Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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8

Veitel Itzig war in der größten Aufregung. Er, der Nüchterne, Enthaltsame, glich in allen seinen Freistunden einem Trunkenbold. Seine Lippen bewegten sich in lebhaftem Selbstgespräch, und eine fieberische Röte lag über seinen spitzen Backenknochen. Auf der Straße war er schon von weitem kenntlich durch die allerauffälligste Weise der Fuß- und Armbewegungen, ruhiger Schlaf war etwas, das er kaum dem Namen nach kannte. Und das alles, weil eine verwitwete Geheimrätin ihren Lieblingshund verloren hatte. Dieser Mops war an einem heitern Frühlingsmorgen, verführt durch den Sonnenschein oder durch das Aroma eines Fleischerjungen, mühsam zwei Treppen bis auf die Straße hinabgestiegen. Und dort war er verschwunden, im Wasser ertrunken, von Gaunern gestohlen, von Banditen geschlachtet, kurz, er war verschollen, und keine Zeitungsannonce vermochte die runde Gestalt des Flüchtlings in die Räume zurückzuführen, in denen er so lange als Tyrann geherrscht hatte. Aus Ärger über diesen Verlust war die Rätin gefährlich erkrankt, und Veitel nahm einen so lebhaften Anteil an ihrem Leide, daß er selbst in Gefahr kam, seine Gesundheit einzubüßen. Leider waren Veitels Hoffnungen nicht auf das Leben der würdigen Dame gerichtet. Er hatte ein Riesengeschäft gewagt, er hatte es unternommen nach vielen Verabredungen mit seinem Ratgeber Hippus und nachdem er oft in stillen Nächten seine Brieftasche hervorgeholt und sein Vermögen überrechnet hatte. Die Spekulation war eine der schönsten, welche ein Mann von Veitels Grundsätzen unternehmen konnte, sie war vielleicht ein wenig gewagt, aber so sauber wie ein Wickelkind unter dem Badeschwamm.

Ein armer Teufel von Rittergutsbesitzer hatte schlecht gewirtschaftet und war so lange betrogen worden, bis er sein Gut auf dem traurigen Wege der notwendigen Subhastation verloren hatte. Bei diesem Verkauf war ein Hypothekeninstrument von zwölftausend Talern ausgefallen. Der Gläubiger, dessen Forderung durch die Verkaufssumme des Gutes nicht gedeckt werden konnte, hatte vergebens versucht, sich an die Person des verarmten Gutsbesitzers zu halten. Der Schuldner war ohne alle Mittel, das Gericht fand nichts, was ihm zu nehmen war. Er war frustra excussus, wie unsere Juristen sagen, und empfand das Behagen des Elends, seine Gläubiger nicht mehr zu fürchten; dies verzweifelte Glück war für ihn nach trüben Jahren eine Art grönländischer Sonnenschein. Der Eigentümer der Hypothek aber sah wehmütig auf sein zerschnittenes Dokument, welches unter solchen Umständen für ihn fast nur den Wert von Makulatur hatte. Den Spüraugen Itzigs blieb dies Sachverhältnis nicht unerforscht. Er stand mit dem Gutsbesitzer wohl ein Jahr lang in inniger Verbindung, er hatte die Gefälligkeit, ihm alte Röcke abzukaufen, ja sogar Geld vorzuschießen, und wurde in manches kleine Geheimnis dieses verfehlten Lebens eingeweiht. So hatte er auch erspäht, daß sein Kunde alles Segelwerk seines lecken Fahrzeugs aufspannte, sich in die Gunst und das Testament einer alten Tante zu setzen, und kam allmählich zu der Überzeugung, daß ihm dies gelingen werde. Zwei seidene Halstücher und ein Paar vergoldete Ohrringe mußte Veitel an das Dienstmädchen der Rätin aufwenden, um genaue Nachrichten zu erhalten. Der Neffe las der Tante Mordgeschichten aus den Zeitungen vor, er wurde eingeladen, wenn die Tante ihr Lieblingsgericht kochen ließ, die Tante sprach davon, ihn zu verheiraten, tat es aber nicht, und endlich, als aller Lebensmut der Tante durch einen vierwöchigen Regen fortgeschwemmt worden war, ließ sie Gerichtspersonen kommen, trieb ihren Neffen, der, zum Weinen gerüstet, sein Taschentuch in der Hand hielt, aus dem Zimmer und zwang durch diese auffallenden Maßregeln das Dienstmädchen, an der Kammertür zu erlauschen, daß sie ihr Testament machte und des armen Neffen darin ehrenvoll gedachte. Als Veitel dies erkundschaftet hatte, tat er den zweiten großen Schritt und kaufte dem Besitzer des ausgefallenen Instruments die Urkunde und alle Rechte, welche diese an die Person des Schuldners gab, um vierhundert Taler ab.

