Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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Anton blieb außerhalb der Falle stehen und rief endlich Specht von der Tür an: «Was, zum Henker, haben Sie in Ihrem Salon für ein Bindfadensystem ausgebreitet?»

Specht sprang auf und versetzte mit glänzenden Augen: «Es ist eine Laube.»

«Eine Laube? Ich sehe ja nichts Grünes.»

«Es kommt», sagte Specht und führte den Besuch zu seinen Gefäßen.

Bei näherer Betrachtung entdeckte Anton in den Töpfen einige schwache Efeuranken, welche bestäubt und verkommen wie die Überreste dämmeriger Traumbilder aussahen, welche dem erwachenden Menschen noch einige Augenblicke an den Fäden seiner Seele hängen, um gleich darauf für immer zu vergehen.

«Aber Specht, dieser Efeu wird's nicht tun», sagte Anton.

«Er ist auch nicht allein da», belehrte Specht geheimnisvoll; «sehen Sie, hier kommt noch anderes.» Er wies auf mehrere magere, spargelähnliche Gebilde, welche sich aus den Töpfen erhoben und mit nichts anderem zu vergleichen waren als mit den unglücklichen Versuchen, zu keimen, welche die Kartoffeln zur Zeit des Frühjahrs in einem warmen Keller anstellen.

«Und was sollen diese Keime bedeuten?»

«Es sind Bohnen und Kürbisse», sagte Herr Specht. «Das Ganze wird eine Kürbislaube; in einigen Wochen werden die Fäden von den Ranken belaufen sein. Denken Sie, Wohlfart, wie famos das aussehen wird! Von allen Seiten die grünen Ranken, die Blüten und die großen Blätter. Das Ganze wird ein Zelt sein mit zwei Eingängen. Die meisten Kürbisse werde ich abschneiden, damit mir die Last nicht zu schwer wird, einzelne lass' ich hängen, es werden Netze darunter gemacht. Bitte, stellen Sie sich das ganze dicke Grün vor, dazwischen die gelben Blüten, es wird reizend aussehen! Das wird ein Sitz, mit guten Freunden eine Flasche Wein zu trinken oder vierstimmig zu singen.»

Ach, die guten Freunde hatten Herrn Specht verlassen, er ließ sich aber alle Sonntage vom Bedienten eine halbe Flasche Wein holen, setzte vier Gläser auf den Tisch und trank eines nach dem andern aus.

«Aber Specht», fragte Anton lachend, «können Sie denn im Ernst glauben, daß die Kürbisse in Ihrer Dachstube wachsen werden?»

«Warum sollen sie nicht wachsen?» rief Herr Specht gekränkt. «Sie sind gerade wie die andern. Die Pflanzen haben ja Sonne, ich sorge für frische Luft, ich gieße mit Rinderblut, sie haben alles, was sie brauchen.»

«Aber sie sehen verzweifelt kränklich aus.»

«Das ist nur der Anfang, die Luft ist draußen noch kalt, und wir haben einige Wochen gehabt, wo der Sonnenschein fehlte. Später schießen sie auf einmal in die Höhe. Wenn einer nichts von einem Garten hat, muß er sich zu helfen wissen.» Er sah sich vergnügt in der Stube um. «Sehen Sie, im Dekorieren meines Zimmers will ich's mit jedem Mann aufnehmen. Natürlich nach meinen Mitteln. Aus Ölbildern mache ich mir nicht viel, sie werden in der Regel schwarz; meine Bilder hier werden höchstens ein wenig heller. Es hat mich Geld gekostet, dafür ist es hier hübsch geworden. Mein Zimmer ist nicht groß, aber es ist wohnlich.»

«Ja», entgegnete Anton, «außer für gewisse Unarten unruhiger Menschen, als Geradestehen und Umhergehen. Darauf muß man hier verzichten. Sie können nur solchen Besuch gebrauchen, der sich gleich an der Tür auf den Fußboden setzt.»

«Ruhig sitzen ist ja eine Hauptregel der Unterhaltung», versetzte Specht. «Leider sind die Menschen oft schlecht und ohne Herz. – Finden Sie nicht auch, Wohlfart, daß in unsrem Kontor einige Kollegen gemütlos sind?» sagte er leise.

«Manchmal etwas kurz», erwiderte Anton, «aber die Meinung ist gut.»

