Gustav Freytag
Soll und Haben
Gustav Freytag

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So zog Fink die Tafel hin bis nach Mitternacht, zuletzt mußte Rosalie sich an den Flügel setzen, dann fuhr auch er mit den Fingern über die Tasten und sang ein wildes Lied in spanischer Sprache. Als die Gäste sich entfernten, war die Familie entzückt. Rosalie eilte wieder an den Flügel und suchte die Melodie des fremden Gassenhauers zu wiederholen, die Mutter war unerschöpflich im Ruhme des vornehmen Wesens; auch der von den Stühlen der Menschheit gestrichene Vater war über den Besuch des reichen Erben begeistert und wiederholte in angenehmer Weinlaune, daß er über eine Million schwer sei. Selbst Bernhards unschuldige Seele war durch die Art des gewandten Mannes mächtig gefesselt. Wohl hatte er bei den Reden Finks zuweilen ein leichtes Mißbehagen gefühlt, es war ihm vorgekommen, als mache der Fremde sich über ihn und die Seinen lustig, aber er war zu unerfahren, um das vollständig zu übersehen, und beruhigte sich damit, daß solche Gleichgültigkeit zum Wesen der Weltleute gehöre.

Nur Anton war unzufrieden mit dem Freunde und sagte ihm das auf dem Heimwege.

«Du hast gesessen wie ein Stock», erwiderte Fink, «ich habe die Leute unterhalten, was willst du mehr? Laß dich in eine Maus verwandeln und kriech in die Löcher der aufgeputzten Stube, und du wirst hören, wie sie jetzt mein Lob singen. Kein Mensch kann mehr verlangen, als daß man ihn so behandelt, wie ihm selbst behaglich ist.»

«Ich meine», sagte Anton, «man soll ihn so behandeln, wie es der eigenen Bildung würdig ist. Du hast dich benommen wie ein leichtsinniger Edelmann, der morgen bei dem alten Ehrenthal eine Anleihe machen will.»

«Ich will leichtsinnig sein», rief Fink lustig, «vielleicht will ich auch eine Anleihe bei dem Hause Ehrenthal machen. Schweig jetzt mit den Bußpredigten, es ist ein Uhr vorüber.»

Einige Tage später erinnerte sich Anton nach dem Schluß des Kontors, daß er dem jungen Gelehrten die Übersendung eines Buches versprochen hatte. Da Fink schon vor einer Stunde weggegangen war und, wie er oft tat, den Paletot Antons mitgeführt hatte, so wickelte dieser sich in Finks Burnus, der auf seiner Stube lag, und eilte in Ehrenthals Haus. Er trat an die weiße Tür und war nicht wenig verwundert, als die Tür geräuschlos aufging und eine verhüllte Gestalt herausschlüpfte. Ein weicher Arm legte sich in den seinen, und eine leise Stimme sprach: «Kommen Sie schnell, ich erwarte Sie schon lange.» Anton erkannte Rosaliens Stimme. Er stand starr wie eine Bildsäule und erwiderte endlich mit dem Erstaunen, das in solcher Lage verzeihlich ist: «Sie verkennen mich, mein Fräulein.» Mit einem unterdrückten Schrei huschte die junge Dame die Stufen hinab. Anton trat kaum weniger erschrocken in Bernhards Zimmer. Er hatte in der Verwirrung den Mantel nicht abgenommen und erlebte jetzt das Leid, daß der kurzsichtige Bernhard auf ihn zutrat und ihn Herr von Fink anredete. Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihm auf, er schützte gegen Bernhard große Eile vor und trug den unglücklichen Mantel schnell nach Hause über einem Herzen voll Schmerz und Ärger. Wenn es Fink war, der von der schönen Tochter Ehrenthals zu so vertraulichem Abholen erwartet wurde! Je länger Anton auf den Abwesenden harrte, desto höher stieg sein Unwille. Endlich hörte er Finks Tritte auf den Steinen des Hofes und eilte mit dem Mantel zu ihm hinab. Er erzählte kurz, was ihm begegnet war, und schloß mit den Worten: «Sieh, ich hatte deinen Mantel um, und es war dunkel, ich habe den häßlichen Verdacht, daß sie mich für dich gehalten hat und daß du das Vertrauen Bernhards in unverantwortlicher Weise mißbraucht hast.»

«Ei, ei», sagte Fink kopfschüttelnd, «da sieht man, wie schnell der Tugendhafte bereit ist, seine Steine auf andere zu werfen. Du bist ein Kindskopf. Es gibt mehr weiße Mäntel in der Stadt, wie kannst du beweisen, daß es gerade mein Mantel war, der erwartet wurde? Und dann erlaube mir die Bemerkung, daß du selbst dich bei diesem Abenteuer in einer Weise benommen hast, die weder artig noch entschlossen, noch irgend etwas anderes war als täppisch. Warum hast du nicht das Fräulein die Treppe heruntergeführt? Und wenn die Verwechselung unten nicht mehr zu verbergen war, konntest du nicht sagen: Zwar bin ich nicht der, für den Sie mich halten, aber ich bin ebenfalls bereit, in Ihrem Dienst zu sterben, und so weiter?»

