Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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Wie ein Blitzstrahl traf den Freiherrn die Nachricht. Wenn er sein eigenes Gut belastet hatte, war ihm die Summe, die auf fremdem Boden ruhte, als die letzte Grundlage seines Wohlstandes erschienen. Oft hatte er gedacht, ob es nicht töricht war, andern in der Fremde sein Geld zu lassen und daheim fremdes nur zu teuer zu bezahlen; immer hatte er eine Scheu davor gefühlt, auch dies runde Kapital in seine Unternehmungen zu werfen, er betrachtete es als das Wittum seiner Gemahlin, als das Erbteil der Tochter. Jetzt war auch diese Summe gefährdet, die letzte Sicherheit war verschwunden, alles um ihn wankte. Ehrenthal hatte ihn betrogen, er hatte die Korrespondenz mit dem Bevollmächtigten des polnischen Grafen geführt, er hatte ihm am letzten Termin die Zinsen noch vollständig berechnet, es war kein Zweifel, Ehrenthal wußte von den schlechten Verhältnissen des polnischen Gutes und hatte sie ihm verheimlicht.

«Vater», rief Lenore, ihn von dem Wagen aufrichtend, «fasse dich, sprich mit Ehrenthal, fahr zu deinem Anwalt, es wird auch gegen dieses Unglück eine Hilfe geben.»

«Du hast recht, mein Kind», sagte der Freiherr mit klangloser Stimme, «noch ist möglich, daß die Gefahr nicht so groß ist. Laß anspannen, ich will nach der Stadt. Verbirg der Mutter, was du gelesen hast, und du, liebe Lenore, begleite mich.»

Als der Wagen vorfuhr, fand er den Freiherrn noch auf derselben Stelle, wo die Nachricht in sein Herz gedrungen war. Schweigend saß er während der Fahrt in eine Ecke gedrückt.

In der Stadt brachte er die Tochter vor sein Quartier, das er immer noch nicht aufgegeben, um bei seinen Bekannten und seiner Frau nicht den Verdacht zu erwecken, als gehe es mit seinem Vermögen zurück. Er selbst fuhr zu Ehrenthal. Zornig trat er in das Kontor und hielt dem Händler nach rauhem Gruß das Zeitungsblatt entgegen. Ehrenthal erhob sich langsam und sagte mit dem Kopfe nickend: «Ich weiß, der Löwenberg hat deswegen an mich geschrieben.»

«Sie haben mich getäuscht, Herr Ehrenthal!» rief der Freiherr, mühsam nach Haltung ringend.

«Wozu», erwiderte achselzuckend der Händler, «wozu sollte ich Ihnen verstecken, was doch die Zeitung melden muß? Das kommt vor bei jedem Gut, bei jeder Hypothek. Was ist dabei für ein Unglück?»

«Die Verhältnisse der Herrschaft sind schlecht, Sie haben lange darum gewußt», rief der Freiherr, «Sie haben mich betrogen.»

«Was reden Sie da von Betrug?» fuhr Ehrenthal zornig auf. «Nehmen Sie sich in acht, daß nicht ein Fremder Ihre Worte hört. Ich habe mein Geld bei Ihnen stehen, wie kann ich ein Interesse haben, Sie kleiner zu machen und größer zu machen Ihre Verlegenheiten? Ich selber stecke bei Ihnen darin so tief», er wies auf die Stelle, wo bei den Menschen das Herz zu sitzen pflegt «Hätte ich gewußt, daß diese Fabrik wird fressen mein gutes Geld, ein Tausend nach dem andern, wie ein Tier frißt, das hinten offen ist, ich hätte mich bedacht und Ihnen auch nicht bezahlt einen einzigen Taler. Ich will mit meinem Gelde füttern eine Herde Elefanten, aber ich will niemals wieder füttern eine Fabrik. Wie können Sie also sagen, daß ich Sie betrogen habe?» schloß er in steigender Hitze.

«Sie haben um den Konkurs gewußt», rief der Freiherr, «und haben mir verheimlicht, wie es mit dem Grafen steht.»

«Bin ich es gewesen, der Ihnen hat verkauft die Hypothek?» fragte der entrüstete Ehrenthal. «Ich habe Ihnen alle halbe Jahre die Zinsen eingezogen, das ist mein Unrecht, ich habe Ihnen außerdem gezahlt noch vieles Geld, das ist mein Betrug.» – Versöhnend fuhr er fort: «Sehen Sie die Sache ruhig an, Herr Baron, ein anderer Gläubiger stellte Antrag auf den Verkauf der Herrschaft, die Gerichte haben's uns nicht angezeigt, oder sie haben die Anzeige geschickt an eine falsche Adresse. Was tut's? Sie werden jetzt bekommen nach der Subhastation ausgezahlt Ihr Kapital, dann können Sie bezahlen die Gläubiger, die Sie auf Ihrem Gut haben. Es sind, wie ich höre, große Güter bei dieser Herrschaft, und Sie haben nichts zu befürchten für Ihr Kapital.»