«Ich finde das nicht», seufzte Specht. «Ich bin jetzt ganz allein und muß meinen Trost außer dem Hause suchen. Wenn ich kann, gehe ich ins Theater oder zu den Reitern, und wenn ein Zwerg kommt oder ein Seehund, und natürlich in die Konzerte.»

«Aber das hilft doch nicht immer gegen die Einsamkeit.»

«Nein», bekannte Specht, «denn es kostet Geld, und Sie wissen, ich habe kein hohes Gehalt, und ich fürchte, ich werde auch nicht viel mehr kriegen als jetzt. Von Haus aus hatte ich Vermögen», sagte er wichtig, «aber ein Vetter von mir, der mein Vormund war, hat mich darum gebracht. Hätte ich's noch, könnte ich vielleicht mit vieren fahren. Glauben Sie mir, ich wäre auch nicht glücklicher. Wenn nur der Pix nicht so grob wäre», klagte er wieder. «Es ist schauderhaft, Wohlfart, das alle Tage anhören zu müssen. – Ich wollte ihn fordern, während Sie verreist waren», rief er aus und wies auf ein altes Rapier, dessen Klinge hinter dem Bett hervorragte. «Aber er benahm sich schlecht. Ich schrieb ihm, daß es mir leid täte, ihn fordern zu müssen, und es wäre sehr gleichgültig, wo er sich mit mir duellieren wolle. Ich schlug ihm entweder den Berg auf der Promenade vor oder auch unsern Oberboden, wo Raum genug ist, und ersuchte ihn um eine Mitteilung über die Waffen, welche er für passend hielte. Da schrieb er mir unhöflich zurück, er würde sich nur im Hausflur duellieren, wo er sich alle Stunden des Tages aufhielte, und was die Waffen beträfe, so könnte ich fechten, womit ich wollte, seine Waffe wäre der große Pinsel, er sei bereit, mir auf jede Backe eine Signatur zu machen. Sie werden mir zugeben, daß ich darauf nicht eingehen konnte.»

Das gab Anton zu.

«Jetzt hetzt er die andern Kollegen wider mich auf», klagte Specht kleinlaut. «Der Zustand ist für mich unerträglich, ich kann gar nicht mehr mit den andern zusammen sein, ohne daß ich beleidigt werde. Aber ich weiß, wodurch ich mich räche. ich spare jetzt. Wenn die Kürbisse erst blühen, dann gebe ich allen ein Fest, nur Pix lade ich nicht ein, wie er's damals mit Ihnen gemacht hat, Wohlfart. Ich will uns beide an ihm rächen.»

«Gut», sagte Anton, «das gefällt mir. Aber wissen Sie was: da auch ich den Kollegen eine Aufmerksamkeit schuldig bin, so wollen wir beide zusammen das Fest in Ihrer Stube geben.»

«Das ist ausgezeichnet von Ihnen, Wohlfart», rief Specht glücklich.

«Und wir wollen nicht warten», fuhr Anton fort, «bis die Kürbisse groß geworden sind, sondern wollen unterdes uns durch anderes Grün helfen.»

«Gut», sagte Specht, «vielleicht durch Tannenbäume.»

«Ich werde dafür sorgen», versetzte Anton, «und endlich wollen wir Pix nicht ausschließen, sondern gerade dazu laden. Das ist eine viel feinere Rache, die Ihres guten Herzens am würdigsten ist.»

«Meinen Sie?» fragte Specht zweifelhaft.

«Gewiß», entschied Anton. «Ich schlage nächsten Sonnabend vor, die Einladung machen wir gemeinschaftlich.»

«Schriftlich», rief Specht vergnügt, «auf rosa Papier.»

«Das ist recht», sagte Anton. Darauf berieten die beiden in der Laube die nähere Einrichtung des Festes.