Jetzt war der Mops verschwunden, die schwer geärgerte Tante lag zu Bett, acht Tage darauf war sie gestorben, und der Neffe erbte den größten Teil ihrer Hinterlassenschaft. Veitel unterzog sich übermenschlichen Anstrengungen, um zu verhindern, daß sein Schuldner nicht durch eines von den kleinen Manövern, welche Veitel alle persönlich kannte, die Erbschaft unsichtbar machte. Wie ein Gespenst verfolgte er den unglücklichen Erben; kaum hatte dieser sich in die ersten Träume über sein künftiges Glück hineingelebt, so stand Veitel als unerbittlicher Mahner an eine finstere Vergangenheit vor ihm und schlug durch die eisige Kälte seiner Forderungen allen warmen Dampf nieder, welcher aus der hoffnungsvollen Seele des Erben aufstieg. Es war unmöglich, ihm zu entkommen, mit eisernen Zangen hielt er seinen Schuldner fest, und das Gesetz half ihm so energisch, daß der Erbe nach vielen Winkelzügen kapitulieren mußte. Durch achttausend Taler, den größten Teil seiner Erbschaft, kaufte er sich von Veitel frei.

Heut war der glückliche Tag, wo der junge Geschäftsmann sein großes Kapital in der Tasche nach Hause trug. Er flog über die Straße, er flog die Treppe hinauf in seine Hinterstube, ganz unsinnig vor Freude. Der Zwang, den er sich lange angetan, kalt zu scheinen, während ihm sein Herz in Angst und Erwartung wie ein Schmiedehammer pochte, war überwunden, er war wie ein Kind, wenn auch nicht so unerfahren; er sprang in der Stube umher, ja er lachte vor Freuden und fragte Herrn Hippus, der ihn seit einigen Stunden erwartete: «Welche Sorte Wein wollen Sie trinken, Hippus?»

«Wein allein wird's nicht tun», erwiderte Hippus vorsichtig. «Indes ist es lange her, daß ich keinen Ungar gekostet habe. Hole eine Flasche alten Oberungar, oder halt, es ist draußen finster genug, ich will sie selbst holen.»

«Was kostet's?» rief Veitel,

«Zwei Taler», antwortete Hippus.

«Das ist viel Geld», sagte Veitel, – «aber es ist einerlei, hier sind sie.» Mit kühner Handbewegung holte er einen Doppeltaler aus der Tasche seines Beinkleides und warf ihn auf den Tisch.

«Schön», nickte Hippus und griff hastig nach dem Geldstück. «Aber dies allein wird's nicht tun, mein Sohn. Ich verlange Prozente von deinem Gewinn. In Erwägung, daß wir alte Bekannte sind und daß man seine Freunde nicht drücken soll, will ich zufrieden sein mit fünf vom Hundert des Kapitals, das du heut eingenommen hast.»

Veitel stand starr, sein strahlendes Gesicht wurde plötzlich sehr ernst, mit offenem Munde sah er auf den schwarzen Mann im Sofa.

«Rede nichts», fuhr Hippus kaltblütig fort und warf über seine Brille hinweg einen bösen Blick auf Veitel, «untersteh dich nicht, auch nur ein Wort von deinem Geschacher gegen mich vorzubringen, wir kennen einander; ich habe gemacht, daß du das Geld gewinnen konntest, ich allein. Du brauchst mich, und du siehst, daß auch ich dich gebrauchen kann. Gib mir auf der Stelle vierhundert von deinen achttausend.»

Veitel wollte sprechen.

«Kein Wort», wiederholte Hippus und schlug mit dem Geldstück im Takt auf den Tisch, «gib her das Geld.»

Veitel sah ihn an, griff endlich schweigend in die Tasche seines Rocks und legte zwei Pergamente vor Hippus auf den Tisch.

«Noch zwei», fuhr Hippus in demselben Tone fort. Veitel legte hundert Taler dazu. «Und jetzt das letzte, mein Sohn», nickte er Alte ermunternd und schlug mit dem Taler wieder auf den Tisch.

Veitel zögerte einen Augenblick und sah ängstlich auf den Alten, in welchem eine boshafte Freude mächtig geworden war. Auf diesem Antlitz war nichts Tröstendes zu finden; wieder griff Veitel in die Tasche, schob das vierte Pergament auf den Tisch und sprach mit klangloser Stimme: «Ich habe mich in Euch geirrt, Hippus.» Und darauf holte er sein Taschentuch hervor, wandte sich ab, schneuzte sich und wischte sich die nassen Augen.