«Du täuschest mich nicht», erwiderte Anton. «Ich traue nicht, daß du mir die Wahrheit sagst. Wenn ich mir alles recht überlege, so kann ich, trotz deinem Leugnen, den Verdacht nicht loswerden, daß du doch der Erwartete warst.»

«Du bist ein kleiner Schlaukopf», sagte Fink gemütlich. «Du wirst mir aber ebenfalls zugestehen, daß ich, da eine Dame im Spiel ist, nichts anderes tun kann als leugnen. Denn siehst du, mein Sohn, wenn ich dir Geständnisse machte, so würde ich ja die schöne Tochter des ehrenwerten Hauses kompromittieren.»

«Leider fürchte ich», rief Anton, «daß sie sich ohnedies kompromittiert fühlt.»

«Na», sagte Fink ruhig, «sie wird's ertragen.»

«Aber Fritz», rief Anton, die Hände ringend, «hast du denn gar keine Empfindung für das Unrecht, das du an Bernhard begehst? Du verleitest die Schwester eines gebildeten und feinfühlenden Menschen zu Torheiten, die für sie verhängnisvoll werden müssen. Gerade daß sein reines Herz in einer Umgebung schlägt, die er nur ertragen kann, weil er so voll Vertrauen ist und so wenig erfahren, gerade das macht dein Unrecht für mich so bitter.»

«Deshalb wirst du am klügsten tun, wenn du das große Zartgefühl deines Freundes schonst und seiner Schwester Verschwiegenheit gönnst.»

«Nein», erwiderte Anton zornig, «meine Pflicht gegen Bernhard zwingt mich zu etwas anderm. Ich muß von dir fordern, daß du dein Verhältnis zu Rosalie, von welcher Art es auch sei, auf der Stelle abbrichst und dich bemühst, in ihr nur das zu sehen, was sie dir immer hätte sein sollen, die Schwester meines Freundes.»

«So?» entgegnete Fink spöttisch. «Ich habe nichts dagegen, daß du diese Forderung stellst. Wenn ich aber nicht darauf eingehe, wie dann? Immer vorausgesetzt, was ich überhaupt leugne, daß ich der glückliche Erwartete war!»

«Wenn du nicht darauf eingehst», rief Anton in großer Bewegung, «so kann ich dir diesen Streich niemals verzeihen. Das ist nicht mehr Mangel an Zartgefühl, es ist etwas Schlimmeres.»

«Und was, wenn's beliebt?» fragte Fink kalt.

«Es ist schlecht», rief Anton. «Es war schlimm genug, daß du die Koketterie des Mädchens benutztest, aber es ist doppelt schlecht, daß du auch jetzt nicht daran denken willst, wie du sie kennengelernt hast, nicht an ihren Bruder und nicht an mich, der ich diese unglückliche Bekanntschaft vermittelt habe.»

«Und du laß dir sagen», erwiderte Fink, die Lampe seiner Teemaschine anzündend, «daß ich dir durchaus nicht das Recht einräume, mir solche Vorträge zu halten. Ich habe keine Lust, mit dir zu zanken, aber ich wünsche über diesen Gegenstand kein Wort weiter von dir zu hören.»

«Dann muß ich dich verlassen», sagte Anton, «denn es ist mir unmöglich, mit dir über etwas anderes zu sprechen, solange ich die Empfindung habe, daß du frevelhaft handelst.» Er ging zur Tür. «Ich lasse dir die Wahl, entweder du brichst mit Rosalie, oder, so furchtbar mir ist, dies auszusprechen, du brichst mit mir. Wenn du mir bis morgen abend nicht die Versicherung gibst, daß deine Intrige zu Ende ist, so gehe ich zu Rosaliens Mutter.»

«Gute Nacht, dummer Tony», sagte Fink.

Anton verließ den leichtsinnigen Freund. Es war der erste ernsthafte Streit zwischen ihm und Fink. Er war sehr unglücklich über Finks Leichtsinn und schritt bis tief in die Nacht in seinem Zimmer trostlos auf und ab. Dem harmlosen Bernhard etwas zu sagen erschien ihm bei der Persönlichkeit des Gelehrten bedenklich, er fürchtete, ihn im tiefsten Herzen zu verwunden, und traute ihm wenig Einfluß auf die Schwester zu. Auch Fink war ärgerlich über den Zufall. Er trank seinen Grog diesmal allein und dachte vielleicht mehr an Antons Groll als an den Schreck der schönen Rosalie.