Die Kollegen waren nicht wenig verwundert, als sie einige Tage darauf durch bunte Billette, die Herr Specht geheimnisvoll vor Anfang der Kontorstunden auf den Platz eines jeden gelegt hatte, zur Kürbisblüte in Herrn Spechts Stube eingeladen wurden. Da Antons geachteter Name mit unterzeichnet war, so blieb ihnen nichts übrig, als die Einladung anzunehmen. Unterdes zog Anton das Fräulein in das Geheimnis und erbat von ihr aus dem Garten einige vorhandene Efeustöcke, und was sonst von Blumen gerade entbehrlich war. Specht arbeitete alle Abende bei verschlossenen Türen in seiner Stube, und am Tage des Festes bezog er mit Hilfe des Bedienten den leeren Bindfaden mit grünen Ranken, stellte einige blühende Sträucher in Gruppen, ließ sich eine Anzahl bunter Glaslampen holen und befestigte an den Ranken trichterförmige Erfindungen aus gelbem und weißem Papier, welche mit Kürbisblüten ganz besondere Ähnlichkeit hatten.

Durch diese Vorrichtung erhielt das Zimmer das Aussehen, welches Herr Specht in seinen Träumen schon lange geahnt hatte. Am Abend des Festes waren die Gäste höchlich überrascht. Als letzter trat Herr Pix ein, und auch er vermochte ein erstauntes [*]«Donnerwetter!» nicht zu unterdrücken, als er die unglückliche Laube wirklich umrankt und mit gelben Blüten bedeckt sah, welche in dem farbigen Lampenlicht schimmerten und von ihrem Draht freundlich herunternickten. Die großen Tongefäße waren durch Sträucher verdeckt, in der Mitte der Laube hing eine rote Lampe wie ein Glühwurm herab, und auf dem Gartentisch stand ein riesig großer Kürbis. Anton nötigte das Quartett in die Laube und besetzte mit den übrigen alle noch leeren Stühle in der Stube, auch das Bett war mit Polstern überdeckt und mußte als zweites Sofa dienen.

Als sich alle gesetzt hatten, trat Specht an den großen Kürbis und begann feierlich: «Sie haben mich lange mit dem Kürbis geneckt, hier ist meine Rache. Hier ist der Kürbis.» Er ergriff den kurzen Stiel und hob den oberen Teil ab. Der Kürbis war hohl, eine Bowle stand darin.

Die Kollegen lachten und riefen «Bravo!», und Specht schenkte die Gläser voll.

Dennoch war im Anfange eine gewisse Spannung zwischen Herrn Specht und den übrigen Herren nicht abzuleugnen. Zwar das verrufene Wort ‹Kürbis› wurde nicht gehört, aber seine Vorschläge fanden selten bereitwillige Aufnahme. Als Anton ein Bündel türkischer Pfeifen, die er in der Fremde für die Kollegen gekauft hatte, herbeitrug und unter die Anwesenden verteilte, da machte Specht den Vorschlag, daß sich alle als Türken mit gekreuzten Beinen auf das Bett oder den Fußboden setzen sollten. Und dieser Vorschlag fiel durch. Auch als er die Behauptung aufstellte, daß die tscherkessischen Mädchen, welche bisher von ihren Eltern in die türkischen Familien verkauft wurden, bei größerer Ausdehnung unserer Handelsverbindungen mit dem Orient bis zu uns kommen würden, um die Rolle der Kellnerinnen in den bayrischen Bierkellern zu übernehmen, da konnte selbst diese Behauptung sich keine Anerkennung erringen. Aber nach und nach wirkte der milde Inhalt des Kürbis auf die strengen Seelen der Gäste.

Zuerst wurde der Zwiespalt unter den musikalischen Naturen des Hauses ausgeglichen. Anton brachte die Gesundheit des Quartetts aus. Das Quartett dankte mit einiger Befangenheit, da es sich gerade vor vier Wochen in Mißklänge aufgelöst hatte. Es ergab sich aus düstern Andeutungen der Bässe, daß Specht eine ungehörige Forderung an sie gestellt hatte. Herr Specht hatte sie benutzen wollen, um einer Roßbändigerin des Zirkus, der entzückenden Tillebi, ein Ständchen zu bringen. Die Bässe hatten sich geweigert, bei solchem nächtlichen Werk tätig zu werden, und Specht war auf diese Weigerung in heftigen Zorn geraten und hatte geschworen, keinen Ton mit den andern zu singen, solange sie der Unvergleichlichen aus abgeschmackten Bedenken ihre Huldigung verweigerten. «Hätte er das Ständchen noch am Abend bringen wollen», sprach Balbus, «so wären wir vielleicht um des lieben Friedens willen mitgegangen, aber er behauptete, es müßte um vier Uhr früh geschehen, weil das die Stunde sei, wo die Kunstreiter aufständen, um ihre Pferde zu füttern. Das war uns doch zu arg. Unterdes ist das Frauenzimmer mit einem Bajazzo durchgegangen.»