Mit dieser zweifelhaften Hoffnung mußte sich der Freiherr entfernen. Niedergeschlagen bestieg er seinen Wagen; er rief dem Kutscher zu: «Zum Justizrat Horn!», aber mitten auf dem Wege gab er Gegenbefehl und fuhr nach seinem Quartier zurück. Es war zwischen ihm und dem alten Rechtsfreund eine Kälte eingetreten. Er hatte sich gescheut, diesem seine unaufhörlichen Verlegenheiten mitzuteilen, und er war durch einige wohlgemeinte Warnungen desselben verletzt worden, so hatte er oft die Hilfe anderer Juristen in Anspruch genommen.

Itzig war in seinem Zartgefühl aus dem Kontor gestürzt, als er die Pferdeköpfe des Barons auf der Straße erblickte, jetzt steckte er den Kopf wieder herein. «Wie war er?» fragte er Herrn Ehrenthal.

«Wie soll er gewesen sein», antwortete Ehrenthal unwillig, «er war wie ein Fisch, welcher hat viele Gräten; er hat geschlagen mit seinem Kopf in die Luft, und ich habe gehabt meinen Ärger. Mein Geld habe ich gesteckt in das Gut, und Sorgen habe ich um das Gut so viel als Haare auf dem Kopfe, weil ich gefolgt bin Ihrem Rat.»

«Wenn Sie denken, daß ein Rittergut Ihnen geschwommen kommt wie ein Fisch mit dem Wasser, daß Sie nur dürfen ausstrecken die Hand und festhalten, so tun Sie mir leid», entgegnete Veitel ironisch.

«Was tue ich mit der Fabrik?» rief Ehrenthal. «Das Gut ist für mich zweimal soviel wert ohne den Schornstein.»

«So verkaufen Sie die Ziegel, wenn Sie den Schornstein erst haben», versetzte Veitel boshaft. «Ich wollte Ihnen noch sagen, daß ich morgen einen Besuch habe von einem Bekannten aus meiner Gegend. Ich kann morgen nicht kommen in Ihr Kontor.»

«Sie haben in dem letzten Jahr so oft Ihre eigenen Gänge gemacht», erwiderte Ehrenthal grob, «daß mir nichts daran liegt, wenn Sie auch länger fortbleiben aus meinem Kontor.»

«Wissen Sie, was Sie gesagt haben?» fuhr Veitel auf. «Sie haben mir gesagt: Itzig, ich brauche dich nicht mehr, du kannst gehen. Ich aber werde gehen, wenn es mir recht ist, und nicht, wenn es Ihnen recht ist.»

«Sie sind ein dreister Mensch», rief Ehrenthal, «ich will Ihnen verbieten, daß Sie so zu mir reden. Wer sind Sie, junger Itzig?»

«Ich bin der, welcher weiß Ihre ganzen Geschäfte, ich bin der, welcher Sie ruinieren kann, wenn er will, und ich bin der, welcher es gut mit Ihnen meint, besser als Sie selber. Und deswegen, wenn ich übermorgen in das Kontor komme, werden Sie zu mir sagen: Guten Morgen, Itzig! Haben Sie mich verstanden, Herr Ehrenthal?» Er ergriff seine Mütze und eilte auf die Straße, dort brach sein unterdrückter Zorn gegen Ehrenthal in helle Flammen aus, er schwenkte heftig die Hände und murmelte drohende Worte. Dasselbe tat Ehrenthal in seinem Kontor.

