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Gustav Freytag
Soll und Haben
Inhalt

Inhalt

  • Gustav Freytag
  • Erstes Buch
  • 2
  • Kapitel 4
  • 3
  • Kapitel 6
  • 4
  • Kapitel 8
  • Kapitel 9
  • 5
  • Kapitel 11
  • 6
  • Kapitel 13
  • 7
  • Kapitel 15
  • Kapitel 16
  • Kapitel 17
  • 8
  • Kapitel 19
  • Kapitel 20
  • 9
  • Kapitel 22
  • Kapitel 23
  • 10
  • Zweites Buch
  • Kapitel 26
  • Kapitel 27
  • Kapitel 28
  • 2
  • Kapitel 30
  • Kapitel 31
  • 3
  • Kapitel 33
  • Kapitel 34
  • 4
  • Kapitel 36
  • Kapitel 37
  • Kapitel 38
  • 5
  • 6
  • Kapitel 41
  • Kapitel 42
  • Kapitel 43
  • 7
  • Kapitel 45
  • Kapitel 46
  • 8
  • Kapitel 48
  • Kapitel 49
  • 9
  • Kapitel 51
  • 10
  • Kapitel 53
  • Drittes Buch
  • Kapitel 55
  • Kapitel 56
  • 2
  • Kapitel 58
  • Kapitel 59
  • Kapitel 60
  • 3
  • Kapitel 62
  • Kapitel 63
  • Kapitel 64
  • Kapitel 65
  • 4
  • Kapitel 67
  • Kapitel 68
  • 5
  • Kapitel 70
  • Kapitel 71
  • 6
  • Kapitel 73
  • Kapitel 74
  • 7
  • Kapitel 76
  • Kapitel 77
  • 8
  • Kapitel 79
  • Kapitel 80
  • Kapitel 81
  • Viertes Buch
  • Kapitel 83
  • Kapitel 84
  • 2
  • Kapitel 86
  • Kapitel 87
  • Kapitel 88
  • 3
  • Kapitel 90
  • Kapitel 91
  • 4
  • Kapitel 93
  • Kapitel 94
  • 5
  • Kapitel 96
  • 6
  • Kapitel 98
  • Kapitel 99
  • Kapitel 100
  • Fünftes Buch
  • Kapitel 102
  • Kapitel 103
  • Kapitel 104
  • 2
  • Kapitel 106
  • Kapitel 107
  • 3
  • Kapitel 109
  • Kapitel 110
  • 4
  • Kapitel 112
  • Kapitel 113
  • Kapitel 114
  • Kapitel 115
  • Kapitel 116
  • 5
  • Kapitel 118
  • Kapitel 119
  • Sechstes Buch
  • Kapitel 121
  • Kapitel 122
  • Kapitel 123
  • 2
  • Kapitel 125
  • 3
  • Kapitel 127
  • 4
  • Kapitel 129
  • 5
  • Kapitel 131
  • Kapitel 132
  • 6
  • Kapitel 134
  • 7
  • Kapitel 136
Gustav Freytag

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Am Abend trat Ehrenthal zu dem Bett des Sohnes, wie er immer tat, wenn er das Kontor verschlossen und den Schlüssel in seiner Schlafkammer versteckt hatte. «Was hat heut der Doktor gesagt, mein Bernhard?»

Bernhard hatte sich mit dem Kopfe nach der Wand gedreht, jetzt warf er sich plötzlich herum und sagte heftig: «Vater, ich muß etwas mit dir reden, verschließe die Tür, damit uns niemand stört.»

Erschrocken lief Ehrenthal zu beiden Türen, verschloß und verriegelte gehorsam, dann eilte er zum Bett des Sohnes zurück. «Was hast du, das dich kümmert; mein Bernhard?» fragte er und fühlte mit der Hand auf die Stirn des Kranken. Bernhard entzog ihm sein Haupt, die Hand des Vaters sank auf die Bettdecke. «Setze dich hierher», sagte der Sohn finster, «und beantworte meine Frage so aufrichtig, als wenn du zu dir selber sprächst.»