«Das ist nicht wahr», rief Specht, «der Bajazzo hat sie gewaltsam entführt.»

«Jedenfalls hat er uns dadurch einen Dienst erwiesen», sagte Anton, «denn er hat den Herren die Erfüllung Ihres kräftigen Schwurs unmöglich gemacht. Und so sehe ich keinen Grund, weshalb Sie als Künstler und treue Kollegen noch länger der Ausübung Ihrer musikalischen Virtuosität entsagen sollen. Wie ich höre, waren Sie, lieber Specht, ein wenig heftig, machen Sie den Herren darüber Ihre Entschuldigung, wie sie einem Manne von Ehre wohl ansteht; alsdann schlage ich den Herren vor, das Quartett auf der Stelle neu zu begründen.»

Da erhob sich Specht und sprach: «Nach dem Rat meines Freundes Wohlfart mache ich Ihnen meine Entschuldigung, bin übrigens bereit, Ihnen in jeder Art Rede zu stehen.» Worauf er sein Glas austrank und den Bässen heftig die Hand schüttelte.

Darauf wurden die Notenbücher gebracht, und mit Behagen ließen alle vier in der Kürbislaube ihre Stimmen erschallen.

Noch blieb die Versöhnung mit Pix als das schwerste Werk. Specht sah seinen Gegner den ganzen Abend mißtrauisch an.

Pix saß gefühllos auf dem Bett und streichelte den Pluto, welcher mit ihm zur Abendgesellschaft gekommen war.

Specht goß Pix das Glas voll und stellte es auf den Bettpfosten. Pix trank es schweigend aus. Specht füllte das Glas von neuem und begann in weltmännischem Ton: «Nun, Pix, wie finden Sie den Kürbis?»

«Es ist eine verrückte Idee», sagte Pix.

Gekränkt wandte sich Specht ab und sah wieder unruhig auf seinen Gegner. Nach einer Weile streckte er die Füße mit scheinbarem Behagen aus, verbarg seine Hände in den Hosentaschen und sprach über die Schulter: «Sie werden mir zugeben, Pix, daß man über manche Dinge verschiedene Ansichten haben kann und deshalb doch nicht feindlich zu sein braucht.»

«Das gebe ich zu», antwortete Pix.

«Warum also», fuhr Specht heftig fort und sprang auf, «warum sind Sie mein Feind? Warum denken Sie gering von mir? Es ist hart, mit seinen Kollegen in Feindschaft zu leben. Ich will Ihnen nicht verschweigen, daß ich Sie achte und daß mir Ihr Benehmen unangenehm ist. Sie haben mir Genugtuung verweigert und sind doch noch böse auf mich.»

«Erhitzen Sie sich nicht», riet Pix, «ich habe Ihnen keine Genugtuung verweigert und bin gar nicht böse auf Sie.»

«Wollen Sie mir das vor allen diesen Herren erklären?» fragte Specht erfreut. «Wollen Sie mit mir anstoßen?» Er holte sein Glas.

«Kommen Sie her», sagte Pix versöhnlich, «ich habe gar nichts mehr gegen Sie, ich sage nur, das mit den Kürbissen war ein verrückter Einfall.»

«Es ist noch mein Einfall», rief Specht, das Glas zurückziehend, «ich dünge mit Rinderblut, in einigen Wochen werden sie grün sein.»

«Nein», versetzte Pix, «das ist vorbei für immer, morgen früh werden auch Sie das einsehen. Und jetzt kommen Sie her und stoßen Sie an, von den Kürbissen soll zwischen uns nicht mehr die Rede sein.»

Specht stieß verdutzt an und wurde gleich darauf sehr lustig. Die Last war von ihm genommen, welche ihn lange gedrückt hatte. Er sang, er schüttelte allen Kollegen die Hände und wurde groß in gewagten Behauptungen.

Als Anton mit den andern die Treppe hinabstieg, bemerkte er, daß Pluto etwas Gelbliches im Maule trug und eifrig daran kaute. «Es sind Spechts Kürbisse», erklärte Pix, «der Hund hat sie für Rindfleisch gehalten und sämtlich abgebissen.»


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