Der nächste Tag war grau für beide. Sonst, wenn Fink ins Kontor trat, nickte er dem Freunde, der ihm seit einiger Zeit gegenübersaß, freundlich zu, und Anton kam dann schnell an den Stuhl des andern und fragte leise, wie Fink den letzten Abend verlebt hatte. Heut saß Anton stumm auf seinem Platz und beugte sich tief auf den Brief hinab, als Fink sich ihm gegenübersetzte. Jeder mußte, wenn er aufsah, in das Gesicht des andern blicken, heut hatten beide die Aufgabe, zu tun; als ob ihnen gegenüber ein leerer Raum sei. Es war Fink leicht gewesen, den Vater Ehrenthal als Luft zu behandeln, bei Anton war auch ihm das lästig, und Anton, der keine solche Gewandtheit im Übersehen fremder Körper hatte, fühlte sich höchst unglücklich, wenn er nach rechts und links ausschauen mußte, bei dem Kopf des andern vorbei, über ihn weg, immer gleichgültig, wie der Kriegsausbruch zwischen Schmollenden nötig macht. In der Mitte des Vormittags kam das Frühstück in das Kontor, dann wurde eine kurze Pause gemacht, die Herren standen von ihren Plätzen auf und traten zusammen. Heut blieb Anton sitzen, weil sein Platz der einzige Ort war, welcher ihn vor der Berührung mit Fink sicherte. Alles verschwor sich, beiden ihre Rollen schwer zu machen. Schmeie Tinkeles erschien im Kontor, und Fink hatte wieder eine lächerliche Verhandlung. Alle Herren sahen auf Fink und sprachen mit ihm; sonst hatte Anton dem Freunde fröhliche Zeichen des Einverständnisses gemacht, jetzt starrte er vor sich hin, als ob Tinkeles hundert Meilen entfernt wäre. Herr Schröter gab Anton einen Auftrag, bei dem er Fink um Auskunft fragen mußte. Anton war genötigt, sich vorher stark zu räuspern, damit seine Stimme nicht gepreßt klang, und als Fink eine kurze Antwort gab, kränkte ihn das, und sein Zorn gegen den Verstockten loderte wieder zu heller Flamme auf. Zum Mittagessen waren die beiden immer zusammen gegangen, Fink hatte regelmäßig gewartet, bis Anton ihn abholte. Heut kam Anton nicht. Fink ging mit Herrn Jordan ins Vorderhaus, so daß Jordan verwundert fragte: «Wo bleibt denn Wohlfart?», und Fink mußte sagen: «Wo er will.»

Am Nachmittag konnte sich Anton nicht enthalten, einige Male heimlich von seinem Briefe aufzusehen und den Kopf und das stolze Angesicht des anderen zu betrachten. Dabei mußte er denken, wie fürchterlich es für ihn sei, von jetzt ab dem Manne fremd zu werden, an dem er so sehr hing. Aber er blieb fest. Auch jetzt, wo der erste Zorn verraucht war, fühlte er, daß er nicht anders handeln konnte. Diese Überzeugung rührte ihm das Herz. Und in solcher Stimmung vermied er nicht mehr, auf den Platz des verlorenen Freundes zu schauen. Als Fink aufblickte, sah er das Auge Antons voll Trauer auf seinem Gesicht ruhen. Der schmerzliche Ausdruck beunruhigte den Rücksichtslosen mehr als der frühere Zorn. Er erkannte daraus, daß Anton fest war, und die Waagschale, worin Rosalie saß, fuhr in die Höhe. Wenn Anton in seiner Spießbürgerlichkeit zu Rosaliens Mutter ging, so wurde ihm das Abenteuer doch verdorben. Zwar um den Zorn der Mutter kümmerte er sich wenig, Rosalie mochte sehen, wie sie mit ihr fertig wurde, aber der Gedanke an den harmlosen Bernhard war ihm unbehaglich. Und was das schlimmste war, sein eigenes Verhältnis zu Anton war für immer zerstört, sobald dieser erst mit einer dritten Person über die Angelegenheit gesprochen hatte. Diese Erwägung zog ihm die Stirn in Falten.

Kurz vor sieben Uhr fiel ein Schatten auf Antons Papier. Anton sah auf, Fink hielt ihm schweigend einen kleinen Brief über das Pult, die Aufschrift war an Rosalie. Anton sprang von seinem Sitz auf.

«Ich habe an sie geschrieben», sprach der andere mit eisiger Kälte. «Da deine Freundschaft mir nur die Wahl läßt, entweder das Mädchen zu kompromittieren oder meine Studien über eine interessante Völkerseele aufzugeben, so muß ich mich zu dem letzteren verstehen. Hier ist der Brief. Ich habe nichts dagegen, daß du ihn liest. Es ist der Laufpaß.»

Anton nahm den Brief aus der Hand des Sünders, siegelte ihn in der Eile mit dem kleinen Kontorstempel und übergab ihn einem Hausknecht zur schleunigen Abgabe auf der Stadtpost.

So war die Gefahr beseitigt, aber es blieb seit diesem Tage eine Spannung zwischen den beiden Verbündeten. Fink grollte, und Anton konnte nicht vergessen, was er Verrat an seinem Freund Bernhard nannte. Und Fink trank durch einige Wochen seinen Tee nicht in Antons Gesellschaft.


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