Der Alte setzte sich und sagte: «Frage, mein Sohn, ich will dir alles beantworten.»

«Du hast mir gesagt, daß du dem Baron Rothsattel viel Geld geborgt hast, daß du ihm keines mehr leihen willst und daß der Edelmann sein Gut nicht wird behalten können.»

«Es ist, wie ich habe gesagt», erwiderte der Vater, vorsichtig wie in einem Verhör.

«Und was soll jetzt aus dem Baron und seiner Familie werden?»

Ehrenthal zuckte die Achseln. «Er wird herunter von seinem Gut, und wenn der Tag kommt, wo das Gut vom Gericht verkauft wird, so werde ich wegen meinem Geld bieten müssen auf das Gut, und ich hoffe, ich werde es kaufen. Ich habe eine große Hypothek, welche ist sicher, und eine kleine hinten am Ende, welche ist schlecht. Wegen der schlechten Hypothek werde ich erstehen das Gut.»

«Vater», rief Bernhard mit schneidender Stimme, so daß Ehrenthal zusammenfuhr, «du willst einen Vorteil ziehen aus dem Unglück des Mannes, du willst dich an seine Stelle setzen! Ja, du bist auf das Gut des Barons gefahren und hast mich mitgenommen, vielleicht mit dem Gedanken, die Verlegenheit des Edelmanns zu benutzen. Es ist schrecklich, schrecklich!» Er warf sich in die Kissen zurück und rang die Hände.

Ehrenthal rückte unruhig auf seinem Sitz. «Führe nicht solche Reden von Sachen, die du nicht verstehst. Die Geschäfte sind für den Tag; wenn ich abends zu dir komme, sollst du dich nicht ängstigen um meine Arbeiten. Ich will's nicht haben, daß du die Hände aufhebst und sagst schrecklich.»

«Vater», rief Bernhard, «wenn du nicht willst, daß ich vergehen soll vor Scham und Kummer, so wirst du deine Absicht aufgeben.»

«Aufgeben!» versetzte Ehrenthal entrüstet. «Wie kann ich aufgeben mein Geld? Wie kann ich aufgeben das Gut, um das ich mich bemüht habe bei Tag und bei Nacht? Wie kann ich aufgeben das größte Geschäft, das ich gemacht habe in meinem Leben? Du bist ein ungehorsames Kind und machst uns Jammer um gar nichts. Was habe ich für ein Unrecht getan, daß ich dem Baron gegeben habe mein Geld? Er hat's gewollt. Was tue ich für ein Unrecht, wenn ich kaufe das Gut? Ich rette mein Geld.»

«Verflucht sei jeder Taler, den du darauf gewandt, verflucht der Tag, wo du diesen unglücklichen Entschluß gefaßt!» fuhr Bernhard auf und erhob seine Hand drohend gegen den Vater.

«Was ist das?» schrie Ehrenthal aufspringend. «Welcher böse Gedanke hat getroffen das Herz meines Sohnes, daß er so spricht zu seinem Vater? Was ich getan habe, für wen habe ich's getan? Nicht für mich und meine alten Tage. Ich habe dabei gedacht jeden Tag an dich, mein Sohn, der du bist ein anderer Mann als dein Vater. Ich werde haben den Kummer, und du sollst gehen aus dem Schloß in den Garten und wieder zurück in das Schloß, und wenn du gehst, soll der Amtmann abziehen seine Mütze und die Knechte im Hofe abziehen ihre Hüte, und sie sollen zu sich sagen: Das ist der junge Herr Ehrenthal, welcher ist unser Herr, der da geht.»

«Ja», versetzte Bernhard bitter, «das ist deine Liebe. Mich willst du zum Mitschuldigen machen einer ungerechten Tat. Du irrst, Vater; niemals werde ich aus dem Schlosse in den Garten gehen mit einem Buche, eher will ich als armer Bettler mein Essen erbitten von der Gemeinde, als daß ich einen Fuß auf das Gut setze, das durch Sünde erworben ist.»

