Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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‹Es muß endlich doch heraus, was ich Dir armem Jungen gern verschwiegen hätte. Ich bin unter die Räuber und Mörder gegangen. Wenn Du einen harten Kehlabschneider brauchst, wende Dich nur an mich. Ich lobe mir einen Burschen, der aus freier Wahl ein Schuft wird; er hat wenigstens das Vergnügen, mit dem Teufel einen klugen Vertrag zu machen, und kann die Klasse von Niederträchtigkeiten aussuchen, in der er sich behaglich fühlt. Mein Los ist weniger angenehm. Ich werde durch den Zwang der Schelmereien, welche andere ausgedacht haben, auf einem Wege fortgetrieben, welcher eine haarsträubende Ähnlichkeit mit der Chaussee hat, die sich Lawinen auf ihrem Sprunge nach der Tiefe bereiten. Wie das Felsstück in der Schneemasse, so stecke ich, von allen Seiten eingeengt, in der eisigen Kälte der furchtbarsten Spekulationen, welche je großartiger Wuchersinn ausgedacht hat. Der Verstorbene hat die Güte gehabt, gerade mich zum Erben seiner Lieblingsprojekte, der Spekulationen mit Land, zu machen. Lange vermied ich, mich selbst in die Einzelheiten dieses Geschäftes zu verlieren. Ich ließ ein Jahr lang Westlock diesen Teil der Erbschaft bearbeiten. Wenn das feig war, so fand ich eine Entschuldigung in der Masse von Arbeiten, welche mir die Börsengeschäfte des toten Herrn machten. Endlich wurde die Übernahme auch dieser Tätigkeit unvermeidlich, und wenn ich schon vorher bestimmte Ahnungen über die weite Ausdehnung des Luftsacks bekommen hatte, den der Tote statt eines Gewissens mit sich herumtrug, so ist mir jetzt ganz unzweifelhaft geworden, daß die Absicht seines Testamentes war, sich für die kindischen Bosheiten, die ich gegen ihn geübt, dadurch zu rächen, daß er mich zum Spießgesellen von alten verwitterten Schurken machte, deren Schlauheit so groß ist, daß Satan selbst den Schwanz in die Tasche stecken und ihnen entlaufen würde.

Diesen Brief erhältst Du aus einer neuen Stadt in Tennessee, einem anmutigen Ort, der dadurch nicht besser wird, daß er auf Spekulation von meinem Geld gebaut ist. Einige Holzhütten, die Hälfte davon Schenken, bis unter das Dach angefüllt mit einem schmutzigen und verworfenen Gesindel von Auswanderern, von denen die Hälfte an Fäulnis und Fieber darniederliegt. – Auch was noch umherläuft, ist ein hohläugiges, verkümmertes Geschlecht, alle Kandidaten des Todes. Täglich, wenn die armen Tröpfe die aufgehende Sonne erblicken, sooft sie den unbescheidenen Wunsch fühlen, zu essen und zu trinken, täglich vom Morgen bis zum Abend ist ihr Lieblingsgeschäft, auf die Landhaifische zu fluchen, welche ihnen ihr Geld für Transportkosten, für Land und Einrichtungen abgenommen und sie in diese Gegend geführt haben, welche zwei Monate im Jahr unter Wasser steht und die übrige Zeit einem zähen Brei ähnlicher sieht als irgendwelchem Lande. Die Männer aber, welche sie auf diesem kotigen Wege ins Himmelreich weisen, sind meine Agenten und Bundesgenossen, und ich, Fritz Fink, bin der Glückliche, der hier allstündlich mit jedem Fluch der deutschen und irischen Zunge beworfen wird. Was noch gesunde Beine hat, schicke ich fort, was als Bewohner meines Hospitals umherschleicht, das habe ich mit Welschkorn und China zu füttern. In meiner Stube kriechen, während ich dies schreibe, drei nackte Paddykinder auf der Diele umher, ihre Mütter sind so pflichtvergessen gewesen, dies Jammertal zu verlassen, und ich genieße den Vorzug, die froschartigen Scheusälchen über den Nachttopf zu halten. Eine angenehme Beschäftigung für meines Vaters Sohn! Wie lange ich hier festsitzen werde, weiß ich nicht, möglicherweise, bis der letzte gestorben ist.

Unterdes bin ich mit meinen Associés in New York zerfallen, ich habe den Vorzug gehabt, eine allgemeine Unzufriedenheit zu erregen, die Teilhaber an der großen Westlandkompanie sind zusammengekommen, man hat Reden gegen mich gehalten und Beschlüsse gefaßt. Mich würde das wenig kümmern, wenn ich einen Weg sähe, mich von dieser Bande loszumachen. Aber der Tote hat die Sache so schlau eingerichtet, daß ich festgeschnürt bin wie ein Sklave im Negerschiff. Es sind ungeheure Summen in diese wüste Spekulation geworfen. Wenn ich ihnen den Kram kündige, so bin ich sicher, daß sie Mittel finden werden, mich die ganze Summe, die der Tote gezeichnet hat, bezahlen zu lassen, und wie ich das durchsetzen soll, ohne nicht nur mich, sondern vielleicht auch die Firma Fink und Becker zu ruinieren, das sehe ich noch nicht.