Hippus achtete wenig auf die elegische Stimmung seines Schülers. Er befühlte das Pergament, wie man eine Kostbarkeit in der Hand umwendet, die man vor langer Zeit verloren hat und unerwartet wiederfindet. Endlich sagte er, seine Beute einsteckend: «Wenn du dir's ruhig überlegst, wirst du einsehen, daß ich als guter Freund an dir gehandelt habe. Ich hätte viel mehr fordern können.»

Veitel stand noch immer am Fenster und sah in die Nacht hinaus. Ihm war jämmerlich zumute. Gleich auf dem Heimwege vom Notar hatte er an den Alten gedacht und den Entschluß gefaßt, auch diesem eine Freude zu machen: er hatte ihm eine neue Schnupftabaksdose von Silber kaufen und zehn Dukaten hineinlegen wollen. Und jetzt kam ihm dieser Hippus so!

Da er vor Schmerz über das Benehmen seines Lehrers kein Wort sprach, stand Hippus gemächlich auf und sagte wohlwollend: «Laß dir's nicht zu Herzen gehen, du Dummkopf; sollte ich eher sterben als du, so mache ich dich zu meinem Erben. Dann wirst du dein Geld wiederbekommen, wenn noch etwas davon übrig ist. Jetzt gehe ich den Wein holen. Auf deine Gesundheit werde ich ihn trinken, gefühlvoller Itzig.» Bei diesen Worten schlich der Alte zur Tür hinaus.

Noch einmal fuhr Veitel nach seinem Taschentuch und wischte eine bittere Träne ab, welche an seiner Wange herunterrann. Seine Freude über den Gewinn war verdorben. Es war eine unklare Empfindung und ein unreines Gefühl, das ihn bewegte, denn es war viel Schmerz um die verlorenen Pergamente dabei. Aber er hatte noch mehr verloren als sein kostbares Geld. Der einzige Mensch auf Erden, gegen den er eine Anhänglichkeit fühlte und von dem er gute Freundschaft erwartete, hatte sich gefühllos, eigennützig, feindselig gegen ihn benommen. Zu allen andern Menschen stand er auf Kriegsfuß und erwartete auch von ihnen nichts anderes als Krieg, nur dem kleinen Mann mit der Brille hatte er sein Herz offengehalten. Und dies warme Gefühl hatte der Alte durch seine rohe Forderung tödlich beschädigt. Es war vorbei zwischen ihm und Hippus, er konnte den Mann nicht entbehren, aber von dieser Stunde ab trug er einen Groll gegen ihn mit sich herum, der Alte hatte ihn einsamer und schlechter gemacht. So erfuhr Veitel den Fluch des Argen, daß sie elend gemacht werden nicht nur durch ihre Missetaten, sondern auch durch ihre bessern Neigungen.