«Bernhard», schrie der Alte mit gerungenen Händen, «du wirfst die Steine auf mein Vaterherz, daß ich fühle die Last, wie sie mich drückt zu Boden.»

«Und du verdirbst deinen Sohn», rief Bernhard in auflodernder Leidenschaft. «Sieh zu, für wen du geschachert und gelogen hast; aber so wahr es einen Himmel über uns gibt, du wirst niemandem sagen, daß es geschehen ist für deinen unglücklichen Sohn.»

«Mein Sohn», jammerte der Vater, «schlage nicht auf mein Herz mit deinem Fluche. Seit du bist gewesen ein kleiner Bocher, der sein Gebetbündel in die Schule getragen hat, habe ich gehabt meinen Stolz, wenn ich auf dich gesehen habe. Ich habe dir gelassen allen Willen, zu tun, was dir am liebsten war; ich habe dir gekauft von Büchern, ich habe dir gegeben von Geld mehr, als du hast haben wollen; wo ich dir etwas absehen konnte an deinen Augen, ich habe dir's abgesehen. Wenn ich unten den ganzen Tag mich geärgert habe, mußte ich immer denken: Mein Sohn soll lachen, weil ich mich ängstige.» Er nahm den Zipfel seines Schlafrocks und fuhr damit über die Augen, vergeblich bemüht, seine Fassung wiederzugewinnen. So saß er als ein geschlagener Mann dem Sohne gegenüber.

Bernhard sah schweigend auf die gebeugte Gestalt, endlich streckte er die Hand aus: «Mein Vater!» rief er weich. Ehrenthal fuhr schnell mit beiden Händen nach der dargebotenen Rechten und hielt sie fest, als könnte sie ihm wieder entzogen werden, er schob sich näher heran, küßte und streichelte sie. «So bist du wieder mein guter Sohn», sagte er gerührt. «Jetzt wirst du nicht mehr führen solche lästerliche Reden, und du wirst nicht mehr zanken wegen dieses Barons.»

Bernhard zog hastig seine Hand zurück.

«Ich will ihn nicht drücken, ich will Nachsicht mit ihm haben wegen der Zinsen», fuhr der Vater flehend fort und suchte die Hand des Sohnes.

«Oh, es ist umsonst, mit ihm zu reden», rief Bernhard im tiefsten Schmerz, «er versteht meine Rede nicht!»

«Ich will alles verstehen», klagte Ehrenthal, «daß du mir wiedergibst deine Hand.»

«Willst du deine Pläne gegen das Gut aufgeben?» fragte Bernhard.

«Sprich nicht von dem Gut», flehte der Alte.

«Umsonst!» murmelte Bernhard, sich abwendend, und verbarg das Gesicht in seinen Händen.

Ehrenthal saß vernichtet dem Kranken gegenüber, auch er seufzte schwer auf. «Höre mich, mein Sohn», bat er endlich mit leiser Stimme, «ich will sehen, daß ich ihm schaffe ein anderes Gut, welches er behaupten kann mit seinen Mitteln. Hast du gehört, mein Sohn Bernhard?»

«Geh», rief Bernhard ohne Härte, aber mit der Energie eines tiefen Schmerzes, «geh und laß mich jetzt allein!»

Ehrenthal erhob sich und verließ mit gesenktem Haupt das Zimmer, in der Nebenstube ging er heftig auf und ab, rang die Hände und sprach mit sich selbst. Und wieder öffnete er leise die Tür, trat an Bernhards Bett und fragte klagend: «Willst du mir geben deine Hand, mein Sohn?» – Bernhard lag abgewandt und rührte sich nicht.

Mit klopfendem Herzen nannte Anton dem Diener des Freiherrn seinen Namen. «Wohlfart?» rief der Freiherr gedehnt, und die Erinnerung an den Brief Antons stach verletzend in seine Seele. «Führe ihn herein.» Mit kühlem Gruß beantwortete er Antons tiefe Verneigung. «Ich bin Ihnen wohl noch den Dank schuldig für Ihr Schreiben von neulich», sagte er; «daß ich es nicht beantwortet habe, wie die gute Meinung verdiente, müssen Sie mit meinen vielen Geschäften entschuldigen.»