Indessen wünsche ich Deine Meinung über das, was ich tun soll, nicht zu hören. Sie kann mir nichts nutzen, denn ich weiß sie ohnedies. Ich wünsche überhaupt keinen Brief von Dir, Du einfältiger, altfränkischer Tony, der Du glaubst, ehrlich handeln sei eine so einfache Geschichte wie ein Butterbrot streichen. Denn habe ich alles getan, was ich konnte, die einen begraben, die andern gefüttert und meine Kompagnons so sehr geärgert, als mir möglich ist, dann ziehe ich auf einige Monate weiter nach Westen in eine ehrliche Prärie, wo weniger Gekrächze von Alligatoren und Nachteulen und etwas mehr Aristokratismus zu finden sein wird als hier. Gibt es auf der Prärie Tinte und Stift, so schreibe ich Dir wieder. Ist dieser Brief der letzte, den Du von mir erhältst, so widme mir eine Träne und sage in Deiner salbungsvollen Art: Schade um ihn, er hatte auch seine guten Seiten!›

Darauf folgte eine genaue Darstellung der Geschäfte Finks und die Statuten der Landkompanie.

Anton las den unerfreulichen Brief einigemal durch, dann setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb an den Freund, trotz dessen Verbot, die ganze Nacht hindurch.

Noch in dem ruhigen Licht der nächsten Tage behielt Anton die erhobene Stimmung. Wenn er im Kontor arbeitete und mit seinen Kollegen scherzte, immer fühlte er, wie fest sein Leben in den Mauern des großen Hauses Wurzeln geschlagen hatte. Auch den andern wurde es bemerkbar. Am Mittagstisch war die Unterhaltung jetzt lebhafter als je. Nicht nur der Prinzipal, auch Anton und Sabine führten das Gespräch. In einer Zeit, wo das Geschäft wenig Freudiges brachte, kam in diese drei ein neues Leben. Der Kaufmann richtete seine Rede fast ausschließlich an Anton, und wenn Anton erzählte, dann hörte der ganze Tisch aufmerksam zu, und zuweilen klang ein heiteres Lachen aller Kollegen um die feierliche Tafel. Auch des Abends war Anton eine bevorzugte Person. Er wurde oft in das Vorderhaus geladen, dann saß er mit den Frauen und dem Prinzipal am kleinen Tisch zusammen, und dem Hausherrn war anzusehen, wie lieb ihm das persönliche Verhältnis zu einem Manne wurde, der so innig mit den Interessen seines Geschäftes verwachsen war und in dessen frischem und geordnetem Sinn er ein Bild seiner eigenen Jugend erblickte.

Für Sabine wurden diese Stunden ein Genuß. Es war ihr ein freudiger Fund, wenn sie im Gespräch über die Neuigkeit des Tages, über ein gelesenes Buch, über Erlebtes und Gefühltes wahrnahm, daß der Mann, der jahrelang so nahe an ihnen gelebt hatte, in so vielem mit ihr übereinstimmte. Seine Bildung, sein Urteil überraschten sie, sie sah ein ehrliches Gemüt plötzlich in den glänzendsten Farben vor sich stehen, wie der Reisende staunend auf eine reiche Landschaft blickt, die ihm wogender Nebel lange verhüllt hat.

Friedlich fanden sich die Kollegen in die ungewöhnliche Stellung ihres Genossen. Daß er dem Prinzipal das Leben gerettet hatte, wußten sie aus dem eigenen Munde des Chefs, und dieser Zufall wurde selbst für Herrn Pix ein Grund, die Einladung Antons in das Vorderhaus ohne Bemerkung zu ertragen. Anton tat das Seine, dem Kontor seine Persönlichkeit wert zu erhalten. An freien Abenden lud er die einzelnen auf sein Zimmer, nicht selten kam die ganze Gesellschaft bei ihm zusammen. Jordan beklagte sich lächelnd, daß er schon bei Lebzeiten vergessen sei, und das Kontor gewöhnte sich, in Anton seinen Nachfolger, den stillen Ratgeber der Jüngeren zu sehen. Am liebsten war Anton mit Baumann zusammen, der in dem letzten halben Jahre wieder eine starke Anwandlung von Missionsgelüsten gehabt hatte und jetzt nur durch die Überzeugung zurückgehalten wurde, daß in der schwierigen Gegenwart ein geübter Kalkulator dem Geschäft nicht fehlen dürfe. Am eifrigsten aber bemühte sich um Antons Gunst der phantasiereiche Specht. Ihm hatte der Reisende einen romantischen Heiligenschein bekommen. Was Anton etwa erfahren hatte, das malte die Einbildungskraft des Herrn Specht mit den grellsten Farben aus. Er war geneigt anzunehmen, daß der Heimgekehrte außer den Abenteuern, welche er eingestand, noch unendlich reizende und furchtbare erlebt hatte, die zu verbergen er durch geheimnisvolle Verhältnisse gezwungen war.