Doch nicht lange dauerte die Schwermut des Geschäftsmannes: bald griff er entschlossen in die Tasche, holte den übriggebliebenen Schatz hervor, untersuchte jedes einzelne Pergament von allen Seiten und notierte die Nummern zuerst in seine Brieftasche und dann auf einen Zettel. Den Zettel versteckte er in einem Ritze der Diele. Diese Beschäftigung tröstete ihn wieder etwas. Und jetzt wandte er seine Gedanken auf die Zukunft. Wieder rannte er in dem Zimmer auf und ab und machte Pläne. Seine Weltstellung war mit einem Schlage geändert. Als Eigentümer von baren achttausend Talern – ach, es waren nur siebentausendsechshundert – stand er unter den Geschäftsleuten seiner Art da als ein kleiner Krösus. Viele andere machten Geschäfte mit Hunderttausenden, ohne so viel Vermögen zu besitzen wie er; die Welt lag widerstandslos vor ihm wie eine Perlmuschel auf dem Teller, es kam nur darauf an, mit welchem Hebel er sie öffnen wollte. Wie sollte er sein Kapital anlegen, verdoppeln, verzehnfachen? Jetzt mußte er wählen, und er mußte dies allein tun. Es gab wohl zehn verschiedene Wege für ihn: er konnte fortfahren, Geld gegen hohe Interessen zu leihen, er konnte in Aktien spekulieren, er konnte das Woll- und Getreidegeschäft betreiben, und mit einem Gefühl von Stolz sagte sich der Schelm, daß er auf jedem von diesen Wegen so gut vorwärtskommen könnte wie der verschlagenste unter seinen Genossen. Aber jede von diesen Tätigkeiten brachte ihm das geliebte Kapital in Gefahr, er konnte dabei ein reicher Mann werden, er konnte aber auch alles verlieren; und dieser Gedanke war ihm so schrecklich, daß er sofort alle diese Pläne beiseite warf. Eine Beschäftigung gab es, bei der ein schlauer Mann viel gewinnen konnte und bei der es wohl möglich war, große Verluste zu vermeiden. Von seiner Heimat aus war er als umherziehender Trödler auf die Höfe der Gutsherren gekommen, zur Zeit des Wollmarktes hatte er in den Straßen der Stadt den vornehmen Herren mit Schnurrbart und Ordensband seine Dienste angeboten, im Kontor seines Brotherrn hatte er sich unaufhörlich mit dem Vermögen und den Geldgeschäften des Landadels beschäftigt. Wie genau kannte er die stille Sehnsucht des alten Ehrenthal, ein gewisses Rittergut zu besitzen, wie oft hatte ihm der Mann mit der Brille in höhnischem Scherz geraten, er solle sich zum Rittergutsbesitzer machen. Und wie kam es doch, daß ihm in seinem Schmerz über den Alten plötzlich sein Schulkamerad Anton einfiel und der Tag, wo er zum letzten Male bei diesem verkehrt hatte? Auch damals, als er zur Stadt zog und mit Anton zusammentraf, war er auf dem Gute des Freiherrn umhergestrichen, hatte vor der Tür des Kuhstalls gestanden und die lange Doppelreihe der gehörnten Rinder abgeschätzt, bis die Großmagd ihn herrisch wegwies. Und wie ein heißer Strahl schoß es in seinen Kopf: er selbst konnte Rittergutsbesitzer werden, so gut wie Ehrenthal, er selbst konnte andere seine weiße Wolle waschen lassen und mit zwei, ja, mit vier Pferden nach der Stadt fahren. Er griff mit beiden Händen heftig in die Tischplatte und rief laut: «Ich werde es tun!» und setzte sich auf dem Stuhle fest und schlug die hagern Arme übereinander. Und von dem Augenblick an wollte er etwas und begann seine Arbeit.

Und er spekulierte schlau. Er hatte nach seiner Meinung ein Recht an das Gut des Freiherrn gewonnen durch seinen Entschluß, er wollte dies Recht auch erwerben durch sein Geld, er wollte für sich eine Hypothek auf dem Gute des Barons. So wollte er sein Kapital sicherstellen auf Jahre, ruhig wollte er arbeiten, bis der große Tag käme, wo er mit seinem Kapital das ganze Gut in seine Hände brächte. Und im schlimmsten Falle, wenn sein Plan nicht gelang, der jetzt der stille Zweck seines Lebens werden sollte, dann war wenigstens sein Geld nicht verloren. Unterdes wollte er Agent und Kommissionär werden, er wollte Käufe und Verkäufe vermitteln, wie so viele andere taten, arme Teufel, die einander die halben Prozente gegenseitig beneideten, und vornehme Herren mit großen Titeln, welche den Güterschacher ins Große treiben und Hunderttausende dabei gewinnen durch List, Bestechung und Schleichwege. Veitel wußte, daß es wenig Wege gab, auf denen er nicht bekannt war. So wollte er anfangen, zunächst mußte er als Faktotum bei Ehrenthal bleiben, solange er den Alten benutzen konnte. Die Rosalie war sein, und sie war reich, denn Bernhard war nicht zu rechnen als Erbe des Vaters. Vielleicht wollte er werden der Schwiegersohn des alten Ehrenthal, vielleicht wollte er auch nicht; dies Geschäft hatte keine Eile. Und noch einer war, mit dem er sich stellen mußte: der kleine schwarze Mann, welcher jetzt drüben in der Gaststube seinen teuren Wein trank. Auch mit ihm mußte er von heut ab Rechnung halten, er wollte ihn bezahlen für jeden Dienst, den ihm der Alte tat, und wollte ihm nur so weit sein Vertrauen geben, als es nötig war.

Das waren die Entschlüsse, zu denen Veitel kam, und als er seinen Plan überlegt hatte wie ein Gelehrter das Buch, das er schreiben will, da trug er seine Pfandbriefe unter das Kopfkissen, verschloß seine Tür, lehnte einen schweren Stuhl dagegen und warf sich erschöpft durch die Anstrengung des Tages auf sein hartes Lager, er, der neue, wild aufgeschossene Agnat der Rothsattel, der Mitbesitzer ihres schönen Gutes. Vielleicht war es die aberwitzige Phantasie eines Toren, was der Händler auf seiner ärmlichen Stube in unruhiger Seele umhergewälzt hatte, vielleicht wurde es der Anfang einer Reihe von entschlossenen und konsequenten Taten, ein finsteres Schicksal für den Freiherrn und seine Familie. Der Freiherr selbst sollte darüber entscheiden.


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