«Wenn ich jetzt in derselben Angelegenheit komme», begann Anton, «so bitte ich Sie, dies nicht für Zudringlichkeit zu halten. Mich führt der Auftrag eines Bekannten her, der die wärmste Ergebenheit gegen Sie und Ihr Haus empfindet. Es ist der Sohn des Kaufmanns Ehrenthal. Er selbst wird durch Krankheit verhindert, Ihnen seine Aufwartung zu machen, er läßt Sie deshalb durch mich bitten, daß Sie den Einfluß, den er auf seinen Vater hat, benützen möchten. Falls Ihnen seine Einwirkung irgendwie brauchbar erscheint, soll ich Sie ersuchen, ihm Ihre Wünsche mitzuteilen.»

Der Freiherr horchte auf. Jetzt, wo ihn alles verließ, wo er sich selbst aufgegeben hatte, drängten sich fremde Gestalten in sein Leben, dieser Itzig, Wohlfart, der Sohn Ehrenthals. Was ihm Wohlfart anbot, klang abenteuerlich, aber es konnte für ihn eine Hilfe werden gegen das, was unaufhörlich an seinem Herzen fraß, eine Hilfe gegen die Ansprüche Ehrenthals, gegen die furchtbare Gefahr, in der sein guter Name schwebte. «Ich kenne den jungen Mann nur wenig», sagte er mit Haltung, «ich ersuche Sie, vor allem zu erklären, wie ich zu der Ehre komme, ein so ungewöhnliches Wohlwollen des Herrn zu erhalten.»

Anton erwiderte warm: «Bernhard Ehrenthal hat ein edles Herz, und sein Leben ist rein. Unter seinen Büchern aufgewachsen, versteht er wenig von den Geschäften seines Vaters, aber er hat die Ansicht gewonnen, daß dieser sich durch schlechte Ratschläge verleiten läßt, feindselig gegen Sie aufzutreten. Er hat Einfluß auf seinen Vater, sein feines Ehrgefühl ist sehr beunruhigt, und er wünscht dringend, seinen Vater von Maßregeln abzuhalten, welche er nicht für ehrenhaft hält.»

Hier war Hilfe! Das war ein reiner Luftzug, der in die stickende Atmosphäre eines Krankenzimmers drang, aber dem Kranken machte die frische Luft Mißbehagen. Diese ehrenhaften Leute, die so bereit waren zu verdammen, was ihnen nicht ehrenvoll erschien, wurden ihm peinlich. Und schon jetzt, während er den Wert erkannte, den auch diese unsichere Aussicht für ihn haben konnte, fühlte er in seinem Herzen eine Abneigung, seine Lösung aus der Angst diesen beiden zu verdanken. Dem eifrigen Wohlfart wenigstens, der alles sein sollte, was zuverlässig und gewissenhaft heißt, ihm wollte er Näheres nicht mitteilen. Und so erwiderte er mit einer Freundlichkeit, die ihm nicht vom Herzen kam: «Meine Beziehungen zu dem Vater Ihres Freundes sind allerdings von einer Art, daß die wohlmeinende Vermittlung durch einen Dritten in unserm beiderseitigen Interesse liegen möchte. Ob der junge Ehrenthal die geeignete Person dafür ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls sagen Sie ihm, daß ich für den Anteil dankbar bin, den er an meinen Angelegenheiten nimmt, und daß ich mir vorbehalte, zu seiner Zeit mit ihm selbst darüber Rücksprache zu nehmen.» Nach diesem Bescheid erhob sich Anton, der Freiherr begleitete ihn bis an die Tür und – merkwürdig, er machte ihm dort eine tiefe Verbeugung.

Es war kein Zufall, daß in dem Augenblick, wo Anton durch das Vorzimmer ging, auch Lenore hereintrat. «Herr Wohlfart», rief sie freudig und eilte auf ihn zu. «Liebes Fräulein», rief auch er, und beide begrüßten einander als alte Freunde.


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