Leider war Spechts eigene Stellung zu den anderen Herren während Antons Abwesenheit mächtig erschüttert worden. Er war immer der Gegenstand gewesen, an welchem sich die gute Laune der andern aufzurichten liebte, wie die Schlingpflanze an einem dünnen Bäumchen, und oft war er von den Blüten fremden Witzes fast erstickt worden. Jetzt sah Anton mit Bedauern, daß der gute Herr Specht in dem Zustand allgemeiner Mißachtung lebte. Sogar sein Quartett hatte ihn aufgegeben, wenigstens schwebte zwischen ihm und den beiden Bässen eine finstere Wolke des Mißmuts. Sooft Herr Specht eine Behauptung aufstellte, welche nicht ganz unbestreitbar war, zuckte Pix die Achseln und warf ihm mit Verachtung das ungehörige Wort ‹Kürbis› entgegen. Fast alles, was Specht sagte, war ‹Kürbis›; sogar bei Tische kugelte dieser Pflanzenkörper in den unteren Regionen von einem Mund zum andern, und sooft das Wort ausgesprochen wurde, geriet Herr Specht in leidenschaftlichen Zorn, brach tief gekränkt das Gespräch ab und zog sich aus der Gesellschaft der andern in sich selbst zurück.

Anton besuchte an einem Abend den Verfemten auf seinem Zimmer. Schon vor der Tür hörte er die scharfe Stimme des Insassen, welcher das berühmte Lied: ‹Hier sitz' ich auf Rasen mit Veilchen bekränzt› von dem erhabenen Ort seiner Behausung – Herr Specht wohnte drei Treppen hoch – in das Haus hinunter sang. Als Anton leise die Türe öffnete, saß Specht in kunstvoller Haltung, graziös auf einen Arm gestützt, bei seiner Lampe am Tisch und sang mit so innigem Behagen, daß Anton einige Augenblicke stehenblieb, den Begeisterten nicht zu stören. Es war kein großes Zimmer, welches Specht bewohnte, und die Erfindungskraft des Herrn hatte jahrelang gearbeitet, ihm womöglich einen Charakter zu geben, der von dem Wesen gewöhnlicher Stuben verschieden war. Es sah in der Tat keiner andern irdischen Behausung ähnlich. Alle Wände waren mit Bildern überzogen, mit Porträts berühmter Künstlerinnen, viele im Kostüm ihrer Rolle, dazwischen standen zahlreiche Konsolen, auf denen kleine Vasen, Muscheln und Tonfiguren und andere Merkwürdigkeiten standen. Da der Konsolen mehr waren, als der daraufzustellenden Gegenstände, so hatte Specht die leeren einstweilen mit Tassen und Champagnerflaschen besetzt. Über dem Bett hing ein mächtiger Ritterschild von glänzendem Messingblech, daneben große Fechthandschuhe und ein Köcher mit Pfeilen. Über den Pfeilen war ein Zettel an die Wand geschlagen mit einem gemalten Totenkopf und zwei gekreuzten Knochen und dem warnenden Wort: ‹Vergiftet›, dahinter drei Ausrufungszeichen.

Am auffälligsten aber war die Mitte des Zimmers eingerichtet. Dort schwebte etwas über Manneshöhe ein ungeheurer Reifen, durch Bindfaden an einem Haken der Decke festgehalten. Darunter standen große Tongefäße, mit Erde gefüllt, und von den Gefäßen liefen zahlreiche gespannte Schnüre bis zu dem Reifen. Unter dem Reifen stand ein Gartentisch aus knorrigen Baumästen und einige Stühle aus Weidenruten. Durch diese Vorrichtung erhielt das Zimmer ein durchaus unerhörtes Aussehen, und die freie Bewegung der darin befindlichen Gliedmaßen wurde für jeden andern als den erfahrenen Bewohner sehr schwierig. Es war nicht abzusehen, welchen Zweck diese geheimnisvolle Vorrichtung hatte. Allerdings erinnerten der wilde Tisch, die Stühle und Erdtöpfe den menschlichen Geist gewissermaßen an Garten und freie Natur, während wieder die ausgespannten Schnüre eine entfernte Ähnlichkeit mit Strickleitern hatten, welche zum Mastkorb eines Schiffes hinaufführen. Zuletzt neigte sich Anton zu der Ansicht, daß diese Erfindung eine Menschenfalle vorstelle, welche nach dem Muster eines Spinngewebes gebaut und darauf berechnet war, Köpfe und Beine boshafter Kollegen festzuhalten. Wenigstens saß Specht selbst als Dirigent in der Mitte des Netzwerkes, und sein Sirenengesang konnte wohl darauf berechnet sein, die Eintretenden durch vorgespiegelten grünen Rasen und falsche Veilchensträuße ins Garn zu locken.


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