Der Freiherr fuhr zu seiner Tochter zurück, er setzte sich niedergeschlagen auf das Sofa, und die liebevollen Worte Lenorens gingen ungehört an seinem Ohr vorüber. Er hatte nichts, was ihn noch in der Stadt zurückhielt, als seine Furcht, der Baronin die traurige Nachricht mitzuteilen. Er brütete über Plänen, wie er den möglichen Verlust überwinden könnte, und malte sich wieder mit den schwärzesten Farben aus, welche Folgen dieses Ereignis haben mußte. Unterdes saß Lenore schweigend am Fenster und sah hinunter in das Getümmel der Straße, auf die Lastwagen, welche vorüberrasselten, und auf die Ströme geschäftiger Menschen, die auf dem Trottoir dahinzogen, unaufhörlich, ohne Rast, um Verdienst und Genuß. Und während Lenore sich fragte, ob wohl einer von all den Leuten, die vorübergingen, den heimlichen Kummer, die Furcht, die Mutlosigkeit gefühlt habe, die in den letzten Jahren über ihr junges Herz gekommen war, da sah zuweilen einer von unten zu den Spiegelfenstern des stattlichen Hauses auf, dann ruhte sein Auge bewundernd auf dem schönen Mädchen, und er beneidete vielleicht das Glück der Vornehmen, die so ruhig von oben herabsehen auf die Leute, d[*]ie sich um den Verdienst plagen müssen.

So wurde es dunkel auf der Straße, das Licht der Laternen warf einen matten Schein in das Zimmer, Lenore sah auf die Schatten und Lichtstreifen, welche sich an der Stubenwand bewegten, und mit der steigenden Finsternis vergrößerte sich das Bangen in ihrer Brust. Vor der Haustür aber standen zwei Männer in eifrigem Gespräch, der eine trat in das Haus, die Klingel wurde gezogen, ein schwerer Tritt schallte im Vorzimmer. Der Bediente trat ein und meldete Herrn Pinkus. Bei dem Namen fuhr der Freiherr auf, forderte Licht und eilte in das Nebenzimmer.

Der Herbergsvater trat bei dem Freiherrn ein und neigte einigemal seinen großen Kopf, beeilte sich aber nicht zu sprechen; der Freiherr stützte sich auf die Tischplatte wie einer, der bereit ist, alles zu hören. «Was bringen Sie mir so spät?»

«Der Herr Baron weiß, daß morgen der Wechsel fällig ist mit zehntausend Talern.»

«Können Sie nicht erwarten, daß ich Ihnen bei der Verlängerung Ihre zehn Prozent einrechne?» fragte der Freiherr mit Verachtung. «Ich glaube erst morgen das Rechenexempel machen zu müssen.»

«Da es Ihnen nicht recht ist, das Exempel zu machen», erwiderte Pinkus, «so bestehe ich nicht darauf. Ich komme, Ihnen anzuzeigen, daß ich plötzlich in die Lage gekommen bin, Geld zu brauchen; ich werde Sie morgen bitten um die zehntausend.»

Der Freiherr trat einen Schritt zurück. Das war der zweite Schlag, und dieser traf sein Leben. Er hatte geahnt, daß noch etwas kommen würde, ihn zu zermalmen; jetzt wußte er genau, daß alles unnütz war, was er noch sagen konnte. Sein Gesicht war fahles Gelb, als er mit heiserer Stimme begann: «Wie können Sie diese Forderung stellen nach dem, was wir miteinander besprochen haben? Wie oft haben Sie mir beteuert, daß diese Wechselform nichts als eine leere Förmlichkeit sei?»

«Es ist gewesen bis heut eine Förmlichkeit», sagte Pinkus, «jetzt wird's ein Zwang. Ich habe morgen zu zahlen zehntausend Taler an einen Mann, dem ich verpflichtet bin.»

«Dann sprechen Sie mit dem Mann», sagte der Freiherr, «ich bin bereit, Ihnen neue Zugeständnisse zu machen, ich bin aber jetzt außerstande zu zahlen.»

«Dann, Herr Baron, tut mir's leid, Ihnen zu sagen, daß man gegen Sie verfahren wird nach Wechselrecht.»

Der Freiherr schwieg und wandte sich ab.

«Wann darf ich morgen wiederkommen nach meinem Geld?» fragte Pinkus.

«Um diese Stunde», erwiderte eine Stimme, welche hohl klang wie die Stimme eines Greises. Mit einem neuen Kopfnicken entfernte sich Pinkus, der Freiherr wankte in sein Zimmer zurück. Sein Kopf sank auf die Lehne des Sofas herab, erstarrt dachte er an das, was jetzt kommen mußte. Lenore kniete neben ihm nieder, sie faßte sein Haupt und legte es auf ihre Schulter, sie nannte ihn mit den zärtlichsten Namen und flehte ihn an, doch wieder zu sprechen. Er hörte nichts und sah nichts, in ihm schlug es wie mit einem Hammer immer stärker und schneller. Die hohlen Gebilde von buntem Glas, die er sich ausgeblasen hatte, zersplitterten in Scherben, er ahnte jetzt die schreckliche Wahrheit, er war ein ruinierter Mann.

