugehen», rief Specht. «Äußerst frivol, Liebesgeschichten und Duelle jeden Tag. Aber Wohlfart hat immer einen Tick auf solche Dinge gehabt. Nächstens wird er an einem Morgen mit seinen Pistolen unterm Arm ausgehen, und wie er zurückkommen wird, das will ich gar nicht sagen. Auf seinen Füßen nicht, das ist sicher.»

«Unsinn», erwiderte Pix ärgerlich, «es gibt dort nicht mehr Händel als bei andern Leuten.»

«Und französisch muß er sprechen», fuhr Specht unaufhaltsam fort.

«Warum nicht russisch?» rief Herr Pix.


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