So saß er bis zum späten Abend, die Tochter brachte ihn endlich dazu, einen Schluck Wein zu trinken und an die Heimkehr zu denken. «Ja, fort von hier», rief er, [*]«ins Freie!» Sie fuhren ab. Als die Bäume der Landstraße an ihm vorbeiflogen und die frische Luft in sein Gesicht schlug, kam seine Seele wieder in Spannung. Diese Nacht und der ganze nächste Tag gehörten ihm, in dieser Zeit mußte sich Hilfe finden. Es war nicht die erste Verlegenheit, die er empfand, und er hoffte jetzt sogar, es werde nicht die letzte sein. Er war diese Wechselschuld von ursprünglich siebentausend und einigen hundert Talern eingegangen, weil der Händler, der ihm heut das Geld kündigte, vor einigen Jahren zu ihm gekommen war und ihm das Geld angeboten, ja aufgedrängt hatte, zuerst mit den niedrigsten Zinsen. In dem sichern Mut eines glücklichen Unternehmers hatte er das Geld angenommen. Es hatte einige Wochen müßig dagelegen, dann hatte er es angegriffen, und Schritt für Schritt hatte der Gläubiger seine Forderungen gesteigert bis zum Solawechsel und einem übermäßigen Zinsfuß. Jetzt trotzte der Schurke. War er wie eine Ratte, welche den bevorstehenden Untergang des Schiffes merkt und sich zu retten sucht? Der Freiherr lachte auf, daß Lenore zusammenfuhr – aber er war nicht der Mann, sich widerstandslos dem Gauner in die Hände zu geben, er wußte, die Nacht und der nächste Tag mußten ihm Hilfe bringen. Ehrenthal konnte ihn nicht im Stiche lassen.

Er fühlte die Notwendigkeit, sich zu beherrschen, er gewann es über sich, mit seiner Tochter wieder von gleichgültigen Dingen zu sprechen. «Es sind unangenehme Geschäfte, die sich jetzt drängen», sagte er, «und ich bin durch die vielen Ansprüche, welche man in der letzten Zeit an mich gemacht hat, auch körperlich angegriffen. Es wird vorübergehen, mein Kind. Jedem Unternehmer kommt solche Zeit; ist die Fabrik erst im Gange, so ist das Ärgste überstanden.»

Es war Nacht, als sie nach Hause kamen, der Freiherr eilte auf sein Zimmer. Er legte sich zu Bett, aber er wußte, daß das eine Szene war, die er nur seinem Bedienten vorspielte; das war wieder eine Nacht, wo der Schlaf sein Haupt nicht berühren sollte. Vom Turme der Dorfkirche schlug eine Stunde nach der andern, der Freiherr zählte jeden Schlag, und nach jeder Stunde pochte das Blut stürmischer in seinen Adern, und heißer wurde seine Angst. Wo war Rettung? Es gab für ihn keine andere als Ehrenthal. Aller Widerwille, den er dagegen empfand, morgen als Bittender vor diesen Mann zu treten, floß dahin mit dem Fieberschweiß, der von seiner Stirn rann. So lag er und rang die Hände; und wenn der Schlummer, das stille Kind der Nacht, sich seinem Lager näherte, immer erhob sich das graue Gespenst der Angst neben seinem Haupt und trieb mit drohender Gebärde den hilfreichen Gott aus seiner Nähe. Gegen Morgen erst verlor er die Empfindung seines Elends.

Schneidende Mißtöne drangen aus dem Hofe in sein Zimmer und weckten ihn; die Arbeiter der Fabrik zogen mit der Dorfmusik unter sein Fenster und brachten ihm ein Ständchen. Zu anderer Zeit hätte er sich über den gutwilligen Eifer gefreut, heut hörte er nur die unreinen Klänge, und sie quälten ihn. Hastig kleidete er sich an und eilte in den Hof. Sein Haus war bekränzt, die Arbeiter hatten sich vor der Tür aufgestellt, sie empfingen ihn mit lautem Zuruf, er mußte den Mund auftun und ihnen sagen, daß er sich dieses Tages freue und daß er viel Gutes von ihm erwarte; und während er sprach, fühlte er, wie unwahr seine Worte waren und wie gebrochen sein Mut. Er ließ anspannen, ehe er noch seine Frau und Tochter begrüßt hatte, und jagte wieder der Stadt zu. Er stand in Ehrenthals Hause und rüttelte an der Tür des Kontors; noch war die Tür verschlossen, sein Diener mußte den Händler vom Frühstück herunterholen.


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